Die Pfarrkirche St. Peter und Paul in Petersthal um 1885. In diesem Gotteshaus wurde Johannes Baptist Schiebel 1871 getauft und dort las er auch 1895 seine erste hl. Messe.
Die heutige schnelllebige Zeit und die durch den Priestermangel bedingte Zusammenlegung von Pfarreien lassen immer mehr die einst enge Verbundenheit zwischen Pfarrer und Pfarrkindern schrumpfen. Früher war selbst in kleineren Landgemeinden oft neben dem Pfarrherrn noch ein Kaplan tätig, so dass es dem Hirten möglich war, sich auch um die Sorgen seiner Schäfchen zu kümmern. In vielen Gemeinden auf dem Lande war der „Hear”, wie der Pfarrer achtungsvoll genannt wurde, nicht nur Seelsorger, sondern auch Ratgeber in allen möglichen Lebenslagen. Allein schon die höhere Schulbildung befähigte den Geistlichen, auftretende Probleme zu durchdenken, daraus Schlüsse zu ziehen und Ratschläge weiterzugeben. Durch das hohe Ansehen des Pfarrers in der Bevölkerung hatte dieser Rat großen Wert und des Geistlichen Fürsprache ebnete auch viele Wege.
Da waren bei uns im oberen Allgäu einige Pfarrer, die sich in herausragender Weise als Wohltäter hervorgetan haben und besonders segensreich wirkten. Eine solche Persönlichkeit war auch der „Schöllingar Pfaarar”, Pfarrer Johannes Schiebel. Von ihm wird heute noch in Dankbarkeit und Verehrung gesprochen. Vor gerade 50 Jahren ging dieser „Arbeiter im Weinberg des Herrn” zurück zu seinem Schöpfer. Seine Arbeit und sein weit vorausplanendes Wirken sind unvergessen. Sie allein sind es schon wert, einmal dieses Guttäters zu gedenken.
Herkunft
Johannes Baptist Schiebel wurde am 29. April 1871 in Memersch, Gemeinde Petersthal, Bezirksamt Kempten, geboren. Seine Eltern waren die Landwirtseheleute Josef und Rosa Schiebel. Sicher war es ein Zufall, dass der Petersthaler Pfarrer Hipp, der die Taufe des Knaben vollzog, auch mit Vornamen Johann Baptist hieß.
Schule und Studium
Johannes besuchte die Volkschule in Petersthal und scheint ein guter Schüler gewesen zu sein, denn sonst hätte Pfarrer Simpert Albrecht bestimmt nicht den Schritt des Knaben zum Gymnasium in Dillingen gefördert. Nach dem Abschluss studierte der junge Mann am dortigen Seminar schließlich Theologie. Die Priesterweihe empfing Johannes Schiebel am 25. Juli 1895 und feierte in seiner Heimatgemeinde in der Pfarrkirche St. Peter und Paul das erste Messopfer. Als ich 1945/46 in Petersthal / Schwanden arbeitete, erzählte mir der Bauer Josef Schaber (Jahrgang 1885), dass er als Schulbub fest mitgesungen habe, als die Schulkinder bei der Primiz dem jungen Priester ein Lied darbrachten.
Kaplanstellen
Gleich nach der Priesterweihe bot sich in der Pfarrei St. Magnus in Buchenberg bei Kempten kurzzeitig die erste Kaplanstelle für den Neupriester. Aber schon am 1. August 1896 begann seine Tätigkeit als Kaplan in der Pfarrei St. Michael in Schöllang, Bezirksamt Sonthofen. Dies entsprach zwar ganz den Neigungen des Natur- und Bergfreundes, doch sollte er sehr bald noch weiter in die Berge kommen.
