Festvortrag zum 850. Jubiläum der Pfarrkirche Oberstdorf

von Dr. Thaddäus Steiner am 01.12.1991

Die katholische Pfarrgemeinde Oberstdorf feierte in diesem Jahr das 850jährige Jubiläum der ersten urkundlichen Erwähnung der Pfarrkirche und damit ihre Weihe durch „Bischoff Walther zu Augsburg anno 1141 den 12. Febr. ” Aus diesem Anlaß fand am Sonntag. 21. April 1991, vormittags, ein Festgottesdienst mit dem Diözesanbischof von Augsburg. Dr. Josef Stimpfle, als Zelebrant und Prediger in der Oberstdorfer Kirche statt. Im Anschluß daran begrüßten Pfarrer Karl Rottach und Günther Lindauer als Vorsitzender des Pfarrgemeinderats die Gäste zu einem Festakt im Kleinen Kursaal. Ehe der Festvortrag von Dr. Thaddäus Steiner begann, hob 1. Bürgermeister Eduard Geyer die Stellung der Kirche im Dorf hervor und fragte u. a.: „ Wie hat Oberstdorf vor 850 Jahren ausgesehen ? Welche Probleme haben die Menschen damals beschäftigt ? " In diesem Zusammenhang wies er auf die Chroniknachricht zum Jahre 991 hin und deutete die Möglichkeit eines „zweiten kommunalen Festes ” an.

Hochwürdiger Herr Bischof, liebe Festgäste, liebe Oberstdorfer!

Der Herr Bürgermeister hat vorhin eine ganze Reihe schöner Fragen gestellt, aber ich muß ihn gleich zu Anfang enttäuschen, ich kann sie nicht beantworten. Ich habe damals auch nicht gelebt, und Dokumente existieren keine. Man könnte natürlich versuchen, von anderen Kirchen und von anderen Kirchweihen etwas zu übertragen, aber das ist doch immer ziemlich mißlich. Ich möchte mich deshalb im wesentlichen auf das konzentrieren, was historisch haltbar überliefert ist.

Seit 850 Jahren - mindestens - steht in Oberstdorf eine Kirche, ein geweihtes Gotteshaus. Ist das ein Anlaß zum Feiern? Ein Anlaß zumindest, aber wohl auch ein echter Grund.

Dem wollen wir heute etwas nachgehen. - An der Tatsache, daß es 850 Jahre sind, kann kein vernünftiger Zweifel bestehen. Die Tafel mit der Weiheinschrift ist zwar längst verloren, das Original der Abschrift ebenfalls, doch wird in den - im Original wiederum verlorenen - Visitationsprotokollen so oft darauf hingewiesen, daß daran kein Zweifel bestehen kann, daß die Überlieferung gesichert ist.

Wer hat die 1141 geweihte Kirche gebaut? Wer hat sie finanziert? War es überhaupt die erste in Oberstdorf?

Auf alle diese Fragen gibt es keine klare und eindeutige Antwort. Wir wissen nur, daß sie Bischof Walther geweiht hat. Das ist übrigens bewundernswert, denn bei seiner Wahl war er schon ziemlich alt, und ein Chronist schildert ihn geradezu als greisenhaft. Es muß für ihn eine gewaltige Anstrengung gewesen sein, nach Oberstdorf zu kommen. Es gab keine Straße, auf der er mit der Kutsche hätte kommen können, wie es unsere Kinder gemalt haben. Zu Pferd - und das war anstrengend - mußte er Oberstdorf erreichen. Er war überhaupt ein vielbeschäftigter Mann; denn er mußte am Königshof sein, er mußte sich um seine Augsburger Kirche kümmern. Er hat sich vor allem um Klöster gekümmert, offenbar aber auch um andere Kirchen, sonst wäre er nicht in den weitest entfernten Punkt seiner Diözese gereist.

Auf all die gestellten Fragen gibt es also keine eindeutige und klare Antwort. Wie kommen wir trotzdem zu einer gewissen Antwort?

