Oberstdorf vor 50 Jahren

von Eugen Thomma am 01.06.1997

1946

Januar

  • Aus den Büchern des Oberstdorfer Standesamtes lassen sich für das abgelaufene Jahr folgende Zahlen entnehmen: 1945 wurden in Oberstdorf 200 Mädchen und 232 Knaben geboren. Von diesen 432 Neugeborenen kamen 286 im NSV-Ent- bindungsheim Hotel »Bergkranz« zur Welt.
  • Vor dem Oberstdorfer Standesbeamten schlossen 63 Paare die Ehe. Bei den Sterbefällen überwogen die Männer. Während 77 weibliche Personen ins Jenseits abberufen wurden, waren es bei den Männern 155. Allerdings sind darunter 61 Kriegersterbefälle, hauptsächlich aus den Oberstdorfer Lazaretten.
  • Am Neujahrstag gewinnt Sepp Weiler die Konkurrenz beim Einspringen der wiedererstellten Schattenbergschanze.
  • Als erste überörtliche Skiorganisation nach dem Zweiten Weltkrieg wird am 20. Januar in Oberstdorf der Oberallgäuer Skiverband (OASV) gegründet; Gustl Seeweg übernimmt den Vorsitz.
  • Bekanntmachung: „Am Montag, den 11. Februar 1946 wird der Unterricht in den Klassen 5 und 6 der Oberschule wieder aufgenommen. . . . Die Klassen 7 und 8 folgen im Laufe des März.

Bürgermeister: Gehring

Das Direktorat
Reulein, Seidenspinner”

50 - Heft 30

Die ehemalige Hotel-Pension
- Bergkranz -
die von 1943 bis 1945 als
NSV-Entbindungsheim
beschlagnahmt war.

Februar

  • In Oberstdorf sind neben einer Reihe von Hotels, Gaststätten und Pensionen noch 81 Privathäuser von der amerikanischen Besatzungsmacht beschlagnahmt.
  • Die „United Nations Relief and Rehabilitations Administration” (UNRRA) betreut die in den beschlagnahmten Hotels (Christlessee, Luitpold, Rubihaus und Sonne) untergebrachten Ausländer (meist Polen und Russen). Auf Weisung der Militärregierung haben Geschäfte Nahrung, Kleidung, Werkzeuge, Sport- und Spielgeräte usw. an die UNRRA abzugeben.
  • Am Schattenberg verbessert Sepp Weiler den bestehenden Schanzenrekord auf 71 Meter.
  • Die tägliche Lebensmittelration für eine erwachsene deutsche Person ist durch die Lebensmittelkarten-Zuteilung auf 1.014 Kalorien festgesetzt. Bedingt dadurch, daß oft die erwarteten Lieferungen nicht eintreffen, liegt die staatlich verordnete „Reduktionsdiät” meist unter diesem Niveau.

März

  • Rund 500.000 Bewohner der amerikanisch besetzten Zone sollen sich vor einer Spruchkammer wegen Zugehörigkeit zur NSDAP oder einer ihrer Organisationen verantworten müssen.
  • Josef Walter hat die „Reste der Musikkapelle” um sich geschart und versucht mit Nachwuchs und Aushilfen aus der Umgebung einen neuen Klangkörper zu formen.
  • Der ehemalige Rüstungsbetrieb Staehely aus Wuppertal, der während des Krieges hier in der Baumwollweberei Flugzeugteile hergestellt hat, erzeugt nun Bratpfannen, Kochtöpfe und kleine Holz- und Kohleherde. Die Waren finden reißend Absatz.
  • Beim 40jährigen Gründungsjubiläum des Skiclub Kleinwalsertal (3. bis 10. 3.) kann die Oberstdorfer Delegation nur an zwei Terminen teilnehmen. Für weitere Besuche wird kein Passierschein erteilt.

April

  • Verfrüht war die Freude vieler Schulkinder, als der Verbindungsbau zwischen Volksschule und Turnhalle in Flammen steht. Die Feuerwehr verhindert das Übergreifen des Feuers auf Schule und Turnhalle. Eingedrungenes Löschwasser verwandelt den Parkettboden der Turnhalle in eine Berg- und Talbahn.
  • Die Firma Krapp aus Augsburg beginnt zur besseren Stromversorgung in Oberstdorf mit der Verlegung von Erdkabeln.
  • Wie alles, was stur verordnet wird, so treibt auch die „Entnazifizierung” ihre Blüten. An der Volksschule werden die alten Lehrkräfte wegen früherer Parteizugehörigkeit aus dem Dienst entfernt. Jetzt unterrichten ein Großhandelskaufmann und ein Häuserverwalter die Schüler (aber nicht lange!).

