Nagelschmiede
Dich grüeß i, Flachs,
Recht schöe mir wachs’,
Lang, lang wie guld’ne Seide
Wie schwanke Ruete vu der Weide:
Derzue so fein und hell und klar
Wie Sankt Madlenens Büeßerhaar
Mit diesem alten „Flachssegen”, den man am St. Magdalenentag (22. Juli) sprach, sei diese kleine Rückschau auf die in Oberstdorf ausgestorbenen Handwerks- und Gewerbezweige eingeleitet. Dieser Segenspruch, der zwar aus dem bäuerlichen Erlebniskreis stammt, ist hier vorangestellt, weil er uns in einen Erwerbszweig einführt, an dem ehemals fast alle Menschen unseres Tales ebenso Anteil nahmen wie heute am Fremden-verkehr: am Spinnen, Wirken und Weben; und weil er uns gleich vertraut macht mit einer Besonderheit einer Oberallgäuer Handwerksart, die ihre Voraussetzungen im Allgäuer Boden, in der natürlichen Gegebenheit hat.
Um Oberstdorf wiegte sich also vor hundert und zweihundert Jahren blaublühender Flachs im Winde; Hanfäcker mit zweimal mannshohen Pflanzen gaben der Landschaft ein Aussehen, das nun Generationen bereits nicht mehr kennen. Urgroßmutter erzählte ihren Enkeln, was sie in ihren jungen Jahren im Heimgarten noch erfahren: daß der Oberstdorfer Flachs in ganz Deutschland berühmt war und auch vom Ausland begehrt wurde. Man hat mit ihm jedoch nicht nur Handel getrieben, sondern er wurde auch an Ort und Stelle zu kostbarem Linnen und Zeug verschafft.
Ja, es gab sogar Zeiten, in denen noch viel Rohmaterial eingeführt werden mußte, um für die vielen Webstühle Beschäftigung zu haben. Ein altes Täfelein im Oberstdorfer Heimatmuseum besagt: „ Es ist (das Allgöw) ein rauchs winterigs Landt / hat aber schöne vnd starke Leut / Weyb vn Mann, die könen alle trefflich wol spinen vn es ist den Mannen nit spöttlich - besonders in den Dörffern.” Wie also nicht nur Frauen, sondern auch die Männer am Rocken und Webstuhl saßen, so trieb man in fast allen Häusern des Dorfes dies Handwerk. Landschreiber Luger berichtete im Jahre 1788, daß die Pflege Rettenberg mehr als eintausend zünftige Meister der Leinenweberei zählte. Die Ware ging nach Italien, Frankreich, Spanien, ja sogar bis nach den spanischen Kolonien in Amerika.
Bevor jedoch die Leinwand in den Handel gebracht werden durfte, mußte sie bei einer Leinwandbeschau in Immenstadt, Sonthofen oder Rettenberg den prüfenden Meistern vorgelegt und von diesen klassifiziert und gestempelt werden. Ein Bild von dem Umfang der Leinwandherstellung im Allgäu gibt ein Bericht vom Jahre 1809, nach dem in Immenstadt allein 30.000 Stück Leinwand auf den Markt gekommen sind. Herrgott, das waren noch Zeiten, in denen die Frauen mit Stolz auf den Schrank mit dem selbstgewobenen Linnen zeigen konnten! Von einem Oberstdorfer Weiblein erzählt man, sie habe so fein gesponnen, daß ihr die Leinwand regelmäßig am Hofe in München abgekauft wurde. Sie war aber auch stolz auf ihr Können und machte mit ihrem Produkt jedesmal die Reise, um es persönlich abzuliefern.
All die Poesie ist jedoch nun verschwunden, die sich um die unterhaltsamen Winterabende in den großen Bauernstuben wob, wenn im „Huigarte” die Frauen und Mädchen - oft beim Mondschein - ihre Spindeln surren ließen. Der klopfende Takt des Webstuhles ist verstummt. In den Web- und Wirkkellern haben sich Fäulnis und Schimmel über Webgeschirr und Balken gelegt. Und die Erinnerung an diese einst blühende Haus-Industrie halten nur noch einige Webstühle wach, auf denen die beliebten Allgäuer Teppiche hergestellt werden. Das Heimatmuseum hat mit den Werkzeugen der Flachsbearbeitung, mit Spinnrädern und Webstuhl ebenfalls ein Stück dieser alten Zeit eingefangen.
