Kartenausschnitt:
Bayer. Vermessungsamt,
historische Karte 1815,
www.bayernatlas.de
Nach Pfarrer Johann Nep. Stützles Beschreibung der katholischen Pfarrei Oberstdorf gab es 1848 im Trettachgebiet, am Ende des oberen Marktes, vier Sägemühlen: eine Lohmühle (In einer Lohmühle wurden pflanzliche Gerbmittel, z. B. Fichtenrinden, für die Ledergerbung zerkleinert), drei Mahlmühlen und zwei Hammerwerke. Nachdem der Getreideanbau von der Grünlandwirtschaft verdrängt wurde, stellten viele Mahlmühlen den Betrieb ein, einzelne überlebten nur noch als Sägen.
Von den drei Oberstdorfer Mahlmühlen wird die obere Mühle, im Plan mit der alten Hausnummer 1 bezeichnet, zwischen der Mühlenbrücke und der Nebelhornbahnstation bis heute noch als Sägemühle betrieben. Die Wasserkraft wurde aber hier auch bereits seit 1897 durch den Einsatz eines Wasserrades mit Dynamo-Maschine für die Stromerzeugung genutzt.
In der mittleren Mühle, im Plan mit Hausnummer 5 bezeichnet, nutzten die Brüder Otto und Fritz Gschwender die Wasserkraft ab 1876 für ihre „Holzwaarenfabrik” zur „Fabrikation von Eisschränken und Bierkühlapparaten, Rahmen, Kehlleisten ...”. Bei der Industrieausstellung 1882 in Nürnberg wurden O. & F. Gschwender „für Bierkühlapparate, dann für Anfertigung in Grund gezogener ovaler und rundeckiger Rahmen nebst Kehlleisten von guter Profilirung” mit einer Anerkennungs-Medaille in der Gruppe I ausgezeichnet, wie dem „Verzeichnis der prämiirten Aussteller” zu entnehmen ist. Um die Jahrhundertwende betrieb Fritz Gschwender ein „Elektrisches Lothanninbad” nach dem System Stanger in seinem damaligen „Trettach Hotel”, welches später Nebelhornbahnhotel genannt wurde. Dieses wurde 1990 abgebrochen und das Gelände dient heute der Nebelhornbahn als Parkplatz.
Kochs Mühle, im Plan mit Nummer 7 bezeichnet, ist den Älteren bestimmt noch als Bierdepot der Hacker Bräu bekannt – und den Jüngeren als die „Mühle”, die im Neubau bis vor einigen Jahren ein beliebter Treffpunkt der Oberstdorfer Jugend war.
Die ursprüngliche Hammerschmiede wurde um 1848 in eine Mahlmühle, die untere Mühle, umgewandelt. Der Müller Joseph Anton Blattner erwarb diese und baute sie 1854 nach einem Brand wieder auf. Er war mit der benachbarten Pfannenschmiedstochter Crescenz Schratt verheiratet und betrieb bis zu seinem Tod 1871 die untere Mühle. 1874 wird Augustin Weixler auf der Mühle genannt, später Karl Hengeler und Johann Koch. In Kochs Mühle wurde noch bis 1920 Korn gemahlen.
Von der Familie Koch sind, neben historischen Ansichten der Mühle, viele interessante Urkunden, Zeugnisse und das Wanderbuch von Johann Koch erhalten. Hilde Koch hat die Unterlagen vom Großvater ihres Mannes aufbewahrt und mit Tochter Susanne ergänzt.
Johann Koch wurde am 18. Oktober 1830 als Sohn des Bauern und Hutmachers Johann Martin Koch in Berwang im Ortsteil Rinnen im Lechtal geboren. Er besuchte die Werktagsschule in Elbigenalp und erlernte bei Sebastian Hautmann in Nesselwang den Beruf des Hammerschmieds.
Bis zur beginnenden Industrialisierung war die Zeit auf der Walz die Voraussetzung für die Zulassung zur Meisterprüfung. 1852 wurde für den 22-jährigen Hammerschmiedgesellen das Wanderbuch ausgestellt, in dem er von mittlerer Statur, mit ovalem Gesicht, blonden Haaren und grünen Augen beschrieben wird. Johann Koch bekam eine Reisegenehmigung für die österreichischen Kronländer und deutsche Landesstaaten. Unter anderem ist er in einer Pfannenschmiede „bey Schwalbruck”, Schongau, und in Lechhausen bei Josef Kirner tätig. Vom 1. November 1854 bis 7. Juli 1856 arbeitet der Pfannenschmiedgeselle bei Kaspar Schratt in Engetried.
