Bergmähder in und an der Höfats
(Grundbuch-Nr. 4649 – 4657)
Höfats-Relief im Heimatmuseum Oberstdorf
Die Höfats ist gewiß einer der schönsten, wenn nicht der schönste Berg in den Allgäuer Alpen. Selbstverständlich läßt sich über den persönlichen Eindruck von einem Berg streiten, doch liegt die Formschönheit der vier Gipfel mit den unerhört steilen Grasflanken offen zutage, und ihr Blumenreichtum sucht seinesgleichen, vielleicht in den ganzen Nördlichen Kalkalpen. Der Reichtum an Gemsen hat schon früh die Gemsjäger verlockt, ihre Flanken und Gipfel zu besteigen, aus dem 19. Jahrhundert liegen erstaunliche Berichte vor.
Mit der touristischen Erschließung begann man sich auch über den Namen des Berges Gedanken zu machen, ohne zu einem sicheren, allgemein anerkannten Ergebnis zu kommen. Franz Ludwig Baumann, S. 65.] hielt den Namen nicht für deutsch.
Der erste, der sich näher mit dem Namen befaßte und etwas zu diesem Thema veröffentlichte, scheint 1908 Karl Gruber gewesen zu sein. Er hielt den Namen offenbar ebenfalls für vordeutsch und versuchte eine abenteuerliche Etymologie mit einem nicht existierenden Wort *Teba, das die Bedeutung Tobel haben sollte. Von diesem setzte er eine Ableitung *Tavatusa an, die über *Tevatusa zu *Tevaz geworden sein sollte. Von diesem hätte man dann das T als mundartlichen Artikel d' [die] abgetrennt und wäre so zum Namen d'heafats gekommen. Diese Deutung war ihm wohl selbst nicht geheuer; er bot daher als Ersatz an, daß ein sogenannter elliptischer Name, das heißt ein Personenname im Genitiv (im Wes-Fall) vorliege, ohne ein Grundwort. Er schlug dazu den altdeutschen Namen Herfrid vor, dem ein weggelassenes Grundwort folgen müßte, also z.B. *Herfrids [Berg] oder Herfrids [Hoibat]. Das erklärte natürlich nicht die Silbe -ats, ganz zu schweigen davon, daß niemand einsichtig machen könnte, was denn dem unbekannten Herfrid da gehört haben sollte.
Auf dieser Linie fuhr Ludwig Mayr 1936 fort, indem er annahm, es habe eine *Herfatsalpe gegeben, die zur Bildung eines Bergnamens *Heafats[alp]spitz geführt habe, woraus dann unter Weglassung des Mittelgliedes der Name Heafatsspitz entstanden sei, wie ja tatsächlich der Gipfelname im 19. Jahrhundert gelautet hat. Freilich hat es eine solche Alpe im Umkreis des Berges niemals gegeben, die Herleitung ist also nur eine unhaltbare Vermutung.
Inzwischen hatte 1909 der Altmeister alpiner Namendeutung, August Kübler, eine Deutung vorgelegt, die nicht mehr so abenteuerlich klang. Er kannte die Zusammensetzungen Höfatsspitz, Höfatsplätze, Höfatswanne, Höfatslo(ch), Höfatswand und Inneres Höfatstobel. Besonderen Wert legte er aber auf die Form „Uff'r Héafats” ‘Platz auf Gutenalp’. Hierzu gab er an, einen Beleg von 1488 „Heffau(t)z” gefunden zu haben. Leider hat diesen Beleg nach ihm nie wieder jemand zu Gesicht bekommen und deshalb kann auch niemand überprüfen, ob hier ein Irrtum vorlag und – falls es diese Form 1488 überhaupt gegeben haben sollte – worauf sie sich bezogen haben könnte.
Er meinte dann, der Name bedeute etwa „wo alles sich hebt, wo alles emporragt”. Es wäre demnach von einer Nebenform zu heben, nämlich *hefen ein Partizip Perfekt gebildet worden, das *Heafat gelautet hätte und das in den Zusammensetzungen ein - s - erhalten hätte, das dann (fälschlicherweise) auf die einfache Form zurück übertragen worden wäre. Diese Konstruktion baut auf mehreren unbeweisbaren Grundlagen auf. Nur die Bedeutung wäre an- nehmbar gewesen, denn rund um die Gipfel der Höfats ragt ja wirklich alles in die Höhe.