Im Zuge der Industrialisierung Ende des vorigen Jahrhunderts hat die Allgäuer Baumwollspinnerei und -Weberei 1896 in Oberstdorf an der Trettach eine mechanische Weberei errichtet und bis 1960 betrieben. Die Firma Robert Bosch erwarb die Anlage und veräußerte sie 1967 an den Markt Oberstdorf, der mit dem Sozial-Wirtschaftswerk die Gebäude abbrechen und Wohnhäuser und einen Kindergarten errichten ließ.
Außer der Leinenweberei war die Wollverarbeitung eine in jedem Hause geübte Beschäftigung; daneben waren aber auch noch einige Strumpfwirker tätig. Als letzter seiner Art arbeitete Franz Paul Brack als Strumpfwirkermeister bis zu seinem Tode 1888.
Ein anderes Bild von ehedem, das uns auch das Oberstdorfer Heimatmuseum in zwei vollständig eingerichteten Werkstätten vermittelt: die Eisenverarbeitung. Wie das ganze obere Allgäu, so hatte auch Oberstdorf seine Nagel- und Pfannenschmiede, seine Huf- und Sensenschmiede und seinen Waffenschmied. Als im 15. Jahrhundert unter dem Grafen Hugo von Montfort auf Rothenfels die alten Eisenerzlager bei Imberg, Tiefenbach und Reichenbach wieder eröffnet wurden und die Hochöfen in unserem Oberallgäu rauchten, da konnte es nicht anders sein, als daß das klopfende Handwerk auch bei uns seine Gesellen und Meister fand.
Es ernährte seinen Mann und brachte den Menschen, die dem Boden an landwirtschaftlichen Produkten lange nicht das abringen konnten, was sie zu ihrem Leben brauchten, auf seine Art Arbeit und Brot. Im 17. und 18. Jahrhundert, der Blütezeit der Allgäuer Eisenindustrie, schafften im Oberallgäu mehr als 70 Hufschmiede, 32 Waffenschmiede, 105 Nagelschmiede. Auch dieses Handwerk brauchte noch Zufuhr an Rohmaterial, da es mehr verarbeiten konnte, als die heimischen Hochöfen zu liefern imstande waren.
Eine Eisenschmelze, die im Jahre 1753 vom bischöflichen Domherrn zu Augsburg, namens Josef von Hornstein, am Faltenbach bei Oberstdorf errichtet wurde, benützte den Eisensandstein hinter der Enge bei Tiefenbach sowie den senonen Sandstein beim Steinbruch (beim Landhaus Lohmüller). Der Landschreiber der Pflege Rettenberg schrieb 1785 dem Bischof von Augsburg u.a., das Oberstdorfer Eisen sei gut für Baumannsfahrnis, Pickel, Aexte, Schaufeln usw. Heute ist von diesem Eisenwerke nichts mehr zu sehen. Der letzte Hochofen im Allgäu (bei Sonthofen) wurde im Jahre 1860 ausgeblasen, nachdem auch der Eisenbau im Grünten eingestellt worden war.
Dieser Umstand sowie auch die durch die aufblühende Großindustrie entstandene Konkurrenz ließen die Zahl der Schmiede immer weniger werden. Was sich in Oberstdorf noch in unsere Zeit herüberretten konnte, waren die Huf- und Wagenschmiede. Ein „Nagler” war noch bis Kriegsende tätig. Die Eigenart der Beschläge für die Oberstdorfer „Grobgenähten” (Griffschuhe) erfordert noch einen handgemachten Nagel, den die Industrie bis jetzt nicht hergestellt hat. Sonst ist jedoch für den Allgäuer Nagelschmied, dessen Erzeugnisse vor hundert Jahren insbesondere in der Schweiz (vor allem Graubünden) Absatz gefunden haben, nicht viel Arbeit übriggeblieben. Schaffte ein tüchtiger Nagler im Tage je nach Art und Größe der Nägel ein- bis zweitausend Stück, so gönnt der heutige Bedarf in handgeschmiedeten Nägeln dem „nagelnden” Meister mehr Beschaulichkeit. Im Jahre 1959 starb der letzte Nagelschmied. Er hat keinen Nachfolger mehr gefunden.
