Erich Kästner - Winterfrische in Oberstdorf

von Peter Fink am 01.12.2019
Erich Kästner Porträt

Erich Kästner
(1899 Dresden - 1974 München)

„Heute Morgen traf ich nun im Allgäu ein.
Die Welt ist grün. Der Schnee liegt in Portionen,
als sei er vom Verschönerungsverein
für die herangerollt, die nun hier wohnen.“

Aus „Nennt sich das Winter?“; KiSch, S.41

Selbst den hartnäckigsten Lesemuffeln unter uns dürfte sein Name oder zumindest manch eines seiner Bücher ein Begriff sein. „Emil und die Detektive“, „Das fliegende Klassenzimmer“ oder „Das doppelte Lottchen“ gehören heute noch zu den meistgelesenen (Kinder-) Büchern. 44 Jahre nach Erich Kästners Tod erreichen seine Werke mittlerweile weit über hundert Auflagen und die Verkaufszahlen gehen in die Millionen.

Viele seiner Werke wurden auch verfilmt, manche sogar mehrfach. „Emil und die Detektive“ (1929) brachte es auf weltweit acht Verfilmungen, der Roman „Drei Männer im Schnee“ (1934) auf sechs. „Drei Männer im Schnee“ ist eine Verwechslungskomödie, die im Grandhotel zu Bruckbeuren in den Alpen spielt.

Kästner liebte den Schnee („… draußen schneite es still vor sich hin, und er liebte seit seiner Kindheit das schwerelose weiße Zauberballett der Flocken, als werde es von Anbeginn an für ihn getanzt.“; KiSch, S.9) und so darf man wohl vermuten, dass er in seinem Roman durchaus Erfahrungen und Beobachtungen verarbeitete, die er während seiner Aufenthalte in diversen Wintersportzentren gemacht hatte. Für seine „Winterfrischen“, während denen er den Schnee und den Sonnenschein genoss, wählte Kästner gerne ein „erstes Haus am Platz“. In Kitzbühel logierte er im „Grandhotel Kitzbühel“, in Davos im „Grandhotel Belvedere“. Auch eine Gondelbahn am Urlaubsort war ihm sehr willkommen, denn seit seiner Rekrutenausbildung im Jahre 1917 war sein Herz „versaut“. Er litt an einer Herzinsuffizienz, die es ihm verbot, lange Aufstiege zu unternehmen und auch das Skifahren war ihm versagt.

So verwundert es nicht, dass er im Januar/Februar 1930 Oberstdorf als Reiseziel wählt. Grandhotel und Bergbahn, Oberstdorf bietet ihm beides. Am 10. Juni 1930 ist die Nebelhornbahn nach zweijähriger Bauzeit eingeweiht worden und das „Parkhotel Luitpold“ gilt seit 1899 als das erste Haus am Platze.

Oberstdorf-gebaeude-nebelhornbahn-1930

Die Nebelhornbahn kurz vor ihrer Eröffnung 1930

Oberstdorf Ortsplan alt 2 (2)

Parkhotel Luitpold (Nr. 43)

Hotel Luitpold Winter

Das Parkhotel Luitpold stand an dem Platz, an dem 1962 das Kur- und Kurmittelhaus seine Pforten öffnete (heute: Oberstdorf Haus).

Kästner reist von Berlin aus mit dem Zug an, damals eine mühsame Angelegenheit. Und auch der geliebte Schnee liegt nur spärlich, zur großen Enttäuschung des Winterfreundes.


Dass man den Winter so sehr suchen muss …

Ich bin seit gestern dauernd umgestiegen.

Und sah vom Zug aus Stadt und Dorf und Fluss,

nur keinen Schnee (den ich doch suchte) liegen.

Im Speisewagen gab es Rindsfilet.

Mit Fasern, die sich in die Zähne klemmten.

Der Zug fuhr schnell. Und nirgends gab es Schnee.

Bei Ulm noch nicht. Und nicht einmal bei Kempten.

(„Nennt sich das Winter?“; KiSch, S.41)


Am 28. Januar 1930 schreibt er an seine Mutter Ida Kästner nach Berlin:

„Die Sonne scheint hier ganz wunderbar.

Ich hab einen Balkon und werde mich früh rauslümmeln.

Schnee ist wenig da. Verflucht wenig.

Vorm Hotel aber eine Eisbahn. …

Übrigens gefällt es mir schon ganz gut.“ 

(Brief vom 28. Januar, KiSch, S.43)


Kästner scheint sich also mit der Witterungssituation arrangiert zu haben und das Parkhotel in Oberstdorf entspricht offensichtlich durchaus seinen Ansprüchen:


 „Heute hat´s zu schneien angefangen.

