Eine historische Erzählung aus dem Oberallgäu
Hanns Speiser, der Alt, der Dorfhauptmann zu Oberstdorf, schritt vom Waaghäuslein hinauf zu seines Tochtermanns Haus. Er war der Menschen und der Dinge müde. Was ihn sonst bitter schmerzte, daß das Dorf wie ausgestorben lag, das war ihm fast eine Wohltat heut. Es sollte ihn nur keiner anrufen, es sollte keiner etwas von ihm wollen, es war ja doch alles umsonst. Er hatte zeitlebens gern für seine Dorfgemeinschaft gearbeitet, hatte sich für alle eingesetzt mit Liebe und Freud und Treue bis in diese schwere Prüfungszeit des großen Sterb hinein. Aber, wie sooft, so wollten die meisten ihn auch hier nicht verstehen. Sie wollten nicht mitarbeiten am Kampf gegen das Unglück. Viel lieber hätten sie sich ihm nun als einem Hexenmeister anvertraut, der das Unheil mit Zaubermitteln bannt.
Da war nun heute der Bebinger bei ihm im Waaghäuslein gewesen. Die Bebingerin war eine Schwester des Michael Unger, seines Tochtermannes, und somit dem Dorfhauptmann verschwägert. Und das Weib lag darnieder mit verschwollenem Gesicht und hitzigem Fieber. Der Bluthusten hatte eingesetzt und es bestand kein Zweifel mehr über die Art der Krankheit. Hanns Speiser hatte Ratschläge erteilt, wie der Kranken Linderung, wie den übrigen Hausinsassen Schutz vor Ansteckung werden könne. Aber der Bebinger hatte geschrien, er wolle sein Weib gesund haben und er pfeife auf alle Waschereien.
Als ihn der Speiser zur Ruhe wies, als er ihm erklärte, er müsse mithelfen, damit eine Gesundung vor sich gehen könne und letzten Endes sei diese ein Gnadengeschenk Gottes, da hatte der überreizte Mann gegen Gott und die Welt angebrüllt wie ein Tier: Der Dorfhauptmann wolle der Bebingerin nur nicht helfen und er sei ein ruchloser Zauberer, den man ausmerzen müsse, wie die Pest selber, die er über das Dorf gebracht habe.
Unter der Tür des Pfarrhauses stand Herr Johannes und wartete. Und er winkte dem Alten mit der Hand. Das war auch so einer, der den Kampf immer wieder vergeblich aufgenommen. Hanns Speiser stapfte hinüber durch den tiefen Schnee. Vor der Tür des Pfarrhofes war ein kleines Stück Weg gebahnt. „Wieviel Türen im Markt werden diesen Winter überhaupt nimmer freigeschaufelt!” dachte der Dorfhauptmann wehmütig. Als hätte er seine Gedanken erraten, antwortete Herr Johannes: „Wir dürfen nicht ganz einschneien und einfrieren.”
„Dreißig Kranke liegen heut im Dorf’, sagte er dann, als sie beide in die Stube getreten waren. „Aber es will keiner ankämpfen gegen das Unglück, wollen alle versinken”, brach es aus dem Alten hervor, „heischen Wunder und warten drauf, mag aber niemand die Natur zur Besserung leiten.”
„Ihr und ich, wir sind unser zwei, die nicht so denken wie die andern”, ermunterte der Pfarrer, „wir dürfen den Kampf nit aufgeben und müssen den Mut nit sinken lassen.”
