Wilhelm Math - Holzbildhauer, Heimatgeschichtsforscher und Museumspfleger

von Eugen Thomma am 01.02.1982
Wilhelm Math - Heft 1

Wilhelm Math

Sicher ist es nicht verwunderlich, wenn in der ersten Nummer einer Zeitschrift, die sich mit der Oberstdorfer Heimatgeschichte befaßt, des Mannes gedacht wird, der über Jahrzehnte an der Heimatgeschichtsforschung in Oberstdorf ganz wesentlichen Anteil gehabt hat: Wilhelm Math. „Moritze Wilhelm“ nannten die Einheimischen den hochbegabten Künstler.

Er war der Sohn des Bergführers und Landwirts Moritz Math und dessen Ehefrau Maria, geb. Köberle. Am 27. Februar 1893 im elterlichen Anwesen an der Bachstraße geboren, wuchs er dort in der kinderreichen Familie auf.

Mit irdischen Gütern war der Bub nicht besonders gesegnet. Dafür hat ihm aber der Schöpfer ein großes künstlerisches Talent in die Wiege gelegt. Als er noch ein Schulbub war, entstanden schon Krippenfiguren und Tiere, die er mit seinen geschickten Händen aus Holz schnitzte. Allzuviel Zeit blieb ihm für seine Neigung nicht. Er mußte zusammen mit den Geschwistern der Mutter bei der Arbeit auf dem Feld, im Stall und in der Scheune helfen. Der Vater war als Bergführer viel unterwegs, um ein paar Mark für seine große Familie zu verdienen.

In den vielen Gesprächen oder besser gesagt „Huigärte“, die ich mit Wilhelm führte, erinnerte er sich besonders gern daran, was ihm sein Vater aus der Jugendzeit erzählte und was „’s Mahle“ (die Großmutter) von früher zu berichten wußte. Daß er damals hellwach gewesen war und mit höchster Aufmerksamkeit gelauscht hatte, bewies der Umstand, daß er fast 80 Jahre später das damals Gehörte noch klar in seiner Erinnerung hatte und dies der Grundstock seines umfassenden Wissens um die Geschichte Oberstdorfs war.

Doch zurück zu dem Schulbuben Wilhelm Math!
Es war schwer für die Eltern, dem begabten Jungen eine entsprechende Ausbildung angedeihen zu lassen. In Oberammergau fanden sie für ihn eine Lehrstelle, wo er auch die Bildhauerschule besuchen konnte.

Nach abgeschlossener Ausbildung kehrte Wilhelm Math 1914 nach Oberstdorf zurück und arbeitete hier in seinem künstlerischen Beruf.

Die dunklen Wolken, die um diese Zeit am politischen Himmel heraufzogen, warfen auch ihre Schatten auf den jungen Bildhauer. Kurz nach Ausbruch des 1. Weltkrieges war Wilhelm Math Soldat im 20. bayer. Inf.-Rgt. in Lindau, mit dem er auch an die Westfront mußte. Monatelang erlebte und erlitt er die „Hölle von Verdun“.

Als die österreichischen Bundesgenossen von Italien angegriffen wurden, schickte der deutsche Kaiser das neugebildete Alpencorps zu Hilfe. Das 3. bayer. Jägerregiment, dem Wilhelm Math zwischenzeitlich angehörte, war dabei. So kam der junge Oberstdorfer zu den Bergkämpfen in den Dolomiten. Von dort wurde das Regiment an die russische Front in den Karpaten verlegt, wo er für besondere Tapferkeit ausgezeichnet wurde. Nach Verwundung und kurzer Genesungszeit nahm der berggewohnte 3er-Jäger mit seinem Regiment an den Isonzo-Schlachten teil. 1918 geriet er, wieder an die Westfront versetzt, in französische Gefangenschaft. Hunger, Demütigungen und Strapazen kennzeichneten eine 1 1/2 jährige Leidenszeit, bis ihm im Herbst 1919 die Flucht aus dem Lager gelang, und er im Oktober 1919 nach vielen Abenteuern über die Schweiz die Heimat erreichte.

Wilhelm Math hat über seine Erlebnisse als Soldat ein Buch geschrieben. Er hat es mit Fotos versehen und, wo solche fehlten, mit eigenen Zeichnungen und Aquarellen illustriert. In seiner bescheidenen Art hat er das Werk nie veröffentlicht, und nur wenige seiner Vertrauten kennen dessen Inhalt. In seiner erschütternden Art wäre es Wert gewesen, ein Bestseller zu werden.