Benefiziat in St. Loretto
Am 18. Januar 1898 zog Johannes Schiebel ein in die ehemalige Pilgerherberge, das nunmehrige Benefiziatenhaus von St. Loretto, im Süden von Oberstdorf. Der junge Mann, der selbst die Berge so liebte, war nun als Benefiziat der drei Wallfahrtskapellen von Maria Loretto Seelsorger für die Bewohner der Oberstdorfer Hochtäler geworden. Durch seine bäuerliche Herkunft kannte er die Sorgen und Nöte dieser Menschen aus eigenem Erleben und wusste auch, wie er mit diesen reden konnte, und – sie verstanden seine Sprache. Der Seelsorger hatte einen herzlichen Kontakt zu den Talbewohnern, die durch die raue Natur ein besonders hartes Leben hatten.
Benefiziat Schiebel sorgte sich aber nicht nur um seine „Tälerer”, sondern die arbeitende Jugend lag ihm besonders am Herzen. Er war begeistert von der Idee Adolf Kolpings, den wandernden Gesellen in der Fremde eine Heimat zu bieten und ihnen dadurch zu helfen, auf dem rechten Weg zu bleiben. Treu dem Spruch Kolpings: „Schön reden tut’s nicht, die Tat ziert den Mann”, schritt Johannes Schiebel zum Werk. Zusammen mit Pfarrer Alois Heinle, der auch dem kolpingschen Gedanken anhing, traf sich der Benefiziat am 7. April 1900 mit 28 Meistern und Gesellen im Gasthof Hirsch zu einer Vorbesprechung. Gerade mal neun Tage später, am 16. April, hoben 60 Personen, darunter 35 Handwerksgesellen, den „Katholischer Gesellenverein Oberstdorf” aus der Taufe. Johannes Schiebel wurde dessen Gründungspräses.
Wie es sich für einen Verein gehörte, wurde eine Fahne angeschafft, die das Dillinger Taubstummeninstitut herstellte. Sicherlich hatte der ehemalige Dillinger Student dahin Verbindungen. Am Pfingstmontag, dem 27. Mai 1901, vollzog Königlich Geistlicher Rat Alois Heinle nach dem Festgottesdienst die Weihe der Fahne. Für Benefiziat Schiebel, der, festlich mit Zylinder „behütet”, der Weihe beiwohnte, war dies der Schwanengesang in Oberstdorf. Denn es wartete eine größere Aufgabe auf ihn.
Pfarrer in Tiefenbach
Am 16. Juni 1901 wurde der bisherige Benefiziat von St. Loretto neuer Pfarrer von St. Barbara in der Nachbargemeinde Tiefenbach. Voller Tatendrang ging der nun Dreißgjährige ans Werk. Er sorgte sich nicht nur um das Seelenheil seiner Pfarrkinder, nein, er suchte auch nach Wegen, um das harte Los und die Not dieser Menschen zu lindern. Während seiner Zeit in Oberstdorf hatte er dort gesehen, dass der Tourismus Arbeitsplätze und einen gewissen Wohlstand bringen konnte. Insbesondere die Arbeit des Oberstdorfer Verschönerungsvereins, mit der Anlegung von schattigen Wanderwegen, Aufstellung von Ruhebänken, Wegweisungen usw., imponierte dem jungen Geistlichen. Der Oberstdorfer Verein hatte auch schon Wege durch den Faltenbachtobel zur Seealpe und durch den Hölltobel nach Gerstruben angelegt. So ein Angebot für Sommerfrischler auch in Tiefenbach zu schaffen, war nun das Ziel des jungen Geistlichen. Pfarrer Schiebel wusste auch um die Erkundungen über die eventuelle Begehbarmachung der Breitachklamm durch den Oberstdorfer Verschönerungsverein.
In dessen Auftrag waren schon der Förster Wolfgang Hohenadl und der Brauereibesitzer Karl Richter in einen Teil der Klamm hinabgestiegen. Diese Pioniere sahen wohl die Schönheit des „Zwing”, aber die zu erwartenden bautechnischen Schwierigkeiten und insbesondere der hohe finanzielle Aufwand ließen den Verschönerungsverein von der Weiterverfolgung des Planes Abstand nehmen.