Wir müssen da zunächst einmal wissen, daß im Mittelalter die Kirchen bis ins 12. Jahrhundert hinein fast immer von einem vermögenden Grundherrn, meist einem Adeligen, erbaut wurden, oft sogar vom König oder einem von ihm Beauftragten. Die praktische Ausführung des Baues aber war ein Gemeinschaftswerk durch Frondienst der Gläubigen. Sie haben dadurch natürlich eine ungewöhnlich enge und intensive Verbindung mit diesem Gotteshaus bekommen, wie es heute durch solche Praxis gar nicht mehr möglich und vorstellbar ist. Der Bauherr hatte dann auch die Unterhaltspflicht für die Kirche und das Recht, den Pfarrer einzusetzen. Er bezog freilich auch den Zehnten von allen zur Pfarrei Gehörigen und besoldete damit u.a. den Pfarrer, der zudem als Lebensgrundlage einen Bauernhof besaß, das sogenannte Pfarrwiddum.

Wer war dieser Gründer oder Bauherr im Falle Oberstdorfs?

Erst im Jahre 1351, als die Rettenberger-Erben den Südteil ihrer Herrschaft mit Oberstdorf an die Brüder von Heimenhofen verkauften, erfahren wir, daß die Herrn von Rettenberg einst den Kirchensatz von Oberstdorf innehatten, also das Recht, die Pfarrei mit einem Pfarrer zu besetzen. Sie könnten also sehr wohl die Oberstdorfer Kirche erbaut haben. Die Rettenberger waren ein Adelsgeschlecht, das durchaus Sinn für Religion und Kirche hatte. 1145 - also vier Jahre nach der Weihe der Oberstdorfer Kirche - traten zwei Rettenberger, Burckhard und sein Sohn Rudolf, ins Kloster Ottobeuren ein und schenkten auch ein Gut in Bräunlings diesem Kloster.

Diese Rettenberger waren sicher nicht unberührt geblieben vom religiösen Leben ihrer Zeit. Und dieses war sehr lebendig und aktiv: Neue Mönchsorden, Zisterzienser und Prämonstratenser, breiteten sich in Deutschland aus, vom König und Kaiser Konrad tatkräftig gefördert. Auch die Weltgeistlichen wurden von dieser religiösen Welle erfaßt und schlossen sich vielfach in Augustiner Chorherrnstiften zusammen. Der religiöse Aufschwung ergreift damals besonders die Führungsschicht. Der Kaiser selbst stellt sich an die Spitze eines Kreuzzuges und zieht mit einem großen Heer über Byzanz quer durch die Türkei.

Freilich endet dieser Kreuzzug mit einer fürchterlichen Niederlage - doch das tut der religiösen Begeisterung keinen entscheidenden Abbruch. Ein unablässiger Pilgerstrom zum Heiligen Grab setzt in der Folgezeit ein. Ein Rettenberger war auch an den heiligen Stätten; denn das Rettenberger Wappen ist - fast im Stil eines modernen Touristen - in einer Säule der Geburtskirche zu Bethlehem eingemeißelt. Die Ritterorden widmen sich der Krankenpflege, der Bau von Spitälern beginnt in den Städten. Ist das nicht eine Zeit, die sich berufen fühlen mußte, auch dort Kirchen zu bauen, wo sie bis dahin noch mangelten?

Außer den Rettenbergern käme auch noch der König selbst als Kirchenbauherr in Frage. Konrad III. betrachtete Reich und Christenheit als eine Einheit.

Er erreichte die Heiligsprechung eines seiner Vorgänger, Heinrichs II., der das Bistum Bamberg, größtenteils aus eigenen Mitteln, gestiftet hatte. Warum sollte nicht König Konrad selbst dort Pfarreien stiften, wo er als der eine der beiden Herrn der Christenheit gefragt war?

