Ortspolizist Schonath
in Amt und Würden
bei der Abfahrt zur
Einweihung der neuen
Walser Straße 1932
Wenn man während einer Gipfelrast im Gipfelbuch blättert, beschränkt sich das „Studium” in der Regel auf die letzten Eintragungen. Handelt es sich aber um ein Buch, das schon ein Menschenalter alt ist und seinen Platz nun im Oberstdorfer Heimatmuseum gefunden hat, lohnt es sich, weiter zurückzublättern und etwas zwischen den Zeilen zu lesen.
Das vorliegende Buch vom Höfats-Ostgipfel hat seinen Ursprung in der Inflationszeit, im Jahre 1923.
Beim ersten Durchblättern des Höfatsbuches ist mir ein Name aufgefallen, der mir aus den Jugendjahren sehr gut in Erinnerung ist. Es handelt sich um die damals markanteste Persönlichkeit des Ortes, um den Ortspolizisten Schonath. Am 12. August 1923 stieg er in Begleitung von Karl Hofmann auf die Höfats. Was für unseren Ehrenbürger Karl Hofmann bis in sein hohes Alter hinein bergsteigerisch eine Selbstverständlichkeit war, kann man bei seinem Begleiter, soweit ich ihn aus meiner Schulzeit in den dreißiger Jahren in Erinnerung habe, nicht unbedingt behaup ten.
Franz Schonath war ein Polizist, wie man ihn heute nur noch aus der Ludwig-Thoma-Literatur oder aus dem „Königlich Bayerischen Amtsgericht” kennt. Sein zielbe wußtes Auftreten, bei besonderen Anlässen in Amt und Würden mit Helm und Säbel, stramm und vor allem „an kerege Büch”, hat ihn zu einer Respektsperson werden lassen, wie es sich die Ordungshüter heute nur noch wünschen können. Ver mutlich war er kein Verächter des edlen Gerstensaftes; denn von nichts kommt nichts.
Aber zu dieser Zeit gab es noch keine Promilleprobleme, auch bei der Polizei
nicht. Autos hat es so gut wie keine gegeben, nur Fahrräder, und die waren nicht
immer die besten. Der Besitz eines Fahrrades war zu der damaligen Zeit noch nicht
so selbstverständlich wie heute der eines Autos. Wenn man nun mit einem
ausgelie
henen Rad durch den Ort gefahren kam, von weitem schon zu hören und vielleicht
noch ohne Licht und Glocke, war das Problem weniger der Gegenverkehr als der
Schonath.
Im Jahre 1923, als der Schonath auf die Höfats stieg, war ich erst ein Jahr alt. Es ist also anzunehmen, daß er in späteren Jahren, als der Bierpreis niedriger als in der Inflationszeit war, in den mir bekannten „Umfang” hineingewachsen ist, so daß meine Bedenken in bezug auf die bergsteigerische Leistungsfähigkeit des hochlöblichen Oberstdorfer Ortspolizisten zerstreut sein dürften.
Aber nicht nur an Heiteres erinnern die Eintragungen im Höfatsbuch. Am 15. März 1924 hat Willy Merkl von der Sektion Bayerland eine Überschreitung von West nach Ost eingetragen. Dieser Eintrag erinnert an das tragische Unglück zehn Jahre später am Nanga Parbat. Merkl, seinerzeit Expeditionsleiter, der bekannte Eisgeher Dr. Willo Welzenbach, Uli Wieland und sechs Hochträger sind infolge eines vorzeitigen Monsuneinbruchs im Lager 7 in einer Höhe von 7050 m, unterhalb des Silbersattels, ums Leben gekommen.
Das war im Jahre 1934. Im Jahre 1938 hat eine deutsche Expedition unter Leitung von Paul Bauer Merkls Leiche gefunden und dabei in seiner Brusttasche ein erschütterndes Dokument entdeckt: eine letzte handschriftliche Nachricht, in der Welzenbach seine und Merkls letzte Stunden am Nanga Parbat schildert.
Hermann Rädler aus Langenwang, dem im Jahre 1910 die Erstbesteigung des nach ihm benannten Südwestgrates am Himmelhom gelang, zählte die Höfats zu seinen Lieblingsbergen. Am 10. September 1925 hat er in Begleitung seiner Frau Marie seine „50. Höfatstour” eingetragen.