„All alte Feindschaft blüht auf im Dorf’, sprach der Speiser weiter. „Habt Ihr gesehn, wie gestern im Frühamt die Munzin ihr beiden Kinder aus der Bank riß, weil sie neben die Schärtlin zu knien kamen?” „Sie hat laut geschrien: Hockt euch nit gleich zur Pestilenz!” nickte der Pfarrer wehmütig. „Aber der Munzin Kinder liegen heut darnieder und die Schärtlin sind gesund. Und nun reden sie, die Schärtlinin sei aus dem Stöcklingeschlecht, das doch schon vor eim halben Jahrhundert Mensch und Vieh hab behext.” Einen Augenblick schwieg der Dorfhauptmann, dann fügte er ruhig hinzu: „Der Bebinger hat mich heut ein böswilligen Hexenmeister geheißen. ” Da flog ein Stein in die Stube, knapp an des Dorfhauptmanns weißem Haupte vorbei. Und eine Weiberstimme schrie in grausenhafter Uebersteigerung: „Die Kinder sind tot!” Der Dorfhauptmann öffnete das Fenster. Da lief die Munzin mit lautem Geheul davon. Herr Johannes Frey war blaß bis in die Lippen. „Ich will ihnen die Oelung spenden”, flüsterte er heiser und erhob sich. „Ihr werdet Euch die Pestilenz holen”, erwiderte der Speiser drauf. „Ich muß meine Pflicht tun.”
Da war dem Hanns Speiser der Weg klar: „Ich werd morgen in der Früh den Platz um die Linde ausschaufeln lassen. Und ich werd die Glocke anschlagen lassen wie zum Eheschaftsgericht. Wir wollen die Männer zusammenrufen unter freiem Himmel. Und wir wollen gemeinsam ankämpfen gegen den schwarzen Tod. Er muß zur Weihnacht aus dem Dorf sein.”
Am Sankt Barbaratag 1629 liefen die vier Eidgenossen wie sonst vor dem Frühjahrs- und Herbstgerichtstag eifrig durch die ihnen anvertrauten Dorfviertel. Und sie pochten an die Fensterläden und taten ihren sonderbaren Spruch. Kein Mann im Dorfe konnte sich erinnern, am Vorabend von Sankt Klausen jemals zur Linde entboten worden zu sein. „Kommet alle um Christi willen, damit ihr nit selber schuldig sein möget am großen Sterb. Und wo kein Mann im Hause ist, da soll ein Weib kommen.”
Am Klausentag, um die neunte Stund, läuten alle Glocken im Dorf, nicht, wie an Gerichtstagen, die Gerichtsglocke allein. Und die drei Zeichen geschehen in kurzen Abständen. Aber nach dem dritten Zeichen ist trotzdem alles unter der kahlen Linde versammelt. Hanns Speiser, der Alt, steht hochaufgerichtet vor dem Steinsitz, den sonst der Landammann innehat. Er erblickte Herrn Johannes Frey unter dem Umstand. Da hub er an: „Der große Sterb ist im Dorf. Er hat schon viele der unsern gerafft.” Ein Murmeln entstand. „Wir wissen’s.” - „Zwei Dutzend schon.” - „Zwölf im letzten Monat.” - „Schaff Hilf, damit wir nit alle versterben!” „Heut liegen fünfunddreißig krank darnieder”, rief Herr Johannes laut.
Da wurde eine böse Stimme hörbar: „Ja, Pfaff, dann feiern wir zur Christnacht mit allen Teufeln unsre Höllenfahrt.” Und andre gleich ,,s’ ist Hexerei im Dorf! Die Schärtlinin! Der Bregenzer!” Hanns Speiser wischte diese Stimmen weg mit einer Handbewegung: „Es wurde selbsten mir der Vorwurf gestern getan, ich sei ein Zauberer.”
„Weil du nit geholfen hast!” schrie der Bebinger, der bis jetzt teilnahmslos gestanden, „und - und - und die Agath ist tot!” Herr Johannes legte den Arm um des Bebinger Schulter, der Dorfhauptmann aber sprach leise in die tiefe Stille: „Und die Bebingerin ist meins Tochtermanns Schwester gewest, und der Michael Unger liegt, seit er seine Schwester vorgestern heimgesucht, an der Peste darnieder. Schaut, es ist nit recht und nit gut, wenn wir einander für üble Hexer halten und darüber außer acht lan, was man gegen die Pestilenzia tun könnt!”
