Oberstdorfer Sagen - (Teil 4)

von Alexander Rößle am 01.06.1998

IV. GEISTER IN UND UM OBERSTDORF

Wie sehr die Menschen noch bis vor kurzer Zeit an Geister geglaubt haben, beweist die große Anzahl von Sagen, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen. Wollen wir jedoch zuerst den Begriff „Geist” genauer betrachten. Etymologisch gesehen, entwickelte sich aus der ursprünglichen Bedeutung „Erregung, Ergriffenheit” die Bedeutung „Geist, Seele, Gemüt” und „überirdisches Wesen, Gespenst”. In den Lexika wird der Begriff meist als Gegensatz zur „Materie” definiert. Wir werden sehen, daß dies für unsere „Geister” nicht unbedingt zutrifft. Diese sind oft sehr real und handfest, wie in den folgenden Sagen zu lesen ist.

Der Hoarastane von der Kornauer Alp

Auf der Kornauer Alpe ob der Breitachklamm mußte man sich in früheren Zeiten vor dem „Hoarastane” in acht nehmen. Das war eine höchst seltsame Erscheinung, ein uralter Graubart mit einem riesigen Knotenstock und einem Kopf mit Kuhhörnern. Wer ihm begegnete, den ließ er nicht eher des Weges ziehen, bis der Betreffende mit dem Knotenstock eines der beiden Hörner des Stane abgeschlagen hatte. Das war ein grausames Werk und nicht jedem war dies gelegen, und doch war es zugleich die gerechte Strafe für den Hoarastane. Als Senn hatte er nämlich dereinst seine besondere Freude daran gehabt, wenn ein Rind armer Leute um ein Horn kam; ja, er richtete es sogar mit Vorliebe so ein, daß dergleichen passierte, und wenn die armen Tiere darob vor Schmerzen brüllten, dann lachte der böse Senn. Nach seinem Tode aber war ihm die Strafe auferlegt, für sich selbst die grausame Tat zu erbitten.

An dieser Sage wird deutlich, wie schlimm früher mit armen Seelen umgesprungen wurde. Wir sehen jedoch auch, und das ist wichtig, daß der Umgang mit dem Vieh eine zentrale Bedeutung innehatte. „Es gehört in der Vorstellung der Bauern zu den verwerflichsten Sünden, wenn der Hirte der Herde . . . Schaden tut. Waren die Tiere doch das kostbarste Gut der Bauern. Deshalb mußte auf den Hirten unbedingt Verlaß sein”'. Dies beweist auch die große Anzahl von Sagen, die sich mit diesem alpwirtschaftlichen Themenspektrum beschäftigen. Der Frevel am Vieh hatte höllische Qualen zur Folge. Ein weiteres Beispiel ist der „Näsgeist” von Tiefenbach, in der ein bekanntes griechisches Sagenmotiv variiert wird.

Sagen - Heft 32

Der Hoarastane von der Kornauer Alp.

Der von Reiser erwähnte,

Kälbermörder vom Falkenberg

bei Tiefenbach hatte zu Lebzeiten die neugeborenen Kälber kurzerhand die Felswand hinuntergeworfen, um sich die Arbeit zu sparen; manches Stück Vieh hatte er am Euterbrand sterben lassen, weil er zum Melken zu faul war. Manchmal hatte er die vollen Milchkübel anderer Sennen aus purem Übermut den Berg hinuntergeschüttet. Nach seinem Tod hatte es seine Seele besonders schwer: Nacht für Nacht mußte sie mit einem schweren Kalb auf dem Buckel die Näswand hinaufklettern. Dabei stöhnte er so fürchterlich, daß sich Mensch und Tier fürchteten. Keine Kuh gab Milch während der Zeit, solange das schreckliche Stöhnen zu hören war, und die Sennen mußten warten, bis der „Näsgeist”, wie er genannt wurde, sein Werk getan hatte.

Leider wird nicht beschrieben, wie und wann dem „Näsgeist” das Handwerk gelegt wurde. Ich kenne jedenfalls keinen lebenden Tiefenbacher, der es mit ihm zu tun hatte. Wie ein solcher Geist ausgetrieben werden kann, das erklärt die folgende Sage, in der das oben erwähnte Sagenmotiv auftaucht:

Der Sisyphos vom Einödberg

Auf dem Einödberg unweit der Mädelegabel stand einst ein Hirt im Dienst, der sehr lässig und unachtsam war, so daß ihm eines Tages eine Kuh, die zudem noch einer armen Witwe gehörte, „verfiel'. Anstatt sich nun den selbstverschuldeten Unfall zur Warnung sein zu lassen, lachte der Hirte hellauf als er die Kuh den steilen Abhang „hinunterbocken” und sich ein ums anderemal überschlagen sah. Dafür hat aber der gewissenlose Hirt nach seinem Tode keine Ruhe finden können und mußte als Geist die Kuh den steilen, hohen Berghang mit unbeschreiblichen Anstrengungen hinauftragen und schleppen.