Von vorneherein auffällig ist die geringe Ausstattung der Oberstdorfer Kirche, des Pfarrwiddums mit Gütern, mit Besitz. Weder das Reich, noch die Rettenberger hatten in Oberstdorf nachweisbaren größeren Grundbesitz, wenn auch die Meierhöfe, 1370 von den Schellenbergern verkauft, sehr wohl aus Reichsbesitz stammen konnten; denn die Schellenberger haben erst als königliche Landvögte von Oberschwaben über ihren Stammsitz im Rheintal hinaus Besitz erworben. Und auf Meierhofboden, zwischen Oberem und Unterem Markt, war wohl die Kirche errichtet, deren Bau vermutlich erst die Kleinsiedlungen des Talkessels zu einem Dorf vereinigt hat. Der König kommt also ebenfalls als Gründer der Pfarrei und Erbauer der Kirche in Frage.

Ob vor 1141 in Oberstdorf schon eine Kirche gestanden hat, wissen wir einfach nicht. Die Chroniknachrichten darüber sind allein schon wegen der Nennung eines Jahres unglaubwürdig. Bedenken Sie, wie es in Füssen war, wo der heilige Magnus gewirkt hat, der nun wirklich eine überragende Persönlichkeit war, der mit dem Bischof im engsten Kontakt stand, der ein Kloster gegründet hat, der schon vor dem Jahre 1000 n. Ch. eine Vita, eine Lebensbeschreibung, erhielt: Kein Jahr ist da überliefert. Und da wären ja Leute dagewesen, die etwas aufgeschrieben hätten.

Wenn so ein bestimmtes Jahr genannt wird, ist es schon so verdächtig, daß man sagen kann, es ist unglaubwürdig. Nun gibt’s ja auch eine Meinung, nein, eine Nachricht, daß man dem Visitator des Bischofs früher mal erzählt hat, die Klausenkapelle sei älter als die Pfarrkirche und ursprünglich sei der Patron der Klausenkapelle nicht der heilige Nikolaus, sondern Johannes der Täufer gewesen und dieses Patrozinium sei dann in die Pfarrkirche übernommen worden. Ich glaube, da wäre wenigstens aus den Flurnamen irgend etwas zu sehen, das hinweisen würde auf die alte Kirche, wie es an anderen Orten, in Lindau z.B., wo ich jetzt lebe, der Fall ist: Wo der »Alte Markt« und die Tradition ganz deutlich erhalten sind. Oder in Altenstadt bei Schongau, wo geradezu die Kirche blieb und die Siedlung dann die alte Stadt genannt wurde, oder in Weingarten, das ja früher Altdorf hieß. Nichts davon gibt es in Oberstdorf.

Daß Oberstdorfs Pfarrei nicht viel Geld eintrug (der Pfarrer verfügte weder über eine Mühle, noch eine Alpe, wie das z.B. in Fischen der Fall war, oder über ansehnlichen Grundbesitz), hatte vielleicht auch einen Vorteil. Die Pfarrei war nicht begehrt bei zweit- und drittgeborenen Adelssöhnen, die wohl manchmal mehr politisches und finanzielles als seelsorgerliches Interesse an ihren Pfarreien hatten. Nichts ist von Oberstdorf etwa bekannt wie von Fischen, um das sich Sigmund von Heimenhofen beworben hatte, der dann fleißig als Grundstücksmakler tätig war, oder Oswald v. Heimenhofen, der Pfarrer von Weiler wurde, oder die Schellenberger, die in Heimenkirch und Missen Pfarrer stellten. Das alles waren Pfarreien mit hohem Jahreseinkommen.

In Oberstdorf waren dagegen nicht selten Einheimische aus dem Ort selbst Pfarrer, ja die Oberstdorfer Familie Kirchherr hat wohl mehrere davon hervorgebracht; denn Kirchherr, d.h. regulärer Pfarrer, kann als Familienname wohl nur beständig bleiben, wenn mehr als ein Pfarrer aus der Familie hervorgegangen ist. Diese Pfarrer waren sicher nicht akademisch gebildet. Wir dürfen uns da keinen Illusionen hingeben. Peter Schmidt schreibt dazu: „Die Ausbildung der Priester war im Mittelalter ein brachliegendes Feld. Geregelten theologischen Unterricht, gar ein theologisches Studium künftiger Geistlicher gab es nicht”.