Gerade das zu tun, wovor andere zurückschreckten, das reizte den neuen Pfarrherrn. Er, der Naturfreund, der schon in die Schneckenlochhöhle am Westabhang des Ifenstockes und in die Sturmannshöhle eingestiegen war, ging nun daran Mittel und Wege zu finden, um das Naturwunder „Zwing”, wie die Klamm im Volksmund hieß, den Menschen zugänglich zu machen. Es sollte, neben der Erschließung des Naturwunders, ein touristischer Anziehungspunkt geschaffen werden und damit Arbeitsplätze bieten. An zusammengeknüpften Seilen ließ sich Pfarrer Schiebel in den „schaurigen Schlund” hinunterseilen und entdeckte da eine von den Naturgewalten geschaffene Szenerie von grandioser Schönheit.
Der Plan, die Klamm zu erschließen, fand nicht nur Freunde, aber der Pfarrer hatte gewichtige Mitstreiter an seiner Seite, u. a. den Bürgermeister Bruno Schratt und den Beigeordneten (Bürgermeisterstellvertreter) Josef Vogler. Gerade acht Monate war der junge Pfarrer in Tiefenbach, als er mit seinen Getreuen am 9. März 1902 in der »Alpenrose« seinen Plan der Öffentlichkeit vorstellte. Gleichzeitig wurde der „Verschönerungsverein Obertiefenbach”, der die Planung vorantreiben sollte, gegründet.
Es folgten eine Menge von Gesprächen und Verhandlungen über die Wegführung und die Finanzierung. Ein alten Spruch lautet: „Drei Bauern unter einen Hut bringen ist fast nicht möglich”, und hier mussten 22 Grundanlieger ihre Zustimmung geben. Pfarrer und Bürgermeister redeten mit Engelszungen. Bereits am 6. April 1902 wurde ein „Protokoll über die Rechtsabtretung zum Zwecke eines Wegebaues in die Breitachklamm” unterzeichnet. Den Verfechtern der Klamm-Idee blies der Wind ganz schön ins Gesicht. Gerüchte wurden gestreut und es hieß: „Die Klammrar bringet de Grind schu no ning in des Loh, aber numma rüs!”
Um den ersten Ansturm der Widersacher ins Leere laufen zu lassen, ließ der kluge Taktiker Schiebel den „Klammweg” über eine Zeit ruhen. In sein Tagebuch schrieb er: „Auch solche Gemütskrankheiten brauchen Zeit der Heilung.” Im Stillen plante der Pfarrherr weiter. Und schon zum Jahresbeginn 1904 fasste der Pfarrer das „heiße Eisen” Klamm öffentlich wieder an. Es wurden verschiedene Bauherrnmodelle angedacht. Dem Wegebau durch die Gemeinde Tiefenbach versagte die Kuratellbehörde (das Bezirksamt Sonthofen) wegen des zu hohen Risikos die Genehmigung. Bei der Alpenvereinssektion Immenstadt ging es auch nicht besser, der Zentralausschuss des Deutsch-Österreichischen Alpenvereins bewilligte keinen Zuschuss. Pfarrer Schiebel versuchte es auch noch beim kgl. bayer. Militär mit dem Ersuchen, dass die notwendigen Sprengungen „als kriegsmäßige Übungen für Pioniere” durchgeführt würden. Auch hier erhielt der Verein eine Absage.
All die Rückschläge konnten die Planer nicht entmutigen. Pfarrer Schiebel suchte nun den Schulterschluss mit dem Oberstdorfer Verschönerungsverein und fand in dessen Vorstand Hofrat Dr. Ulrich Reh und einer Reihe von Mitgliedern Verbündete. Ein Treffen im Gasthof Hirsch in Oberstdorf, am 20. März 1904, diente der Vorbereitung einer Vereinsgründung. Unter dem Vorsitz von Pfarrer Schiebel erarbeitete ein Ausschuss in wenigen Tagen die Statuten des zu gründenden „Breitachklammverein”, der bereits am 5. April 1904 von 44 Mitgliedern aus der Taufe gehoben wurde. Aus Oberstdorf kamen 25 und aus Tiefenbach 15 Mitglieder sowie vier aus anderen Gemeinden des Bezirksamtes. Und trotz der hohen Einlage von 500 Goldmark und Haftung für 600 Mark pro Mitglied erhielt der Verein noch laufend Zuwachs neuer Mitglieder.
