Abb. 1 oben u. unten:
Grundrißzeichnungen (Erdgeschoß, Stand 1974) der zur Schrofengasse zählenden Häuser mit den zugehörigen Grundstücken, die zum „Einflußbereich” gehören; Originalzeichnung im Maßstab 1:200, Verkleinerung.
In der vierten Folge dieser Artikelreihe möchten wir versuchen, am Beispiel der Schrofengasse darzustellen, welche Kriterien unsere heutigen Empfindungen beim Begehen einer solchen Gasse bestimmen, weshalb viele von uns einen alten Straßenzug angenehmer erleben als entsprechende Wohnstraßen in Neubaugebieten.
Ablesbar sind hieraus die Zuordnungen von Wirtschafts- und Wohnteilen, deren Räume samt Möblierung im Gesamtverband der Gasse. Weiterhin sind befestigte, befahrbare Flächen unterschieden von Grasflächen, Blumen- und Gemüsegärten. Mit der Darstellung der Bäume, Büsche und Hecken wurde versucht, ein möglichst vollständiges Bild der Gasse zu zeichnen.
Beachtenswert ist auch die Plazierung der Hauptgebäude in den Grundstücken, nahezu immer entlang einer Grundstücksgrenze. Eine solch günstige Ausnutzung der Flächen ist nach heutiger Baugesetzgebung in Gebieten mit „offener” Bauweise nur selten in dieser Konsequenz möglich.
Abb. 2
Noch mehr als in Abb.1 wird hier die Raumbildung zwischen den Gebäuden erkennbar; die zugehörigen Firstlinien und Dachformen, Anbauten, Erweiterungen und alle Nebengebäude, Schöpfe und Gartenhäuschen, sowie die wichtigsten Bäume und Büsche kann man sich aus einer für den normal sterblichen Menschen ungewöhnlichen Sicht vor Augen führen.
Eine kleine Untersuchung des gesamten Bereichs der Schrofengasse soll die Wirkung der Verhältnisse von bebautem Raum und Freiraum herausheben.
Bei der Abb. 3 a zeigt die dunkle Schraffur der überbauten Flächen (Flächen, auf denen Gebäude stehen) auf, wieviel Menge des Luftraumes des „Einzugsgebietes" der Gasse mit Gebäuden vollgestellt ist; oder anders ausgedrückt: Raum, der durch das Errichten der Gebäude dem vorhandenen Luftraum „abgewonnen’’ wurde. Zum Verständnis ist es notwendig, sich die hier vorliegende zweidimensionale Darstellung räumlich vorzustellen.
Als „Gegenprobe” ist bei der Abb. 3 b der verbleibende Freiraum zwischen den Gebäuden mit der gleichen Schraffur versehen, wie die Gebäudeflächen in Abb. 3 a. Hierdurch wird das Verhältnisvon bebautem Raum zum Freiraum nochmals deutlicher.
In dieser Darstellung ist auch sehr gut ablesbar, welche spannende Abfolge die Enge zwischen zwei sich in der Straße gegenüberstehenden Bauten und räumliche Weite der angrenzenden Buinden den Straßenzug prägt. Gerade dieser Wechsel von ganz engen Durchlässen, dann ein- oder beidseitige Öffnungen machen den Reiz von guten Straßenräumen aus, der bei heutigen Neuanlagen von Straßen von den Planern oft nicht genügend berücksichtigt wird.
Abb. 3 c
Die sogenannte Reißbrett-Architektur bei der Anlage von Neubaugebieten an Dorf- und Straßenrändern bringt häufig jene Eintönigkeit hervor, welche mit etwas Geschick bei der Stellung der Gebäude zu vermeiden wäre.
Auch „unsere” Schrofengasse würde ein vielfaches an „Erlebniswert’’einbüßen, wenn, wie in Abb. 3 c dargestellt, die Situierung streng dem Gesetz des rechten Winkels folgte.
So sind die gesamten „ Qualitäten ” unseres Beispiels in Abb. 3 d zusammengefaßt. Es wird deutlich, welch feine Nuancierungen eigentlich schon genügen, um eine Situation zu verbessern: kleine Abweichungen in der Straßenbreite, leichte, kurzweilige Krümmungen des Straßenverlaufs, geringfügige Schrägstellung der Baukörper in bezug zur Straßenkante und nicht zuletzt die vielen, kleinen „Straßeneinbauten”, wie Zäune, Nebengebäude, Holzbeugen u. ä.
