Beim Standesamt Oberstdorf wurden 1946 folgende Personenstandsvorgänge registriert: 275 Geburten, davon waren 143 weiblichen und 132 männlichen Geschlechts. 101 Paare schlossen vor dem Oberstdorfer Standesbeamten die Ehe. Im Jahre 1946 sind hier 171 Sterbefälle beurkundet. Davon waren 73 weibliche und 98 männliche Personen. Unter letzteren sind noch 36 Kriegersterbefälle.
Sepp Weiler stellt beim Neujahrsspringen auf der Olympiaschanze in Garmisch mit 86 Metern einen neuen Schanzenrekord auf. In der Zeitung »Der Allgäuer« ist zu lesen: „Die Überraschung des Tages bot der junge Oberstdorfer Toni Brutscher, der trotz seiner Kriegsverletzung durch seine Leistungen den Anschluß an die Eliteklasse gefunden hat.”
Wegen Straßenglätte bleibt ein amerikanischer Militär-Jeep an der Kühbergsteige hängen und rutscht rückwärts. Dabei erfaßt das Fahrzeug einen Fußgänger und verletzt ihn tödlich. Besonders tragisch ist, daß der Mann kurz vorher aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt ist.
Die Clubmeisterschaften des Skiclub Oberstdorf 1906 sehen Mariele Sehrwind (Alpine Kombination) und Heini Klopfer (Vierer-Kombination) als Sieger.
Diebe, die beim Einbruch in ein Schuhgeschäft in der Hauptstraße 26 Paar Schuhe erbeutet haben, können festgenommen werden. Es handelt sich um drei Burschen im Alter von 15 bis 17 Jahren.
Lorenz Böck wird am 26. Januar mit großer Mehrheit zum Bürgermeister von Schöllang gewählt.
Die Nebelhornbahn hat die Gipfelhütte an das Ehepaar Prinzing zur Bewirtschaftung verpachtet.
Februar
In einem von der SPD veranstalteten politischen Forum spricht Professor Dr. Wilhelm Vershofen im Gasthof »Traube« über „Deutschlands Lage in der Welt von heute”. Prof. Vershofen lebte in Tiefenbach und war einst Lehrer von Ludwig Erhard, dem „Vater des Wirtschaftswunders”.
Der Unterricht an der Oberstdorfer Berufsschule wird wegen Kohlenmangels erst am 10. Februar aufgenommen.
Beim Heimatabend des Gebirgstrachtenvereins am 15. Februar müssen mehr als 100 Personen wegen völliger Überfüllung der Turnhalle abgewiesen werden.
Nach einem Aufruf von Bürgermeister Josef Braxmair versammeln sich junge Männer und Mitglieder der alten Feuerwehr im »Wilde Männle«. Max Thannheimer, der während der letzten Kriegsjahre die Oberstdorfer Wehr geführt hat, tritt zurück. Franz Berktold wird sein Nachfolger und Willi Berktold dessen Stellvertreter.
März
Das Ruhrgebiet braucht 100.000 neue Bergleute, lautet die Überschrift eines großen Zeitungsartikels.
Der Schriftsteller Carl Zuckmayer weilt bei seinen in Oberstdorf lebenden Eltern und hält im privaten Rahmen eine Lesung aus seinem Stück „Des Teufels General”.
Bedingt durch die Gebietsveränderungen im Osten Deutschlands, werden die Postleitzahlen neu vergeben. Der Bezirk Schwaben und somit Oberstdorf verbleiben bei der Postleitnummer 13 b.
Das Oberstdorfer Bauerntheater bringt Karl Schönherrs „Weibsteufel” zur Aufführung. Ludwig Sippel und Toni Lindner erhalten für die Hauptrollen beste Kritiken.
Einige junge Oberstdorfer haben auf der Rückseite ihrer Anoraks bzw. Pullover ein ca. 30 × 15 cm großes Stoffschild mit der Aufschrift „Ski-Teacher” aufgenäht, was auf deutsch Skilehrer heißt und die Personen ausweist, die den Besatzern und ihren Angehörigen Skiunterricht geben. Nachdem dieses „Teacher” als „Titscher” ausgesprochen wird und die in Oberstdorf weitverbreitete Familie Titscher den Hausnamen „Michelar” trägt, sind beim folgenden Fasnachtsumzug einige sonnengebräunte Sportskanonen mit dem Rückenschild „Schi-Michelar” zu sehen.