Leonhard Koch, Johanns älterer Bruder, war bei der Mission in „Chartum”, der heutigen Hauptstadt der Republik Sudan, angestellt und arbeitete dort als Baumeister für das Missionsgebäude. Dies veranlasste vermutlich Johann Koch, 1856 auch in die Mission nach „Egypten” zu gehen. Er ließ sich die Reisegenehmigung für „Central Afrika” erweitern und reiste Mitte August 1856 über Trient, Verona, „Venezia”, „Alexandrie Egypte” nach „Chartum” am Nil. Johann Koch hat gut zwei Jahre später, im Februar 1859, „aus Liebe zu seiner Mutter um Entlassung gebeten”. Die Heimfahrt hat sich wohl noch hinausgezogen. Die „Tiroler Volks- und Schützen-Zeitung” schreibt am 30. August 1859: „Herr Johann Koch, Missionsmitglied in Chartum, ist nach Europa zurückgekehrt und bereits in seiner Heimat ,Elbigenalp’ angekommen. Derselbe hat bei der dortigen Mission als Schmied und Mechaniker, wie früher sein Bruder als Baumeister, sehr gute Dienste geleistet.”
Zu der weitverbreiteten Koch-Sippe in Tirol gehörte auch der bedeutende Landschafts- und Historienmaler Joseph Anton Koch, geboren 1767 in Elbigenalp und gestorben 1839 in Rom. Er war der Großonkel der Malerin Anna Stainer-Knittel, geboren 1841 in Elbigenalp, die durch ihren Mut, einen Adlerhorst auszunehmen, bekannt wurde. „Malerin wollte sie werden und nicht die wackere Hausfrau ihres schon recht betagten ehemaligen Volksschullehrers, der der Achtzehnjährigen bereits einen Heiratsantrag gemacht hatte! Auch nach Afrika zog es sie nicht, obwohl ihr der Hans Koch, ein junger Bursche, der in einer Missionsstation angestellt war und gerade im Lechtal bei seiner Mutter Urlaub machte, eigentlich ganz gut gefiel. Dieser Afrikaner hatte der Nanno [Anna] erzählt, daß er sogar im Schwarzen Erdteil die Schützenzeitung partienweise nachgesandt erhielte und darin gelesen habe, daß ein Lechtaler Mädchen einen Adlerhorst ausgenommen hätte. Genau die wollte er kennenlernen und wenn irgend möglich zur Frau gewinnen: ,Die traut sich gewis auch nach Afrika!’”, ist in ihren Lebenserinnerungen zu lesen, aber sie gab „ohne Bedenken der Kunst das Jawort und dem alten wie auch dem jungen Freier den Laufpaß.”
Am 28. Oktober 1859 verabschiedete sich Anna Knittel von Elbigenalp und reiste mit ihrem Vater nach München. „Die 35 Kilometer bis Reutte ging’s zu Fuß, bis Füssen nahmen die beiden das ,Einspännerl’ vom ,alten Schmidbastl’, der Stellwagen brachte sie bis Oberstdorf und die Bahn weiter nach München.” (Lt. Anna Stainers Lebenserinnerungen, die sie 70jährig aufschrieb. Zugverbindung von Oberstdorf durchgehend nach Immenstadt gab es erst 1888 (ab Sonthofen 1873). Davor Personenverkehr mit Karriolpost.)
War es Zufall oder hat Johann Koch die Anna Knittel und ihren Vater bis Oberstdorf sogar begleitet? Johann Koch war nämlich ab 9. November 1859 bei der hiesigen Pfannenschmiedswitwe Johanna Schratt in Stellung.Ein Jahr war Johann hier Vorarbeiter und wurde mit „gutem Betragen in Arbeit” nach Wangen entlassen. Über Kempten, Schongau, Füssen, Ottobeuren ging es nach Grönenbach. Dort arbeitete er beim Pfannenschmiedmeister Burtscher in Lautrach, von Dezember 1860 bis April 1861 zur vollsten Zufriedenheit im Kanton Luzern, danach bis September 1861 beim Hammerschmied Anton Höfler in Mung. Anschließend fand er 11⁄2 Jahre Arbeit in Nenzing und ab Juni 1863 in Pfronten bei Pfannenschmiedmeister Josef Hautmann, vielleicht eine Verwandtschaft zu seinem ehemaligen Lehrherrn Sebastian Hautmann.
