Bergführer Edi Bußjäger
Als ich vor über acht Jahren begonnen habe, Material über Oberstdorfs Bergführer zu sammeln und über diesen Personenkreis zu schreiben, war ich „blauäugig”. Ich ahnte nicht, auf was ich mich da an Nachforschungen und Arbeit eingelassen hatte. Wenn ich mit der heutigen Folge und rund 50 Führern dieses Thema in unserer Schriftenreihe beende, bin ich mir fast sicher, daß ich eine Rüge bekomme, weil ich diesen oder jenen Führer vergessen habe. Man wird mir auch sagen, daß ich über einen mehr geschrieben habe als über einen andern. Das lag sicher daran, daß mir eben bei einem mehr und beim andern weniger Material zur Verfügung stand. Ich habe versucht, das Beste daraus zu machen; sollte ich trotzdem einen gravierenden Fehler gemacht haben, möge man mir das nachsehen. Wie in den bisherigen Folgen, so will ich auch diesmal die Führer dem Alphabet folgend benennen.
In einer wohl mit Kindern, aber nicht mit materiellen Gütern reich gesegneten Familie am Faltenbach aufgewachsen, kam Edi Bußjäger schon in frühester Jugend mit Natur, Sport und Bergen in Berührung. Sein Vater war u. a. Hirte gewesen und da durfte der Junge schon alsbald mithelfen. Als Geißhirt mit der Herde am Kühberg erkundete Edi auch so manchen Schrofen oder kleine Wand am Schattenberg. Nach seiner Lehre als Schuhmacher ging dieses Handwerk sehr zurück. Edi sattelte um und durchlief eine zweite Lehrzeit als Maurer. Der nahe Oybele- Sportplatz, doch noch mehr die Kühbergschanze, die Schattenbergschanze und die Langlaufloipe beeinflußten den künftigen sportlichen Werdegang des hochaufgeschossenen Burschen. Als Langläufer vertrat er u. a. den Skiklub Oberstdorf auf Sizilien beim Lauf „Rund um den Ätna”. Er betätigte sich als Fußballer und erwarb sich auch im Boxring Meriten.
Bald fand der begeisterte Bergsteiger auch den Weg zur Bergwacht, wo wir zusammen auch einige Bergeinsätze erlebten.
Mit verschiedenen seiner Kameraden hat Edi eine Reihe von schweren und schwersten Klettertouren ausgeführt. Allein aus dem Tourenbuch seines Bergkameraden Peter Kaiser lassen sich mehr als ein Dutzend Routen mit den Schwierigkeitsgraden VI und VI+ ersehen, die Peter und Edi in den Sommern 1968/69 zusammen begingen: in den Tannheimer Bergen die „Direkte Nordwand” und gleich anschließend noch die „Direkte Südwand”, später auch den Südpfeiler des Gimpel. In den Dolomiten bezwangen die beiden die Nordwestkante („Scoiattoli-Kante”) der Westlichen Zinne, an der Kleinsten Zinne die „Cassin-Führe” und die Nordwand, an der Rotwand die Südwestwand („Maestri”), im Rosengarten die Punta Emma, die „Schweizer Führe” durch die Nordwand der Westlichen Zinne, die „Camilotto-Pelesier” durch die Nordwand der Großen Zinne. Auch in der Schweiz und nach Frankreich führte der Weg der Gipfelstürmer. Am Piz Badile im Bergell durchstiegen sie die Nordostwand und auf der „Cassin-Route” die Südwand der Aiguille du Midi bei Chamonix.
Mit Erwin Fournier, dem damaligen Wirt der Hermann-von-Barth-Hütte, hat Edi auch im Gebiet der Hornbachkette einige Erstbegehungen durchgeführt.
Wann der junge Mann als Anwärter und später als Führer aufgestellt wurde, konnte ich nicht erfahren. Er ist aber 1960 im Anwärterverzeichnis und am 1. Juni 1971 im Bergführerverzeichnis aufgeführt.
Unter dem 15. September 1987 findet sich im Gipfelbuch der Höfats folgender Eintrag: „Höfatstobel - Kluppenköpfe - Nordgrat - Traverse, Willi Kappeler, Rubi, Edi Bußjäger, Harriet”. Im gleichen Buch steht unter dem 31. Oktober 1987: „Kl. Höfats NG, Travers Ostgipfel, Edi Bußjäger, Harriet“ und am 2. August 1988 „Südwest-Grat - Traverse - Ein herrlicher Tag, Edi Bußjäger - Oberstdorf, Willi Kappeler - Oberstdorf”.