Sobald er aber oben war, kam sie ihm aus und kollerte wieder herab, und dann mußte er darob fürchterlich lachen, daß es weithin schallte. Darauf sprang er wieder den Berg herab, um die Kuh von neuem hinaufzuschleppen. So ging es in einem fort, und weil nun darob eine große Unruhe in die Alpe gebracht wurde, so wollte zuletzt kein Hirt mehr bleiben. Auch fing es in der Hütte an zu geisten, und darum ließ man endlich einen Kapuziner von Immenstadt kommen, daß er den Geist verbanne. Nach langem Lesen und Benedizieren gelang es auch dem Pater, den Geist zu beschwören, der nun aber seinerseits, bevor man ihn verbanne, nach dem Fürwitz verlangte. Da überließ man ihm statt dessen eine alte Geiß, die er sogleich „ in Fetzen zerriß"; darauf beschwor ihn der Kapuziner auf die wilden und unzugänglichen Schrofen der Trettachspitze.

Wer dieser „Fürwitz” eigentlich gewesen wäre, nach dem der Geist verlangte, weiß man nicht; aber einige meinten, das sei jedenfalls „Hatscherles Kaschpa” gewesen, denn der habe bei der Beschwörung verstohlen zugeschaut und sei auch sonst immer so siebengescheit gewesen, daß man ihn oft den „Fürwitz” geheißen habe.

Der arme Hirt muß nicht nur geisten, nein, diesmal wird er sogar noch verbannt, die Erlösung wird ihm sogar bis in alle Ewigkeit vorenthalten. Exorzist ist ein Ordensmann. Ein Kapuziner aus dem nahen Immenstädter Kloster wird gerufen, denn nur er kennt die Verhaltensweise der Geister und weiß, wie man ihr begegnet. Er beherrscht das „Benedizieren”, das Geisteraustreiben und wird auch mit unvorhergesehenen Problemen fertig.

Die Glaubwürdigkeit der Geschichte wird durch den heimlichen Beobachter - sogar der Name des Zeugen wird genannt - verbürgt. An dieser Stelle muß nochmals darauf hingewiesen werden, daß die Sagen der Vorstellungswelt der Menschen vor nicht weniger als hundert Jahren entsprachen. Die Menschen hielten sie für Tatsache. Sogar der aufgeklärte Kaplan Feuerstein aus dem Kleinen Walsertal berichtet in seiner »Baader Chronik«, deren Zusammentragung er 1782 begann, ohne den Hauch eines Mißtrauens von einigen übersinnlichen Ereignissen wie dem „Walsermännle”. Natürlich wußte er damals nicht, daß er damit wahrscheinlich die ältesten Sagenaufzeichnungen unserer Region geschaffen hatte.

Jetzt muß nur noch geklärt werden, wohin ein solcher Geist verbannt werden kann. Welcher Ort eignet sich besser als die wilden Felsen und Schluchten unseres Hochgebirges? Hieß die Trettach nach Baptist Schraudolph nicht sogar
„Gistkopf? Aber auch die Krottenköpfe sollen nach Reiser früher „Geisterköpfe” geheißen haben. Auf die Höhe dieser Berge habe man einst die unruhigen Geister aus der ganzen Umgebung zu bannen gepflegt.

„In der Gestalt häßlicher, Krotten’ mußten sie fortan auf den wilden Felsspitzen bleiben. Davon haben diese Berge den Namen ,Krottenköpfe’ bekommen. Sogar ein Fürst soll unter diesen Geistern sein; bei Lebzeiten sei jener ein grausamer Tyrann und Zwingherr gewesen. Ein fahrender Schüler beschwor ihn nach seinem Tod auf die wilden Schrofen und schmiedete ihn dort mit Ketten an einen Felsen, wo er unbekleidet die ärgste Sommerhitze und die furchtbarste Winterkälte aushalten mußte.