Es würde zu weit führen, all die Aufgaben, die der Vereinsvorstand Pfarrer Schiebel bewältigte, hier zu nennen. Aber eine neue Schwierigkeit tat sich auf. Einheimische Firmen waren nicht bereit bzw. nicht in der Lage, einen genauen Kostenvoranschlag zu erstellen. Für sie war das alles Neuland und sie scheuten das Risiko. Pfarrer Schiebel fand auch hier den Ausweg. Er verhandelte frühzeitig mit ausländischen Firmen und schließlich übernahm der Südtiroler Johann Lucian aus Primiero den Auftrag.
Der Vertrag mit dem Unternehmer wurde am 25. Juli 1904 abgeschlossen und sofort begannen die Arbeiten. Bis zu 20 Mann waren während des ganzen Herbstes und den Winter über in der Klamm beschäftigt. Mit 7.000 Sprengschüssen haben die Mineure den Weg in den Fels getrieben. Ein großes Fest war die feierliche Eröffnung der Klamm am 5. Juni 1905. Der Unternehmer hat nicht nur den Fertigstellungstermin auf den Tag erfüllt, sondern auch seinen Kostenvoranschlag (etwa eine halbe DIN A4-Seite groß) bei der Endabrechung auf Heller und Pfennig eingehalten.
Der Eingang zur Klamm führt durch einen kurzen Tunnel, über dessen Pforte eine Bronzetafel (siehe Titelbild) mit der Relief-Büste des Erschließers in den Fels eingelassen ist, mit der Inschrift:
Johann Schiebel
DEM ERSCHLIESSER DER KLAMM
GEW. VOM BREITACHKLAMM-VEREIN
Pfarrer Schiebel hat aber trotz dieses Berges an Arbeit seine priesterlichen Aufgaben keineswegs vernachlässigt, nein, er war als Seelsorger immer für seine Pfarrkinder da und in der Bevölkerung höchst beliebt.
Aber wir sind mit der Fertigstellung der Klamm der Zeit etwas vorausgeeilt. Trotz dieser Doppelbelastung fand der Pfarrer auch zu anderem noch Zeit. Am 17. April 1904 gründete er, zusammen mit Oberstdorfer und Tiefenbacher Bürgern, den „Obstbau- und Bienenzuchtverein Oberstdorf und Umgebung”. Er brachte als zweiter Vorsitzender des Vereins den Menschen den Genossenschaftsgedanken näher und leistete damit Hilfe zur Selbsthilfe. Man könnte hier fragen: Wann hat der Mann eigentlich geschlafen? Er war seinen Pfarrkindern ein Freund und echter Entwicklungshelfer.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Pfarrer Schiebel den Wunsch hatte, die Gemeinde Tiefenbach, für die er so unendlich viel getan hatte und wo er so geachtet und geehrt wurde, zu verlassen. Wann und wieso ein solch rühriger und beliebter Hirte versetzt wird, das wissen sicher nur Gott und der Bischof allein.
Pfarrer in Vorderburg
Am 5. November 1908 wurde Johannes Schiebel als Seelsorger von St. Blasius in Vorderburg, Bezirksamt Sonthofen, instituiert. Er war der Nachfolger von Pfarrer Ludwig Wiest, der zuvor auch Pfarrer von Tiefenbach gewesen war. Wie Pfarrer Schiebel diese Versetzung aufgenommen hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Er war eben nun Seelsorger der Nachbargemeinde seines Geburtsortes, der Pfarrei Petersthal.