Die Schneck-Ostwand, eine sehr schwierige Tour in den Allgäuer Bergen, hat Edi mehrmals geführt, so auch seine Frau Heidi, die damit die erste Damenbegehung in dieser Wand für sich verbuchen konnte.
Diese moderne Art des Bergführens ist nicht mehr zu vergleichen mit den Führungen der Alten auf ausgetretenen Pfaden. Es waren alpine Höchstleistungen, die der Bergführer Edi Bußjäger vollbrachte und deren Reihe sich hier beliebig fortführen ließe.
Max Eduard Bußjäger, geb. 25. Januar 1933 in Oberstdorf, verheiratete sich am 29. September 1960 mit Adelheid Süßdorf und lebte mit ihr im eigenen Haus am Plattenbichl. In seiner Heimat Oberstdorf führte Edi Kletterkurse für Gruppen durch. Im Rahmen dessen begleitete er am 26. Juli 1989 bei einer Führungstour in den Tannheimer Bergen eine Seilschaft. Er selbst kletterte in dem für ihn „leichten” Fels frei nebenher und gab seinen Schützlingen Anweisungen. Da geschah das Unglück - Edi, der die schwierigsten alpinen Situationen meisterte, verlor in den Bergen, die er so liebte, sein Leben.
Über diesen Mann als Führer und Alpinist hier zu schreiben heißt schlichtweg Eulen nach Athen tragen, aber die Chronistenpflicht gebietet es auch über ihn zu berichten: Anderl Heckmair.
Das Bergsteigerleben des Anderl ist in einer ganzen Reihe von Büchern und Berichten beschrieben, so daß mir die Wahl weh tut, aus welchem ich zitieren soll. In dem Buch „Eigernordwand, Grandes Jorasses und andere Abenteuer”, zu dem Reinhold Messner das Vorwort geschrieben hat, ist auf der Innenseite des Umschlages zu lesen:
„Unter den bedeutendsten Bergsteigern des 20. Jahrhunderts nimmt Anderl Heckmair (geb. 1906), der Erstdurchsteiger der Eigernordwand, einen besonderen Platz ein. In München im Waisenhaus aufgewachsen, als gelernter Gärtner dann auf Jahre arbeitslos, schlug er sich in den 20er und 30er Jahren als ,Bergvagabund’ durchs Leben und eignete sich in dieser Zeit die alpinistischen Fähigkeiten an, die ihn, zusammen mit seinem Temperament und seiner Sicherheit, in Bergsteigerkreisen bekannt - und als Rivale gefürchtet - machten.”
Im Klettergarten um München, in den Chiemgauer Bergen, im Karwendel, im Wetterstein und im Wilden Kaiser begann die alpine Laufbahn, um sich in der Schwierigkeit der Touren immer weiter zu steigern; Klettertouren wie Predigtstuhl-Westwand, Fleischbank-Südostwand und Laliderer sind ein paar der klangvollen Namen. Dann ging es weiter in die Dolomiten, wo Routen, die jeden Alpinisten aufhorchen lassen, begangen wurden. Um nur einige zu nennen: die Civetta-Nordwestwand, die Schleierkante an der Cima della Madonna und die Sass Maor-Ostwand.
Wer den Anderl kannte, kann der eingangs zitierten Charakterisierung nur beipflichten. Es gehörte eine gehörige Portion „alpiner Verrücktheit” dazu, als junger Bursche - und dazu noch mit knurrendem Magen - auf dem Fahrrad von München in die Dolomiten oder in die Schweiz zu strampeln, nur um dort klettern zu können. Wenn dann auf einem wackeligen Fahrradanhänger der Marke Eigenbau noch die gesamte persönliche Habe mitgeführt wurde, ist der Ausdruck „Bergvagabund” voll zutreffend.
Bei so viel Liebe zum Berg, dem technischem Können und der notwendigen alpinen Erfahrung war der Weg hin zum Beruf des Bergführers fast unausweichlich. Von der Sektion Schliersee erhielt Anderl am 21. Dezember 1931 das Anwärterbuch und führte als „Aspirant” bis zum 27. November 1933, wo er vom Bezirksamt Miesbach als Führer autorisiert wurde.