Exorzist ist diesmal ausnahmsweise ein „fahrender Schüler”, ein studierter Mann, dem man in unseren Sagen eher die Fähigkeiten eines Zauberers zuschreibt als die eines Geisterjägers. An dieser Sage wird auch ein häufig benutzter Aspekt deutlich: Sagen versuchen zu erklären. Hier wird ein unverständlicher Bergname volksetymologisch gedeutet. Daß aber der Name „Krottenkopf” nichts mit „Kröten” zu tun hat, sondern wahrscheinlich auf das romanische Wort „crypta” im Sinne von „abschüssiger Ort, Felswand” zurückgeht, können wir bei Steiner nachlesen.

Kehren wir nun zurück zu unseren Geisterhirten:

Der Feuerreiter vom Söllereck

Kein Dienstherr behielt den Nepf lange als Knecht, denn der war ein pflichtvergessener Dienstbote und ein übler Tierschinder. Als ihn die Alpmeister auf die Sölleralpe bei Oberstdorf dingten, waren dem Nepf die armen Alptiere ausgeliefert. Wenn sich eine Kuh verläuft und abstürzt, muß sich ein rechter Hirte bemühen, das Stück zu bergen. Jener Bösewicht aber hatte seine Freude an solchem Elend und schaute lachend in den Tobel hinunter, wo die Kuh elendiglich verkam. Besonders schlimm trieb es der Nepf mit den Pferden. Dem schönsten Roß seines Bauern zündete er Mähne und Schwanz an, nachdem er sie mit Binsen durchflochten hatte. Dann jagte er das Pferd über die Weide, bis es verendete. Zwei andere Rösser trieb er in eine Felsspalte, daß sie nimmer herauskonnten. Er ließ nicht zu, daß die anderen Hirten den gequälten Kreaturen zu Hilfe kamen. Schließlich machten die Alpmeister dem Nepf den Prozeß, und er wurde in schwere Strafe genommen. Aber er besserte sich trotzdem nicht. Weil kein Bauer ihn mehr zum Knecht haben wollte, zog der Nepf zuletzt als Bettler durchs Land, bis er starb.

Seine Schuld jedoch war noch nicht abgetragen. Als leuchtendes Geistergerippe, auf einem brennenden Roß, so jagte er oft in Sturmnächten über die Alp. Ununterbrochen schrie er:

„Holet d' Roß, holet d ’ Roß!“

Dann verschwand er in jener Felsspalte im Söllereck, in die er einst seine armen Opfer getrieben hatte. Einige wollten wissen, ein Bregenzer Pater habe nachmals diesen unheimlichen Ort ausgesegnet und die dort herausgeholten Pferdeknochen in geweihter Erde beigesetzt. Die Verwandten des Nepf, heißt es, hätten den Bauern den Schaden ersetzt und für die Seelenruhe des Feuerreiters für die Kirche in Mittelberg (Walsertal ) ein wächsernes Roß gestiftet. Das habe Dochte zum Anzünden in Mähne und Schweif gehabt und mehr als einen Zentner gewogen.

Unser Nepf hatte im Gegensatz zu seinen Vorgängern Glück gehabt, er wurde nicht verbannt, sondern sein Seelenheil wurde gerettet. Unsere Geister sind hierbei stets auf die Hilfe der Lebenden angewiesen. Es sind seine Verwandten, die mit Hilfe eines Bregenzer Paters seine Rettung schaffen. Wir sehen ein weiteres Mal, wie sich in diesen Sagen das Rechtsempfinden der damaligen einfachen Menschen widerspiegelt. Auf zwei andere Alpgeister, nämlich den „ewigen Melker auf dem Einödberg” und den „Steckengeist von der unteren Mädelealp”sei hier nur verwiesen.

Wir wollen jedoch nun die Alpen verlassen und ins Tal absteigen, denn auch hier begegnen uns allenthalben Wiedergänger.

Der Markenrücker von Tiefenbach

Ein Bauer von Tiefenbach ging einmal vom Badwirtshause nachts spät heim, und wie er am Mühlbach herging, hörte er immer vom Felde her kläglich rufen: „Wo soll ich’s hintun? Wo soll ich’s hintun?” Da das Gejammer nicht aufhörte, so wurde der Mann, der dem Bier stark zugesetzt hatte, zornig und rief: „ Tue ‘s bigott hi, wo des g ’nomme häscht! ” Da kam sogleich ein Geist und sagte, nun sei er erlöst; denn er habe zu Lebzeiten eine Marke gerückt und den Ort, wo sie hingehörte, nicht mehr finden können. Zum Dank für die Erlösung wollte er dem Manne die Hand geben; der hielt ihm aber den Hut hin, in dem man am andern Morgen alle fünf Finger eingebrannt sah.