„Nur” Geistlicher sein und „nur” seine Pfarrei zu verwalten, das war nicht im Geiste von Johannes Schiebel. Er setzte sich wohl für das Seelenheil seiner Schäfchen ein und verschaffte seiner Pfarrei 1910 eine Volksmission; aber nicht nur das. Der Geistliche sah in der Abgeschiedenheit seiner Pfarrei und der Nachbargemeinden einen Grund für eine gewisse Armut. Er versuchte deshalb schon im Jahre 1910 in vielen Volksversammlungen und Ausschusssitzungen mehrere Mitstreiter zu finden, die gleich ihm versuchen, eine Umverlegung der Eisenbahnlinie Kempten – Pfronten zu erwirken. Damit sollte der Schienenstrang näher an die Gemeinden Ottacker, Sulzberg, Moosbach, Vorderburg und Petersthal herangebracht werden. Trotz Vorstößen bis zum Verkehrsministerium blieb dem Streiter für seine Heimat der Erfolg in dieser Sache versagt.
Aber auch auf anderem Gebiet war Pfarrer Schiebel tätig. In den Jahren 1912/13 wurde das Vorderburger Gotteshaus restauriert. All die Vorarbeiten und die Last der Finanzierung lagen auf seinen Schultern. Seine Beliebtheit bei den Pfarrkindern war ein wichtiger Aspekt für deren Spendenfreudigkeit.
Der Erste Weltkrieg unterbrach den Tatendrang des Pfarrers. Er kümmerte sich viel um die Familien der Soldaten. Nach dem Kriege galt seine Sorge den Heimgekehrten und auch der männlichen Jugend. Am 18. Mai 1919 gründete er den „Katholischen Burschenverein”, dem er als Präses vorstand. Seine weiten Reisen haben mitgewirkt, ihm ein offenes Weltbild zu verschaffen. Seine Vorträge und Gespräche waren deshalb, in einer Zeit ohne Radio und Fernsehen, begehrt und viel besucht. Dass der Pfarrherr mit dem Burschenverein auch noch das Theaterspiel betrieb, steigerte seine Beliebtheit noch weiter.
Johannes Schiebel war ein fortschrittlich denkender Mensch und das hatte er schon oft bewiesen. So drängte er auch auf die Elektrifizierung seiner Gemeinde. Sein Nachfolger, Pfarrer Josef Stadelmann, ist in seinem Buch „Vorderburg und die Herrschaft Rettenberg” voll des Lobes über seinen Vorgänger Johannes Schiebel. Ihm stehe das Hauptverdienst zu bei der Einführung der Elektrizität in den Gemeinden Rettenberg, Untermaiselstein und Vorderburg. Welch ein Segen und welche Erleichterung dies im Alltag war, brachte dem Pfarrer immer wieder neue Freunde. Neben all diesen Aufgaben war der Seelsorger auch noch bemüht, den Menschen behilflich zu sein, wenn es sich um finanzielle Probleme handelte.
So war er mit der Gründung einer örtlichen Raiffeisenkasse auch denen Helfer, die für eine Anschaffung oder Investition für einen bestimmten Zeitraum Kapital benötigten. Vor allem waren da die Kreditnehmer sicher, nicht einem betrügerischen Verleiher ins Netz gegangen zu sein.
Pfarrer Stadelmann führt über seinen Vorgänger weiter aus: „... und hat er sich auf geistlichem und weltlichem Gebiete den unauslöschlichen Dank seiner Pfarrgemeinde verdient. Nur sein Wunsch, seinen Bergen näherzukommen, konnte ihn zu dem Entschluss bewegen, sich um die Pfarrei Schöllang im Oberillertal zu bewerben.” Der Ausdruck der Dankbarkeit gegenüber dem scheidenden Pfarrherrn gipfelte darin, dass ihm die Gemeinde Vorderburg das Ehrenbürgerrecht verlieh.
Pfarrer von Schöllang
Am 22. März 1922 zog Johannes Schiebel als Pfarrer in die Pfarrkirche St. Michael in Schöllang ein, wo er 26 Jahre zuvor schon als Kaplan gewirkt hatte. Für die Bevölkerung war er kein Fremder, er sprach ihre Sprache und war einer der ihren.