Nach Einzelausführungen fährt Schmidt dann fort: „Die verbreitetste Form der Ausbildung des einfachen Klerus war die Heranbildung in einer Art Lehrverhältnis im Hause eines Pfarrers oder Kaplans. Neben lateinischem Elementarunterricht wurden dort die Formen der Sakramentenspendung und die Feier des Messeritus praktisch vermittelt”.

Was erwarteten und hatten die Menschen der damaligen Zeit und damit auch die damaligen Oberstdorfer von einem solchen Priester? Die Ausbildungsziele sagen es uns: Die Feier des Gottesdienstes und die Spendung der Sakramente, der Heilszeichen, die ihnen Gottes Gegenwart unter ihnen, seine Zuwendung und seine Erlösungstat in sichtbaren und spürbaren Zeichen vermittelte. Vor allem die Taufe als Berufung zur Gotteskindschaft genoß ungeheuere Wertschätzung, wie es uns viel später noch durch Erzählungen von totgeborenen, kurz zum Leben erweckten und getauften, dann wieder verstorbenen Kindern deutlich gemacht wird. Durch die Taufe waren sie eben für das ewige Leben gewonnen. Eine Chronikaufzeichnung über das in Loretto wiedererweckte und dann getaufte Kind des Michael Brack zeigt uns das auch für Oberstdorf, freilich erst für eine spätere Zeit. Hochgeschätzt waren auch Kommunion und Krankenölung, wie uns die Urkunde der Abtrennung der Pfarrei Riezlern von der Mutterpfarre Oberstdorf im Jahre 1508 zeigt, in der als ein Hauptgrund angegeben wird, daß Menschen im Winter ohne Sakramentenempfang sterben mußten, weil der Pfarrer von Oberstdorf wegen der Schneemassen nicht durchkam.

Aus dem Dunkel der quellenarmen Geschichte tauchen Kirche und Pfarrgemeinde erst im 15. Jahrhundert wieder auf: Der Neubau der Kirche und ihre erneute Weihe im Jahre 1419, nunmehr schon durch eine Originalurkunde belegt, und die Stiftung der Frauenmesse ragen heraus. Der letzteren wenden wir uns zu. Sie ist nämlich das Werk der Oberstdorfer Gemeinde selbst, die damals gleichzeitig Pfarrgemeinde ist, nicht mehr das Werk eines Grundherrn.

Die Urkunde beginnt daher nicht ohne Stolz: „Im Namen Gottes Amen . . . Wir, die gemeine Nachbarschaft gemainiglich (d.h. gemeinsam) arm und reich.” (Man beachte die Reihenfolge!) Sie betont dann weiter, daß die Gemeinde mit Bischof Johann und Pfarrer Christian Krettler im Einvernehmen handelt und begründet die Stiftung sehr schön: „Nachdem dann gaistlich ding ohn zeitlich hilf nit bestehen mag . . Auf das „gaistlich ding” kommt es also offensichtlich an.

Aus nicht weniger als 49 Posten Darlehenszinsen und 29 gespendeten Zinsen, zusammen 78 Gesamtposten über 6425 Pfennigen, das sind fast 26 Pfund Pfennige damaliger Währung (!), setzt sich das jährliche Einkommen des Frühmeßkaplans zusammen. Eine echte Gemeinschaftsleistung! Oberstdorf hatte damit einen zweiten Priester. Was von ihm erwartet wurde, sagt die Urkunde selbst: Der Kaplan sollte fünfmal in der Woche die heilige Messe feiern, den Pfarrer unterstützen und ihn vertreten, insbesondere den Gemeindemitgliedern die Sakramente spenden und (ich zitiere)

„Auch insonders zu den Zeiten, so . . . der Pestilenz in der Pfarr
oder im Dorf umbging, von uns nit weichen, noch fliechen.”

Wir sehen hier erneut die Hochschätzung der Sakramente als Zeichen des Heiles, dazu den Wunsch, nach einem - biblisch gesprochen - guten Hirten, der seine Schafe nicht im Stich läßt, der eher bereit ist, sein Leben zu opfern als sie zu verlassen. Dieser Wunsch sollte den Oberstdorfern gerade in der schlimmsten Pest- und Notzeit des 30jährigen Krieges tatsächlich mit Pfarrer Frey in Erfüllung gehen.

Das folgende 16. Jahrhundert brachte der Pfarrgemeinde schwere Krisen: Der Bauernkrieg, als eine politische Konsequenz aus der Reformation, störte das Verhältnis zum Bischof tiefgreifend; denn dieser war seit 1440 bzw. 1477 die weltliche Obrigkeit der Oberstdorfer. Ein Aufstand gegen ihn ließ sich gewiß nicht von der Haltung gegen den Oberhirten der Diözese trennen.

1546 erlebte Oberstdorf ein protestantisches Zwischenspiel: Von Kempten aus wurde ein protestantischer Pfarrer für Oberstdorf ernannt. Er dürfte nicht einmal ein Jahr lang amtiert haben.

Das eigentliche religiöse Problem aber bildeten die Wiedertäufer, die es auch in Oberstdorf gab und die vom Bischof als Landesherrn scharf verfolgt wurden. Die Allgäuer Wiedertäufer hatten nicht den glücklichen Einfall wie jene aus dem Bregenzer Wald, die einen Sack Federn aufs Starzeijoch trugen und dort ausschütteten. Wenn der Wind die Federn nach Osten trüge, wollten sie nach Mähren auswandern. Er trug sie aber Gott sei Dank alle nach Westen, worauf sie sich wieder der Kirche einfügten und in der Heimat verblieben.

Aus Oberstdorf wanderten solche Wiedertäufer tatsächlich nach Mähren aus, sandten sogar zwei der ihren als Missionare zurück, die aber gleich ins Gefängnis geworfen wurden. Von den Hofstätten der Ausgewanderten oder der Verfolgung zum Opfer gefallenen - wir erkennen das nicht mehr - wurde von da an ein Zins zugunsten des Spitals in Sonthofen erhoben. Zwölf solche Hofstätten sollen es in Oberstdorf gewesen sein.

Es sind kaum Einzelheiten bekannt, doch ersieht man, daß die Einheit von geistlicher Leitung und weltlicher Obrigkeit nach dem Ende der Glaubenseinheit nicht mehr gut tat. Böse Folgen hatte weiter die seelische Seuche der Hexenverfolgung, die auch in Oberstdorf ihre Opfer forderte. Es waren sicher keine Schuldigen im Sinne der Anklage, denen man mit grausamer Folter Geständnisse abzwang und sie dann auf Grund dieser zum Tode verurteilte. Der Prozeß gegen den Oberstdorfer Konrad Stöcklin deutet vielmehr darauf, daß man einen sehr frommen, vielleicht seelisch gestörten Menschen unschuldig quälte und ihm schließlich das Leben nahm.

Dazu kam noch aus dem politischen Bereich der Aufstand der Allgäuer von 1605/1607.

Dennoch muß in Oberstdorf im 16. Jahrhundert und zu Beginn des 17. Jahrhunderts eine religiös ungemein aufgeschlossene Atmosphäre geherrscht haben; denn es hat in dieser Zeit eine große Zahl von geistlichen Berufen hervorgebracht. Ich nenne besonders die Jesuiten Martin Leubenstain, Johann Brutscher und Bernhard Frey, die nicht nur bis in hohe Ränge ihres Ordens vorgestoßen sind, sondern als hervorragende Seelsorger gelten konnten. Bernhard Frey hat sich insbesondere für unschuldig Verfolgte in Hexenprozessen eingesetzt. Jeder einzelne verdiente hier eine besondere Würdigung, Herr Dr. Kurt Eberhard hat sie ihnen u.a. in »Unser Oberstdorf« zuteil werden lassen. Dann aber sind auch drei Pfarrer, gebürtige Oberstdorfer, hervorzuheben: der überaus tapfere Johannes Speckle (Specklin) von Sonthofen), Johannes Frey, Pfarrer von Illerbeuren und Begründer einer etwa zwei Jahrhunderte dauernden Studienstiftung und eben der Oberstdorfer Pfarrer, Dekan und Magister Johannes Frey.

Pfarrer Frey war ein begnadeter Seelsorger, den es wohl brauchte, um die Wunden des 16. Jahrhunderts ausheilen zu lassen. Er war zwar nicht der erste unter den „studierten” Oberstdorfer Pfarrern, doch sicher waren ihm seine beim Studium erworbenen Kenntnisse in der Seelsorge sehr hilfreich. Ihm ist es gelungen, die Oberstdorfer wieder mit der Kirche zu versöhnen. Wie anders wäre es zu deuten, daß die Visitationsprotokolle für ihn schon im Jahre 1622 1032 Beichtende und Kommunikanten verzeichnen; das waren alle Oberstdorfer im Erwachsenenalter mit Ausnahme einer einzigen Familie. Sein Vorgänger hatte es nur auf 700, einmal 850 Kommunikanten gebracht. Pfarrer Frey bemühte sich um Glaubensunterweisung und unterrichtete abweichend vom vorgeschriebenen Schema nicht im Sommer, sondern im Winter, in dem die Oberstdorfer zuhause waren, während im Sommer sich ein erheblicher Teil in den Auszügen und Alpen befand. Das gab er als Begründung für seine Entscheidung dem bischöflichen Visitator an.

Er führt aber auch lebhafte Klage, daß für die so zahlreiche Schuljugend nicht ausreichend Unterricht gehalten werde.
Pfarrer Frey schwieg auch dort nicht, wo nach seiner Ansicht die wirtschaftliche Grundlage der Pfarrexistenz nicht in Ordnung war. In einer Denkschrift wendet er sich 1616 an den Bischof und klagt, daß der Widdumhof in Oberstdorf mit seinen 36 Viertelsaat Ackerland „wahrlich der schlechteste unter allen” sei, „den Pfarrer nießen und brauchen” müssen, viel zu klein also. Er schlug vor, für den Pfarrer auf dem Meierhof ein Pferd zu halten; denn die Pfarrei war sehr ausgedehnt. Den Traufberg konnte man nur nach stundenlangem, anstrengendem Fußmarsch erreichen. Weiter schlug er vor, vom Meierhof 36 Viertelsaat Land und dazu Wiesen auf den Pfarrhof zu übertragen und gab sogar für den fürstlichen Rat Dr. Felix Gasner in Dillingen zwölf „Geiskeslin” mit, wohl um die Weiterleitung seiner Denkschrift zu sichern. Für eine Bestechung hätte das bestimmt nicht gereicht.

Erfolg hat er mit seiner Denkschrift offensichtlich keinen gehabt. Das hinderte ihn nicht, auch in der ärgsten Notzeit des 30jährigen Krieges treu bei seiner Gemeinde auszuharren, auch als ihm 1632 der Pfarrhof völlig ausgeraubt wurde, als er 1633 selbst beinahe im Kirchenturm verbrannt wäre, als die Schweden dort Feuer legten und als 1635 das große Peststerben in seiner Pfarrei einsetzte und er hinter viele, viele Namen des Sterbebuches den Vermerk „peste”, d.h.,verstorben an der Pest’, setzen mußte.

Es mutet fast wie ein Wunder an, daß die geschwächte Pfarrei schon 1638 die Vierzehn-Nothelfer-Kapelle erbauen, wenig später die Pfarrkirche erweitern und eine Orgel aufstellen konnte. Es soll die erste in Oberstdorf gewesen sein.