„Aber die Schärtlinin hat doch des Münz Kinder behext!” rief noch eine Weiberstimme dazwischen, doch der Alte schüttelte nur wehmütig das ehrwürdige Haupt: „Du redest, als sei die Pestilenzia nur bei uns, zu Oberstdorf. Aber wir wissen all, daß sie in den deutschen Landen und in der ganzen Welt wütet. Glaub’s mir, Mechtild, die hat die Schärtlinin nit gemacht! Die ist ein arms Weib wie du, und daß ihr der Hagel die Erbes und Bohnen und das Getreid wie uns allen im letzten Sommer zerschlagen, daß sie Not leidt, das weißt auch. Wir wollen uns nit versündigen.”
Nun hob der Speiser seine Stimme: „Wir wolln hörn, was gegen die Pestilenzia zu tun sei. Merket wohl auf!”
Und er tat dar, wie man sich zu hüten hätte, daß man den großen Sterb nicht weitertrüge. Jeder solle für sich bleiben, niemand solle zum Heimgarten in die Freundschaft gehen, bis das Unglück bewendet sei. Und sogar die Kirche solle man meiden, Herr Johannes wolle für sie alle in dieser Prüfungszeit beten, sie sollten's in ihres Herzens Tiefe und in der Tat. Und dann sollten sie sich und ihre Kranken vor allem reinlich halten. Er redete sich heiß: „Wo der Schmutz und das Elend wohnent, dahin ziehet die Pestilenzia zuvörderst.
Die Peste lebt im Kot, wie der Vogel im Hanf und wo am Tag kein Sonn und kein Wasser nit, da reit sie den Menschen tot über Nacht. Und ’s ist kein Kurieren wie ein wunderheischig Gebet, wenn du nit Sauberkeit geschafft hast, vorher, ’s ist gut, zu räuchern in den Krankengaden; aber ’s hilft wenig, wenn verschwitzt, alt Gewand und faul Bettlaub dagegen stinkent! Gut ist ein Lavament vor den Kranken, aber auch die Stuben soll eines han, daß sie nit ärger sei als ein Viehstall. Die pelzen Schauben und vehin Mäntel der Reichen sind Ungeziefernester wie die Otterhauben und Wollröcke der Bauern, wenn sie nit in der Sonnen geklopft und gerieben und gewaschen werden können. Ein Laus und ein Floh sind gering Getier, und doch bringen sie die Peste schneller als fliegend Feuer den Brand.”
Dann wies er seine Hörer an, wie sie sich Essigtücher vor Mund und Nase binden sollten, wenn sie zu einem Kranken gehen müßten. Und sie sollten auch des Kranken heiße Stirn mit Essigwasser kühlen. Und dann kam er auf das Heilmittel, das ein anderer erprobt und ihm mitgeteilt hatte.
„Hätt mir der Oberamtmann des Grafen zu Immenstadt, der Herr Konrad Speen, ein Salben verraten, die dann anzuwenden sei. Und ich hab die Kräuter, die er dazu braucht, gesammelt und das Pflaster wohl hergestellt. Soll es euch allen zum Heil sein in dieser schweren Zeit!”
Dann schloß der Dorfhauptmann noch die Gasthäuser für die nächste Zeit, wehrte Kranken und Pflegern eine Reihe von Brunnen und verbot dem Totengräber und seinem Weibe jeden Umgang mit den anderen Dorfgenossen, bis das Elend behoben sei.
Einen kleinen Augenblick ruhte der Greis nach dieser Rede. Die Dorfleute schauten zu ihm auf. Da stellte Hanns Speiser die Frage nach den Pflegern. Und er nannte sich selbst zuerst. Herr Johannes meldete sich mit fester Stimme. Aber niemand wollte den Kampf mit der Peste freiwillig führen. „Soll jeder sein Kranken pflegen wie bisher.” „Wer wird es vor seinen Kindern verantworten, daß er die Peste suchen geht!” riefen sie durcheinander.
Schließlich trat ein Weib vor. „Wenn du mich annehmen magst?” sagte die Anna Schraudolphin schüchtern, als sie auf den Dorfhauptmann zutrat und ihr freundliches Altweibergesicht war über und über rot.
„Freilich, Schraudolphin!” sagte Herr Johannes Frey und „Freilich. Anna!” der Speiser darauf.