Dem war der Bergführerkurs vom 7. bis 26. Juni 1933 in Innsbruck, mit abschließender, erfolgreicher Prüfung und ein „Abstecher” in das Atlasgebirge in Nordafrika, vorausgegangen. Führungstouren in den Dolomiten und den Westalpen sorgten dafür, daß die chronische Ebbe im Geldbeutel wenigstens für kurze Zeit unterbrochen wurde. Eine Reihe von schweren und schwersten Fels- und Eistouren (darunter die Nordwand der Großen Zinne) mit verschiedenen Gefährten lagen dazwischen. Man wollte ja gerüstet sein, denn die drei großen Wände Matterhorn-Nordwand, Grandes Jorasses-Nordwand und Eiger- Nordwand lockten.
Mit den drei Seilgenossen Heinrich Harrer, Fritz Kasparek und Wiggerl Vörg bezwang Anderl schließlich 1938 die berüchtigte Eiger-Nordwand, was nicht nur in der Fachwelt größtes Aufsehen erregte.
Der Zweite Weltkrieg ließ anfänglich die alpine Tätigkeit des zur Infanterie versetzten Bergführers Heckmair ruhen, bis er zur Heereshochgebirgsschule nach Fulpmes als Ausbilder berufen wurde. Bergkamerad Wiggerl war bereits am ersten Tag des Russlandfeldzuges gefallen.
Aus familiären Gründen hatte Anderl schon vor dem Krieg seinen Hauptwohnsitz nach Oberstdorf verlegt und übte nach Kriegsende hier seinen Beruf als Führer aus.
Der neugegründete Deutsche Alpenverein übertrug dem erfahrenen Alpinisten die Ausbildung der jungen deutschen Bergführer. Dies machte jedoch aus ihm keinen „Schreibtischtäter”, was er 1951, zusammen mit dem Seilgefährten Hermann Köllensperger, beim Durchstieg des Walkerpfeilers an den Grandes Jorasses bewies. Ein Jugendtraum ging dem 48jährigen 1954 mit einer Expedition zum Karakorum in Erfüllung.
Anderl, der natürlich auch Skilehrer war, hatte längst eine weitere ehrenvolle Aufgabe darin gefunden, im Rahmen des Deutschen Jugendherbergswerkes junge Menschen an die Natur, an die Berge heranzuführen.
In dem eingangs erwähnten Buch „Eigernordwand, Grandes Jorasses und andere Abenteuer” schreibt Anderl wörtlich:
„Über der neuen Aufgabe vergaß ich meine alpinen Träume jedoch nicht, denn mein Fernweh war noch lange nicht gestillt. Zu meinen ,Klienten’, die ich privat führte, zählte Otto-Ernst Flick.”
Für diesen Großindustriellen hat Anderl Bergfahrten und Expeditionen in verschiedenen Erdteilen geplant und geführt, so z. B. eine Durchquerung des „Schwarzen Kontinents” von Kenia bis Algerien mit Besteigungen von Vier- und Fünftausendern. Eine Expedition in die Anden zu den Inka-Tempeln oder eine Reise von Kanada quer durch Staaten nach Mexiko stand weiter auf dem Programm.
Berichte über alpine Erlebnisse und Führungen eines Anderl Heckmair füllen Bände. Sie können hier deshalb nur skizzenhaft angedeutet werden. Seine Umsicht und kameradschaftliche Art konnte ich selbst bei einigen Bergwachteinsätzen und Bergungen erleben. Er war damals vor rund 50 Jahren für uns Junge ein Vorbild gewesen.
Anderl Heckmair wurde am 12. Oktober 1906 als Sohn des Gärtners Andreas Heckmair und dessen Frau Magdalena, geb. Insch, in München geboren. Zum Teil im Waisenhaus aufgewachsen, folgte er den beruflichen Spuren des früh verstorbenen Vaters und wurde Gartenbautechniker. Sein unstetes Bergsteigerleben führte ihn auch ins Oberallgäu nach Oberstdorf, wo er am 27. Januar 1940 die Tochter Maria des Bergführerobmanns Otto Rees heiratete. Im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit kam Anderl in den folgenden Jahrzehnten weiter als um die „halbe Welt”. Auf allen fünf Kontinenten war er als Bergsteiger und Expeditionsleiter unterwegs. Zusammen mit seiner zweiten Frau Trudl, geb. Amann, erbaute er sich ein Häuschen am Helchenkreut. Bis ins hohe Alter führte Anderl, unterstützt von seiner Frau, in den Oberstdorfer Bergen botanisch-geologische Wanderungen durch, wobei ihm natürlich seine einstige gärtnerische Ausbildung wieder zu Hilfe kam.