In jener schweren Zeit, so erinnerte sich Wilhelm, sei ihm das Wort „Heimat“ richtig klar geworden. Und die Liebe zu dieser Heimat blieb die Triebfeder seines Handelns in den folgenden Jahren eines langen Lebens.

Sein künstlerischer Beruf nahm den Heimkehrer voll in Anspruch. Eine Reihe von hervorragenden Plastiken entstand. Doch fand der Schaffende nebenbei noch Zeit, sich mit der Geschichte Oberstdorfs und den Geschlechtern seiner Bewohner zu befassen. Über Jahrzehnte hinweg war es Wilhelms „Sonntagsvergnügen“, nach der 1/2 9-Uhr-Messe bis Mittag im Pfarrarchiv zu sitzen und Urkunden, Bücher und Schriften zu studieren.

Er schrieb die Tauf-, Heirats- und Sterbematrikel ab und fügte - man darf sagen in kriminalistischer Kleinarbeit - Steinchen für Steinchen in das Mosaik der Oberstdorfer Geschlechterfolge.

Nicht genug der Arbeit! Wilhelm Math gehörte dem Festausschuß des Trachtenvereins an, der die Durchführung des 25jährigen Gründungsfestes im Jahre 1926 organisierte. Auf den Festwagen wurden Szenen aus dem täglichen bäuerlichen Leben dargestellt, in alten Gewändern arbeiteten typische Gestalten mit längst vergessenen Werkzeugen.

Die Idee, diese Dinge zu sammeln und zu erhalten, kam auf. Die überlieferten Kleider sollten nicht wieder in Kisten und Truhen auf den Speichern den Motten überlassen werden. Die junge Generation sollte sie - wenn auch etwas abgeändert - wieder tragen. Für die alten Möbel, Geräte und Werkzeuge müßte eine Ausstellungsmöglichkeit, ein Museum, geschaffen werden, um auch sie der Nachwelt zu erhalten. So war Wilhelm Math Bewahrer und Erneuerer zugleich.

Zusammen mit den gleichgesinnten Karl Hofmann, Thaddäus Jäger und Seppl Joas begann Wilhelm volkskundliche Schätze zusammenzutragen. Bald war eine ansehnliche Sammlung entstanden, doch fehlte es an einer Bleibe für das Volksgut. Verschiedene Pläne entstanden und wurden wieder verworfen.

Endlich waren fertige Baupläne für ein Museumsgebäude gegenüber der Oberen Mühle vorhanden. Mittlerweile hatten aber die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise die Finanzen der Gemeinde Oberstdorf so sehr erschüttert, daß der Gemeinderat nicht einmal die Bürgschaft für den Museumsbau übernehmen konnte.

Wilhelm Math und seine Freunde ließen sich nicht entmutigen. Als im Köcheler- Haus eine Wohnung frei wurde und die Gemeinde diese zu Museumszwecken zur Verfügung stellte, begann für die Idealisten erst richtig die Arbeit. Stube, Gaden und Küche sahen nach der Einrichtung so aus, als hätten die Bewohner diese Räume erst vor Minuten verlassen. Es war das natürliche Gespür von Wilhelm Math, das den Wohnteil des Hauses wieder in ein Bauernhaus der Vorfahren verwandelte.

Am 19. 6. 1932 war dann der große Tag gekommen. Das Oberstdorfer Heimatmuseum öffnete die Tür für eine große Anzahl von Ehrengästen. Wilhelm Math, der Hauptinitiator, wurde Museumspfleger und übte diese Tätigkeit über Jahrzehnte aus.
Im alltäglichen Leben war Wilhelm Math - verheiratet und Vater zweier Töchter - ein gefragter Künstler. Max Förderreuther charakterisierte ihn in seinem Buch „Die Allgäuer Alpen“ (1929): „Zu unseren geschicktesten Bildschnitzern gehört auch Wilhelm Math in Oberstdorf. Seine Hauptstärke liegt in der Darstellung Allgäuer Gebirglertypen; diese Holzhauer, Jäger, Fingerhakler und Schneeschuhläufer treten uns mit der ganzen Urwüchsigkeit entgegen, die ihnen im Leben eigen ist. Was er als Herrgottsschnitzer zu leisten vermochte, erkennt man an dem großen, im Oytal aufgestellten Wegkreuz, und wie er auch gewöhnlichen Bastelarbeiten künstlerisches Gepräge zu verleihen weiß, sieht man an dem Modell eines Oberallgäuer Gebirgshauses, das er für das Allgäuer Heimatmuseum in Kempten angefertigt hat.“

Wenige Jahre nachdem der bescheidene Künstler sich ein eigenes Heim geschaffen hatte, wurden ihm schwere Prüfungen auferlegt. Seine noch junge Frau starb und er mußte neben dem Beruf für seine Kinder sorgen. Der 2. Weltkrieg brach aus, er wurde einberufen und geriet 1945 in russische Gefangenschaft.

