Wenn Oberstdorf einem verdienstvollen Bürger des 19. Jahrhunderts ein Denkmal setzen sollte, so wäre wohl der erste Anwärter darauf Josef Anton Vogler, ,,Clöüdese Josef Anton”, wie er unter den Einheimischen hieß.
Als Sohn des Landwirts und Kaufmanns Claudius Vogler und dessen Ehefrau Josepha, geb. Haug, erblickte er am 24. März 1839 in Oberstdorf das Licht der Welt und wuchs im Anwesen Nr. 150 am Marktplatz auf. Durch den frühen Tod des Vaters mußte er bereits in jungen Jahren das elterliche Warengeschäft und die Landwirtschaft übernehmen.
Neben seinem Beruf - und öfters noch davor - kümmerte sich J. A. Vogler um die Belange der Allgemeinheit. Er gehörte nicht zu denen, die über die schlechten Zeiten jammerten und auf deren Besserung warteten. Er war ein Mann der Tat, ein Motor im gewerblichen Leben Oberstdorfs. Einen adäquaten Partner fand er in dem neuen Dorfarzt Dr. Ulrich Reh. Beide erkannten, daß Oberstdorf mit seiner herrlichen Landschaft ein unbezahlbares Kapital besaß.
Es galt nur, das Juwel zu erschließen, Gäste anzuwerben und diesen den Aufenthalt so angenehm als möglich zu gestalten. Aber es fehlte an allem, in erster Linie an Geld. Nur in der Gemeinschaft konnte diese Aufgabe gelöst werden. So waren Dr. Reh und J. A. Vogler die Initiatoren, als sich 1872 einige Oberstdorfer im Verschönerungsverein zusammenschlossen, um eine Infrastruktur für den geordneten Fremdenverkehr zu schaffen. Dr. Reh befaßte sich mit dem Gesundheitsbereich wie Luft-, Terrain-, Milch- und Molkekur. Vogler war für Werbung, Ausstattung und Animation zuständig. J. A. Vogler, der voller zündender Ideen steckte, wurde der technische Leiter des jungen Verschönerungsvereins. So war er Planer und Ausführender in einer Person.
Als erstes galt es, Spazierwege anzulegen, Ruhebänke und Wegweiser aufzustellen sowie schattenspendende Alleen zu pflanzen; und da begannen schon die Schwierigkeiten. Hatte Vogler die finanziellen Probleme überwunden, so setzten ihm seine lieben Mitbürger zu. Eigennutz und die Absicht persönlicher Bereicherung wurden ihm unterstellt.Vogler hatte gegen Eigensinn, Neid und Dummheit anzukämpfen. Doch setzte er seine Pläne unbeirrt in die Tat um. Das Schwergewicht der Arbeit lag anfänglich im Spazierwegebau.
Als frühes Mitglied des Alpenvereins hatte er zu diesem Personenkreis Verbindung und fand dort Gehör. Es kam daher nicht von ungefähr, daß der Alpenverein in Oberstdorf auch Wanderwege im Tal anlegte. So entstanden z. B. der Weg durchs »Pecherholz« nach Spielmannsau (1876) und der Hölltobelweg nach Gerstruben (1879). Die »Trettachanlagen«, das einstige Spazierwegenetz beiderseits des Flußlaufs zwischen Mühlenbrücke und Dummelsmoosbrücke, waren auch Voglers Werk. Ebenso wurde er der Initiator des Oytalweges und der Alleen an der Loretto-, Prinzen- und Scheibenstraße. Gerade in diesem Bereich gab es langwierige und unangenehme Verhandlungen mit diversen Grundanliegern.
J. A. Vogler, der als Oberstdorfs erster »Kurdirektor« bezeichnet werden kann, gab Werbeinserate in großen deutschen Tageszeitungen auf. Die Gästezahl wuchs. Neue Gasthöfe trieben die alten Betriebe zur Modernisierung. Durch die Erfolge seines Nachbarn Vogler angeregt, baute der »Mohrenwirt« Steiner 1883 das Gesellschaftshaus, Oberstdorfs erstes Kurhaus. Im gleichen Jahr ließ der Verschönerungsverein nach Voglers Ideen und unter dessen Leitung am »Stockach« die »Moorwasserbadeanstalt« erbauen. Es war dies im Allgäu eines der ersten, wenn nicht gar das erste Schwimmbad. Voglers größter Wunsch, für den er sich mit aller Kraft einsetzte, ging 1888 in Erfüllung: die Fortführung der Eisenbahn von Sonthofen nach Oberstdorf. Natürlich machte er sich damit nicht nur Freunde; die Fuhrleute, Boten und Stell Wagenunternehmer verloren auf dieser Strecke ihren Verdienst.
