Am 9. Dezember 1895 wurde in Ottobeuren ein Knabe geboren und auf den Namen Josef getauft. Es war der Sohn des Zöllners Joseph Joas und der Therese Zillenbiller. Der Vater des kleinen Josef wurde alsbald nach Oberstdorf versetzt, wo er als »Zollaufseher zu Pferd« bei der königlich bayerischen Zollwache Dienste versah. Im Jahre 1897 kamen Frau und Kinder auch ins „oberste Dorf” und bezogen im Zollhäusle Wohnung.
Nun wies das Schicksal dem kleinen Josef einen absolut nicht vorgezeichneten Weg: Der Zöllner Joas hatte einen jungen Hund, der dem Bauern Fidel Berktold in Schwand besonders gefiel. Die beiden Männer wurden sich einig, der Vierbeiner bekam in Fideles einen neuen Herrn und in Schwand ein neues Zuhause. Doch war diese Rechnung ohne den »Wauwau« gemacht worden. Der hatte nämlich Sehnsucht nach seinem Spielgefährten, dem mittlerweile vier Jahre alten Josef, und trabte frisch und munter zurück ins Oberstdorfer Zollhäusle. Um einer Wiederholung dieses Spiels vorzubeugen, beschlossen die beiden Familien, den kleinen Seppl für einige Tage nach Schwand zu schicken, bis sich der Hund an die neue Umgebung gewöhnt hätte.
Es vergingen Tage und Wochen, und es gewöhnte sich nicht nur der Hund an seine neue Umwelt, noch mehr schloß das kinderlose Ehepaar den kleinen Buben und der dieses ins Herz. Seppl war wie ein eigenes Kind, Fideles und Mathilde Berktold waren fortan seine Eltern.
Den Ernst des Lebens spürte der Kleine erstmals, als er 1902 in die Schule mußte, und diese war im Anatswald. Für einen Stöpsel in dem Alter bedeutete das weit mehr als eine Stunde Fußmarsch für die einfache Strecke. Im Winter konnte sich die Zeit fast verdoppeln.
Fidel Berktold veräußerte das Gütlein in Schwand und erbaute 1904 an der heutigen Lorettostraße ein neues Anwesen. So kam auch der Seppl nach Oberstdorf und besuchte dort noch die alte Schule (heute Rathaus).
Die Pflegeeltern ließen dem Buben die beste Ausbildung angedeihen. Fideles war mit dem Realschuldirektor und Heimatforscher Max Förderreuther in Kempten gut bekannt. Seppl kam in die Obhut dieses verdienten Mannes. Er besuchte nicht nur dessen Schule, sondern wohnte auch bei der Familie Förderreuther in Kempten. Dabei enstand eine Verbundenheit, die bis zu Förderreuthers Tod 1933 anhielt.
Von der Schule zurück, arbeitete der junge Bursche in der Landwirtschaft, doch blieb nicht lange Zeit. Der Erste Weltkrieg war 1914 ausgebrochen. Mit seinen Freunden meldete sich Seppl freiwillig zu den Waffen. Nach vier Jahren Frontdienst kehrte der junge Mann zurück.
Das Wort »Heimat« war ihm zum Begriff geworden. Neben der Arbeit in der Landwirtschaft widmete sich »Fidelese Seppl«, wie er im Volksmund genannt wurde, der Brauchtumspflege. Sei es als Mitglied der Schuhplattlergruppe, dann als Vorstand des Gebirgstrachten- und Heimatschutzvereins, als Mitinitiator des Heimatmuseums oder als Schützenmeister des Oberstdorfer Schützenvereins. Das Organisationstalent von Seppl Joas war überall gefragt. Aber nicht nur bei Trachtlern, Schützen und Feuerwehr - denen allen er rund 70 Jahre angehörte - war Seppl hoch angesehen. Auch in öffentlichen Gremien und Berufsverbänden stellte er seinen Mann. So war er Mitglied des Marktgemeinderates, des Kreistages, Beisitzer des Bauerngerichtes, Berater in Bergbauernfragen, Ortsbauernführer, Oberalpmeister der Oberstdorfer Galtalpen und Vorstand der Sennereigenossenschaft.
Für all seinen Einsatz wurde ihm 1968 das Bundesverdienstkreuz verliehen. Der Markt Oberstdorf ehrte ihn 1975 mit der Bürgermedaille. Wenn diese Auszeichnungen auch die Wertschätzung durch die Allgemeinheit widerspiegeln, so sagen sie wenig aus über den Menschen Seppl Joas.
Nach dem Tode von Fideles führte Seppl die Landwirtschaft und den angeschlossenen Fremden vermietungsbetrieb weiter. Er verheiratete sich 1934 mit Agatha Bleyle. Ein Sohn ging aus dieser Ehe hervor. Seppl war dann ein stolzer Großvater seiner drei Enkel.
In den vielen, vielen Stunden, die wir im Museumsausschuß zusammensaßen, gab Seppl unzählige Kostproben seines Wissens um die Heimatgeschichte und seines Humors ab. Wenn er dabei erzählte, wie sich Fideles mit dem Prinzregenten unterhalten hat - beide übrigens per »Du« - und er bei solcher Gelegenheit vom Regenten ein Zwanzig-Mark-Goldstück erhalten hat, war das für uns Jüngere erlebte Geschichte.
Bis in die letzten Wochen seines langen Lebens hielt Seppl »seinem« Museum, das er mit Karl Hofmann, Thaddä Jäger und Wilhelm Math gegründet und gestaltet hat, die Treue. Schon von Krankheit gezeichnet, erschien er noch zum Fototermin für die Festschrift. Aber es war ihm nicht mehr vergönnt, am 20. Mai 1982 das 50. Gründungsjubiläum mitzufeiern. Am 8. April 1982, am Gründonnerstag, endete sein Erdendasein.
Sein Freund und Weggefährte Karl Hofmann schrieb über Seppl damals in der Jubiläumsschrift: „Die Wiege von Sepp Joas stand in Ottobeuren, aber sein Herz gehörte Oberstdorf.” Dieser Beschreibung habe ich nichts hinzuzufügen.