Inzwischen Pfannenschmied-Meister, steht Johann Koch ab April 1864 wieder bei Kaspar Schratt in Engetried in Arbeit. Dieser Kaspar Schratt war übrigens ein Cousin des Oberstdorfer Pfannenschmieds Thaddäus Schratt, bei dessen Witwe Johann Koch schon im Jahr 1859 gearbeitet hat. Johann Koch übernahm am 16. November 1865 die Engetrieder Pfannenschmiede bis August 1866 als Pächter. Danach arbeitete er über 14 Jahre als Vorarbeiter bis Dezember 1880 bei Johann Schratt (vermutlich Kaspars Sohn) in der Pfannenschmiede in Engetried. Im letzten Jahr benutzten Johann Schratt und Johann Koch die Schmiede gemeinschaftlich. Für die Werkabnutzung zahlte Koch „jährlich Zinsen in Barem Gelde 300 Mark” an den Eigentümer Schratt.
Den ledigen Pfannenschmied Johann Koch zog es wieder nach Oberstdorf. Eine Urkunde im Besitz der Familie Koch ist auf den „Hammerwerksbesitzer Th. Vogt in Immenstadt” ausgestellt. Dieser hat auch auf der Industrieausstellung 1882 in Nürnberg ausgestellt und eine Medaille für „gute Arbeit in Kochpfannen bei zweckentsprechenden Formen” bekommen. Interessant ist die handschriftliche Ergänzung: „Fabriziert von Johann Koch, Pfannenhammer- u. Schmid Pächter zu Oberstdorf”.
An der Ausstellung 1882 in Nürnberg haben noch weitere Oberstdorfer ausgestellt. Der Schuhmacher Max Kappeler (Erbauer des Oytalhauses, „‘s Mäxele”) und der Schlossermeister Ignatz Zobel wurden „Für gute Herstellung von Bergschuhen und Steigeisen” ebenfalls mit einer Medaille ausgezeichnet.
Hier niedergelassen, konnte Koch die Staatsangehörigkeit im Königreich Bayern und die Bundesangehörigkeit im Deutschen Reich erwerben. Im gleichen Jahr, am 2. Oktober 1882, heiratete er in Oberstdorf die junge Köchin Walburga Stiegeler aus Benningen, die in Oberstdorf Arbeit gefunden hatte.
Die untere Mühle in Oberstdorf hatte 1882 Karl Hengeler gekauft und ab 1883 mit Johann Koch betrieben. Im Allgäuer Anzeigeblatt war im Oktober 1883 zu lesen: „Karl Hengeler, Müllermeister in Oberstdorf, zeigt hiemit der geehrten Einwohnerschaft Oberstdorf’s und Umgegend ergebenst an, daß er die Weixler’sche Kunst & Bauernmühle käuflich erworben hat. Zugleich bringe ich zur Kenntnis, daß ich mich mit Herrn J. Koch associrt habe und wir nunmehr das Geschäft gemeinschaftlich betreiben. Für das bisher dem Koch'schen Unternehmen geschenkte Vertrauen bestens dankend empfehlen wir den Herrn Bäckern, Geschäfts- und Landleuten von hier und auswärts alle Sorten Korn und Mehl unter Zusicherung billiger und reeler Bedienung und bitten um ferneres Wohlwollen.” Nach Zahlungsschwierigkeiten von Hengeler kam es 1885 zur Zwangsversteigerung, bei der Johann Koch die Mühle selber ersteigern konnte. Der Mühlenbesitzer Koch stellte unter anderem den Müller Friedrich Sehrwind ein, dessen Sohn Johannes 1887 hier geboren wurde. Sehrwind übernahm später die obere Mühle.
Der Nachbar und Fuhrwerksbesitzer Engelbert Blattner war ein guter Kunde von Johann Koch: „bis den 13. November
1885 habe ich von der Unteren Mühle Haber Mehl Grisch - Summa 938 M 45 Pfennig zahlt”. Blattner hat für Koch auch verschiedene Aufträge ausgeführt: „tungt auf dem Mühlacker, in den Markt gefahren [Mehl ausgefahren], Roß und Schlitten geliehen nach Immenstadt, 1/2 Holztheil an Weg gestreckt und auf die Säge geführt, im Februar 1885 den 26. und 27ten nach Kempten, dem Mahler [Müller] den Auszug geholt, 3 buche Hammerstiel verkauft, 1 Haufe Landern vom Eustach Huber geholt und den Koch selber nach Sonthofen gefahren.”