Pfarrer Schiebel wäre nicht er selbst gewesen, hätte er an seinem alten und neuen Wirkungsort die Hände in den Schoß gelegt. Schon 1923 war er Aufsichtratsvorsitzender des Raiffeisenvereins. Er gründete in Schöllang einen Verkehrsverein und übernahm auch den Vorsitz.
Wie schon in der Pfarrei Vorderburg, so sah Johannes Schiebel auch in Schöllang das Fehlen öffentlicher Verkehrsmittel als großen Nachteil für die Entwicklung der Gemeinde. Als Vorsitzender des Verkehrsvereins bemühte er sich um eine Omnibuslinie der Kraftpost von Oberstdorf nach Schöllang, mit Fortführung bis Sonthofen. Hindernisse stellten die unausgebaute schmale Straße und in deren Verlauf die schwachen Brücken dar. Die finanzielle Ausstattung der betroffenen Gemeinden Schöllang und Altstädten ließen auch keine großen Investitionen zu. Aber der Verkehrsverein drängte auf eine Entscheidung.
Am 2. November 1928 schreibt das Bezirksamt Sonthofen an den Gemeinderat von Schöllang:
„Betreff Kraftpostlinie Oberstdorf – Schöllang
Zur Beurteilung der Strassenverhältnisse auf der Strecke Oberstdorf – Schöllang findet am Mittwoch, den 7. November 1928, eine Probefahrt mit Kraftpostwagen statt. Die Abfahrt erfolgt in Oberstdorf beim Postamt nach Ankunft des Zuges Vormittag 8 Uhr 55. Ein längerer Aufenthalt in Schöllang ist nicht beabsichtigt.
Zur Teilnahme an dieser Fahrt wird der Herr 1. Bürgermeister und ein weiterer Vertreter des Gemeinderates Schöllang sowie der Herr Vorstand des dortigen Verkehrsvereins eingeladen, um Gelegenheit zu geben, etwaige Wünsche wegen des Fahrplanes, von Haltestellen usw. vorzubringen. ...
In der Begutachtung dieser Pobefahrt werden den Gemeinden am 10. November 1928 die Voraussetzungen für einen Linienverkehr mit kleineren Postomnibussen mitgeteilt. Wichtigste Auflage ist, dass alle 200 bis 300 Meter eine Ausweichstelle angelegt wird, weil die nur 2,5 bis 4 Meter breite Straße ohne diese Verbesserung einen Kraftbusverkehr nicht aufnehmen kann. Weiters sind die Brücken zu verstärken. Der Wille war bei den Gemeinden wohl da, aber die Mittel fehlten. So ruhte die Einrichtung der Linie wieder.
Wer nicht ruhte war Pfarrer Schiebel. Mit einem sechs Seiten langen, handgeschriebenen Brief vom 21. September 1930 bekniete der Pfarrer den Gemeinderat Schöllang regelrecht, sich für die Omnibuslinie einzusetzten. Auf seinen Reisen hat er immer geschaut, was andere Gemeinden haben und was man davon in der Heimat brauchen könnte. In der Einleitung seines Schreibens heißt es: „Am neuen Stationsgebäude von Litzirüti bei Davos im Kanton Graubünden stehen die Worte »Für Fortschritt und Verkehr, dem Bündnerland zur Ehr«. Was dort für fortschrittlich und ehrenvoll gilt, dürfte auch hier gelten. ...” Der Pfarrer ging so weit, dass er seinem Brief an den Gemeinderat einen druckreifen Beschlussvorschlag beilegte. Aber es war noch ein harter Kampf, bis am 1. Juli 1931 die Oberstdorf – Schöllang – Sonthofen den Betrieb aufnahm. Damit hatten die Bemühungen des Pfarrherrn Erfolg und die Orte Rubi, Reichenbach, Schöllang, Hinang, Altstädten auf der Straße Anschluss an die Bahnstationen Sonthofen und Oberstdorf gefunden.