Die Berge waren sein Leben, daher wählte er sie auch zu seinem Beruf. Der Markt Oberstdorf hat den großen Alpinisten mit der Verleihung der Ehrenbürgerwürde geehrt. Am 1. Februar 2005 brach der Weltreisende zu seiner letzten Tour auf.
Ein Führer der ersten Nachkriegsgeneration war Gustl Spiwak. Er gehörte zu den jungen Burschen, die sich unter Dr. Alfons Vogler in der Bergwacht betätigten und schon bald zur Wehrmacht eingezogen wurden. Nach der Rückkehr vom Kriegsdienst als Gebirgsjäger hat Gustl mit seinem Freund Otto Wagner eine Reihe von schwierigen Klettertouren durchgeführt und war mit ihm zusammen eine wichtige Stütze in der Bergwachtbereitschaft Oberstdorf.
Gustl und Otto waren es gewesen, die uns damals „Jungen” 1946/48 u. a. im Oberstdorfer Steinbruch das An- und Abseilen beigebracht haben. (Otto ist 1954 bei einem Alleingang an der Westwand des Großen Wilde tödlich abgestürzt.)
Die Liebe zu den Bergen führte Gustl hin zum Beruf des Führers. Als Anwärter von 1950 bis 1956 absolvierte er die erforderlichen Schulungen.
Der Felskurs fand im Gebiet der Oberreintalhütte, der Eiskurs bei der Oberwalder Hütte und der Warnsdorfer Hütte statt; Lehrgangsleiter war Anderl Heckmair. Am 26. Juni 1956 wurde Gustl Spiwak vom Landratsamt Sonthofen amtlich autorisiert.
Leider ist keines von Gustls Führerbüchern erhalten. Aus persönlichen Gesprächen weiß ich aber, daß er als Führer längere Zeit im Alpenraum unterwegs war. Einmal hat er mir erzählt, daß er soeben seine 63. Tour auf das Matterhorn geführt habe. Einer seiner treuesten Gäste war ein Professor Groß, mit dem er mehrmals drei bis vier Wochen in den Dolomiten und in den Tauern unterwegs war.
August Spiwak wurde am 22. Mai 1925 in Oberstdorf geboren. Seine Eltern waren der Musiker und Zithervirtuose August Spiwak und dessen Frau Käthe, geb. Neuner. Er erlernte den Beruf eines Buchdruckers und wurde schon sehr jung zum Kriegsdienst einberufen. Er heiratete 1948 die Kriegerwitwe Maria Braxmair, geb. Matt. Mit ihr betreute er bis 1949 im Sommer die Alpe Haldenwang. Das Ehepaar bewirtschaftete von 1950 bis 1955 die Fiderepaßhütte und später das Oytalhaus. Sie lebten später in dem von ihnen erbauten Haus in der Baumannstraße oder in ihrem Zweitwohnsitz in Spanien.
Am 26. Oktober 1999 läutete für Gustl Spiwak allzu früh die Totenglocke.
Mit einem Mann, der die Alpen wie nur wenige kannte, möchte ich die Aufzählung der Oberstdorfer Bergführer beschließen. In Hohenweiler geboren, kam Franz Xaver Rädler als junger Bursche nach Oberstdorf. Anfänglich führte der 16jährige keine Touristen sondern die Muli des Franz Kaufmann vom Tal zur Rappenseehütte. Wohl an die tausend Mal ging er in den folgenden Jahren bei dieser Arbeit den Weg hinauf zum Rappensee.
Über Trägerzeiten, Führerausbildung und letztlich die Prüfung von Xaver Rädler habe ich keine Unterlagen gefunden; lediglich ein Tourenbuch aus dem Jahr 1931 weist auf eine Trägerzeit hin. Das Bezirksamt Sonthofen hat ihm am 26. Februar 1934, in Verbindung mit der AV-Sektion Kempten-Allgäu, ein Führerbuch ausgestellt. Ich nehme an, daß dies auch der Tag der amtlichen Autorisierung war.