Ein häufig in Sagen aus dem alemannischen Raum auftauchendes Motiv ist das „Markenrücken”. Wenn man aus der Geschichte Oberstdorfs weiß, wie jeder Quadratzentimeter Bodens genutzt wurde, um irgendwelche wirtschaftlichen Erträge zu gewinnen, dem muß klar sein, welche Bedeutung das Eigentum an Grund und Boden innehatte. Bis hinauf in die steilsten Hänge wurde Bergheu gewonnen und unter größten Mühen und Gefahren im Winter geborgen. Der Boden um den Ort war um ein vielfaches wertvoller, und von ihm und seinen Erträgen hing das Überleben der ganzen Familie ab. Bis ins 19. Jahrhundert waren Hungersnöte wegen Mißernten an der Tagesordnung. Da mußte ein Grenzfrevel natürlich mit Höllenqualen, die in enger Beziehung zum einstigen Verbrechen stehen, gesühnt werden. Der Tote findet dabei erst dann seine Ruhe, wenn das Unrecht beseitigt ist. Ganz wichtig ist dabei, daß die Wiedergutmachung noch auf der Erde geschehen muß und, wie oben schon gesagt, dabei ist die Mithilfe eines Lebenden notwendig.

Lagen bei den vorherigen Sagen wirkliche Verbrechen vor, so sehen wir bei der nächsten Sage, daß Geiz allein schon ausreicht, um zum Geistern verurteilt zu werden:

Der Geist auf der Käskiste

Nach einer anderen Sage sitzt unten im „Zwing” der Geist eines reichen Walsers auf einer Käskiste. Der Mann soll bei Lebzeiten ebenso reich wie hartherzig gewesen sein. Während einer Teuerung wollte er den Hungernden durchaus nichts von seinen auf ge speicherten Vorräten an Butter und Käse ablassen. Lieber wolle er sein Sach in den Zwing hinabwerfen, pflegte jener zu sagen. Er hat es denn auch getan und ganze Kisten Butter und Käs in den Abgrundschleudern lassen, damit sie nicht anderen zugute kämen. Dafür muß er nun geisten und für ewig und alle Zeit auf einer Käskiste in der schauerlichen, strudelnden Tiefe hocken.

Sagen - Heft 32-3

Der Geist auf der Käskiste.

Mangelnde Freigebigkeit der Reichen wird in der bäuerlichen Sozialanschauung als Mißbrauch des Reichtums aufgefaßt. Diese Art der Sozialkritik wird auch in der nächsten Sage deutlich. "Bitte achten Sie auf den Dialekt des Löwenwirts!"

„Hundert Duma send au a Maß!”

Auf der Löwenwirtschaft zu Oberstdorf saß vorzeiten ein Wirt, der hatte die üble Gewohnheit, daß er beim Einschenken immer den Daumen in das Trinkgeschirr hineinhielt, damit, wie er sagte, „es a güets Maß git”. Auf diese Weise sparte er mit der Zeit viel Wein und Bier. Sein Weib, eine rechtschaffene Frau, verwies ihm dieses Treiben oft und warnte ihn auch, er werde dafür einmal büßen müssen. Der Wirt aber lachte und sagte nur: „Hundert Duma send au a Maß!”

Nach seinem Tode mußte er jedoch seiner Einschenkerei wegen geisten. In den geräumigen, in zwei Stockwerken übereinanderliegenden Kellern, wo die Wein- und Bierfässer lange Reihen bildeten, schlurfte der geistende Wirt mit einem Krug umher. Bald machte er sich im Kellerhals unter der Stiege zu schaffen, bald sah man seine Knochenfaust am Spund der Fässer hantieren. Man sagte, der alte Wirt habe einen glühenden Daumen und nun suche er Kühlung im Naß der Fässer. Wenn er aber durch das Spundloch nicht hineinlangen könne, brenne er mit dem glühenden Daumen ein Loch in die Fässer, so daß diese undicht würden und ausliefen.