Kübler selbst bemerkte offenbar die Unhaltbarkeit seiner sprachlichen Konstruktion auf den mehr als wackligen Grundlagen. Er nahm daher 1916 einen neuen Anlauf. Dabei hatte er die gute Idee, den Namen in Höfatz zu zerlegen. Für den zweiten Teil - atz nahm er die in alter Zeit oft belegte Bedeutung ‘Weide’ in Anspruch. Dieses Wort geht auf mhd. atz, atze ‘Speise, Futter, Gras’ zurück. Nach M. Buck wird es „in Urkunden oft gereimt als Atz und Fratz” für Weiderecht verwendet.6) Den ersten Teil He(a)f- brachte er mit einem althochdeutschen Wort hevi [st. F.] zusammen, dem er die Bedeutung ‘Erhebung’ zuschrieb. Danach deutete er den Namen als ‘steile Weide’. Moderne Wörterbücher geben tatsächlich die Bedeutungen von hevi als ‘Körper, Masse, das Sich-Heben, Erhebung, Aufgeblähtheit’ an. Aber alle Wörter, die mit heben zusammenhängen, haben in der Oberstdorfer Mund- art ein langes e: hebe, Hebl, die (Hånd)hebe, nie ein ea. Konsequent wäre es gewesen, im ersten Namenteil also das Mundartwort Heaf ‘Hefe’ zu sehen. Davor schreckte Kübler aber offenbar wegen der unpassenden Bedeutung zurück.
Nicht namentlich bekannt ist mir jener Deuter geworden, den Zettler zitiert. Er zweifelt aber bereits an der Richtigkeit, indem er schreibt „Die zuweilen gebrauchte Deutung: Höfats = Die Hoffärtige erscheint gewagt.”Natürlich ist diese Deutung weder sprachlich noch psychologisch haltbar. Sie entstammt ganz der Mentalität des Bergsteigers im 19. Jahrhundert.
Für eine einleuchtende Deutung gilt es zunächst einmal zu überlegen, wo der Ursprung des Namens zu suchen ist. Das Uraufnahmeblatt der bayerischen Landesvermessung von 1819 kennt weder auf der Nord-, noch auf der Ostseite des Berges irgendeinen Namen, der mit Höfats (dort sonst stets Hefats geschrieben zusammengesetzt wäre. Kübler allerdings neigte dazu, ihn im Bereich der Gutenalpe zu suchen, genauer müßte das im Umkreis der Höfatshütte von Gutenalp gewesen sein. Nun gibt Stützle für Gutenalp den Namen eines Weideplatzes „am Höffats” an, unmittelbar nach dem „Vorsäß” (worunter wohl das Höfle zu verstehen ist), außerdem für Gutenalp und Käser den Namen „Höffatsbach”. Das ist ein ärmliches Zeugnis, wenn man an die Fülle der Zusammensetzungen mit Höfats auf der Süd- und Südwestseite des Berges denkt, wovon auch 1819 schon vier in der Karte enthalten sind. Außerdem gibt es für die Ostseite der Höfats ein interessantes anderes Namenzeugnis. In der Tirolkarte des Peter Anich von 1774 heißt der Berg nämlich „Roth Spiz”. Das ist eine durchaus verständliche Bezeichnung für den Gipfel über dem gewaltigen Roten Loch, das leicht namenprägend wirken konnte. Der Ursprung des Namens Höfats wird also wohl nicht auf der Gutenalper Seite liegen.
Ganz anders die Süd- bis Südwestseite. Hier beginnt die Namenvielfalt schon in der Südwestflanke mit dem Vorderen (oder Äußeren) Höfatstobel, den Höfatshoibaten (= Höfatsmähder oder Höfatswiesen der Liquidationsprotokolle), dem Höfatsglei und dem Höfatsmann. In der Südflanke selbst liegt die gewaltige Höfatswanne eingebettet, die mit dem Inneren oder Hinteren Höfatstobel entwässert, vom Höfatsspitz (Westgipfel) überragt und an der Ostseite von der Höfatswand begrenzt wird. Die Höfatsgufel an ihrem Oberrand wurde im 19. Jahrhundert, z.B. von Gümbel, als „Jaspishöhle” bezeichnet. Noch weiter im Osten folgen hoch oben die Höfatsplätze. Diese Vielfalt von Namen allein weist schon auf den Ursprungsbereich des Namens Höfats hin.