Die bescheidene, kleine Anna Schraudolphin stand mit einem Male zwischen den beiden Männern und entließ mit ihrer leisen, guten Stimme die Versammlung: „Gehet jetzt heim und tut so, daß wir die Pest zur Weihnacht aus dem Dorf haben. Wir wollen dann zusammen in die Mette gehn.”
Der Klausentag 1629 brachte noch eine andere Abweichung von altem Herkommen. Als der Abend sank und der Schatten der Nacht sich in die verschneiten Winkel der Gassen legte, lebte die Erinnerung an wildes, urstimmenhaftes Klausenlärmen wohl in den Herzen der Dörfler. Aber es wagte sich kein Wunsch darnach hervor, kein Bursche hatte Lust sich zu verkleiden, kein Mädle öffnete neugierig den Fensterladen. Ohne Verabredung unterblieb das Treiben der wilden Klausen seit Menschengedenken zum ersten Male. Ein ander Gespenst ging um, ein wirkliches, das kein Lachen und Scherzen, keine fromme Deutung und keinen abergläubischen Brauch mehr dulden wollte, ein Gespenst, das selbst die Mutwilligsten schweigen ließ und die Tapfersten erbleichen machte: Die Peste.
Anna Schraudolphin wohnte in einem kleinen, alten Haus an der Dorfgasse, nächst der Mühle. In späten Jahren hatte einer der nachgeborenen Müllerssöhne sie zur Ehe genommen, aber er war schon seit langem tot, wie die beiden Kinder dieser Ehe. Die Anna war allein und sie konnte es somit wirklich wagen, den Sterb entgegenzugehen. Und die alten Leute erzählten sich, daß sie dem Hanns Speiser einmal lieb gewesen sei, der dann die reiche Schallhasin heimgeführt. Wenn nicht der große Sterb im Ort gewesen wäre, der alle Klatschsucht der Menschen unterband, sie hätten ein Langes und Breites über die Meldung der Schraudolphin geschwätzt. So aber entschuldigte jeder seine eigene Feigheit damit, daß es die Anna wohl habe wagen können.
Anna Schraudolphin ging ihrer Pflicht nach. Und sie hatte Mühe genug in dem verängstigten und unerfahrenen Dorf. Sie tat ihre Arbeit oft leichter als Herr Johannes oder als der Dorfhauptmann, weil sie ein im Pflegen und Warten, im Behüten und Beschwichtigen erfahrenes Weib war. Aber sie mußte, eben weil sie ein Weib war, manches erleben, was sich nicht an die beiden Männer heranwagte.
In einem Hause fand Anna Schraudolphin die Eltern beide erkrankt und vom Fieber gepeinigt im Heustock liegen. Die Kinder hatten die Krankheit erkannt und die beiden Wehrlosen auf dem Bettlinnen hinausgezogen. Sie hatten den Heustock verschlossen und vernagelt und die Kuh unter einem Vorwand zum Nachbarn gebracht. Stumpf und dumpf hockten die Kinder in der Stube und wagten es nicht, dem Klopfen der Helferin zu öffnen. Der Wahnsinn der Furcht saß in ihren bleichen Gesichtern. Doch war es gerade dieses Haus, in dem der Speiser und die Schraudolphin den ersten Erfolg erlebten. Es bildeten sich Geschwüre und Beulen auf den schwarzblauen Flecken der Haut beider Kranker.
Und als ihnen der Speiser foenum graecum aufgelegt, brachen die Geschwüre auf und verbreiteten einen entsetzlichen Geruch. Die Salbe des Speen heilte die Wunden, nachdem die üblen Säfte ausgeflossen waren. Anna Schraudolphin aber verstand und heilte die seelische Not der armen Menschen. An Sankt Lucientag wußten die Helfer, daß sie dem schwarzen Tod zwei Menschen abgerungen.
Und es war gut so; denn an Sankt Lucientag 1629 bettete der Totengräber zu Oberstdorf auf einmal acht Opfer des großen Sterb in die lange, schmale Grube, die er draußen vor dem Dorf auf einem Acker ausgeworfen. Herr Johannes hatte den Pestfriedhof benediziert und er und die beiden Pesthelfer waren das ganze Trauergefolge.