Die nachfolgenden Wirtsleute wären mit diesen auslaufenden Fässern fast um Hab und Gut gekommen. Deswegen riefen sie einen Kapuziner aus Immenstadt, damit dieser den Geist banne. Der Kapuziner beschwor ihn mit Erfolg und trug ihn schließlich in seinem Kuttenärmel über die Mühlenbrücke nach Faltenbach. Wie der Pater nun gerade auf der Brücke war, verlangte der Geist nach dem Fürwitz, damit er ihn in Stücke zerreißen könne. Der Pater fing aber an, ihm die Namen aller Leute aufzuzählen, die durch seine Habgier zu Schaden gekommen waren. Da wurde der Geist immer handsamer und schwieg zuletzt still, bis sie beim Faltenbachstrudel waren. Hier schüttete der Kapuziner seinen Kuttenärmel über den geländerlosen Steg und bannte den Geist in die gurgelnden Wasser, damit die Löwenwirtschaft künftig Ruhe vor ihm habe.

Wenn der Faltenbach wenig Wasser führt, was im Sommer leicht Vorkommen kann, dann sitzt unten am Strudel oft eine Kröte mit traurigen Augen, aber von der Größe eines neugeborenen Kalbes. Das ist der alte Löwenwirt, der auf seine Erlösung wartet. Aber vielleicht ist er schon erlöst, denn in letzter Zeit hat ihn niemand mehr sitzen sehen.

Dieser Sage, die sich stilistisch dem Schwank nähert, hören wir deutlich an, daß sie eigentlich mehr unterhalten als belehren will. In ihr sind fast alle vorher angesprochenen Elemente vereinigt.

Zentral bei den bisher behandelten Sagen ist die Verbindung des sündigen Menschen mit seinem Schicksal nach dem Tode. Es gibt jedoch noch eine ganze Reihe weiterer Geistergeschichten, bei denen diese Verbindung nicht mehr erkenntlich ist. Wir lernen jetzt anonyme Geister kennen. Sicher sind auch sie Wiedergänger, nur ist der Grund der Rückkehr nicht bekannt.

Der feurige Reiter vom Burgstall

Auf dem Burgstall am Fuße des Himmelschrofens bei Oberstdorf hat man in alten Zeiten zuweilen einen feurigen Reiter herumjagen sehen. Er hatte keinen Kopf und kam manchmal bis gegen Loretto hereingeritten, wo er gewöhnlich plötzlich verschwand oder auch zurückraste.

Als auch einmal ein Oberstdorfer abends im Ösch draußen noch arbeitete, kam da plötzlich der feurige Reiter dahergesprengt. Der Mann hatte kaum Zeit, sich vor Schreck etwas zu fassen, so sauste der wilde Reiter ohne Kopf an ihm vorbei, und eine Stimme rief: „Sef, komm, i laßte mit reite ge Lorette!” Im Nu aber war er dann dahin, indes der Oberstdorfer nicht mehr weiter zu arbeiten begehrte, sondern entsetzt davonlief, so viel er nur Boden unter die Füße bekam.

Anhand dieser Sage läßt sich recht gut beschreiben, wo sich Geister herumtreiben. Beliebt sind natürlich alte Ruinen. Beispielsweise stand am Burgstall wirklich einmal eine kleine Burg der Ritter zu Heimenhofen. Selten trifft man die Geister innerhalb der Ortschaft, sondern meist in unbewohnten Gebieten an. Strenge Grenzen sind ihnen durch christliche Marken, wie hier die Lorettokapellen, gesetzt. Für einen Oberstdorfer bedeutete eine Kapelle sogar die Rettung vor einem kopflosen Geist.

Der Mann ohne Kopf bei Ruben

Bei Ruben hat man zu frühesten Zeiten des Nachts oft einen Mann herumwandeln sehen, der keinen Kopf hatte. Kam da auch einmal ein Oberstdorfer des Weges, der sich in Altstätten stark verspätet und dem man dort eine Mähre mitgegeben hatte, daß er heimreiten könne. „Auf dem Damme” oberhalb Ruben blieb nun mit einem Male das Roß stehen, fing an zu zittern und war keinen Schritt mehr weiter zu bringen, der Reiter mochte es streicheln oder schlagen.