Das Rückenschild des Skilehrers Wendelin Weitenauer.
April
An der Oberstdorfer Oberrealschule, die kommissarisch von Fritz Reulein geleitet wird, legen fünf Schüler die Reifeprüfung ab.
Täglich findet ein „Wettrennen” vom Bahnhof zur Talstation der Nebelhornbahn statt, wenn die Skisportler mit ihren Brettern den Zügen entsteigen. Eine Warteschlange von mehreren hundert Personen bildet sich jeden Tag vor der Kasse der Bergbahn.
Unter der Leitung von Siegfried Kuen wird in Oberstdorf das Passionsspiel von Regina Zirkel-George aufgeführt. Elisabeth Bader-Haider (Sopran), Hildegard Kuen (Alt) und Mario Ghiraldine (Tenor) sind neben Kammersänger Krause aus München die tragenden Säulen der Aufführung.
Der Gemeinderat von Schöllang beschließt für die notwendigen Hand- und Spanndienste bei der Gemeinde folgende Stundensätze: Trakor mit Fahrer 4,- RM, Zweispänner 3,- RM, Einspänner 2,- RM, ein Mann 1,- RM, Frauen und Männer unter 18 Jahren -,80 RM.
Mai
Suchmeldungen nach vermißten Soldaten sind dutzendweise in den Tageszeitungen. Heimkehrer werden immer wieder aufgefordert, Schicksale von Kameraden in der Gefangenschaft zu melden.
Die Kennkarten von Personen, die in der Spruchkammer als „Mitläufer” (Gruppe III) eingestuft worden sind, werden künftig nicht mehr gelocht. Ausweispapiere von „Belasteten” (Gruppe II) und „Hauptbelasteten” (Gruppe I) werden auch weiterhin mit einem Loch versehen, so daß jedermann schon am Ausweis sofort die politische Vergangenheit seines Gegenübers erkennen kann.
Der Markt Oberstdorf führt Verhandlungen mit der Treuhand (Vermögensverwaltung von ehemaligem NS-Vermögen) über den Ankauf der Alpe Warmatsgund. Bereits in den dreißiger Jahren war eine Gruppe von zwölf Oberstdorfer Bauern in Kaufverhandlungen, doch wurde diese Gruppe damals von der NS-Ordensburg Sonthofen ausgebootet.
Juni
Für die Wiedereinführung der Prügelstrafe an den Schulen sprechen sich 60 % der Eltern in Bayern aus.
Die Presse veröffentlicht das Ergebnis einer am 12. März 1947 durchgeführten Zählung der in Oberstdorf verfügbaren Gästebetten. Bis auf knapp 300 Schlafstätten ist alles mit Evakuierten, Flüchtlingen und Angehörigen der Besatzungsmacht belegt.
Weihbischof Dr. Franz Xaver Eberle firmt in der Oberstdorfer Pfarrkirche Soldaten der amerikanischen »Constabulary School Sonthofen« und deren Kinder.
Am 27. Juni geht in Oberstdorf aus dem Kleingartenverein ein Siedlerbund hervor. Gartenarchitekt Hans Nitsche wird dessen erster Vorstand. Die Bebauung der Hermann-von-Barth-Straße geht auf diese Gruppe zurück.
Juli
Gleich zweimal wird in die Lorettokapellen eingebrochen und das Gnadenbild beschädigt. Ein Rosenkranz und die Messingkrone, die der Täter wohl für wertvoll hält, werden entwendet.
Als Beauftragter der Regierung leitet OStD Dorn die Reifeprüfung an der Oberstdorfer Oberrealschule. Von 32 Teilnehmern erhalten 30 das begehrte Zeugnis.
Die Bayerische Musikbühne gastiert mit Mozarts „Die Hochzeit des Figaro” in der damals einzigen Turnhalle in der Ludwigstraße.
