1. In die Wand eingelassene Zinsplatte in Oberstdorf 1732
Ein noch wenig erforschtes Gebiet alter Kunstwerke im Raum Allgäu ist das eisenge gossener relief-geschmückter Ofenplatten aus vergangenen Jahrhunderten. Manche davon sind in Heimatmuseen gelangt, andere in Privatsammlungen und Liebhaberhände, einzelne, auch nachgegossene, von Händlern erworben, die wenigsten aber blieben in den Bauernhäusern, wohin sie als „Zinsplatten” gelangten.
Nach Mitteilung eines örtlichen Sammlers solcher Raritäten befinden sich nur noch fünf Exemplare davon in alten Oberstdorfer Häusern an Ort und Stelle, teilweise allerdings übertüncht, vermauert oder wegen Umbaus anderswo untergebracht. Diese sind ausschließlich Platten mit heraldischen Motiven. Auf solche soll sich dieser Beitrag beschränken, obgleich in Oberstdorfer Sammlungen privater Hand auch mancher lei andere Ofenplatten zu finden sind, z.B. mit religiösen, mythologischen und volkstümlichen Darstellungen.
Die weitverbreiteten Wappenplatten waren Huldigungen an den Gebiets- oder Grundherren, als „Zinsplatten” zugleich Mahnungen für den Grundholden, der zu Zinsleistungen den Herren gegenüber verpflichtet war. Selbst nach Ablösung der Lehenspflicht (Leibeigenschaft) gegen 1900 behielt man die Zinsplatten als nützli che und schmucke Relikte gern im Haus, dienten sie hinter offenen Feuerstellen doch seit alters dem Schutz der Wand und strahlten zugleich die Hitze in den Nachbarraum (Flur, Küche oder Gaden) aus.
Die Oberstdorfer Originalwappenplatten in den Häusern zeigen einen Doppeladler und stammen, soweit erhalten, aus dem 18. Jahrhundert. Durch die eingeprägte Jahreszahl ist ihr Gußalter ablesbar. Ein mit Fürstenhut bekrönter Doppeladler aus dem Jahre 1732 ist in einer Mauernische neben dem Stubenofen eines Altoberstdor fer Bauernhauses der Rechbergstraße, das den großen Brand von 1865 überdauerte, noch unverändert eingelassen (Abb. 1). ln den Fängen hält der deutsche Kaiseradler rechts das Schwert, links ein mächtiges Zepter, Insignien der Herrschaftswürde als Zeichen der Blutgerichtsbarkeit und Landeshoheit. Doch welcher Landesfürst durf te ein solches Wappen führen?
Den Doppeladler hatten viele Reiche und Länder im Wappen, nicht nur Deutsch land und Österreich, sowie einzelne ihrer Länderteile wie Tirol, auch Rußland, Kongreßpolen, Serbien, Albanien u.a.m.; dazu führten viele Reichsfürsten, Reichsadelige, Reichsstädte, Reichsabteien und andere Reichsunmittelbare den Doppeladler. Da in Oberstdorf nur noch Bischöflich-Augsburger Untertanen und wenige Tiroler Steuerzahler im Spielmannsauer Tal, zugehörig zum kaiserlichen Pfleggericht Ehrenberg saßen, aber der Gerichtsbarkeit des Hochstifts Augsburg unterstanden, so dürfte es sich hier kaum um einen Tiroler Doppeladler, sondern um einen des Hochstifts Augsburg handeln. Als reichsunmittelbarer Landesfürst eines geistlichen Stiftes durfte der Bischof anstatt einer Mitra auch einen Fürstenhut auf dem Wappen führen.
Auf dem persönlichen Wappen des damaligen Fürstbischofs Alexander Sigismund Pfalzgraf bei Rhein und Fürst von Neuburg (1690 - 1737) sieht man auf seinem Wappen in Sonthofen neben der Mitra auch den Fürstenhut. Die von der Fürstenkrone herabhängenden zwei Bänder auf dem Oberstdorfer Doppeladlerwappen dürften den Bischöfen zustehenden Infuln an der Mitra gleichkommen. Eine ähnliche eiserne Ofenplatte vom Jahre 1735, leider etwas beschädigt, ist im Heimatmuseum der Marktgemeinde rechts neben dem Wohnstubenofen ange -bracht (Stiftung des Oberstdorfer Bürgers Anton Kleis).