Flachsverarbeitung sowie Eisengewinnung und -Verwertung, die bedeutenden Erwerbsquellen für die Allgäuer Bevölkerung, begannen also zu versiegen. Aber auch manch anderes Handwerk mußte der allmählichen Industrialisierung weichen. Das Oberstdorfer Heimatmuseum erinnert uns auch hier wieder, teilweise durch Kleinigkeiten, an Berufe handwerklicher und anderer Art, von denen man im Orte kaum mehr spricht. Daß der Bedarf an Seilen und Stricken in Oberstdorf selbst hergestellt wurde, zeigt uns eine vollständige Seilerei-Einrichtung. „Bi Beanharde” konnte man sich noch in den Achtzigerjahren einen Strick für alle möglichen Zwecke drehen lassen. Ein Netz mit den hölzernen Strickgabeln sowie eine Vorrichtung zum Gurtenflechten erzählen uns, daß diese Tätigkeit auch geschickte Hände verlangte.
Ein Handwerk, das sicher gut beschäftigt war, lebte es doch vornehmlich vom Verlangen der Frauen nach Farbigkeit und Schönheit der Kleidung und Wäsche, war das des Färbers und Stoffdruckers. Und daß sich der Oberstdorfer Färber nicht nur mit Neu- und Umfärben der Stoffe und Kleider abgab, zeigen die Druckstöcke im Museum, mit denen die heute noch als altes handwerkliches Erzeugnis geschätzten Kissenbezüge und Wäschestoffe verschönt werden.
Eine Uhrmacherwerkstätte, die im Museum einen Ehrenplatz gefunden hat, will besagen: In Oberstdorf gab es auch einmal wirkliche Uhrmacher, d. h. nicht nur chirurgische Kliniken für den Fall, daß ein „inneres Leiden” den genauen Ablauf unseres Zeitenzeigers gestört hat. Da finden wir Präzisions-Werkzeuge, mit denen der Uhrmachermeister Johannes Rees Uhrwerke konstruierte und von Grund auf neu schuf. Den Beweis seines Könnens erbringt uns eine prächtige Standuhr.
In die Zeit des primitiveren Schaffens des Drechslerhandwerkes versetzt den Beschauer eine hölzerne Drehbank. Wenn auch die moderne Zeit die Handarbeit des Drechslers nicht unnötig machte, so werden doch manche Gegenstände, die seine Hand gestalten mußte, heutzutage in anderen Techniken und Materialien hergestellt, was uns der in der Werkbank eingespannte hölzerne Wetzsteinkumpf beweisen will. Dem holzbearbeitenden Handwerk ging gegenüber früher noch weiteres Arbeitsgebiet verloren. So ist das Bohren der „Deichel” (hölzerne Wasserleitungen) überflüssig geworden. Die riesigen gemeindlichen Deichelbohrer können sich also nunmehr der ewigen Ruhe im Museum erfreuen.
Welcher Schreiner sägt sich denn heute noch das Möbelfurnier selbst vom Baumstamme? Und Häuser, die aus handbehauenen Stämmen aufgeschlossen werden, kommen heute selten mehr in Auftrag. So sind also Furniersäge und Zimmermanns-Breitaxt Werkzeuge, die nicht mehr alle „Jungen” zu handhaben verstehen. Zu erwähnen ist noch der Rechenmacher, dem die Industrie ins Handwerk pfuschte. Was ließ ihm die neue Zeit noch übrig? Einem zahnluckig gewordenen Rechen darf er dann und wann wieder sein normales Gesicht geben. Die nächsten im Bunde der sterbenden Handwerke sind Hafnerei und Töpferei, die auch in Oberstdorf „brauchbaren Boden” für ihre Existenz hatten. Eine richtig handgedrehte irdene Schüssel weiß jede Hausfrau auch heute noch zu schätzen und zu würdigen - leider sind aber solche Schüsseln und Häfen selten geworden. Das Kunstgewerbe versucht diesem alten Handwerk wieder neues Leben zu geben. Und der Küfer ringt ebenfalls um verlorengegangene Arbeitsgebiete.
Viele der milch- und hauswirtschaftlichen Geräte, in deren saubere Herstellung er seinen Stolz setzte, sind nunmehr degeneriert durch den Stempel der blechernen Massenproduktion und tragen damit die Herz- und Seelenlosigkeit ihres Zeitalters nicht nur in die Küchen der Bauern, sondern auch hinauf bis in die höchstgelegenen Alpen. Nicht weniger wehmütig schaut der Schindelmacher zurück in die vergangene, gefühlswärmere und idyllischere Zeit, da unsere Häuser und Heuhütten mit ihren Lander- und Schindeldächern einen Schmuck unserer Landschaft darstellten und ihr damit Charakter gaben. Der heutige Bedarf an Schindeln für die Hauswände wird größtenteils fabrikmäßig hergestellt. Und dann sind an den Häusern auch die reizvollen „Butzenscheiben” verschwunden, deren Verarbeitung ein besonderes Können des Glasermeisters verlangte.