Ein Neunzehnjähriger aus Köln stürzt in den Seewänden tödlich ab. Sein siebzehnjähriger Begleiter wird von der Bergwacht gerettet. Am folgenden Tag stürzt an der gleichen Stelle ein junger Mann ab und kann schwerverletzt geborgen werden.
August
Laut Mitteilung des Bayerischen Ernährungsministers ist bei der Einführung der geforderten 40-Stunden-Woche in den bayerischen Bäckereien mit einer Gefährdung der Brotversorgung zu rechnen.
Am 3. August stürzt der neunzehnjährige Gerald Steuerer aus Kempten an der Trettach-Ostwand tödlich ab. Sein Seilgefährte hat ihn mit drei Haken gesichert, doch das (vermutlich alte) Seil reißt beim Sturz des Vorausgehenden.
Bei einem Oberstdorfer Handwerksbetrieb werden über 200 Doppelzentner Zucker und weitere der Bewirtschaftung unterliegenden Genuß- und Lebensmittel beschlagnahmt, die für einen Industriellen dort seit 1945 versteckt gehalten worden sind.
Berichte über Gerichtsverfahren wegen Schwarzhandels, Schwarzschlachtung und Warenhortung füllen das ganze Jahr die Gazetten. Wegen Schwarzschlachtung eines Schweines und eines Kalbes steht ein Oberstdorfer Handwerksmeister vor den Schranken des Gerichts. Große Empörung herrscht unter der hungernden Bevölkerung, als bei diesem Angeklagten bei einer Hausdurchsuchung größere Mengen von verdorbenen Lebensmitteln wie Fleisch, Wurst, Fett und Käse aufgefunden werden.
Eine Ausstellung mit Werken des Oberstdorfer Malers Friedrich Carl Rosen ist in der Volksschule bis zum 20. August zu sehen.
Beim Alpwanderkurs des »Alpwirtschaftlichen Vereins« begehen rund 60 Personen auch die Alpen Bierenwang und Schlappold, wo Toni Heim das von ihm ausgedachte Schwendgerät vorführt.
Das seit Wochen anhaltende Sommerwetter lockt Tausende Menschen aus den zerbombten Städten in die Natur. Die wenigen Züge von Kempten nach Oberstdorf sind täglich so überfüllt, daß Fahrgäste auf Trittbrettern und Zugdächern Platz nehmen. Es werden Überlegungen angestellt, nur noch Bewohner der US- Zone ins Oberallgäu reisen zu lassen.
Der Massenandrang von Ausflüglern führt zu Engpässen in der sowieso schon schlechten Versorgung mit Lebensmitteln. Ausflügler in Oberstdorf müssen bis Fischen, Sonthofen und Immenstadt fahren, um Brot kaufen zu können.
Durch die anhaltende Hitze werden das Trinkwasser und das Wasser zur Stromerzeugung knapp. Die Nebelhornbahn muß wegen Strommangels den Personenverkehr auf die Zeit von 13.30 bis 17.00 Uhr täglich beschränken.
September
Nach den Aufzeichnungen der Wetterämter ist der August 1947 der trockenste Monat seit mehr als 100 Jahren.
Im Saal des Nebenhauses vom Gasthof »Hirsch« wird im Rahmen des GYA-Programms (amerikanisches Jugendprogramm) ein Clubraum eingerichtet. Die jungen Deutschen sollen hier politisch umerzogen werden. Der Club unterhält auch eine Nähstube, wo junge Frauen Kleider nach amerikanischen Schnittmustern schneidern sollen.
Nebenhaus des Gasthof Hirsch
Pfarrer Wilhelm Gabriel wird neuer evangelischer Pfarrer in Oberstdorf.
Der katholische Burschenverein erstellt auf dem Schattenberg ein neues Bergkreuz, das Pfarrer Josef Rupp im Rahmen einer Bergmesse einweiht. Die Blaskapelle Oberstdorf umrahmt die Feierstunde.