Den durch Hunger und Strapazen völlig Entkräfteten schleppten jüngere Kameraden mit ins Lager. Was er als Kriegsgefangener vor mehr als 25 Jahren schon einmal erlitten hatte, wiederholte sich in noch stärkerem Maße. Zu Hunger, Kälte, Zwangsarbeit und Schikane gesellten sich Heimweh und Sorge um die Kinder, von dehen er lange Zeit keine Nachricht hatte. Doch auch in dieser trostlosen Situation brachte das Können und die Begabung Wilhelm Math Erleichterungen. Bald wurden die Bewacher und deren Offiziere auf den Künstler aufmerksam und erteilten ihm Aufträge. Ein Offizier wollte eine Lenin-Büste. Ein anderer, weniger linientreuer, verlangte einen Puschkin-Kopf. Vielfältig waren die Aufträge, denen der Künstler nachzukommen hatte. Ein paar zusätzliche Scheiben Brot, ein paar Kartoffeln, einige Rüben, eine Handvoll Machorka waren der Lohn für diese Arbeiten.

Unter den damaligen Umständen stellte dieser „Naturallohn“ ein Vermögen dar. Es half dem Gefangenen selbst und einer Reihe seiner Kameraden zu überleben. Erst 1948 schlug für Wilhelm Math die Stunde der Freiheit.

Wieder in der Heimat, stürzte er sich mit Feuereifer auf die Arbeit. Holzplastiken von überzeugender Ausdruckskraft entstanden in seiner Werkstatt. Es waren keine seelenlosen Serien, nein, jedes Stück stellte ein Original dar, in das der Künstler sein ganzes Können hineingelegt hatte.

Der Heimatgeschichtsforschung und dem Museum war ein großer Teil seiner Freizeit gewidmet. Es war deshalb nahezu selbstverständlich, daß der Zurückgekehrte die Wiedereröffnung des während des Krieges zweckentfremdeten Museums betrieb und dabei die Hauptarbeit leistete.

Fleiß, Beharrlichkeit und Scharfsinn waren die Mittel, mit denen der Heimatforscher versuchte, Licht in das Dunkel der Vergangenheit zu bringen. Die alten Oberstdorfer Geschlechter, die früheren Grund- und Hausbesitzer, Begebenheiten, Festlichkeiten, alte Rechtsverhältnisse, schlichtweg alles, was mit der Vergangenheit Oberstdorfs zusammenhing, hat Wilhelm Math aufgezeichnet. Bis ins hohe Alter hat er unzählige Namen, Daten und Zusammenhänge in seinem außergewöhnlichen Gedächtnis bewahrt. Er ist leider nie mit seinem großen Wissen an die Öffentlichkeit getreten. Es war wohl seine Bescheidenheit, die ihn davon abhielt.

Der Markt Oberstdorf hat Wilhelm Math für seine großen Verdienste um die Heimat im Jahre 1971 mit der Verleihung der Bürgermedaille geehrt. In Kreisen des Museums und der heimatgeschichtlich Interessierten spricht man mit Hochachtung und Verehrung von Wilhelm Math.

Dem bescheidenen Menschen und großen Künstler nahm der Tod das Schnitzeisen aus der Hand. Nach erfülltem Leben starb er 86jährig am 9. September 1979.

In seiner selbstlosen Art kann er denen, die sein Erbe antraten, nur ein leuchtendes Vorbild sein.

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Brunnackerweg 5
87561 Oberstdorf
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Tel. +49 8322 6759

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Seit Februar 1982 werden die Hefte der Reihe "Unser Oberstdorf" zweimal im Jahr vom Verschönerungsverein Oberstdorf herausgegeben und brachten seit dem ersten Erscheinen einen wirklichen Schub für die Heimatforschung. Mehr

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