Textseiten aus dem ersten Ortsprospekt, dem damaligen graphischen Geschmack entsprechend mit Schmuckleisten und Initialen.
Mit der Gründung des Verschönerungsvereins im Jahre 1872 begann nicht nur der Ausbau der touristischen Infrastruktur, sondern auch die Notwendigkeit, die Vorzüge Oberstdorfs aktiv zu bewerben. Was mit dem von Prof. Dr. Adolf Thürlings und dem Verschönerungsverein herausgegebenen „Handbuch für Sommerfrischler und Bergfahrer” im Jahre 1891 anfing, wurde bald zu einer festen Einrichtung, ja gar einer fast alljährlichen Notwendigkeit und immer wieder aufs Neue als eine attraktive Visitenkarte fürs oberste Dorf herauszugeben. Was heute Hochglanzprospekte, Apps und Internetseiten sind, war seinerzeit ein einfaches, kleines und oft dünnes Heftchen. Aber nicht desto weniger können wir uns heute noch etwas von der Aufmachung und Formulierung der damaligen Reklame abschauen und über die Kreativität und die Entscheidungen unserer frühen Touristiker staunen.
Noch bevor es die ersten Prospekte gab, waren Reisehandbücher die wichtigste Quelle für Sommerfrischler und Bergfahrer. Diese waren im eigentlichen Sinne keine Reklame, sondern vielmehr faszinierende und facettenreiche Beschreibungen von Land und Leuten. Der Fokus lag damals auf dem geschriebenen Wort, der Einsatz von Fotografien war eher spärlich. Für diesen Artikel verwende ich Original-Prospekte, die ich für mein Privat-Archiv in den letzten acht Jahren zusammengetragen habe. Es ist möglich, dass weitere Prospekte herausgegeben wurden, die mir und meinen Quellen nicht bekannt sind. Die Prospekte können im vollen Umfang unter www.huimat.de aufgerufen werden.
Damit der Leser einen Einblick in die Gestaltung der Prospekte erhält, habe ich die Reihe in mehrere Teile aufgeteilt. In diesem Teil sollen zunächst die Prospekte bis zum 1. Weltkrieg behandelt werden.
In Jahre 1897 erschien der wohl erste echte Oberstdorfer „Ortsprospekt” des Verschönerungsvereins, mit einem Umfang von 20 Seiten, Druck und Herstellung erfolgte bei der „C. Jacobsens Kunstanstalt” in Altenburg. Fast alle Bilder stammen vom Fotografen M. Rauch aus Kempten. Obwohl dieser einen wesentlichen Beitrag zur fotografischen Dokumentation Oberstdorfs und des Allgäus beigetragen hat, ist über dessen Leben nichts bekannt.
Der Text ist voller großartiger Formulierungen zu Lage und Umgebung, z. B.: „Mehrere Seen laden durch ihre liebliche Lage zwischen Wald- und Wiesenhängen, durch ihre wunderbare Färbung zum Besuche ein oder beleben eine einsame Felslandschaft auf stiller Bergeshöhe.” Zum Thema Klima wurden die wesentlichen Vorzüge klar auf den Punkt gebracht: „Die Luft ist staubfrei und sehr sauerstoffhaltig, von kräftigender Wirkung. Stürme und rauhe Winde sind während des ganzen Jahres sehr selten. [...] Im Sommer wird übrigens auch an den heissesten Tagen die Wärme durch kühle Nächte, reichliche Taubildung und tagsüber durch regelmässige, höchst angenehme Luftbewegung gemildert. [...] Seiner Meereshöhe nach liegt Oberstdorf über der Zone der Herbst- und Winternebel.”
Die Unterkunftsmöglichkeiten im obersten Dorfe werden als „nach dem Brande 1865 stattlich & neu im Gebirgsstile erbaut” und mit 1000 Gästezimmer und 1900 Betten angegeben, „mit elektrischer Beleuchtung im Markt und vielen Privatwohnungen”. Als Vergnügungen werden „Fischerei, Kahnfahren” sowie „Lawn-Tennis-Platz” beim „Hôtel Luitpold” angegeben, „Scheibenschießen” im Schützenhaus, „musikalische Produktionen von Militärkapellen und anwesenden Kurgästen, Theater und Recitationen” und „Einheimische führen originelle Tänze [Secherstanz, Wild-Männles-Tanz] auf” und „dem Wintergaste ist Gelegenheit zu Schlittschuhfahren, Skilaufen und Schlittenfahren geboten”. Ein kleiner, gefalteter Ortsplan, gezeichnet von Franz Alois Schratt, ermöglicht eine gute Orientierung im damals, aus heutiger Sicht, noch sehr übersichtlichen unteren und oberen Markt.