Während hier der doppel köpfige Adler wie seit 1612 beim deutschen Reichsadler üblich das Schwert in der rechten, das Zepter in der linken Kralle hält, sind diese Insignien bei einer in Oberstdorfer Privatbesitz befindlichen Doppeladlerplatte von 1719 (Abb. 2) umgekehrt (Zepter rechts, Schwert links) angebracht. Auch bei dieser im unteren Allgäu erworbenen Platte dürfte es sich wegen des bebänderten Fürstenhutes um ein fürstbischöfliches Wappen handeln. Ob bei der Anordnung der Attribute ein Versehen des Modelschnitzers oder eine Absicht des Bestellers, dem Zepter den Vorrang vor dem Schwert zu geben, vorliegt, wird sich kaum klären lassen, zumal im 18. Jahrhundert eine große Willkür der Beigabe von Attributen einsetzte.
Eine weitere von auswärts erworbene Platte in Oberstdorfer Privatbesitz von 1719 (Abb. 3) mit Zepter (rechts) und Reichsapfel (links), zeigt den kaiserlichen Doppeladler, die Krone ohne Bänder. Auf der Brust trägt dieser Doppeladler, wie die Platte von 1732 einen glatten ovalen Mittelschild, leider ohne ein Wappenbild. Möglicherweise war ein solches - etwa eines reichsunmittelbaren Adelsherrn - nur aufgemalt und ist die Farbe, wie bei vielen Ofenplatten, allmählich verbrannt oder abgeputzt.
Auch die Zugehörigkeit einer Ofenplatte von 1729 (Abb. 4) mit der perlenbesetzten Helmkrone zwischen den Adlerköpfen und den dreifachen Attributen in den Fängen (rechts Schwert und Zepter, links Reichsapfel und Lorbeerzweig) läßt sich nicht näher identifizieren, da sie ohne frühere Besitzerangaben von einem Eisenhändler im nördlichen Allgäu erworben wurde. Ebenso kam eine rund 50 Jahre später (1778) hergestellte Ofenplatte in Oberstdorfer Privatbesitz (Abb. 5). Ihr Brustschild enthält ein Wappenbild, das „Stadtpyr”, Pinienzapfen oder Zirbelnuß genannte Wahrzei chen von Augsburg, heute allerdings mit einem korinthischen Kapitell als Fuß. Die elegante hervorragend schön ausgearbeitete Platte ist durch vier Eckornamente im Rokokostil belebt.
Nur einmal ist bei Oberstdorfer Sammelplatten der gleiche Model für den Doppeladler verwandt worden und zwar bei Reliefs der Platten von 1789 (Abb. 6) und 1794. Sie stammen aus der Regierungszeit des letzten Augsburger Fürstbischofs Clemens Wenzeslaus (1768 - 1803 auch weltlicher, dann bis 1812 nur noch geistlicher Fürst). Die Eckornamente und Zahlen weichen voneinander ab. Das ist dadurch möglich, daß das Hauptbild (hier Wappen) und die Nebenbilder (z. B. Ornamente, Schriftbänder, Zahlen) jeweils aus verschiedenen Modeln zusammengesetzt und für den Guß in ein waagrechtes feuchtes Sandbett eingedrückt wurden, dann aber wieder herausgehoben und in ihren einzelnen Teilen öfters verwandt werden konnten.