Mai

  • 80 Oberstdorfer Bauern erhalten vom Besatzungskostenamt eine Entschädigung für beschlagnahmtes Nutzvieh. Anfang Juli 1945 waren auf Befehl des französischen Militärkommandanten in den Gemeinden Fischen, Oberstdorf, Schöllang und Tiefenbach über 250 Milchkühe beschlagnahmt und in einem Sammeltransport nach Frankreich verbracht worden.
  • Die ehemalige Segelfliegerhaile in der Rubinger Oy findet jetzt eine doppelte Verwendung: Während in der Werkstätte die Brüder Math eine Holzschuhfabrikation betreiben, ist im Hangar eine Schweinemästerei untergebracht.

Juni

  • Am 1.6. kehrt der Winter zurück; es schneit bis ins Tal.
  • Zum Alpauftrieb nach Schrattenwang und Söller sind für Mensch und Vieh noch Passierscheine notwendig. Oberhalb von Reute, auf der Höhe, sperrt immer noch ein Schlagbaum die Straße.
  • Die jungen Oberstdorferinnen Hildegard Jäger und Erika Münzel stürzen am 29. 6. an der Trettach-Nordwand tödlich ab.

Juli

  • Auf Weisung der Militärregierung verkündet die Gemeinde Oberstdorf Anfang Juli, daß sich alle ehemaligen Zwangsarbeiter aus Polen im Reparationsbüro in der Schloßkaserne in Kempten zu melden haben, weil am 22. 7. ein „Polenzug” in Richtung Warschau fährt.
  • Weil das Landratsamt im Sonthofener Schloß 1945 zerstört worden ist, sind die Dienststellen in die Jägerkaserne verlegt. Die amerikanischen Militärdienststellen sind im ehemaligen Offizierscasino untergebracht. Im Keller der Kaserne ist ein Gefängnis eingerichtet. Mit ehrbaren Bürgern, die gegen die Militärstraf- und Kriegswirtschaftsgesetze verstoßen haben (Hamstern, Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Passierscheinvergehen, Flucht aus der Kriegsgefangenschaft u.a.) sind die „Bunker” voll belegt.

August

  • Von den im Mai entlassenen Volksschülern hat erst ein Teil eine Ausbildungsstätte gefunden. Eine Reihe von Handwerksbetrieben will die Entwicklung der wirtschaftlichen Lage bis zum Frühjahr abwarten.
  • Im Auftrag von Bürgermeister Josef Braxmair verkündet der mit der Gemeindeschelle durch den Ort ziehende Gemeindediener folgende Bekanntmachung: „Die bei der Fa. Kohlenhandlung Haug, Oberstdorf, eingetragenen Kunden können morgen, Dienstag, den 20. 8. 46, ab 1/2 8 Uhr früh am Güterbahnhof pro Haushalt 2 Ztr. Rohbraunkohle beziehen”. (Anm.: Ein Abschnitt auf der Haushalt-Gemüsekarte berechtigte zum Bezug von Kohlen.)
  • Die Oberstdorfer „Tabakpflanzer” werden letztmalig aufgefordert, bis spätestens 1. 9. bei der Marktkasse die Tabaksteuer (Anm.: 25 Pfennig pro Pflanze) einzubezahlen. Die Zollbehörden sind angewiesen, nach diesem Datum Kontrollen in den Hausgärten durchzuführen. Strenge Strafen drohen bei Zuwiderhandlung.
  • Durch Beschluß des Gemeinderates wird der bisherige 2. Bürgermeister, Josef Braxmair, zum 1. Bürgermeister Oberstdorfs gekürt. Er tritt die Nachfolge des zurückgetretenen Hans Gehring an. Kommissarischer 2. Bürgermeister wird Marktkämmerer Otto Kerle.