Ein anderes bei uns ausgestorbenes Handwerk: die Gerberei. Droben an der Trettach, wo sich jetzt die Nebelhombahn-Talstation breitmacht, waren Lohgruben, Lohstampfe und Walkmühle. Schon im Jahre 1544 nimmt sich der Fürstbischof das alleinige Recht, außer der Mahl-, Bleu- und Sägegerechtigkeit auch das „Walktum” an diesem Platze innezuhaben. Die Walkmühlen wurden außer zur Bearbeitung des Tuches auch zum Walken des Leders benötigt, was eine Vertragsurkunde aus dem Jahre 1617 bestätigt, in welcher der Gemeinde verboten wurde, den Gerbern einen Platz zur Erbauung einer eigenen Walkmühle zu verkaufen. Auch ein Vertragsbrief von 1712 weist uns auf die Gerberei hin, indem darin von der „ 1660 hinder der Pluibmühlen in dem Weydach” erbauten Rindendörre gesprochen wird.
Im Hause 148 1/2 war zuletzt die „Rotgerbe” untergebracht; das idyllische Trettachhäusle, dessen allein berechtigter und auch sinnvoller Name „s’Gärbehiesle” fast nur noch aus dem Munde der Alten zu hören ist, beherbergte den Weißgerber. Johannes Bach, der letzte, der in Oberstdorf das Gerberhandwerk ausübte, übermachte der Nachwelt auf einem hölzernen Täfelchen interessante Daten über seine Arbeitsleistung während seiner Gesellentätigkeit in der Fremde. Dieses Täfelchen sowie ein Brett aus seiner Walkmühle, das eingeschnitzt die Jahreszahl und die Baukosten derselben trägt, erinnern uns im Museum an ihn. Die Überlieferung besagt, daß Bach in Italien ein ganzes Jahr ohne Lohn arbeiten mußte, um sich das Rezept zur Bereitung einer schwarzen Lederhosenfarbe zu erwerben, die nicht abging. Dieses Geheimnis war Bach, der in Oberstdorf die Weißgerberei betrieb, sehr von Nutzen. Allerdings - es ging mit ihm ins Grab.
Zwei unscheinbare, kleine Beile, die bescheiden zwischen anderem Werkzeug hängen, machen uns bekannt mit einem ebenfalls verschwundenen Berufszweig: dem Pecher oder „Beachar”, wie der Oberstdorfer sagt. Der Pecher erkaufte sich gegen eine Abgabe an die Gemeinde das Recht, in den gemeindlichen Waldungen das Harz von den Tannenbäumen nehmen zu dürfen, um es dann zu Pech zu versieden. Die Oberstdorfer Gemeinderechnung von 1856 enthält z.B. einen Eintrag von 44.- Gulden für Harzpacht in den Gemeindewaldungen von „Joh. Kennerknecht et Konsorten”. Der große Brand von 1865, dem ja unser halber Markt zum Opfer fiel, soll mit einer Pechpfanne gelegt worden sein, die aus der in unmittelbarer Nähe befindlichen „Beachsiedarhidde” stammte. Ein unrühmlicher Zusammenhang verbindet also dieses Gewerbe mit dem unseligen Schicksal in jener Maiennacht.
Unsere Wälder gaben aber auch dem Köhler den Rohstoff für seine Arbeit. Nicht nur in den Tälern Oytal, Spielmannsau und Birgsau rauchten und glimmten die Meiler, sondern auch beim Markt, auf dem Platz vor dem heutigen Elektrizitätswerk, dem das Volk den Namen Kohlplätzle gegeben hat, türmte sich dieser rauchende Kohlhaufen. Der Bedarf an Kohle wurde bestimmt von der Tätigkeit der Eisenschmelzöfen, die zeitweise so groß war, daß strenge Vorschriften erlassen werden mußten, um die drohende Vernichtung des Waldbestandes hintanzuhalten. Selbstverständlich waren auch die vielen Schmieden Großverbraucher der Holzkohle. Mit dem Erlöschen der Eisenschmelzen und dem Rückgang des Schmiedehandwerks hörten natürlich auch die Meiler auf zu rauchen.