Aus dem Jahre 1906 stammt der nächste mir bekannte Prospekt des Verschönerungs-Vereins, ebenfalls bei „C. Jacobsen” verlegt. Die Angaben im Text deuten darauf hin, dass dieser erstmalig schon 1902 erschienen ist und danach immer wieder, leicht geändert, neu gedruckt wurde.
Im Abschnitt „Lage und Umgebung” werden 2500 Einwohner angegeben. Weiter heisst es „Der Umgebung von Bergriesen verdankt der Ort seine geschützte Lage, der Gruppierung der Gebirgszüge, die in kulissenartiger Anordnung auslaufen und eine sonst in der Alpenwelt wohl kaum vorkommende Anzahl der reizendsten Seitentäler bilden, seine unerreichte Mannigfaltigkeit der herrlichsten Ausflüge und Touren.” Da fühlt man sich sofort an den Tourismus-Slogan „Im Tal der Täler” aus den späten 1990er Jahren erinnert. Später konstatiert der Autor: „Alle diese landschaftlichen Vorzüge haben Oberstdorf seit Jahren zu dem betuchtesten Luftkurorte des Allgäus und einem beliebten Ziele für Touristen gemacht, – ein Resultat, das ohne besonderes Zutun und Reklame erreicht wurde.” Eine Feststellung welche die heutigen Tourismus-Experten wohl mit Neid erfüllen muss.
Im Abschnitt Klima wird der Vergleich mit Temperaturen der Vorjahre angeführt und Sonnentage in Oberstdorf aufgelistet, auch Niederschläge werden kreativ umschrieben: „Der trockene Kalkboden saugt die Feuchtigkeit rasch wieder auf, so daß meist gleich nach dem Regen die Hauptspazierwege wieder trocken sind.” Weiter heißt es wahrheitsgetreu: „Den Misstand der Städte: heiße Nächte in durchwärmten Häusern kennt Oberstdorf nicht.” Eine Eigenschaft, die unsere heutigen Gäste ebenfalls sehr zu schätzen wissen.
Rund um das Jahre 1910 wir der Ortsprospekt weiter entwickelt. Die Texte werden länger, umfangreicher und vor allem die Anzahl der Seiten und Abbildungen steigt. Für die Titelgestaltung ist Richard Mahn (1866 – 1951) verantwortlich, ein aus Leipzig stammender und damals schon in Bad Oberdorf lebender Maler. Mit 40 Seiten Umfang (geheftet), im Format A6, wurden die Prospekte nun bei „Meisenbach Riffarth & Co.” in München aufgelegt. Das 1892 gegründete Unternehmen war um 1900 die europaweit bedeutendste graphische Kunstanstalt. Durch hochwertige Reproduktionen von Gemälden und Fotografien in Tiefdruck erlangte die Firma weltweit Anerkennung und wurde bei der Weltausstellung in Paris prämiert. Die Zusammenarbeit mit Oberstdorf bestand bis 1914, bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges. Der Prospekt beinhaltet eine großartige Faltpanorama-Fotoaufnahme von Wilhelm Hagspiel sowie ein Nebelhorn-Panorama mit Angabe der Gipfelnamen von M. Rauch aus Kempten. Darüber hinaus noch eine Karte des Ortes, gezeichnet von F. A. Schratt, in der die Mitgliedshäuser des Verkehrs- und Kurvereins mit Hausnummern markiert und „zur Benützung empfohlen” wurden.
Um dem steigenden Interesse an Oberstdorf als Winterstation gerecht zu werden, gab der Verschönerungsverein auch einen eigenen Winterprospekt „Oberstdorf im Winter” heraus. Mein Exemplar kann auf ca. 1911 datiert werden und ich vermute, dass dieser erstmalig im Winter 1910/11 erschien. Die Herstellung (36 Seiten, 12 × 15,5 cm) erfolgte erneut durch „Meisenbach Riffarth & Co.” in München. Neben den allgemeinen touristischen Angaben und vielen großartigen Fotografien von Joseph Heimhuber (1853 – 1923) und Wilhelm Hagspiel ist fast der ganze Prospekt um die Erzählung eines weiblichen Stammgasts aus München herum aufgebaut. Eine einzigartige Kombination, die beim Lesen wirklich Laune macht. Einen Auszug darf ich hier daher nicht vorenthalten. Anna Croissant-Rust, Pasing, erzählt:
„Treibt mir’s der Schneewind hier auf der Hochebene zu bunt und orgelt mir Tag und Nacht die Ohren voll, so weiss ich wohin: ich flüchte, um seinem Gestöhn zu entgehen, ich schlage ihm ein Schnippchen und verziehe mich nach Oberstdorf. Wenn ich von fern das jäh emporstrebende Gezack der Allgäuer Berge am Horizont auftauchen sehe, fällt alles Graue, alles Verhockte und alles Mürrische von mir ab und ich fühle mich frei und von Heiterkeit erfüllt, wenn ich in den weiten, sonnendurchleuchteten Kessel von Oberstdorf einfahre, das mich behaglich und weich in seinem Schneenest ruhend, strahlend in der Sonne, empfängt.