Eine ganz wichtige Rolle spielt hier natürlich auch die richtige Bepflanzung mit Bäumen und Büschen (in Abb. 3 d sind die wichtigsten Pflanzen mit kleinen Kreissymbolen eingetragen)
In der Abbildungsreihe 4 soll versucht werden, die in der Abbildungsreihe 3 a - d im Grundriß dargestellten Kriterien im Aufriß zu belegen. Hierzu dient als Grundlage ein Foto, in die Schrofengasse von Norden her gesehen. Siehe auch Fotostandpunkt im Grundriß! In einer „Schichtenanalyse” werden hierzu zeichnerisch die „Betrachtungsebenen” einzeln herausgearbeitet.
Abb. 4 a zeigt in der Silhouette, wieviel vom Blickfeld eines Fußgängers durch die menschliche Bautätigkeit gegenüber dem Horizont und dem freien Himmel bzw. weiter entfernt liegender Landschaft „eingeengt” wurde. Diese Einengung schafft aber gleichzeitig eine gewisse Geborgenheit für den Bewohner.
In Abb. 4 b wird durch die Eintragung der die Baukörper begrenzenden Linien wie Hausecken, Dachvorsprünge und der Linien zwischen Boden und aufgehender Wand verdeutlicht, welche Begrenzungsflächen den eigentlichen Straßenraum bilden.
Hier können wir erkennen, daß durch die leichten Krümmungen des Straßenverlaufs und die schon oben erwähnte Schrägstellung der Häuser ein weitgehend geschlossener Straßenraum entsteht. Man wird nie das Gefühl haben, aus dem Raum „ hinauszufallen". Die Hauswände und Trauflinien bzw. Dachkanten lassen schon von weitem den Straßenverlauf erkennen. Nur eine schmale Öffnung zwischen den letzten Häusern weist auf den Übergang in die freiere Landschaft hin.
In der Analyseebene in Abb. 4 c wird aufdie Bedeutung der Öffnungen in den Baukörpern - Fenster, Türen, Tore - angespielt, wobei festzustellen ist, daß eine relativ geschlossene Fassade das oben Gesagte am stärksten unterstützt.
Hier wird aber auch die Qualität der Einzelbaukörper hinsichtlich des Verhältnisses der Form der Hausfassadenflächen zu den Flächen ihrer Öffnungen und deren Ausgewogenheit untereinander veranschaulicht.
Die Abb. 4 d beweist in eindrucksvoller Art, welch enorme Bedeutung der „Ebene" der Einbauten und der Bepflanzung zukommt. Zäune und das Gras, welches durch diese hindurch und am Wegrand entlangwächst, schaffen einen weichen Übergangvon dem der Öffentlichkeit zugänglichen Straßenraum hin zum privaten Bereich der Vorgärten und Buinden.
Laubbäume, vorzugsweise Obstbäume, die nicht so hoch wachsen, an warmen Sommertagen jedoch als Schattenspender willkommen sind und im Winter durch das blattlose Geäst die wärmenden Strahlen der tiefstehenden Sonne bis in den hintersten Stubenwinkel durchlassen, nehmen auf den Gesamteindruck des Bildes erheblichen Einfluß. Des weiteren sind Balkone, Brunnen, Holzbeugen u. ä. in ihrer Wirkung als „Raumbildner” nicht zu unterschätzen.
Leider kann man beim genaueren Hinsehen heute, im Abstand von 14 Jahren, seit die beschriebenen Untersuchungen angestellt wurden, viele Veränderungen wahrnehmen, welche die alten Qualitäten nicht immer erreichen. Erfreulicherweise dürfen wir jedoch damit rechnen, daß wir die in jahrhundertelanger, behutsamer Entwicklung gewachsenen Werte in unserer gebauten und durch den Menschen beeinflußten Umgebung wieder deutlicher erkennen, den kurzlebigen Modeerscheinungen einer maschinellen und damit oft unmenschlichen Industriegesellschaft kritischer gegenüberstehen und dies bei der weiteren Gestaltung wieder mehr ins Bewußtsein rücken.
Fortsetzung folgt