Im Mai 1895 wurde „Sonntagsruhe in industriellen und Hand-Werksbetrieben” verordnet, aber es gab Ausnahmen für „Betriebe mit unregelmäßiger Wasserkraft”. Johann Koch wurde die Freigabe des Betriebes für 30 Sonntage, mit Ausschluss des ersten Weihnachts-, Oster- und Pfingsttages, gestattet. Zu beachten war zum Beispiel: „Wenn die Beschäftigung an einem Sonn- oder Festtag länger als 3 Stunden dauert, oder die Arbeiter am Besuch des Gottesdienstes gehindert werden, so ist jeder Arbeiter entweder an jedem dritten Sonntag volle 36 Stunden oder an jedem zweiten Sonntag mindestens in der Zeit von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr Abend von der Arbeit freizulassen.”
Der Mühlenbesitzer Johann Koch verstarb 1911 im Alter von 80 Jahren. Den Betrieb führte seine Frau mit den Kindern – Sohn Otto war Müller – weiter. Schwierig wurde es, nachdem der Erste Weltkrieg ausbrach und der Sohn eingezogen wurde. Mutter Wally und Schwester Babett schrieben am 13. Oktober 1914 einen von der Gemeinde beglaubigten Brief an die Front: „Lieber Otto! Teile Dir mit, daß wir nun recht notwendig Deine Hilfe brauchen, u. sämtliche Mahlsteine vollständig abgelaufen infolge des strengen Mahlens. Es sind aber zur Zeit keine Müller zur Aushilfe zu bekommen, wo so was leisten können. Wenn Du; Hochwohlgeboren Herrn Hauptmann unterthänigst ersuchst, mit der Bitte, dir gnädigst Urlaub zu bewilligen, so lange es sein kann; dann könnten wir wieder für längere Zeit unser Mahlgeschäft in Gang setzen.”
Der Müllerssohn Otto Koch verstarb am 11. Februar 1920 frühzeitig mit 29 Jahren an Kriegsfolgen und der Mahlbetrieb in Kochs Mühle musste eingestellt werden.
Im gleichen Jahr noch hat die Mühlenbesitzerswitwe Walburga Koch der Marktgemeinde die Wasserkraftanlage für eine Anlage am Dorfbach verkauft, gemeinsam mit dem Besitzer der ehemaligen mittleren Mühle, Alt- bürgermeister Fritz Gschwender (Trettachhotel) sowie den Eheleuten Schratt. 1923 entstand durch die Ortsgemeinde der Ausbau einer weiteren Wasserkraftanlage an der Oberen Mühle mit Neuerstellung des Wassereinlaufs und einem geschlossenen Kanal von der Oberen Mühle bis zur Kochmühle. Die angefallenen Kosten wurden infolge Inflation durch Lieferung von Rundholz beglichen, wie in der Festschrift „75 Jahre Gemeindewerke Oberstdorf” zu lesen ist.
Johann Kochs Sohn Hugo, geboren 1892, baute in den 30er Jahren auf dem Gelände neben der Mühle die großzügige und moderne Nebelhorn-Großgarage. Neben einer Tankstelle bot er heizbare, geschlossene Boxen, einen Waschraum und beste Autopflege an. „Die Ein- und Ausfahrt zur Nebelhorngarage erfolgt in bequemer Weise über den nunmehr überdeckten Kanal bei der Kochmühle”.
Die Tankstelle und Autowerkstatt führte Johann Kochs Enkel Hans mit seiner Frau Hilde weiter. Im ehemaligen Mühlengebäude befand sich bis Anfang der 60er Jahre die Bierniederlassung der Hacker Bräu aus München. Ein weithin sichtbares Bild mit einem Trachtenpaar über dem Hacker Bräu-Wappen war auf der Westseite zu sehen. Zuletzt nutzte der Weinhändler Peter Schönlebe „die Mühle” als Lager.
Am späten Samstagnachmittag des 3. Juni 1972 geriet der Dachstuhl der ehemaligen Mühle aus ungeklärter Ursache in Brand. „Aber nicht nur die Feuerwehr, sondern auch Land- und Grenzpolizei hatten alle Hände voll zu tun, wobei der Verkehr umgeleitet und Hunderte von Schaulustige auf Distanz gehalten werden mußten. Den Feuerwehrmännern gelang es, das Feuer schnell unter Kontrolle zu bringen sowie eine benachbarte Tankstelle und Wohnhäuser vor Schaden zu bewahren”, berichtete das Allgäuer Anzeigeblatt am 5. Juni 1972. Für die Feuerwehrmänner sei es der „schönste Brand” gewesen, weil sie danach im Weinlager den „Brand löschen” durften, erzählte Hilde Koch. Das schwer beschädigte alte Gebäude wurde abgebrochen und machte einem Neubau Platz.
Quellen: