Otto Blattner, Ludwina und Max Kappeler mit Enkelin Hanna
Von Oberstdorf führt der Fahrweg von der Mühlenbrücke aus zum Kühberg bergan, am Abhang des Schatten-berges südwärts und biegt dann östlich taleinwärts in das schöne Oytal (vgl. Karl Hofmann: Der blaue Führer. Oberstdorf 1989. S. 118). Die Felswand am Eingang des Oytales, die Adlerwand, hat ihren Namen von den Adlerfängen, die im 19. Jahrhundert hier stattfanden. Leo Dorn, der »Adlerkönig«, hat im Jahre 1850 im Oytal die junge Brut aus dem Adlerhorst ausgehoben. Er war später kgl. Oberjäger beim Prinzregenten Luitpold von Bayern, dem Jagdherrn der Hintersteiner und Oberstdorfer Berge. Prinzregent Luitpold ging auch im Oytal zur Jagd.
Das Oytal ist das größte Seitental der Trettach. Es wird links von den schroff abfallenden Seewänden, im Hintergrund dem Schochen und dem steilen Schneck, dem Großen und Kleinen Wilden, rechts vom Riefenkopf und Hahnenkopf und weiter taleinwärts von der zerklüfteten Höfats eingerahmt. Vor diesem großartigen Gebirgshintergrund fand im Oytal, in dem es damals noch keine Gaststätte gab, schon 1887 ein Waldfest statt, zu dem der neue Liederkranz „die verehrt. Einwohnerschaft von Oberstdorf und Umgebung und die verehrt. Sommergäste” einlud. Auch der Wildemännlestanz wurde im Sommer 1891 im Oytal, auf dem Platz gegenüber der Adlerwand, aufgeführt.
Ende des 19. Jahrhunderts nahm der Fremdenverkehr stetig zu und auch die touristische Erschließung der Bergwelt lockte viele Bergsteiger in das Oytal.
Max Kappeler war den Einheimischen als »Aliselars Mäxele« bekannt. Er war mit Ludwina Enzensberger verheiratet und hatte drei Töchter. Nach längeren Überlegungen entschloß sich Max Kappeler 1896/97, im Oytal eine Sommerwirtschaft zu bauen und mit seiner Familie zu bewirtschaften. Wie es dazu kam, hat meine Großmutter, Luise Blattner, geb. Kappeler, 1957 zum Andenken an ihre Eltern aufgeschrieben.
Hier ein Auszug aus ihrem Brief: „Im Jahre 1897, vor 60 Jahren, waren die Wintertage und Abende in Oberstdorf noch sehr still und ruhig. Vater sinnierte und studierte sehr viel, wie er seinen drei Föhla Hulda, Maria und Luise daheim Arbeit beschaffen könnte; denn er wollte sie nicht in die Fremde schicken. So kam er auf den Gedanken, eine Wirtschaft ins Oytal zu bauen. Er überlegte hin und her, ging öfters allein, und auch mit seinem Wieble, wie er es meistens nannte, und suchte und überlegte, wo wohl der beste Platz wäre, wo das Haus vor Lawinen und Wasser sicher sei. Auch Quellwasser suchte er. Und so kam er auf den Platz, wo das Oytal heute steht.”
Max Kappeler wandte sich an die Ortsgemeinde Oberstdorf und schloß am 19. Dezember 1896 mit dem Ortsgemeinde-
ausschuß einen Vertrag. In diesem wurde Max Kappeler, Schuhmachermeister, Haus Nr. 141, in Oberstdorf, gestattet, auf dem ortsgemeindlichen Weidegrund Hüttlesanger im Oytal eine Waldschenke mit Stallung für Pferde und Kühe zu erbauen und zu betreiben. Für den laufenden Brunnen konnte er eine im Oytal entspringende Quelle benützen. Weiters konnte er im Sommer, von Beginn des allgemeinen Gemeindevieh- austriebes an, zwei Kühe im Oytal weiden lassen.
Für diese Berechtigungen bezahlte Max Kappler an die Marktgemeindekasse Oberstdorf jährlich einen Pachtzins von 370 Mark, zahlbar am 1. November. Unterschrieben wurde vom damaligen Bürgermeister Ludwig Vogler und den Ortsgemeindeausschußmitgliedern Kaspar Braxmair, M. Hauber, Johannes Übelhör, Alois Jäger, Thaddä Tauscher und Wendelin Vogler sowie von dem Pächter Max Kappeler.
Im Gemeindearchiv ist auch zu lesen, daß 1897 im Lugenalperwald 230 fm Bau- und Nutzholz angefallen sind. Es ist zu vermuten, daß das Holz für den Bau des Oytalhauses verwendet wurde. Den Bau hat Luise Blattner, geb. Kappeler, so beschrieben: „Nun ging es an die große Arbeit. Zuerst wurden Holzhütten gemacht und bei dieser dürftigen Unterkunft und großen Entbehrungen mußten meine liebe Mutter und Schwester Maria schon sehr bald mit und für das Wohl der Arbeiter sorgen. Durch große Umsicht und Ausdauer meines Vaters ging es gut vorwärts, so daß sehr bald gewirtschaftet werden konnte.”
Bereits am 1. August 1897 konnte dann die Oytalwirtschaft eröffnet werden. Wie im nachstehenden Bericht der Tageszeitung zu lesen ist, war es ein fröhlicher Nachmittag. Auch die Musikkapelle trug zur Unterhaltung bei.
Das Oytalhaus wurde ein beliebtes Ausflugsziel und Ausgangspunkt für viele Bergtouren. Hier kehrten viele Wanderer und Bergsteiger und auch bekannte Persönlichkeiten ein: Baron Heyl, Max Förderreuther, »Dagobert« Wilhelm Blenk (Blenk-Kamin), um nur wenige zu nennen. Bereits 1901 bekam das Oytalhaus Telefonanschluß, was ebenso erstaunlich wie nützlich war (Gesch. d. Marktes Oberstdorf, Bd. IV, S. 186).
Von großer Bedeutung war, als Max Kappeler 1898 die Verbindung vom alten „Hoiberweg ins Gleit” und dem Seealpkessel auf eigene Kosten - 600 Mark - herrichten ließ und damit der Gleitweg entstand. So berichtet der Chronist Franz Alois Schratt (1868 - 1963). Mit diesem Weg eröffneten sich neue Tourenmöglichkeiten. Wo heute die Tafel »Mäxeles Egg« steht, sieht man das erste Mal in das Oytal. Hier baute das Mäxele seinerzeit eine kleine Rasthütte.
Anfang dieses Jahrhunderts pflanzte Max vom Kreuzlesanger bis zum Oytalhaus eine Ahorn-Allee, die heute zum großen Teil noch besteht. Auf dem Bild sind die gepflanzten Alleebäume gut zu erkennen.
Bis 1912 haben Max und Ludwina Kappeler in dem Oytalhaus „gewirtet”. Max Kappeler verstarb nach längerer Krankheit, im Alter von 69 Jahren, am 12. September 1919. Der bekannte Oberstdorfer Mundartdichter Otto Hengge (1870 - 1960) hat Max Kappeler, seinem Onkel, ein Gedicht gewidmet.
An einem sonnenheißen Freitag, am 14. Juni 1957, brach im alten Oytalhaus, infolge eines schadhaften Dachkamins, Feuer aus. Obwohl die Feuerwehr mit zwei Löschzügen verhältnismäßig schnell am Brandplatz eintraf, konnte das 60 Jahre alte Holzhaus nicht mehr gerettet werden und brannte völlig aus. Das Bedauern der Einheimischen und der Bergsteiger war sehr groß, daß das gemütliche Oytalhaus ein Raub der Flammen wurde.
Anmerkung:
Für gute Hinweise zu meinem Beitrag danke ich: Rudolf Blattner. Johanna Schedler. Max Berktold und Eugen Thomma (alle Oberstdorf)