September

  • Zur Erfassung der Bestände wird am 3. 9. in der amerikanischen Besatzungszone eine Zählung aller Rinder, Schafe und Schweine durchgeführt.
  • Am 9. 9. ergeht folgende Bekanntmachung: „Zur Bildung einer örtlichen Berufsfeuerwehr werden noch einige geeignete Männer im Alter von 18-35 Jahren gesucht”; Meldungen sind an Feuerwehrkommandant Max Thannheimer zu richten. (Anm.: Es handelte sich dabei um die Feuerwehr der Besatzungstruppe.)
  • Musiker, Schauspieler, Sänger, Artisten, Zirkusleute usw. müssen sich bis 1. 10. registrieren lassen. Bei Zuwiderhandlung ergeht Berufsverbot.
  • Der Flüchtlingskommissar beim Landratsamt beschlagnahmt am 21. 9. die von der UNRRA geräumten Hotels Rubihaus und Sonne zur Unterbringung von Flüchtlingen. Die bindende Weisung lautet: „Bis zum 30. 9. 1946 muß dort eingezogen werden können.”
  • Typisch für jene Zeit ist die Mitteilung des Kreiswohnungsamtes vom 23. 9. an den Markt Oberstdorf: „Die Anwesen Leverkus, Haneberg und Kaiserswerth in der Maximilianstraße sind bis 26. 9. 46 zu räumen (Anm.: Beschlagnahme für die amerikanische Besatzungstruppe). Die Räumung beginnt Mittwoch, 25. 9. 46, unter Aufsicht der deutschen Polizei. Das bereits aufgenommene Inventar ist im Haus zu belassen." Vorgänge dieser Art ließen sich beliebig fortsetzen.

Oktober

  • Laut amtlicher Bekanntmachung müssen alle Butterfässer und Zentrifugen bis zum 10. 10. bei der Polizei im Rathaus abgegeben werden. Nach diesem Zeitpunkt erfolgt gegen die „Sünder” Strafanzeige.
  • Auf Anordnung der Militärregierung wird ab dem 23. 10. an allen Werktagen von 9.30 bis 12.30 Uhr eine Stromsperre verfügt. (Wochen später wird die Sperre auf den Nachmittag verlegt.)
  • An der Trettach-Westwand verunglücken die beiden Ordensgeistlichen Augustin Hoher und Rudolf Tilhorn aus Pfreind/Opf. tödlich. Die Leichen werden erst an Pfingsten 1947 aufgefunden.

November

  • Bei einer Reihe von Schafen, die auf der Einödbergalpe gesommert worden sind, tritt die Schafräude auf.
  • Mit Ausschreibung vom 19. 11. sucht die Gemeinde einen Milchkontrolleur, der bei den Bauern Stallkontrollen durchführen soll.
  • Nur durch einen Nebelschleier sieht man von Oberstdorf aus die Brandrote, als die zur Gaststätte ausgebaute Vordere Seealpe ein Raub der Flammen wird.

Dezember

  • Die Militärregierung verbietet jegliches Skilaufen, Rodeln und Schlittschuhfahren auf öffentlichen Straßen und Wegen innerhalb geschlossener Ortschaften.
  • Am 30. 12. werden alle Volksschüler gegen Tuberkulose geimpft.
  • Am 30. 12. läßt Bürgermeister Braxmaier verkünden: „Auf Anordnung der Militärregierung haben sich sämtliche Schüler und Schülerinnen der Oberschule Oberstdorf am Donnerstag, 2. 1. 47 einer vom Staatlichen Gesundheitsamt Sonthofen durchgeführten Behandlung mit D.D.T.-Pulver (Anm.: Entlausung) zu unterziehen.”
  • Im Jahre 1946 kamen in Oberstdorf 20 neue Gewerbe zur Anmeldung. Dieser Zahl stand nur eine Abmeldung entgegen.

Quellen: Gemeindearchiv, Register des Standesamtes und eigene private Aufzeichnungen

Kontakt

Verschönerungsverein Oberstdorf e.V.
1. Vorsitzender
Peter Titzler
Brunnackerweg 5
87561 Oberstdorf
DEUTSCHLAND
Tel. +49 8322 6759

Der Verein

Unser gemeinnütziger Verein unterstützt und fördert den Erhalt und Pflege von Landschaft, Umwelt, Geschichte, Mundart und Brauchtum in Oberstdorf. Mehr

Unser Oberstdorf

Seit Februar 1982 werden die Hefte der Reihe "Unser Oberstdorf" zweimal im Jahr vom Verschönerungsverein Oberstdorf herausgegeben und brachten seit dem ersten Erscheinen einen wirklichen Schub für die Heimatforschung. Mehr

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