Jeder Oberstdorfer weiß, was ein We-r-ftag ist. Man braucht es ihm nicht zu erklären; denn ein Arbeitstag, hochdeutsch ein Werktag, ist schließlich das Alltägliche des menschlichen Lebens. Das Gegenstück: der Sunntag oder Firtag ist trotz verlängerten Wochenendes und des fast allgemein gewordenen Urlaubs immer noch das Besondere. Und wenn auch bei manchem kein Unterschied mehr zwischen We-r-ftaghäs und Sunntaghäs festzustellen ist, kennen wird er ihn bestimmt noch.
Doch, woher rührt die sonderbare Wortform, woher kommt das -f im Auslaut des Bestimmungswortes?
Da ist zunächst einmal festzustellen, daß dieses -f nicht nur in Oberstdorf heimisch ist, sondern verstreut in größeren Gebieten des östlichen Schwabens. Doch das große, siebenbändige Schwäbische Wörterbuch weiß da auch keine klare Auskunft zu geben, sondern rätselt herum, daß diese Form vielleicht mit, werben’ Zusammenhängen könnte, was früher, tätig sein, streben, handeln’ u. ä. bedeutete. Im Finanzfachwort „Werbungskosten” ist diese Bedeutung ja bis heute erhalten; mit Werbung im Sinne von Reklame haben diese Kosten bekanntlich nichts zu tun. Allein, wie soll das mit unserem -f Zusammenhängen? Lautlich passen würde zwar das Zeitwort werfen, doch wie sollte das bedeutungsmäßig mit dem We-r-ftag zusammenstimmen? Da läßt sich keine Brücke schlagen!
Nun gibt es allerdings drei Oberallgäuer Flurnamen, an denen sich ein zunächst auch nicht erklärliches -f findet, das aber früher laut urkundlicher Zeugnisse dort gar nicht gestanden hat.
Da ist zum ersten der Name des Traufbergs (Trüfbearg) für das heute einsam gewordene Hochtal, das jahrhundertelang eine Dauersiedlung beherbergt hat, der drei Oberstdorfer in ihrem Buch „Gerstruben und das benachbarte Traufberger und Spielmannsauer Tal” näher nachgegangen sind.
Der Name Traufberg ist nun erstmals 1333 als „Drühberch” belegt (1361 dann „Druchberg”), und die Formen mit -ch gehen in amtlichen Schriftstücken bis zum Jahre 1795 durch. Dabei ist seit Beginn des 15. Jahrhunderts Verhärtung des Anlautes die Regel (erstmals faßbar 1415: „Truchberg”). Die mundartliche Aussprache mit -f findet 1711 in der Form Traufberg des Taufbuches der Pfarrei Oberstdorf erstmals einen Niederschlag. Früher greifbar wird sie in der Zusammensetzung Traufbachsoy = Tripparsoy, die 1637 neben herrschendem Drauchbasoy auch als Trauffmannsoy erscheint. Diese Namenform hat zwar, durch den Schwund des anlautenden -ch in Bach begünstigt, bereits eine Umdeutung erfahren, darf aber doch als sicheres Zeichen für die -f Aussprache des geschriebenen -ch gelten.
Das zweite Beispiel für den Übergang von auslautendem ch > f findet sich ebenfalls in der Gemeinde Oberstdorf: Das Hochtal Laufbach, mda. im löüfba, ist 1436 erstmals urkundlich erwähnt als alb Lochbach. Es folgt dann eine lange Lücke in der schriftlichen Überlieferung und als der Name 1688 als „zue Lauffbach” wieder auftaucht, ist keinerlei Spur vom einstigen Lochbach mehr zu finden. Da sich für die Form Laufbach (trotz erheblicher Schwierigkeiten bei der Erklärung der Wortbildung) eine mögliche Deutung als „Bach mit Wasserfällen (Stromschnellen)” geben ließe, könnte man die Urkundenform von 1436 auch für eine Verschreibung halten.
Glücklicherweise gibt es nun in der Nachbargemeinde Hindelang einen weiteren Namen mit gleichem Bestimmunswort, bei dem eine Deutung mit ahd. louffo, mhd. loule „Stromschnelle, Wasserfall nicht möglich ist. Die Alpe Laufbichel erscheint 1424 als „Lohbühel”, 1533 als „Laufbüchel” und zwischendrin 1612 wieder einmal als „Lauchbühel”. Daß beiden Namen mhd. louch = Bärenlauch (Allium victorialis) zugrunde liegt, ist sprachlich wohl unabweisbar und wird zudem durch den Lokalbefund bekräftigt.
Aus allen drei Fällen ist ganz klar zu ersehen, daß das -f im Wortauslaut aus ursprünglichem -ch hervorgegangen ist. Die gleiche Erscheinung zeigt sich übrigens im Burgennamen Traufburg bei Wengen im Altlandkreis Kempten, der 1150 erstmals als „Druchpurc” beurkundet ist, aber schon 1279 erstmals als „Drufpurch” niedergeschrieben wurde.
Die Vorform unseres Mundartwortes We-r-ftag wird also Werchtag gewesen sein. In der Tat ist die Form Werchtag (und noch mehr mit Auslautschwund: We-r-tag) im Schwäbischen weitverbreitet. Und wenn man das mittelhochdeutsche Wörterbuch zur Hand nimmt, zeigt sich, daß schon vor sechs- bis achthundert Jahren zwei Formen nebeneinander existiert haben: Werctac, die Vorform des hochdeutschen Werktages und werchtac, die Ursprungsform unseres Mundartwortes We-r-ftag. Wir erkennen also, daß da gar kein mundartliches Sonderwort zugrundeliegt, sondern nur eine Allgäuer Sonderform, entwickelt nach Sprachregeln, die in ihrem sehr begrenzten Geltungsbereich von Teilen des Allgäus durchaus konsequente Geltung hatten.