Nur selten läßt sich die Gießerwerkstatt oder gar der Formschneider einer benutzten Model feststellen, da diese nur in wenigen Fällen auf den Güssen verzeichnet sind. Von den in Oberstdorf vorhandenen Platten läßt sich nur in einem Falle durch Stilvergleich eine bekannte Künstlerpersönlichkeit als Hersteller erschließen, nämlich bei einer ausgezeichneten herzoglich-württembergischen Ofenplatte aus dem Jahre 1718 (Abb. 7). Sie zeigt das gevierte Württemberger Wappen mit Herzschild und dem Oberwappen, bestehend aus 5 Spangenhelmen mit den zugehörenden Kleinoden (Helmzier), darüber ein Schriftband mit dem Gußjahr und den Initialen E.L.H.Z.W., das ist Eberhard Ludwig Herzog zu Württemberg, der Erbauer des Schlosses Ludwigsburg. Vor dem großen Umbruch der Napoleonischen Zeit gehörte unser Allgäu zum Schwäbischen Kreis, dessen Direktor seit seinem Bestehen (1500) der Herzog von Württemberg war. So mögen verschiedene Württemberger Wappentafeln auch ins Allgäu gelangt sein.
Das Herzschild ist das Stammwappen der früheren Grafen von Wirtemberg: 3 Hirschstangen waagrecht übereinander, das 1. Feld des Hauptschildes ist schräg geweckt (schwarz-gold für Herzogtum Teck), das 2. Feld enthält die Reichssturmfahne (Gold, darin ein Adler, Schwarz in Blau, für das Reichssturmfähnrichamt Württembergs). Die beiden einwärts gebogenen Fische im 3. Felde (Gold in Rot stehen für die Grafschaft Mömpelgard (Montbeliard) von 1397 - 1801 zu Württemberg gehörig). Im 4. Feld sieht man das Brustbild eines bärtigen Mannes für die Stadt und Herrschaft Heidenheim. Entsprechend krönen die Kleinode die 5 Helme: der Reichsadler der Sturmfahne, das Württembergische Jagdhorn, das Mömpelgarder Fräulein mit 2 Fischarmen, der Brackenkopf mit aufgeprägten Rauten Für Teck und das Heidenheimer Männerbild (Heide).
Ein Vergleich mit den Eisenreliefs des Herzogs Eberhard Ludwig am Brunnentrog vor der Faktorei der Gießstätte Königsbrunn aus dem Jahre 1712 läßt wegen der über zeugenden Ähnlichkeit und Prägnanz des dort dargestellten Wappens und des Schriftbandes über den 5 Oberwappen-Kleinodien darauf schließen, daß der gleiche Künstler, der Gießer, Wappen- und Formschneider Zacharias Neuberg (von 1710 - 1721 im Königsbrunner Gußwerk tätig), auch die Oberstdorfer Platte schuf.
Dasselbe Württemberger Wappen, umschlossen von einer schwungvollen Rocail le, auf der die Herzogkrone thront, zeigt noch die Platte von 1760 (Abb. 8). Damals herrschte, wie die Initialen besagen, Carl-Eugen Herzog zu Württemberg (1737 - 1793). Auch er war ein luxuriöser Fürst, Erbauer des Neuen Schlosses zu Stuttgart und der Schlösser Solitüde und Hohenheim. Ofenplatten in der „Eibeles-Mühle” bei Oberstaufen (1773) und im Heimathaus Sonthofen (1776) enthalten dieselben Initiale. Nachdem Napoleon der absolutistischen Regierung der Fürsten ein Ende bereitet hatte und nach seinem Sturz eine starke Ernüchterung auch in der Kunst eingetreten war, brachte das 19. Jahrhundert zwar noch weiterhin Wappenplatten der Länder in den Handel, jedoch wesentlich biederer dekoriert und mit lehrhaften Devisen versehen.
So befindet sich eine querformatige Eisengußplatte aus dem Jahre 1828 (Abb. 9) mit dem neuen königlichen Württemberger Wappen, einem gespaltenen ovalen Schild, vorn 3 Hirschstangen, hinten 3 Löwen übereinander (jeweils Schwarz in Gold) in Privatbesitz. Dem weintonnenartigen Vorderoval des Wappenschildes ist ein Spangenhelm mit der mächtigen Königskrone aufgelegt, zu der als Schildhalter rechts ein schwarzer gekrönter Löwe und links ein goldener Hirsch aufblicken. Die Farben sind freilich auf einer Ofenplatte zumeist nicht aufgetragen.