Vieles ließe sich aus dem Leben der Pfarrei in den folgenden zweihundert Jahren sagen, wenig Außerordentliches; denn die Zeiten wurden ruhiger. Auf die Erbauung der Lorettokapelle und die schrittweise Ausgestaltung dieser ehrwürdigen Wallfahrtsstätte sei noch besonders hingewiesen oder auf den Prämonstratenser Hermann Vogler, gebürtigen Oberstdorfer, Abt in Rot, der das Ihnen wohlbekannte Votivbild in der Marienkapelle zu Loretto gestiftet hat. Beides Zeichen eines blühenden religiösen Gemeindelebens.

Die Oberstdorfer bekamen das am Ende dieser Zeit kirchenamtlich bescheinigt. Im Visitationsprotokoll von 1798 wurde die Kirche von Oberstdorf - übrigens auch die von Hindelang - nach baulichem Zustand und innerer Zierde als „vorzüglich” beurteilt. Wichtiger aber: „Was das Volk oder die Pfarruntergebenen anbelangt, dürften solche (im Kapitel Kempten) noch immer als eines der christlichsten im Bistum angesehen werden, sowohl im Glauben wie in der Sittlichkeit. Gleichzeitig klagt der Dekan über den „immer mehr überhandnehmenden Comoedien = Geist, den er für die gute Sitte als gefährlich einschätzt. Heute würde man dieser kulturellen Initiative, die von den Passionspielen ausging, mit Sicherheit hohe Anerkennung zollen.

Das 19. Jahrhundert sollte dann wieder eine lebhafte, ja turbulente Krisen- und Konfliktzeit werden. Die Oberstdorfer hatten ihren politischen Herrn gewechselt. An die Stelle des Bischofs von Augsburg war durch die Säkularisation des Hochstifts (also die Enteignung des weltlichen Herrschaftsbereiches des Bischofs) der Kurfürst von Baiern getreten. Dessen verweltlichter Staat mischte sich mit der Verweltlichung kirchlichen Besitzes (der Säkularisation im engeren Sinne) stark, ja zerstörend ins religiöse Leben ein.

1804 verlangte die bairische Regierung von den Oberstdorfern, die Wallfahrt Sankt Maria Loretto, diese Stätte des Glaubens und kindlichen Vertrauens, abzutragen, zu vernichten, mit der Begründung: „Es könnte diese Zufluchtsstätte des Aberglaubens . . . unmöglich erhalten werden, ohne in offenbarsten Widerspruch mit den angewohnten Maximen zur Beförderung des reinen Christentums zu geraten.” Jetzt aber standen Pfarrer Judas Thaddäus Jäger und die Gemeinde einträchtig gegen dieses Vorhaben der Barbarei zusammen. Durch legales Vorgehen und mit vielleicht nicht ganz legaler Schläue, jedenfalls mit hartnäckiger Zähigkeit erreichten sie ihr Ziel: Die wunderschöne, Andacht und Glauben fördernde Gotteshausgruppe samt dem Benefiziatenhaus blieb erhalten, wurde gerettet. Ich glaube, wir sind alle noch heute dankbar dafür.

Es konnte freilich auch noch eine andere Krise kommen. Die Politik konnte Gemeinde und Pfarrer auch entzweien: Von 1845 - 1849 hatte Pfarrer Johann Nepomuk Stützle die Pfarrei Oberstdorf inne. Heute sind wir Oberstdorfer Pfarrer Stützte aufrichtig dankbar für seine Beschreibung der Pfarrei. Er hat sich offenbar außergewöhnlich stark für seinen Wirkungsort interessiert und deshalb 1848 ein Büchlein darüber veröffentlicht mit dem Titel »Die katholische Pfarrei Oberstdorf . .. oder die Schweiz im Kleinen«. Das von ihm gesammelte Material erscheint uns heute in vielfacher Hinsicht sehr wertvoll. Dennoch kam es 1847 und 1848 zu einem scharfen Konflikt zwischen Stützle und der Pfarrgemeinde.