Dafür scheint aber nun die Sonne nicht.

Na, da bin ich vorm Essen bißchen gelaufen.

Eine Stunde ungefähr. (…) … und dann werde ich

noch ein bißchen im Schnee bummeln. (…)

Hier im Luitpold ist´s sehr nett.

Mittags einen Gang mit Suppe u. Nachtisch.

Abends zwei Gänge. Früh Kaffee, Brötchen, Butter, Marmelade.“ 

(Brief vom 30. Januar 1930, KiSch, S.43) 

Parkhotel Luitpold Eisfläche

Der Eisplatz des Parkhotels (aus einer Werbebroschüre aus dem Jahr 1927)

Kästner liebt einsame Spaziergänge im Schnee. Ihm gefällt auch das Eislaufen, häufig ist er jedoch passiver Betrachter des Geschehens („Wahrscheinlich werde ich nur zuschaun.“; Brief vom 28.1.1930, KiSch; S.43), weil er sich der Gefahren des Eissports durchaus bewusst ist:

Schlittschuhkufen sind so schmal!

Und das Eis ist hart wie Stahl!

Seien wir doch ehrlich: Schlittschuhlaufen ist,

wenn man es nicht kann,

nicht ganz ungefährlich!

(Schlittschuh kaufen – Schlittschuh laufen!; KiSch, S.15)


Am 1. Februar 1930 notiert Kästner in einem weiteren Brief an seine Mutter (Kästner und seine Mutter betrieben einen regen Briefwechsel und schrieben sich manchmal sogar täglich.):

„Das Wetter ist heute ziemlich trüb.

Überall kratzen die Bewohner das bißchen Schnee zusammen

und fahren ihn, in Fuhren, zur Sprungschanze hinauf.

Dort wird er ausgeschüttet, breitgeklopft und angehäuft,

damit die Winterspiele nächste Woche überhaupt stattfinden können.“

(KiSch, S.43)

Deutsche Skimeisterschaft 1930

Das kommt dem einheimischen Leser doch sehr bekannt vor. Vor dem Einsatz von Schneekanonen und einer Eisspur im Anlauf gehörte es häufig zum gewohnten Bild, dass Tage vor einem Großereignis am Schattenberg die Lastwagen mit Schnee zur Schanze fuhren. 

Die weiße Pracht, die im Tal fehlte, holte man z.B. aus dem „Schneeloch“ Rohrmoos, um damit die Schanze zu belegen. Die „Winterspiele“, die Kästner erwähnt, waren die Deutschen Skimeisterschaften 1930, die vom 4.-9. Februar in Oberstdorf ausgetragen wurden. 

Für diese war die Schattenbergschanze eigens vergrößert worden.

Schattenbergschanze-1930

Umbau der Schattenbergschanze 1930

Der Sieger in der Nordischen Kombination, der einzige Wettbewerb, der auf dem Programm stand, hieß Erich Recknagel (Erich war nicht verwandt mit dem späteren Weltklassespringer Helmut Recknagel.).

In der Chronik des Skiclubs heißt es dazu:

„1930 werden im Februar die Deutschen Jubiläumsmeisterschaften verbunden mit den Deutschen Heeres-Skimeisterschaften vom Club unter denkbar schlechten Schneeverhältnissen ausgetragen. … Amtsmüde von den komplizierten Meisterschaftstagen legt die Vorstandschaft ihre Ämter nieder.“ 

Dass die ehrenamtlichen Organisatoren angesichts des „Kampfes“ mit den widrigen äußeren Bedingungen und der Doppel-Veranstaltung „amtsmüde“ sind, ist nachvollziehbar.

Schattenbergschanze-1930b

Der bekennende Pazifist Kästner ahnt nichts von diesen „Kämpfen“, er möchte sich nur erholen. Jedoch kann er seine Winterfrische nicht uneingeschränkt genießen:

„In meinem Winter-Erholungsort,

da wackelt z.Z. die Wand.

Da treibt z.Z. in einem fort,

die deutsche Reichswehr Wintersport.

Für Gott und Vaterland.


Ich fühle mich total verirrt.

Ich fühle mich beengt.

Wie das Hotel von Sporen klirrt!