Als der Breitachklammverein 1931 die dann dem hl. Christophorus geweihte Kapelle, die „Klammkapelle”, erbauen ließ, war es eine Selbstverständlichkeit, dass die Weihe durch den Erschließer der Klamm, den nunmehrigen Schöllanger Pfarrer Johannes Schiebel erfolgte.
Es war dem Seelsorger noch ein besonderes Anliegen, seinem Nachfolger auf der Pfarrei St. Michael „einen bestellten Acker” zu übergeben. So war 1936 die Renovierung der Pfarrkirche durch die Gebrüder Haugg aus Ottobeuren abgeschlossen, als Johannes Schiebel in den wohlverdienten Ruhestand ging. Für die großen Verdienste, die sich der Pfarrherr um die Gemeinde Schöllang erworben hatte, ehrte ihn diese mit der Verleihung der Ehrenbürgerwürde.
Pfarrer Schiebel wählte Reichenbach als seinen Alterssitz, wo er täglich in der Kapelle St. Jakobus die hl. Messe las und auch dort 1945 sein goldenes Priesterjubiläum feierte, während das 60-jährige Jubiläum 1955 festlich in der Schöllanger Pfarrkirche begangen wurde.
Aber auch der fast 80-Jährige ruhte nicht. Während des Krieges war auf Grund fehlender Fahrer und Fahrzeuge sowie aus Treibstoffmangel die Kraftpostlinie Oberstdorf – Schöllang – Sonthofen eingestellt worden. In der Nachkriegszeit setzte wiederum Pfarrer Schiebel, immer noch als Verkehrsvereinsvorsitzender, alle Hebel in Bewegung, dass die Busverbindung wieder aufgenommen wird, was durch weiterhin fehlende Fahrzeuge und durch Treibstoffmangel kein leichtes Unterfangen war.
Als im Jahre 1951 die Pfarrkirche Petersthal ein neues Geläute bekam, überließ Pfarrer Huber, der sich um die Beschaffung der Glocken sehr verdient gemacht hatte, die Ehre der Weihe dem 80-jährigen Pfarrer Schiebel. Er verehrte diesen verdienstvollen Priester und Sohn der Gemeinde Petersthal so, dass er ihm auch die Ehre der Festpredigt überließ.
1954 konnte der Breitachklammverein sein 50. Gründungsjubiläum feiern. Vor der Klammkapelle hielt Pfarrer Schiebel den Dank- und Gedächtnisgottesdienst. Höhepunkt des Festes war die Verleihung der Ehrenbürgerwürde der Gemeinde Tiefenbach an den Erschließer der Breitachklamm, Pfarrer Johannes Schiebel.
Pfarrer Johannes Schiebel war eine hochgeachtete Persönlichkeit. Die hagere Gestalt im schwarzen Mantel mit schwarzem Hut, auf dem das goldene Abzeichen des Alpenvereins prangte, war respekteinflößend und im ganzen Oberallgäu bekannt. Alle drei Gemeinden, Vorderburg, Schöllang und Tiefenbach, wo er als Pfarrer gewirkt hatte, haben ihn zum Ehrenbürger erhoben. Sein freundliches und geselliges Wesen brachte ihm neben der Würde auch Zuneigung ein. Er frönte als Privatier einer Leidenschaft, dem Schafkopfspiel, wo er über Jahre hinweg in einer Runde mit älterer Herren wöchentlich einige frohe Stunden verbrachte.
Am 18. Februar 1963 ist Pfarrer Schiebel in eine andere Welt hinüber gegangen. Es zeigte sich nochmals die raue Natur, in der er ein Menschenleben lang den Bewohnern Helfer und Freund war. An einem eisigen Wintertag, dem 21. Februar 1963, wurde Pfarrer Johannes Schiebel auf dem Schöllanger Burgfriedhof zu Grabe getragen. Eine schier unübersehbare Trauergemeinde aus wohl allen Gemeinden des Oberallgäus nahm Abschied von einer großen Persönlichkeit.