In zwei Büchern stehen Lobeshymnen über den sicheren Führer und angenehmen Begleiter. Höfats, Trettach, Großer und Kleiner Wilde, Biberkopf, Höllhörner, Krottenspitzen, der Rädlergrat und eine Reihe weiterer Gipfel des Allgäus sahen ihn als Führer. Ein besonderer Liebling Xavers war anscheinend die Höfatsnadel im Rauhen Hals, die mehrmals verzeichnet ist. Eine kleine Besonderheit ist eine Eintragung vom 31. Januar (!) 1932, wo eine Frau Marga Baumgart beschreibt, wie Xaver Rädler „morgens bei noch klarem Sternenhimmel und glitzernden Schneekristallen mit mir auf die Trettach ging.”
Ohne schulische Ausbildung in dieser Richtung zu haben, war Xaver Rädler ein exzellenter Kenner der Alpenflora, aber nicht nur das. Es war für mich verblüffend, als ich mit ihm auf dem Gipfel des Nebelhorns saß und er mir die Berge ringsum bezeichnete.
Sehr viele davon hatte er im Rahmen eines herrlichen, erlebnisreichen Bergsommers schon bestiegen.
Mit nur fünf Reichsmark in der Tasche begann für ihn eine abenteuerliche Tour. Er durchwanderte das Westallgäu, den Bregenzer Wald, zog weiter in die Schweiz, nach Frankreich, Italien und Österreich, um nach einem halben Jahr wieder nach Oberstdorf zurückzukehren.
Immer wieder fand Xaver Arbeit für einige Tage und hatte so wieder neuen Reiseproviant. Unterkunft war ihm meist seine „Hundshütte”, ein kleines Einmannzelt. Seine Alpenreise führte Xaver auch durch die Dolomiten und bis in die Hohen Tauern und das alles zu Fuß. „Gelegentlich konnte ich auch mit einem Fuhrwerk auf einer Talstraße ein Stück mitfahren”, erzählte er mir. Stundenlang habe ich dem Xaver zugehört und mit ihm Bilder angeschaut.
Was mich besonders beeindruckte war sein lauteres und bescheidenes Wesen. Dazu gibt der ins Deutsche übersetzte Brief eines amerikanischen Arztes ein beredtes Zeugnis ab:
„New York, August 29.1930 |
Dem kühnen Lebensretter!
Es ist schon lange her seit der Nacht vom 2. - 3. April 1927, in der Sie mein Leben gerettet haben in der Wand des Piz Gengalo. Heute noch bewundere ich Ihre Sicherheit und Ihre fabelhafte Seiltechnik.
Obgleich Sie von mir keine Belohnung nahmen, so fühle ich mich doch verpflichtet, Ihnen für Ihre bewundernswerte Leistung diese Silber-Auszeichnung zu senden, die Sie sich wirklich verdient haben. Tragen Sie es stolz an Ihrer Brust als Zeichen Ihrer Kühnheit und Brüderlichkeit.
Bergheil! Ihr sehr dankbarer Dr. Edgar Holliday”
Xaver hatte seine „Hundshütte” am Fuß der Wand aufgeschlagen und sich zur Ruhe begeben, als er die Hilferufe hörte. Ohne zu zögern stieg er in die ihm fremde Wand ein und konnte den in Bergnot geratenen Amerikaner in Sicherheit bringen.
Obwohl Xaver kaum noch einen roten Heller in der Tasche hatte, lehnte er es ab, für seine Rettungstat Geld anzunehmen, weil, so sagte er: „Das ist unter Bergsteigern doch selbstverständlich, daß man sich hilft!” Die silberne amerikanische Lebensrettungsmedaille war letztlich der Lohn für Xavers Tat.
Ein besonderes Steckenpferd Xavers war die Photographie. Zum Ende der 20er Jahre hielt er bereits Lichtbildervorträge und verblüffte dabei auch Fachleute mit seinen Kenntnissen in Geologie und Botanik. Neben der Photographie betätigte er sich auch als Landschaftsmaler. Er war in den Bergen zu Hause.
Franz Xaver Rädler wurde am 28. Februar 1901 in Hohenweiler, Bezirk Bregenz, geboren und wuchs in Lindenberg auf. Seine Eltern waren der Metzgermeister Andreas Rädler und dessen Gattin Kreszenz, geb. Vögel. Als Bursche mit 16 Jahren kam er nach Oberstdorf und war im Sommer auf der Rappenseehütte und in der übrigen Zeit als Helfer in einer Spenglerei tätig. In Eigenarbeit erbaute er sein Haus »Tiroler Klause« im Lumpental und heiratete am 16. März 1936 Irmin Roos. Am 16. Januar 1969 ging der Lebensweg dieses bescheidenen Natur- und Bergfreundes zu Ende.