Der »Verband der Kriegsbeschädigten und Hinterbliebenen (VdK)« gründet in Oberstdorf einen Ortsverband. Michael Brutscher wird dessen 1. Vorsitzender, Fritz Hesselschwerdt sein Stellvertreter.
Oktober
Die Nebelhombahn muß am I. Oktober wegen Strommangels aufgrund anhaltender Trockenheit den Fährbetrieb einstellen.
Bedingt durch die große Dürre des Sommers, haben viele Laubbäume ihre Blätter zum Teil abgeworfen. Nach den ersten Regenfällen beginnen die Bäume im Herbst neu zu grünen.
Ein Aufruf besonderer Art, der die damalige Notsituation verdeutlicht, ist am 8. Oktober in der Tagespresse zu lesen: „Nur zwei Glühbirnen besitzt zur Zeit die Oberrealschule Oberstdorf. Wer kann helfend einspringen? Die Schulleitung bittet um leihweise Überlassung von Glühbirnen.”
Das dem »Reichsbund der Kriegsopfer« gehörige »Waldhotel Christlessee«, das bislang von der Besatzungsmacht beschlagnahmt war, geht in die Obhut des »VdK« über, der es nach erfolgter Renovierung als Erholungsheim für Mitglieder nutzt.
November
Der Gemeinderat beschließt auf Antrag von Bürgermeister Otto Kerle, 5.000,- Mark für Flüchtlinge und 5.000,- Mark für Kriegsgefangene, - Versehrte und - hinterbliebene sowie 2.000,- Mark für Ortsarme zu spenden.
Am 30. November erfolgt die Neugründung des Verkehrs- und Kurvereins, der aufgrund der politischen Verhältnisse und der Kriegswirren zusammengebrochen war.
Aufgrund eines an alle Gemeinden ergangenen Ersuchens stellt die Gemeinde Tiefenbach der Landwirtschaftsschule Immenstadt einen Ster Brennholz kostenlos zur Verfügung. Der Transport muß allerdings von der Schule selbst bewerkstelligt werden.
Die »Deutsche Einheitsgewerkschaft Eisenbahn, Wasser- und Landstraßen« beabsichtigt auf der Alpe Warmatsgund ein Erholungsheim für lungenkranke Mitglieder zu erstellen. Der 1939 von der »Deutschen Arbeitsfront (DAF)« nahe der Möserhütte begonnene Neubau (heute Naturfreundehaus) soll erworben und fertiggestellt werden.
Dezember
Laut einer überschlägigen Berechnung ist die Bevölkerungszahl Oberstdorfs von rund 5.400 im Jahre 1939 auf 9.800 im Jahre 1947 angewachsen.
Es gibt das ganze Jahr durch keine Zeitung, in der nicht über die „politische Säuberung” Deutschlands, angefangen von den großen Kriegsverbrecherprozessen bis hinab zu den Spruchkammern, wo kleine „Mitläufer” abgeurteilt werden, berichtet wird. Leider muß allzuoft festgestellt werden, daß Personen, die als Ankläger oder Richter auftreten, selbst zur Gruppe der Belasteten gehören.
Ganze Seiten der Tageszeitungen sind voll mit Tausch-Inseraten, die z. B. folgenden Wortlaut haben: „Gesucht wird Hosenstoff und Blusenstoff, Zugharmonika wird geboten”.
Begünstigt durch die Gewerbefreiheit kommen 1947 beim Gewerbeamt in Oberstdorf 43 neue Gewerbe zur Anmeldung.
Daß darunter allein zehn Schneiderinnen und Schneider sind, läßt sich allein schon durch den riesigen Nachholbedarf an Kleidung erklären. Dazu kommt noch, daß nur wenig Konfektionsware und neue Stoffe erhältlich sind und die Materiallücke durch Auftrennen alter Mäntel, Jacken und Hosen geschlossen wird. Selbstredend wird bei dieser Wiederverwendung die einstige Innenseite nach außen gekehrt. Es werden auch ganze Anzüge, Kleider und Mäntel nur „gewendet”.
Quellen: »Der Allgäuer«;
Gemeindearchiv, Standesamt Oberstdorf; eigene Aufzeichnungen