Oberstdorfs Gästezahlen hatten sich verdoppelt, ja verzehnfacht. 1893 konnte der Verschönerungsverein am Freibergsee eine Kahnfahrtvermietung und eine Badeanstalt in Betrieb nehmen, nachdem durch Voglers entscheidende Mithilfe der See angekauft worden war.
Es war fast selbstverständlich, daß J. A. Vogler über viele Jahre Mitglied der Gemeindeverwaltung (heute Gemeinderat) war. Das verhinderte aber nicht, daß gerade aus diesem Gremium Vogler oft gewaltigen Gegenwind verspürte.
Der »Kurdirektor« überraschte seine Freunde und Gegner immer wieder mit neuen Ideen. Aus eigenem Geldbeutel bezahlte er seine »Bildungsreisen« zu verschiedenen Kurorten des In- und Auslandes. Seine Tochter Amalie begleitete ihn dabei gelegentlich, das war deren »Lohn« als »Schriftführerin« des Verschönerungsvereins und »Sekretärin« des »Kurdirektors«.
Vogler diente seinem Heimatort auch in anderen ehrenamtlichen Positionen. Viele Jahre wirkte er als Mitglied der Musikkapelle. Eine Trommel mit Voglers Namenszug befindet sich heute im Heimatmuseum. Als sich nach dem verheerenden Brand von Oberstdorf Bürger zu einer Freiwilligen Feuerwehr zusammenschlossen, war J. A. Vogler, neben Dr. Reh und Ludwig Gschwender, einer der Initiatoren. Von der Gründung 1874 bis zum Jahre 1895 weisen die Protokollbücher die schwungvolle Handschrift von Schriftführer Vogler auf. Nebenbei war er auch noch einige Jahre Adjudant (stellvertretender Kommandant).
Neben all den Tätigkeiten vertrat der Unermüdliche die Gemeinde Oberstdorf im Vorstand der Sektion Immenstadt im Deutschen und Oesterreichischen Alpenverein. In dieser Eigenschaft hat er 1883 mit Bergführer Carl Brutscher und einigen anderen Vorstandsmitgliedern der Sektion Immenstadt einen Weg durch den Geißbachtobel zum Himmeleck ausgekundschaftet. Es war dies der kürzeste Weg von Oberstdorf zum Hochvogel. Daß sich Vogler, der auch die Oberstdorfer Mitglieder innerhalb der Immenstädter Sektion vertrat, für den Bau des Nebelhornhauses 1890 stark gemacht hat, sei nur am Rande vermerkt.
J. A. Vogler heiratete 1872 Josefine Hatt aus Sonthofen, die schon nach kurzer Ehezeit verstarb. Ihre Schwester Amalie wurde J. A. Voglers zweite Frau und die Mutter seiner fünf Kinder. Vogler selbst litt Jahrzehnte an einer heimtückischen Krankheit, die letztendlich auch zum Tode des erst Fünfundfünfzigjährigen führte. Allzufrüh läutete ihm die Todesglocke. Das lebensrettende Insulin kam für ihn 30 Jahre zu spät.
Mit J. A. Vogler verlor Oberstdorf einen seiner größten Idealisten. Weder Rückschläge noch Anfeindungen oder Schmähungen konnten ihn vom eingeschlagenen Weg abbringen. Er war von der Richtigkeit seines Handelns überzeugt und mit seinen Ideen den meisten seiner Mitbürger um Jahrzehnte voraus. Leider war es ihm nicht vergönnt, die Früchte seiner Arbeit im Aufblühen Oberstdorfs in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg zu erleben. Am 18. November 1895 blieb sein Herz stehen, das so leidenschaftlich für seinen Heimatort Oberstdorf geschlagen hatte.
Es ist reiner Zufall, daß Josef Anton Voglers Elternhaus, in dem auch er bis zu seinem Tode wirkte, heute die Kurverwaltung beherbergt und sich dort somit der Kreis von den Anfängen zur Gegenwart schließt.