Der dunkle Schattenberg beschützt es und der hochfahrende Himmelschrofen‚ das Söllereck steht Wacht und dahinter steigen in wilder Linie, in zerrissener Kontur die Krottenköpfe auf, der Kratzer, die majestätische Trettachspitze und die Mädelegabel. Wahrlich ein Anblick, um den allein es sich lohnt, ohne jedes andere Motiv, ins Allgäu zu fahren. Und dann die Wintermorgen dort! Da liegt man im weichen Federbett einer netten Südstube, draussen friert es, dass es förmlich kracht und dampft -zwanzig Grad! Nichts rührt sich, es ist, als halte sich alles geduckt vor der Kälte, kaum dass einmal ein Tritt über die Strasse schreitet! Da kommt langsam hinter den Bergen ein blutrotes, wunderliches, riesengrosses Gestirn zum Vorschein, wie ein gigantischer glühender Ballon, schwebt in grau und violettem Dunst, tastet mit ein paar Strahlenfingern nach dem Ort – da und dort glimmt und flirrt ein Fenster; auf einmal ist das ganze Tal, noch rauchend vor Kälte, von Sonne erfüllt, wächst förmlich in eine Heiterkeit hinein, die später, gegen die Mittagszeit, fast jubelnd und triumphierend wird. Wie im März fangen die Dächer an zu tropfen, an der Südwand des Hauses – mag auch an solchen Tagen in der Nacht die Kälte wie ein ,Währwolf’ hereingefallen sein – kommt es bis zu 25 und 30 Grad Wärme und man kann sich getrost und beschaulich auf ein Bänklein setzen oder legen, kann träumen, meditieren, eine Krankheit pflegen, die die Sonne austreiben soll, oder bewundern, welch glitzernde, fröhliche Pracht ringsum ist. Wer davon sprach, dass er im Januar in Oberstdorf im Freien Kaffee getrunken, hat nicht in der Sprache Münchhausens geredet. Ich bin selbst so manche Stunde in den warmen, stets windstillen Mittagsstunden vor dem Hause gesessen, den stummen, stolzen, weissleuchtenden Kranz der Berge vor mir.”
Um dem steigenden Interesse an Skifahrten im Gelände gerecht zu werden, gab der 1907 gegründete Skiclub Oberstdorf, wohl ca. 1915, das Heft „Skifahrten in Oberstdorf” heraus. Dieses Heft darf als der erste „Skiführer” bezeichnet werden. Das Heft mit 30 Seiten, im relativ großen Format 15 × 23 cm, wurde bei der Buchdruckerei Himmer in Kempten im zweifarbigen Tiefdruck hergestellt.
Tourenpläne wurden in Ausschnitten der Karten vom »Topographischen Bureaus des Kgl. Bayr. Generalstabes« im Maßstab 1:50.000 eingezeichnet. Es beinhaltet 16 Touren-Tipps (Nebelhorn, Großer Daumen, Himmeleck, Fellhorn, Schlappoldkopf, Schrattenwang-Alpe, Söllereck, Schrattenwang nach Riezlern, Fellhorn/Kanzelwand, Hochifen, Steinmandl, Hählekopf, Diedamskopf, Wannenkopf, Riedbergerhorn, Weiherkopf) mit ausführlichen Wegbeschreibungen und genauen Angaben zur Dauer des Auf- und Abstieges, Angaben zu Notunterkünften und Rettungs- und Unfallmeldestelle (sehr oft ist hierfür die Buchhandlung A. Hofmann am Marktplatz angegeben). Ein überaus amüsanter kleiner Anzeigenteil rundet das Heft ab und soll dem Leser nicht vorenthalten werden.
Fortsetzung folgt