Lebzelter und Wachszieher, zwei verwandte Berufe, die ein und derselbe Meister ausführte, holten ihre Rohmaterialien aus dem Bienenstock. Honig und Wachs waren es, was sie verarbeiteten. Entstand aus dem einen süßer Lebkuchen oder der vielgepriesene „reeße Leabzealte”, so diente das Wachs zur Herstellung der Kerzen, der prächtigen Wachsrodel und reizvollen Wachsfiguren. In zahlreichen Stücken sind im Museum diese Erzeugnisse vertreten, die einst als Geschenke und Aufmerksamkeiten nicht nur jahrelang, sondern Generationen hindurch im Glaskasten im Gade ihren Ehrenplatz hatten.
Das Alkohol bereitende Gewerbe war ehedem in Oberstdorf zahlreicher vertreten als heute, womit zwar nicht behauptet sein will, daß unsere Vorfahren weniger nüchtern waren als wir. Während heute keine Brauerei mehr tätig ist, zählte man früher deren drei: Die Brauerei zum Mohren als die älteste, dann die Löwenbrauerei und die Sonne.
Schnapsbrenner werden dagegen noch mehr vorhanden gewesen sein, wobei allerdings auch in den einzelnen Haushaltungen der „Hausbedarf’ mit und ohne Wissen der Behörde selbst gebrannt wurde. Dietmann schreibt, daß um 1800 in der Grafschaft Rothenfels 66 Brantweinbrennereien bestanden und daß in der Pflege Rettenberg die gleichen Verhältnisse anzutreffen gewesen seien. Im Oberstdorfer Heimatmuseum hat die letzte Enzianbrennerei (die vu Blattnars Liese) Aufstellung gefunden.
Nun seien auch noch die Mühlen erwähnt, deren Oberstdorf drei hatte. In einer geschichtlichen Abhandlung von Lehrer H. Zirkel (Oberstdorfer Gemeinde- und Fremdenblatt 1934, Nr. 54 u. 55) erscheint die obere Mühle urkundlich bereits 1429, die untere Mühle im Jahre 1709 und eine dritte 1853. Zum Brechen von Gerste wird die Obere Mühle auch heute noch ab und zu benützt; die untere Mühle ist längst abgebrochen, während die Kochmühle einem Feuer zum Opfer gefallen ist. Seit sich der Oberstdorfer Bauer vom Ackerbau weg zur gewinnbringenden Grünland- und Milchwirtschaft gewendet hat, war die Bedeutung der Mahlmühlen ohnedies nicht mehr groß.
Diese kleine Rückschau auf das handwerkliche und gewerbliche Schaffen in Alt- Oberstdorf sei nicht beendet, ohne noch zweier Besonderheiten zu gedenken, die das Oberstdorfer Handwferk hervorgebracht hat: des Oberstdorfer „Grobgenähten” und des „Launers”. Erstere sind Griffschuhe, die der Eigenart der schmalen Steigspuren an den Allgäuer Grasbergen angepaßt sind, der „Launer” ist eine ebenfalls rein örtliche Angelegenheit, eine Tabakspfeife in einer ganz eigenwilligen Form. Beides, „Grobgenähte” und „Launer”, sind besondere Merkmale des eingeborenen Oberstdorfers, an denen man ihn überall, wo er hinkommt, sofort erkennt. Leider sind beide Originalstücke heute fast verschwunden.
