Sakristei von St. Loretto – Aquarell
Vor 25 Jahren starb der Oberstdorfer Malermeister Otto Sieber. Aus diesem Grunde wurden einige seiner unzähligen Bilder in der diesjährigen Ausstellung „Die Südliche“ im Kunsthaus Villa Jauss gezeigt. Er wurde als der „Historische Gast” zu den 33 Künstlern aus der Region des Landkreises Oberallgäu ausgewählt.
Anlässlich seines 70. Geburtstages war über ihn zu lesen: „Otto Sieber macht nicht viel Aufhebens von sich und seinem Talent. Er malt, weil es ihm Freude macht, weil es zu seinem Leben gehört. ... Der Zweite Weltkrieg verhinderte das akademische Studium. Das Talent zu malen aber ließ sich nicht bremsen. Schon als Schulbub war das Hantieren mit Bleistift und Zeichenblock seine liebste Beschäftigung. Auch neben seinem späteren Beruf als Malermeister drängte es ihn in jeder freien Minute zu malen. Intensive Versuche in den verschiedenen Techniken ließen Sieber über den Begriff des Hobbymalers hinauswachsen. Motive fand er in der Allgäuer Landschaft zur Genüge. Ob als Zeichnung, Aquarell oder Ölbild, fing er sie, eingebunden in die wechselnden Stimmungen des Wetters und der Jahreszeiten, mit Auge, Herz und Hand ein.
Inzwischen sind Alt-Oberstdorfer Straßen und Gassen originalgetreu gemalt und gezeichnet zu Dokumenten geworden.
Daneben lebendige Szenen rund um das Leben der Menschen und Tiere dieser Region. Unzählige Blumenmotive – mal in zarten, mal in kräftigen Farben – aber immer harmonisch. Und dann mit zunehmendem Alter Portraits, vorwiegend alter Oberstdorfer Originale, hagebuchen, verschmitzt, urig, in Ausdruck und Haltung jedes eine lebendige Aussage über die Person.
Otto Sieber braucht nicht bescheiden zu sagen: ‚Ich bin halt kein akademischer Maler‘. Er ist seinen Weg als Künstler gegangen und wird ihn weiter gehen, zur eigenen Freude, aber auch zur Freude der Betrachter seiner Bilder.“ (Lieselotte Jahn im Oberstdorf Magazin, Oktober 1989.)
Siebers Arbeiten sind bemerkenswerte Reflexionen über das Gesehene und Erlebte. Jede grafische Wiedergabe ist eine große Abstraktionsleistung – bei aller Wiedererkennbarkeit der Motive: Die verschiedenen Schraffuren sind in der Natur nicht vorhanden. Sie übersetzen die mit dem Auge aufgenommene farbige Wirklichkeit in schwarz-weiße Flächen und Linien, die oft auch die Materialität des Gegenüber wiedergeben. Schatten-, Wald-, Wiesen- und Schneeflächen müssen unterschieden werden. Das Hell und Dunkel der überlegt gesetzten Strichlagen modelliert die dreidimensionale Welt auf dem zweidimensionalen Zeichenpapier.
Die vielfältigen Mittel zur Erzeugung von Raumtiefe beherrscht Otto Sieber schon sehr frühzeitig.
Dabei verraten seine Bilder zwei unterschiedliche Charakterzüge.
In seinen Tuschezeichnungen: Genauigkeit, Klarheit und Präzision. Mit spitzer Feder werden, ohne Vorzeichnung, die wesentlichen Merkmale eines Motives herausgearbeitet. Da sitzt jeder Strich, die Konturlinien stimmen, werden jedoch nicht monoton durchgezogen, sondern oft locker gesetzt. Und mit feinen Schraffuren werden die Landschaften zu einem lebhaften Gesamtbild in Hell und Dunkel streng komponiert.
Im Aquarell und in den Ölbildern kommt ein anderer Charakterzug zum Tragen: die Zurückhaltung, das Nicht-Auftrumpfen-Wollen. Zwar geben die einzelnen kleinen Farbflächen präzise Licht- und Schattenflächen wieder, aber der Gesamtton der Bilder ist mild, fein aufeinander abgestimmt. In den Schneebildern werden scharfe Kanten abgeschliffen durch einen Pinselduktus, der fein abgestufte Farben nebeneinandersetzt ohne klare Umrisslinien. Durch das Beimischen von Weiß entsteht ein milchiger Gesamtton, der das feinsinnige Empfinden des Malers spüren lässt. Mit behutsamer Pinselführung nähert er sich durch viele Farbüberlagerungen und -nuancen den Allgäuer Menschen. Es werden ausdrucksstarke Falten herausgearbeitet, Gesichtszüge und Kleidungsdetails sorgfältig registriert.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Otto Sieber entnimmt dem ganz engen, heimischen Lebensbereich seine Motive. Man spürt die Vertrautheit und Liebe zu den Dingen des Alltags. Gegensätze, Kontraste werden abgemildert, genaue Beobachtung und viele Details sind ihm wichtig. Dies ist vor allem auch in den beliebten Blumenbildern seine Stärke. Dabei bringt der behutsame Farbauftrag immer wieder seine Sehnsucht nach Harmonie zum Ausdruck. Als Autodidakt ist er sich treu geblieben und verlor sich nicht in die Wirren der Nachkriegs-Moderne. Die hat sich allerdings auch mit ganz anderen Themen befasst und das weiterentwickelt, was durch das Dritte Reich unterbrochen wurde – die Konzentration auf Farbe, Linie und Fläche, unter Ausschaltung der gegenständlichen Motive (Stichwort: Abstraktion) – oder die Auslotung des Unterbewusstseins (Stichwort: Surreale Welten). Themen, die sich dem eher zurückhaltenden Otto Sieber nicht aufgedrängt hatten.
Er hat mit großem handwerklichem Können die Welt festgehalten, die man die „heile” nennt und nach der sich viele Menschen sehnen. Vor allem dann, wenn liebgewordenen Traditionen wegbrechen, wenn maschinelle Fertigung dominiert und Rationalität in alle Sparten einzieht. Da ziehen sich Menschen in ihre eigene – scheinbar – heimelige Welt zurück. Und diese bearbeitet Otto Sieber mit ganz persönlicher, emotionaler Hingabe – ohne kritische Untertöne – mit seiner behutsamen Herangehensweise – und bleibt damit ganz authentisch.
Auch im Außenbereich von Oberstdorf kann man auf dem Weg zu den Lorettokapellen der typisch weichen Malweise Siebers begegnen. Die in die Jahre gekommenen Kreuzwegbilder wurden von ihm restauriert und überarbeitet.