Bis zum Tage Sankt Thomas des Apostels war es schon vierzehnmal, daß Herr Johannes als Todesursache das schreckliche Wort in das Kirchenbuch schrieb: Peste. Aber auch die Heilerfolge hatten sich gemehrt, man wußte nun, daß die Peste nicht unbedingt tödlich sein mußte, daß die Mittel, die der Dorfhauptmann genannt, daß die Hilfe, die die Drei gewährt, nicht ohne Nutz und wirklich zu der Dorfgemeinschaft Frommen gewesen. Und man atmete fast ein wenig auf im Kreise der geängstigten Menschen.
Aber es wagte sich noch immer keiner hervor, es blieben die Straßen und Gassen, es blieb die Waage leer. Niemand wollte kaufen und verkaufen und weil Mißwachs den kalten, feuchten Sommer gekennzeichnet, drum wuchsen Not und Hunger in den Häusern.
Es war eine übermenschliche Leistung, die die drei Pesthelfer in diesen Tagen vollbrachten; denn wenn auch einige wohlhabendere Bauern im Orte lebten, so war es doch schwer, eine Verbindung zwischen diesen und den Armen anzubahnen. Die Furcht vor der schrecklichen Krankheit lähmte alle menschlichen Beziehungen, auch für eine Wohltat konnte man das Verderben eintauschen. Der Handel mit Webwaren nach Immenstadt stockte vollkommen; denn selbst die ärmsten Weber behielten lieber ihre Ware und ihren Hunger, als daß sie sich den Tod holen wollten aus der schwer heimgesuchten Stadt.
Und trotzdem sie mit der Bekämpfung der bittersten Not vollauf zu tun hatten, trotzdem sie selber müd und matt jedem Abend entgegenhofften zu zweifelhafter Rast, sie wollten die Weihnacht zu einem Feste machen für das arme Dorf.
Die Schraudolphin, die am Morgen des Klausentages unter der Linde von der Christmette gesprochen, mochte den Gedanken wohl während all dieser Tage als ein Ziel vor Augen gehabt haben. Und als die getreuen Drei am Tage Victorie im Pfarrhof zusammenkamen, da wußten sie froh, daß ihre Kranken außer Gefahr, daß keine neuen Erkrankungen dazugekommen waren. Der Unger war zum ersten Male aufgestanden und Hanns Speiser lächelte. Anna Schraudolphin aber sprach von einer festlichen Mette nach so schwerer Zeit. Und sie wolle ein Kripplein bauen in der Kirche, den armen Kindern des Dorfes zur Freud, den Erwachsenen zum Troste, zur Erbauung und zur Lehre. Mit fieberhaftem Eifer arbeitete die Frau. Sie kleidete eine Anzahl schlichter Holzpuppen, die sie vom Vater übernommen, in bunte Kleider, sie richtete ein Krippelein und der Speiser schmückte die verwaiste Dorfkirche mit Tannengrün. Herr Johannes umsteckte das einfache Kunstwerk mit Lichtern.
In der Heiligen Nacht, als diese Lichter brannten, kniete ein Weib mit fiebrigen Augen unter den Dorfgenossen, die die Glocken seit Wochen zum ersten Male wieder in die Kirche gerufen hatten. Es war Anna Schraudolphin, die leise weinte vor Glück. Das Leben hatte ihr doch noch die Möglichkeit zur großen Liebestat geschenkt. Sie wußte ihre Erfüllung und sie dankte Gott dafür.
Am hochheiligen Christtag ging die Schraudolphin nicht vor ihre Türe. Als sie der Dorfhauptmann und Herr Johannes heimsuchten, waren die blauschwarzen Flecken schon im Gesicht. Am vierten Tag des Januarii ging sie heim. Die beiden Freunde konnten sie nicht halten, sie hatte sich in der Weihnacht erfüllt.
Anna Schraudolphin war das letzte Opfer dieser ersten Pest in Oberstdorf.
Diese Erzählung wurde erstmals in „Unser Allgäu", der „monatlich erscheinenden Heimatbeilage". Jahrgang 11, Nr. 12, Dezember 1957, abgedruckt.