Der ursprüngliche Geltungsbereich wird auch noch dadurch bestätigt, daß in der Flurkarte von 1836, übernommen sogar in die moderne Luftbild-Flurkarte, das Äußere Höfatstobel westlich der Kluppenköpfe eingetragen ist, das Innere Höfatstobel aber östlich davon. Das bedeutet, daß beide Tobel aus dem Gebiet kamen, das die Höfats hieß. Erst der Wechsel des Interesses von der Landwirtschaft auf die Touristik hat zur Verlagerung des Namens Inneres Höfatstobel auf den Abfluß der Höfatswanne geführt.
Wir kommen der Sache aber noch näher, wenn wir uns die schriftlichen Belege für die Gerstruber Höfatsmähder anschauen, die ja als Eigentumsparzellen im Grundbuch mit Nrn. 4649 - 4655 und 4657 aufgeführt sind unter dem Namen an/in der Höfats und im/beim Höffats. Hierzu gehört der älteste Beleg für den Namen überhaupt, nämlich im Erbteilungsbuch der Gemeinde Oberstdorf: ein bergmad an der Hefats halb von 1788. Dies dürfte wohl der von Kübler irrtümlich mit 1488 angegebene Beleg sein. 1795 erscheint nochmals ein bergmad die Hefats zu 40 Gulden Wert und ein bergmad an der Hefats. Diese Formen bestätigen uns, daß der Name Höfats schon damals als weibliche Form benutzt wurde und auf die Höfatsmähder (= Hoibat = Wiesen) bezogen war.
Im Kauf- und Tauschbuch der Gemeinde Oberstdorf ist weiter auf Seite 381 eine Art Gemeindeordnung von Gerstruben eingetragen, welche aus Streitigkeiten der 10 Gerstruber Gemeindemänner (und Häuser) untereinander hervorgegangen war. Unter Punkt 2 wird die Geißweide von Gerstruben geregelt. Bis an St. Johanns Tag [= 24. Juni] haben 6 Geiß pro Haushalt (oder 5 Geiß und 2 Kitz) das Recht in allen Berg Mädern Ersagter Gerstruben zu fretzen, dann erst wieder, wenn diese geheut sind. Namentlich genannt werden die Hef(f?)athswane (Bärengang, Gwänd, Gley, am Man, Schafälbele). Weiter wird noch für 3 Heybath, darunter den am Hefatsgley als Beginn mit dem Heuen gleich nach Maria Himelfarth (= 15. August) festgesetzt. Das alles macht klar, daß der ganze Bereich Viehweide, nämlich Geißweide der Gerstruber war.
Daß es die Gerstruber Geißweide an der Höfats schon lange vor der Ordnung von 1798 gegeben hat, geht aus einem Vertrag der Gerstruber mit der Alpe Dietersbach vom Jahre 1567 hervor. Damals war die spätere Gerstruber Alpe noch Teil von Dietersbach. Laut Punkt 3. des Vertrags wurde im Grenzhag extra eine Lücke für das Geißvieh eingefügt, deren Törlein oder Getterlein der Geißhirt beim Passieren jedesmal ordentlich verschließen mußte. Er sollte mit seinen Geißen „gestraks dem Berg zu bis an einen Ort, den die Herde der Alp Dietersbach nicht erreicht. Er soll die Geißen so hoch treiben, daß sie der Alp keinen Schaden zufügen“. Das deutet wieder ziemlich sicher auf die Höfats. Es war also von Kübler sachlich durchaus vernünftig, den zweiten Teil des Namens Höfats, nämlich - ats - , als ‘Weide’ abzutrennen. Ist dies aber auch sprachlich haltbar?