„Die Berge meiner Jugend sind die Berge des Allgäus. In ihnen schaute ich erstmals ihre herbe Zauberpracht: die rauschenden Wälder in den blauen Hochtälern, die weiten weichen Matten, die weißen Kare und endlich die Berge selbst mit ihren silbergrauen Wänden, ihren zerfressenen Graten und ihren stolzen Gipfeln.” So schreibt Leo Maduschka, ein junger Münchner Bergsteiger und Dichter, in seinem Buch „Junger Mensch im Gebirg”. Am 11. August 1926 hat sich Leo Maduschka auf der Höfats, einem seiner Jugendberge, eingetragen. Auch dieser Eintrag ist mit einer Tragik verbunden: Sechs Jahre später, am 4. September 1932 ist Leo Maduschka an der Civetta-Nordwand in den Dolomiten tödlich verunglückt.
Die Höfats galt in früheren Jahren mehr als heute als der Berg der Oberstdorfer; allein die Eintragungen im Gipfelbuch lassen darauf schließen. Der auswärtige Höfatsbesteiger hat seine Anwesenheit oftmals mit Berufsangabe dokumentiert, so der Postbote Josef Klein von Langenwang, sowie Fritz Ehrhardt, Postinspektor aus Bamberg, aber auch der Lehrer Ludwig Schnadel aus Erisried und der Kaminkehrer Alois Knestel aus Sonthofen, um nur einige zu nennen. Der Einheimische dagegen hat seinen Beruf auf der Höfats nicht veröffentlicht und im äußersten Fall mit dem Zusatz „ .. . hier gewesen am ... ” seinem Gipfelbesuch Ausdruck verliehen.
In den zwanziger Jahren war der Bergführerberuf in unserem Teil der Alpen noch lukrativer als heute. Verständlich, unser Erdball ist kleiner geworden, Verkehrs- und Finanzprobleme können kaum noch daran hindern, ein Wochenende in den Dolomiten oder einen vierwöchigen Bergurlaub im Himalaja zu verbringen. Die Höfats ist damals der Anziehungspunkt auch unserer Gäste gewesen, das bestätigen die Eintragungen im vorliegenden Gipfelbuch mit den Oberstdorfer Bergführern Alois Braxmair, Fritz Dünßer, Sepp Müller, Otto Rees, Kaspar Schwarz, Franz Xaver Steiger, Ignaz Vogler sowie Alois und Wendl Weitenauer.
Leider war die Höfats in früheren Jahren nicht nur Anziehungspunkt ihrer typischen Allgäuer Form wegen, sondern auch wegen des Edelweißes. Bei einem Blumengruß für die Liebste, den in der Zwischenzeit dankenswerterweise Fleurop übernommen hat, ist es aber nicht immer geblieben. Die begehrte Blume ist oftmals für gewerbliche Zwecke verwendet und dadurch nahezu ausgerottet worden. Der größere Tribut hierfür war in vielen Fällen das Leben von jungen Menschen.
Ein Höfatsbesucher hat sich beklagt, daß er „das letztmal und heute einen Edelweißpflücker erwischt habe. Jeder behauptet, auf der Höfats gewesen zu sein, keiner hat sich aber eingetragen.” Ein anderer, vermutlich ein Walser, meinte zu diesem Kommentar: „s’ hättet muesse g’hörig verwalcht sy!”
Emil Besler, ein Hintersteiner, hat seine Reiseroute auf die Höfats von der Amans- Alpe aus beschrieben, auf der er wahrscheinlich als Hirt tätig war. „Von der Amans- Alpe im Kleinwalsertal übers Alpenhotel Schönblick, Freibergsee, Gerstruben auf den Ostgipfel der Höfats am 13. Juli 1924.” Wenn er, wie man annehmen darf, vor seinem Abmarsch und nach seiner Ankunft noch sein Vieh zu versorgen hatte, war es ein respektabler Tagesausflug.
Die Erstersteigung der Höfats lag schon viele Jahre vor der Zeit, in der dieses Buch die Gipfelbesucher dokumentiert. Genaue Aufzeichnungen hierüber sollen nicht vorhanden sein. Bevor Professor Sendtner von seiner Ersteigung des Westgipfels im Jahre 1848 berichtete, dürften bereits Jäger über die leichteren Anstiege auf dem Berg gewesen sein. Schwierigere sind von Thaddäus Blattner und Leo Dorn im Jahre 1856 über den Nordgrat, über den Nordostgrat und durch das Rote Loch bekannt. In den neunziger Jahren und um die Jahrhundertwende eröffneten dann die Bergsteiger Enzensperger, Bachschmid, Kranzfelder, Spindler und andere den Reigen rein alpiner Unternehmungen. Die schwierigsten Höfatsanstiege haben in den Jahren 1930 bis 1935 wiederum Einheimische an „ihrem Berg” erstmals ausgeführt.