Bereits Aufbau und Darstellung des Werkes von Stützle nach der topographisch-historischen Methode und seine Widmung für Prinz Luitpold und Prinzessin Auguste v. Bayern zeigen seine konservative Art und Gesinnung. Oberstdorf war damals aber - wie das Allgäu im ganzen - stark von der liberalen, ja sogar demokratischen Bewegung ergriffen. Pfarrer Stützle hielt offenbar mit seiner konservativen Einstellung nicht hinterm Berg, sondern versuchte gar von der Kanzel aus dafür zu werben und übte Druck auf die Gläubigen aus, indem er kirchliche Dienste von politischen Wohlverhalten abhängig machen wollte. Höhepunkt des Streites war wohl ein Rededuell in der Kirche zwischen Pfarrer Stützle von der Kanzel und dem Führer der Gegenpartei, dem Arzt Dr. Joseph Wilhelm Groß, auf der Empore.

Groß hat übrigens 1856 ebenfalls ein landeskundliches Büchlein mit dem Titel »Die Algäuer Alpen bei Oberstdorf und Sonthofen« erscheinen lassen, doch in der modernen Art eines Fremdenführers. Das Ergebnis des Streits war, daß Stützle die Pfarrei Oberstdorf verließ. Dieser durchaus verdienstvolle Mann hatte anscheinend den Schwerpunkt seines Wirkens von der Seelsorge weg verlegt - in die Politik - und dabei seine religiöse Aufgabe zur politischen Bevormundung mißbraucht. Das war es offenbar nicht, was die Oberstdorfer Pfarrgemeinde sich wünschte.

Ein solches Gegeneinander kehrte meines Wissens niemals wieder. Und bald darauf gab der große Brand von 1865 der Gemeinde wieder eine Aufgabe, die zur Zusammenarbeit und Eintracht nicht nur einlud, sondern geradezu zwang; denn sonst hätte das große Werk des Wiederaufbaus, auch der Kirche, nicht bewältigt werden können.

Wenn hier beim Wiederaufbau zwei Oberstdorfer Künstler, Johann und Claudius Schraudolph, führend mitwirkten, ist das erneut ein Zeugnis befruchtender Wirkung des lebendigen Glaubens der Pfarrei. Vor allem Johann von Schraudolph hat ja mit religiösen Themen bei der Ausmalung des Speyrer Domes seine besten Leistungen vollbracht, ähnlich sein Bruder Claudius und der dritte Künstlerbruder Mathias, der schon 1843 ins Kloster Metten eingetreten war. Der vierte große Maler, den Oberstdorf damals hervorbrachte, Josef Anton Fischer, schuf seine größten Werke ebenfalls im religiösen Bereich, in Köln und gar in Odessa, in Rußland.

Wir brechen hier ab und fragen nach dieser Rückschau mit einigen Schwerpunkten, was Kirche und Pfarrer für Oberstdorf in den vergangenen achteinhalb Jahrhunderten bedeutet haben.

Die Kirche war für Oberstdorf stets ein einigendes Band, wenn sie als gemeinsame Aufgabe betrachtet wurde und nicht als obrigkeitsstaatliches Zwangsinstitut. Den Pfarrer brauchten und wünschten die Gemeindemitglieder als Seelsorger, als Spender der Sakramente, der ihnen den Heilswillen Gottes vermittelte, als Helfer, der ihnen in allen Nöten des Daseins Beistand leistete und sie auch in höchster Not nicht im Stich ließ. Und wenn es zu einer guten Zusammenarbeit kam, getragen vom guten Willen und guter Absicht beider Seiten, so hat dies stets befruchtend gewirkt für die ganze Gemeinde und vor allem auf das kulturelle Leben. Gerade dann hat Oberstdorf immer seine größten Männer hervorgebracht. Das ist nun wahrhaftig ein Grund zum Feiern. Möge es auch in Zukunft - unter gründlich veränderten und neuen Bedingungen - so bleiben. Dies ist mein Wunsch für Kirche und Pfarrei zu ihrem Jubiläum.

Anmerkung:
Die stoffliche Grundlage dieses Vortrags bildet im allgemeinen die Geschichte des Marktes Oberstdorf, von H. B. Zirkel und W. Grundmann. Teil 1 mit 4. Oberstdorf 1974 - 1979.

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