1945
Januar
- In einer Neujahrsansprache hämmert der »Führer« seinem Volk „unerschütterlichen Glauben an die Zukunft unseres Volkes und den Sieg der Waffen” ein.
- Die »Verdunklung« - Abdichtung der Häuser, daß kein Lichtstrahl nach außen fällt - wird für die Zeit vom 31. 12. 44 bis 7. 1. 45 amtlich auf 17.15 bis 7.30 Uhr festgesetzt.
- Über Radio und Zeitung wird die Bevölkerung zum »Volksopfer«, einer Sammlung von „Spinnstoffen und Ausrüstungsstücken” aufgerufen. Abgabestelle ist das Bürgermeisterzimmer im Oberstdorfer Rathaus. Laut Erlaß des »Führers« ist der Diebstahl von Sammelgut mit der Todesstrafe bedroht.
- Am 15. Januar beginnt, nach verlängerten »Kohle-Ferien«, an der Oberschule wieder der Unterricht.
- Mit Tausch- und Kompensationsgeschäften versuchen die Menschen den Mangel an Gebrauchsgütern aller Art zu überbrücken; hier nur zwei von Tausenden Inseraten:
„Biete: 2 guterhaltene Bettstellen,
Suche: wasserdichte Stiefel Gr. 41 - 42.”
„Biete: sehr gut erhaltenen Herren-Lodenmantel,
Suche: Buchenholz.”
- In der kulturarmen Zeit herrscht bei einem Dia-Vortrag von Lala Aufsberg „Kärntner Land jm Farbbild” großer Andrang.
- Der »Ortsfachgruppe Imker« wird die Beschlagnahme von Wachs mitgeteilt (16. 1.). Von jedem eingewinterten Bienenvolk sind 160 Gramm Altwaben oder 80 Gramm Reinwachs oder 500 Gramm Trester bei der Sammelstelle Ottmar Schuster, Sonnenstraße 193, abzuliefern.
- Abgesehen von der Feldpost dürfen auf größere Entfernungen nur noch Postkarten versandt werden. Briefe sind nur im Verkehr mit Behörden, der Partei, Presse und Rüstungsbetrieben zulässig.
Februar
- Das Edmund-Probst-Haus beginnt am 1. Februar die Winterbewirtung.
- Die nur noch aus vier Seiten bestehende »Allgäuer Zeitung« bringt im Lokalteil fast ausschließlich Meldungen über ausgezeichnete Soldaten oder Nachrufe für Gefallene. Mit der Überschrift „Für Führer, Volk und Reich starben den Heldentod” werden die Todesanzeigen letztendlich täglich in einspaltigen Rubriken veröffentlicht.
- Nach fast zehnjähriger Pause wird in Oberstdorf die »Gemeindeschelle« wieder in Betrieb genommen und der Gemeindediener als Ausrufer tätig (6. 2.).
März
- Wer am Donnerstag , 1. 3. 45, Knochen am Altmaterialstadel im Steinach (heute Opti-Zufahrt) abliefert, erhält dort Seifen-Bezugsmarken.
- Die knallharte Zensur der Presse zeigt sich eklatant darin, daß über den Luftangriff auf Sonthofen am 22. Februar 45 mit keiner einzigen Zeile berichtet wird. Nur der Landkreis und der Markt Sonthofen veröffentlichen eine Todesanzeige: „Durch Terrorangriff wurden viele Familien in tiefe Trauer versetzt. Die Namen der Gefallenen sind: ...” Dann folgen 63 Namen von Männern, Frauen und Kindern.
- Oberstdorfs Feuerwehr wird mehrfach nach Angriffen zu Löscheinsätzen nach München, Augsburg, Ulm, Kempten, Kottern und auch nach Sonthofen gerufen.
- Im gesamten Deutschen Reich ist der »Volkssturm« ausgerufen worden. Alle nicht bereits einberufenen Männer zwischen 16 und 60 Jahren werden zu diesem „letzten Aufgebot” verpflichtet. In Oberstdorf üben drei Kompanien am Sonntagvormittag in der Rubinger Oy an den Waffen.