Der Württemberger König Wilhelm 1. (1816- 1864) war ein äußerst sparsamer und pflichtgetreuer Landesfürst, zu dem die Devise zu Füßen des Wappens „pflichtig und trew (treu)” sehr wohl paßt.
Inzwischen war unser Oberallgäuer Gebiet durch den Reichsdeputationshauptschluß 1803 und den Frieden zu Preßburg zu Bayern geschlagen worden und auch Bayern wurde Königreich. In Privatbesitz von Oberstdorfern sind mir zwei eiserne Ofenplatten mit einem Bayernwappen bekannt. Das ältere von 1857 (Abb. 10), von einem unter der Königskrone ausgebreiteten Krönungsmantel baldachinartig umschlossen und beseitet durch zwei rückwärtsblickende Löwen, die das nochmals bekrönte beweckte Hauptwappen halten mit seinen 42 Rauten (21 silbernen und ebensoviel lazurnen). Sie stehen für „alle mit Bayern vereinigten, in Franken, Schwaben und Tirol gelegenen Provinzen und Bezirke, Herzogs- und Fürstentümer, Graf- und Herrschaften” nach der von Minister Montgelas 1804 Unterzeichneten Wappenordnung, dazu die Devise „Freiheit und Gesetzmäßigkeit”. Mittelpunkt ist das mit dem einstigen Kurhut gekrönte Herzschild, worin sich Schwert und Zepter überkreuzen. Sonne, Mond und 2 Sterne umgeben das glanzvolle Wappen.
Allerdings hatte inzwischen (1835) König Ludwig I. ein neues Wappen geschaffen. Es tritt uns in Oberstdorfer Privatbesitz zunächst in zwei im Wappenbild gleichen Eisengüssen mit der Unterschrift OBEREICHSTAETT entgegen, das eine ohne Entstehungszahl, das andere mit dem Gußjahr 1847 (Abb. 11) und zwei zusätzlichen seitlichen Ornamenten aus der Biedermeierzeit. Noch ist der bekrönte Mantelbaldachin beibehalten; dazu kam ein von der Wappenkonsole herabhängendes halbkreisförmiges Hermelinkoller mit den damals bestehenden 4 Orden belegt (St. Hubertus-O. gestiftet 1444, St. Georgs-O. gestiftet 1729, Milit. Max Josephs-O. gestiftet 1806 und Verdienstorden der Bayer. Krone gestiftet 1808). Das Wappen selbst ist auf einer weiteren Eisengußplatte von 1879 (Abb. 12) deutlicher zu sehen. Unter der breitgelagerten Königskrone erscheint der gevierte Schild mit Symbolzeichen der 4 Hauptbestandteile bzw. Stämme Bayerns: im Feld 1 der doppelgeschwänzte Löwe (Gold auf Schwarz für die Pfalzgrafschaft bei Rhein), daneben das ehemalige Herzogtum Franken, dokumentiert durch einen von Rot und Silber geteilten Spitzenschnitt. Das dritte, schräglinks von Silber und Rot fünfmal geteilte Feld mit einem darüber gelegten goldenen Pfahl steht für die Markgrafschaft Burgau (Landesteil Schwaben) und der gekrönte blaue Löwe in Silber am 4. Platz für die rheinischen Lande (Graf- schaft Veldenz/Pfalz, bezogen auf die damals regierende Linie des Königshauses). Das Herzschild in der Mitte bringt die alten Wittelsbach- Bayerischen Rauten. So blieb es bis zum Ende der Königszeit am Schluß des 1. Weltkrieges (1918) als bayerisches Staatswappen gültig.
Diese von kunstinteressierten Ortsbewohnern gesammelten heraldischen Ofenplatten sind wertvolle Dokumente für die Entwicklung der Heimatgeschichte. Weitere originelle Einzelstücke, z.B. ein Englisch-Hannoversches Wappen aus der Zeit des Königs Georg III. von Großbritannien (1797) müssen leider in diesem Zusammenhang unberücksichtigt bleiben.