Es bleibt nun noch die Frage offen nach dem Zunftleben in Oberstdorf, wie es sich dort entwickelte, wo das Handwerk seinen goldenen Boden fand. Spärliche Akten lassen erkennen, daß man auch hier zunftmäßig vorging. So kam im Jahre 1671 folgendes Angeding zustande: „Auf heut datoden 9. Febr. erscheint der Ehrenhaft und beschaiden Maister Jakob Stadler Ihro Hochgräflicher Königseggischer Würth und Hofbeck zue Immenstadt vor der friedlichen Becken-Zunft und dingt einen Lehrjungen auf nach Handwerksbrauch 3 Jahre lang das Becken-Handwerk zu lernen mit Namen Hanns Zeller: Caspar Zellers von Oberstdorf seinen Ehelichen Sohn; verspricht der Lehr-Jung dem Lehrmeister zu geben dieses Jahr 5 Gulden - sage fünf Gulden. Zeugen sind gewesen 2 Zunft=Maister: Conrad Stadler, Michel Buel, Alle Burger und Weißbecken. Das Wax ist bezahlt worden.” Dieser Zeller wurde am 20. Februar 1686 als Meister in das Handwerkerbuch zu Immenstadt eingetragen. Einem Gesellenattest, das der Meister Ulrich Blattner von Oberstdorf einem ehrsamen Handwerk der „Becken” nachträglich aufzubringen hatte, ist zu entnehmen, daß ein ordentlicher Bäckergesell vor öffentlicher Lade zur Urkunde gab, daß Blattner bei seinem Vater Martin Blattner das Handwerk erlernt habe. Das Attest wurde bezeugt anno 1760 von Johannes Bach, Zunftmeister und Johannes Casimir Schmidt, Zunftmeister.
Auch bei den Handwerker-Zünften zu Oberstdorf kam es vor, daß die Meistersöhne gewisse Vorrechte hatten, indem sie entweder des Wanderns enthoben wurden oder nicht so lange wie ein Fremder wandern mußten. Übrigens wurde aber auch hier das Wandern der Gesellen schon von altersher zur Erlangung mehrerer Geschicklichkeiten für notwendig gehalten. Wenn man die Wanderjahre zu erstehen gehindert war, so mußte bei der Herrschaft um Dispens nachgesucht werden. Demjenigen, der nach vollendeter Lehrzeit sich auf die Wanderschaft begeben wollte, erteilten die Zunftmeister nicht nur von dem in der Lade liegenden Original des Geburts- und Lehrbriefes auf sein Verlangen eine von ihnen unterschriebene und besiegelte Abschrift, sondern auch, wenn er als Geselle schon eine Zeit lang gearbeitet hatte, ein dem Reichsbeschluß gemäß eingerichtetes, gedrucktes Attestat,oder sogenannte „Rundschaft”, womit man ihn im ganzen römischen Reiche passieren lassen mußte.
Als Muster teilen wir eine derartige Rundschaft mit: „Wir geschworene Vor- und andere Meister des Handwerkes der Schuhmacher in dem Markte Oberstdorf bescheinigen hiemit, daß gegenwärtiger Gesell, Namens Peter Schraudolf von Oberstdorf, so 21 Jahre alt, und von Natur groß und auch rothen Haaren ist, bei uns allhier, 2 Jahre und 5 Wochen in Arbeit gestanden ist und sich solche Zeit über treu, fleißig, still, friedsam und ehrlich, wie einem jeglichen Handwerkspurschen gebühret verhalten hat, welches Wir also attestiere und deshalben Unsere sämtliche Mitmeister, diesen Gesellen nach Handwerksgebrauch überall zu fördern, geziemend ersuchen wollen. Oberstdorf den 24. April 1740. Schmid, Obermeister”. Leider aber scheinen die jungen Oberstdorfer sich ungern auf Wanderschaft begeben zu haben, was aus folgendem Erlaß von 1759 zu entnehmen ist: Mißliebig ist vernommen worden, daß die „Handwerksburschen” - entgegen den Anordnungen - sich nicht auf die Wanderschaft begeben, sondern zu Hause bleiben, mithin in Ungehorsam, Halsstarrigkeit und Strafmäßigkeit verharren. Der Gerichtsammann hat daher allen Handwerksburschen - es mögen Meistersöhne sein oder ihr Handwerk bei fremden Meistern erlernt haben - durch öffentlichen Verruf kundzutun, daß sie sich ungesäumt auf die Wanderschaft begeben sollen, wenn sie ihre drei Wanderjahre noch nicht „vollstreckt” haben. Widrigenfalls ist an höchsten Orten Anzeige zu erstatten. Aber schon jetzt kann gesagt werden, daß Widerspenstigen gewaltsame Einziehung zum Militär droht.
Soviel über das Oberstdorfer Handwerk von ehedem. Mag die Kenntnis davon dem Museumsbesucher und dem Leser dieses Artikels helfen, sein Wissen vom neuen Schaffen des Handwerks in Oberstdorf zu vervollständigen.
Anmerkung:
Der größere Teil dieses Artikels ist erstmals 1934 in einem Sonderheft erschienen. Er ist vom Verfasser an einigen Stellen ergänzt worden.