In Oberstdorf und überhaupt im Oberallgäuer Bereich gibt es das Wort Atz wahrscheinlich nicht. Aber wir müssen uns klar darüber sein, daß Gerstruben jahrhundertelang nicht von Allgäuern, sondern von Walsern geprägt war. Die Bauweise (Trennung von Wohnhaus und Stallgebäude), die Familiennamen (Kappeler, Math, Wiestner, Beiser, Berchtold, Jochum, Mathies, Schugg), die belegte Zuwanderung vom Tannberg her, dazu einzelne für Walser typische Flurnamen bezeugen dies. Die Walser können das Wort Atz für Viehweide sehr gut mitgebracht haben, wenn es auch in der Schweiz, besonders in den Graubündner Walserorten wie Davos häufiger in der Ableitung Atzig, Atzing fortlebt. Gerade für den Walserort Davos ist die Bedeutung ‘zur Weide gebrauchtes Stück Land’, in der Mehrzahl Atziga speziell für Alpwiesen und Bergweiden gebraucht. Das Schweizer Mundartwörterbuch gibt sogar u.a. die Bedeutung an: ‘Manche Gegenden werden nur als A.[tzig] benutzt; einzelne Wiesen nur im Frühling vor und im Herbst nach der Alpfahrt, in der Zwischenzeit ein Mal gemäht.’ Gerade das letztere paßt für die Gerstruber Verhältnisse ausgezeichnet.
Wie steht es aber nun mit dem ersten Namenbestandteil, dem Bestimmungswort für die - atz - ? Heaf ‘Hefe’ ergibt doch keinen einleuchtenden Sinn. Wir müssen zum Verständnis dieses Bestandteiles etwas weiter ausholen: - f - am Schluß eines Wortes oder Namens kann im Oberallgäu auf - ch - zurückgehen, besonders wenn man das Wort nicht mehr verstanden hat. So ist es beim ehe- maligen Dauersiedlungsgebiet Traufberg/Trüfbearg, der von 1333 bis 1498 als Truchberg/Trauchberg beurkundet ist und erst nach 1500 das - f - zeigt. So ist es mit dem Laufbach (Löüfba), der zwar viel seltener schriftlich festgehalten wurde, aber 1436 doch als Louchbach. Und so ist es bei der Hindelanger Alpe Laufbichel, deren Name anfangs und noch 1530 Lauchbühl geschrieben wird, erstmals 1533 aber Laufbichel. Ja sogar das Oberstdorfer Wort Weaftag ‘Werktag, Arbeitstag’ geht auf mhd. werchtac mit gleicher Bedeutung zurück.
Setzen wir also versuchsweise den Namen Höfats als ursprünglich *Höchatz an, so können wir das aus der Oberstdorfer Mundart zunächst nicht verstehen. Wissen wir aber, daß es in den Schweizer Mundarten, besonders in Walsergebieten, neben hoch auch die umgelautete Form Höch gibt, die in Oberstdorf nur im Hauptwort Höhe = Heache vorkommt, dann ergibt sich eine gute Lösung. Die ursprüngliche Bedeutung von Höfats < *Höchatz wäre danach eine hochgelegene oder auch steile (das kann „hoch” auch bedeuten!) Weide, eben die Geißweide der Gerstruber. Höfats ist als Name also eine Walser Prägung, deren - ch - im Auslaut des Bestimmungswortes beim Übergang in die Oberstdorfer Mundart durch - f - ersetzt wurde, so daß der Name für beide Mundarten fremdartig klang und nicht mehr verstanden wurde.
So läßt sich auch der älteste bisher aufgefundene Beleg für den Gipfelnamen verstehen. Er ist in der sogenannten Schmitt’schen Karte von Südwestdeutschland aus dem Jahre 1797 enthalten und lautet Herfers Kopf. Man muß allerdings wissen, daß die Ersteller dieser Karte, 30 Offiziere (Kartographie-Ingenieure), die erfahrenen Namen nicht selten ziemlich willkürlich umsetzten. So machten sie z. B. aus Hierenalp Hirtenalp oder sehr willkürlich für das Rauheck einen Dittersbachberg. Gehörtes Heafats setzten sie Herfers - um und verpaßten ihm noch Kopf als das häufigste Allgäuer Grundwort für Bergnamen dazu.
Dieser Deutung liegen zwei speziell nicht beweisbare, aber doch wahrscheinliche sprachliche Annahmen zugrunde, die durch Parallelen gestützt werden. Sollte (z.B. auf Grund neuer Quellenfunde) eine besser gesicherte Lösung gefunden werden, wäre der vorliegende Lösungsvorschlag entsprechend zu korrigieren.