Und in den Zimmern hat der Wirt

Kriegsbilder aufgehängt.“ 

(Kriegsbericht; KiSch, S.44/45) 


Aber nicht erst die Ruhestörung im Hotel lässt den berühmten Schriftsteller mit der „Reichswehr“ und allem Soldatischen hadern. Aufgrund seiner äußerst negativen Erfahrungen während seiner Rekrutenausbildung ist Kästner schlecht auf alles Militärische zu sprechen. 

„Die Konstanten seines Denkens sind der unbedingte Pazifismus und das gesellschaftliche Engagement, …“ (EKeB, S.167), womit er auch den Hass der Nationalsozialisten auf sich zog: „Bereits 1931 und 1932 hatte der ´Völkische Beobachter´ … gegen Kästner gehetzt und damit angedeutet, was Schriftsteller wie er nach der `Machtübernahme` zu erwarten hätten.“ (EKeB, S.169) 

Am 10. Mai 1933 loderten in Berlin und anderen deutschen Universitätsstädten die Scheiterhaufen der Bücherverbrennungen. Kästners Bücher, „alle(s), außer Emil“ (EKeB, S.179) wurden von den Nazis mit den Worten: „Gegen Dekadenz und moralischen Zerfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat.“ (EKeB, S.180) in das Feuer geschleudert.    

In Oberstdorf, im Jahre 1930, findet Kästner aber schließlich doch noch Ablenkung von den Wirrnissen der Zeit und nachdem er sich über das „Sporenklingen“ im Hotel Luitpold dichterisch ausgelassen hat, wendet er sich wieder den Vergnügungen zu. Es ist Faschingszeit und Kästner zeigt sich gegenüber den sinnlichen Ablenkungen des närrischen Treibens durchaus nicht abgeneigt. Aber auch hierbei stößt er auf ungeahnte Schwierigkeiten:


Der letzte Mohikaner


Im Kurhotel „Zum Wasserfall“

War gestern ein Apachenball.

Na, sehr lustig! Ich ging mit nacktem Oberteil.

Und auf dem Rücken stand „Ski Heil!“

Zwecks Echtheit blieb ich unrasiert. (...)


Dann stieg ich trällernd in die Bar.

Wo der Betrieb im Gange war.

Ich jodelte so gut es ging.

Der Widerhall war sehr gering.


Und als ich durch die Türe trat,

da hatte ich den Salat.

Na, sehr lustig!


Die Herren trugen alle Lack,

die meisten Smoking, manche Frack.

Die Damen wirkten allesamt,

als kämen sie vom Standesamt. (...)


Sie waren starr und sahen aus,

als käm ich frisch vom Irrenhaus. (...)


Dann stieg ich rasch, vor lauter Zorn,

so wie ich war, aufs Nebelhorn.

Seitdem lieg ich im Ortsspital.


Apachenball? Das letzte Mal! 

(KiSch, S.45/46)

Apachenball hamburg

Ob dieses Missgeschick Kästner genauso widerfahren ist? Sicherlich nicht! Das Lyrische Ich ist frei und nicht der historischen Wahrheit verpflichtet. Wahr ist aber, dass es „Apachenbälle“ zu jener Zeit gab.

Damit war jedoch nicht der berühmte Stamm der amerikanischen Ureinwohner gemeint, sondern „Apache“ lautete die damals gängige Bezeichung für „Großstadtganove(n)“ (KiSch, S.193).

Danach versiegen die Spuren von Kästners Aufenthalt in Oberstdorf im Jahre 1930. Meiner Kenntnis nach war es sein einziger Besuch, denn in den folgenden Wintern reiste er wieder nach Kitzbühel, Garmisch-Partenkirchen und Davos.

Wie schrieb doch der ruhelose Großstädter Kästner an seine Mutter: „Aber man kann doch nicht unentwegt in dasselbe Nest fahren!“ (KiSch, S,43). Was Oberstdorf anbelangt: Welch ein Irrtum!



Quellen:


• KiSch: Kästner im Schnee, Herausgeberin: Sylvia List

Atrium Verlag AG, Zürich, 4. Auflage 2013

• EKeB: Erich Kästner Eine Biographie, Franz Josef Görtz, Hans Sarkowicz

Piper Verlag GmbH, München, 4. Auflage 1999

• Chronik Ski Club Oberstdorf

http://www.skiclub-oberstdorf.de/club/chronik-geschichte/




Bildnachweise:

• Peter Traskalik: http://www.huimat.de/

• Chronik Ski Club Oberstdorf:

http://www.skiclub-oberstdorf.de/club/chronik-geschichte/

• Oberstdorf Lexikon www.oberstdorf-lexikon.de

• https://lb.wikipedia.org/wiki/Erich Kästner

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