- Die Bevölkerung, die schon fast täglich durch Luftalarm aufgeschreckt wird, muß ein neues Sirenenzeichen lernen: »Feindalarm«, ein fünf Minuten andauerndes Auf- und Abheulen der Sirenen.
- Oberstdorfs Volksschule und Oberschule werden, wie bereits die meistens Hotels, zu Lazaretten umfunktioniert. Die noch nicht beschlagnahmten Gasthäuser dienen vormittags als Schulgebäude. Im Schützenhaus interessieren uns die über den Köpfen, an der Decke der Wirtsstube, angebrachten Königsscheiben von Josef Haggenmiller, Karl Sinz und Karl Tauscher weit mehr als die Ermahnungen von Lehrer Michl.
- Im Abstand von wenigen Tagen kommen Lazarettzüge direkt von den Hauptverbandsplätzen der Fronten. Erstmals sieht die Bevölkerung das Elend des Krieges hautnah. Die Reihen der Holzkreuze im Waldfriedhof werden immer länger.
April
- Am 7. April stirbt Pfarrer Isidor Kohl, der von 1926 bis 1936 Oberstdorfs Pfarrherr war.
- Die Wandelhalle im Kurpark ist an der Südseite mit Brettern verschalt. In der Halle werden Möbelstücke der aus bombenbedrohten Städten hierher evakuierten Menschen gelagert.
- Am 27. April werfen alliierte »Jabos« einige Bomben im Bereich Kühberg - Faltenbach - Plattenbichl ab und beschießen das Gebiet mit Bordwaffen. Zwei Mulis werden getötet, ansonsten entsteht relativ geringer Sachschaden.
- Das »Allgäuer Anzeigeblatt«, das den Untertitel »Oberallgäuer Nationalzeitung« führt und nur noch aus einem Blatt besteht, erscheint am 27. April letztmalig. Die Schlagzeile vermeldet: „Die Schlacht um Berlin”. Weiter wird vom heldenhaften Widerstand „auch zwischen Ulm und Bodensee” berichtet. Grotesk zu diesen Meldungen wirkt das Inserat auf der Rückseite, das für den im Kurfilmtheater laufenden Film „Ein Walzer mit Dir” wirbt.
- In der Nacht vom 27./28. April 45 wird in Birgsau Ludwig Käufler im Bereich des dortigen SS-Ausbildungslagers von einem SS-Angehörigen erschossen, der wiederum einige Tage später im Rahmen einer Aktion in Birgsau selbst getötet wird.
- Im Verlaufe der letzten Kriegsmonate hat sich in Oberstdorf eine kleine Widerstandsgruppe gebildet, deren Hauptziel die kampflose Übergabe Oberstdorfs ist. In der Nacht zum 1. Mai wird diese Gruppe, „Der Heimatschutz”, aktiv. Er nimmt eine ganze Reihe von Personen, meist Parteifunktionäre, fest.
Mai
- Am 1. Mai rückt eine Vorhut der 2. Französischen (marokkanischen) Infanterie- Division mit acht Panzern in Oberstdorf ein. Ein starkes Schneetreiben verhinderte glücklicherweise den Einsatz von Flugzeugen.
- Bäckermeister Anton Neidhart, der von 1929 bis 1933 Bürgermeister war, wird vom französischen Ortskommandanten am 3. Mai als Bürgermeister eingesetzt. Er hat die Befehle der Besatzung sofort an die Bewohner weiterzugeben:
1. Alle in Oberstdorf befindlichen Wehrmachtsangehörigen haben sich bis spätestens heute nachmittag 4 Uhr im Gasthaus Hirsch zu melden.
2. Wer einen deutschen Wehrmachtsangehörigen in Uniform oder Zivil beherbergt, kann mit dem Tode bestraft werden.
3. Ansammlungen von mehr als 3 Personen auf der Straße sind ab sofort untersagt.”
- Die Besatzung verhängt eine Ausgangssperre von 20.00 Uhr bis 6.00 Uhr. Das Einwohnermeldeamt hat binnen weniger Stunden der Ortskommandantur eine Liste aller Männer zwischen 16 und 45 Jahren vorzulegen.