Ein Spieß, mit dem z.B. Oberstdorfs Nachtwächter bis 1933 seine Runden ging.
Nachtwächter - genauer Nacht-Wechtner - ist die Überschrift auf einem vergilbten, undatierten Blatt aus Rubi. Es folgen Nachtwächterverse in einer barocken Schreibweise, die mit der achten Stunde anfangen. Leider sind die Strophen nicht ganz vollständig, und der Name des Nachtwächters ist nicht erwähnt. Ob’s auch die Sprüchlein sind, die gerade er selber gesungen und geschrieben hat, wir wissen es nicht, aber manches spricht dafür.
Einen Hinweis auf den Nachtwächter könnte der Name „Ignatz Eß von Ruben Anno 1814” geben, den ein anderer Schreiber zweimal auf der Rückseite des Blattes vermerkt hat. Dieser Ignatz ist 1802 geboren und wird 1814, also mit 12 Jahren, noch nicht Nachtwächter gewesen sein. Die Tatsache, daß dieses Schriftstück bis heute in dieser Familie Eß aufbewahrt wird, läßt darauf schließen, daß der Nachtwächter auch aus dieser Familie stammte. Es wäre denkbar, daß Ignatz’ Vater Jakob Eß, geb. 1755 in Schöllang, von Beruf Bauer, dieses Amt innehatte. Einen Nachtwächter, möglicherweise nur nebenamtlich, wird es auch in Rubi gegeben haben, zumal dem Brand im Jahre 1776 in Rubi 11 von 22 Häusern zum Opfer fielen, darunter auch das Haus Nr. 7 von Jakob Eßb Schwiegereltern Josef und Kunigund Ernst. Jedenfalls aber verdienen diese Nachtwächtersprüche, wenn auch nicht ganz vollständig, ihrer originellen, naiv-religiösen Vorstellung und Form wegen, einmal veröffentlicht zu werden.
Ich danke Frau Elisabeth Vogler, geb. Eß von Rubi, der Ur-Ur-Enkelin von obigem Ignatz Eß, die mir das Original freundlicherweise überlassen hat, und Herrn Sepp Schedler, der den Text entziffert hat. Die Schreibweise wurde beibehalten.
Anfang umb 8. Uhr
Hat achte geschlagen,
Schon achte, schon achte,
es hat schon geschlagen,
Nun hört, was ich der wechtner würdt sagen,
Vom traurigen scheiden, vom bitteren Leyden,
des göttlichen Sohns, für Uns.
Ihr sterbliche Menschen, führt alle wohl Zherzen,
Was Jesus gelitten, für grausame schmerzen,
Umb eich Zuerlösen,
Steth ab von dem Bösen.
Nembt eich in acht, heüt Dnacht.
Hatt Neune geschlagen,
Umb Neine, schon weine,
Verlassen von allen
secht Jesus am öelberg, aufs Angesicht ist gfallen,
Vor Liebs brunst erhüzet, blüet wasser er schwüzet,
betrüebt bis in Todt, o noth.
Dis blut hast raus bresset, mit Laster und Sünden,
wie kombts da du drüber, kein schmerz wilst empfinden,
o thoerrichter sinder, von Tag zu Tag blinder,
das Herz springt entzwey, vor Rey.
Hatt Zehne geschlagen.
Schon Zehne, schon Zehne,
Iztum sucht man im garthen,
secht Jesus von Judas gekhüsset verrathen,
würdt gfesslet, gefangen, mit Spüeß und mit Stangen,
wie ein Mörder tractiert, forth gführt.
Gwinnsichtiger Gelth Naar, thues wohl yberlegen,
Was hilft dir das Unrecht, was nuzt dein Vermögen,
Ach! Jesum verkaufest, der Hölle zu laufest,
als nimbt Dür der Todt, o Spoth.
Hatt Eylfe geschlagen,
Umb eilfe, umb eilfe, mueß Jesus erscheinen,
Vorm peinlichten Halsgricht, wer solte nit weinen,
auf falsches ankhlagen. Ins Angesicht würdt gschlagen,
Verurtheilt zum Todt, o noth.
Neydhessiger Unmensch, den Nechsten solst lieben,
wie oft thuest du selber im Herzen betrüeben,
verleimden verschwerzen, die Ehr ihm verletzen,
Was bleibt dir zum Lohn, Spott hohn.
Hatt Zwölfe geschlagen,
Umb Zwölfe, wie Dwölfe, als tobet, es wiettet,
secht Jesus vom gaislen, halb todt sich schier bluethet,
o grausame wunden, schier völlig geschunden,
erbärmlich verlezt, zerfezt.
Muethwillig außglassene, frech yppige Jugent,
die du so gring schäzest die Englische Tugent,
da du hast zugschlagen, was ich dir will sagen,
pfui schäm dich ins Herz vor Schmerz.
Hatt eins geschlagen,
Umb eins da keines, den Haylandt mehr könet,
das angesicht verspiben, mit Dörnen gekrönet,
dem Volkh würdt gezeiget, halb rasent als schreyet,
das Creuz ist sein orth, nur forth.
Hoffärtiger Praller, Verächter der Kleinen,
ihr spohtet, und lachet, hier dorth werth ihr weinen,
wer da die Höchere nicht ehret, die Mindere beschweret,
der rieht sich zum Knal und Fahl.
Hatt Zweye geschlagen.
Umb Zweye mueß Jesus, halb doth sich erhöben.
Zum Loose des Creuzes die schultern herrgeben,
vor große der Beschwerdten, fahlt er oft zu der Erden,
verspottet veracht, ausgelacht.
Unwillig gehzornig rachgierige Herzen,
die ihr ein kleins Creuzlein nit könnet verschmerzen,
ales murret undt klaget, von Trübsal steths saget,
man waiß ja auf Laid, folgt Freud.
Hatt Dreye geschlagen,
Um Dreye secht Jesus, am Creuz da hanget,
inmitten zwei Mörder, Gail Essig empfanget,
o trauriges Spectacel, o liebsvoll Mirackhel,
...