Auch als er abstieg und es am Zaume führen wollte, ging es nicht, und so merkte der Mann wohl, daß hier ein Spuk los sein müsse; denn wenn etwas Ungerades um die Wege ist, merken das die Pferde immer zuerst und zeigen es an. Wie nun aber alles nichts half, riß dem Oberstdorfer die Geduld; er stieg auf, hielt sich fest an der Mähne ein und fing zu schwören und zu fluchen an, so viel er nur Worte finden konnte, und siehe, es half! Der Gaul machte einen „Juck” und sauste dann im rasenden Galopp dahin. Bei der Rubener Brücke schaute der Reiter um und sah nun zu seinem Schrecken einen schwarzen Mann ohne Kopf ihm nachjagen, der ihm folgte bis zur „Hexenkapelle” bei Oberstdorf, wo er plötzlich verschwand.

Die Hexenkapelle kennen Sie ja schon aus dem Artikel über die Hexen: Es ist die Vierzehnnothelfer-Kapelle, die beim Großen Brand 1865 abgebrannt ist. Sie stand am nördlichen Ortseingang, ungefähr dort, wo heute die Hypotheken- und Wechselbank ist. Warum recht häufig kopflose Geister unterwegs waren, kann nur vermutet werden. Vielleicht sind sie eine Erinnerung an grausige Zeiten, als den Verbrechern noch der Kopf abgeschlagen wurde, oder sie erinnern an alte Skulpturen aus der Antike, die auch häufig kopflos dastanden.

Gerade anhand der letzten beiden Sagen läßt sich ein weiterer Aspekt der Sagen erhellen: Wie kann so eine Geschichte überhaupt entstehen?

Zuallererst war es für die damaligen Menschen sonnenklar, daß neben der real existierenden Welt eine zweite, spirituelle bestand. Durch Erzählungen in der Kunkelstube wurden die Geschichten weitergegeben und sicher auch ausgesponnen. Die Geister spukten also schon in den Köpfen unserer Vorfahren, bevor sie persönlich eine Geistererscheinung hatten. Damit es jedoch zu einer solchen kommt, müssen zwei weitere wichtige Punkte erfüllt werden. Der erste ist die persönliche Disposition des jeweiligen Menschen. War er leichtgläubig, ängstlich? Hatte er ein schlechtes Gewissen, weil er in Altstätten „verhockt” war? Hatten ihm seine Freunde zu viel ins Glas geschenkt? Oder litt er gar an einer Krankheit wie der Epilepsie? Hier sei an die Fahrten mit der Nachtschar erinnert. Traf einer dieser Punkte zu, dann war auch ein Geist nicht weit.

Der zweite Aspekt ist die Umwelt, die jeweilige Situation, in der sich die Person, meist allein, befand. Bei bestimmten Wettersituationen wie Gewitter, Sturm und Hagel waren die Menschen anfälliger. Die Angst wuchs und mit der Angst die Nähe der Spukgestalten. Jetzt reichte nur noch ein Funke, ein auslösender Reiz, und schon war der „kopflose Mann ” real existierend. Der einzige Ausweg war Flucht. Zum Nachdenken blieb keine Zeit. In Oberstdorf, der vertrauten Umgebung, wieder angekommen, war der Geist weg. Natürlich gab es für das Verschwinden eine Erklärung: Die Hexenkapelle mußte es gewesen sein, denn an christlichen Symbolen kam kein Geist vorbei.

Mit der nächsten Geschichte kehren wir kurz wieder in die Alpen zurück.

Der Lochbachgeist

Im Lochbachtal zwischen Tiefenbach und Balderschwang ist eine Alphütte, in der früher, sobald man im Herbst mit dem Vieh abgezogen war, ein Geist einzog und darin verblieb bis zum Alpzug im Frühjahr.

Während dieser Zeit ward niemand in der Hütte gelitten, und wenn je ein Jäger oder ein Wilderer darin übernacht bleiben wollte, so wurde er „hofrechts" hinausgeworfen. Wenn man nachts hier vorbeiging, hörte man nicht selten drinnen ein fürchterliches Gepolter, "wildes, wüstes Lärmen und lautes „Stallieren. Drum blieb auch die Hütte allgemein zu dieser Zeit gemieden.

Anhand unserer Sagen können wir auch die Zeit, in der die Geister unterwegs waren, genauer eingrenzen. Die Zeit zwischen dem Gebetläuten am Abend und am Morgen war die gefährlichste. Ausgesprochene Geisterzeit war das Winterhalbjahr in den Alpen. Zwischen den beiden Festen Kreuzerhöhung (14. September) und Kreuzauffindung (3. Mai) haben die Geister das Recht in den Alpen. Sie verteidigen in dieser Zeit ihr Hausrecht, das sie außerhalb der Alpzeit besitzen. Auch die Nachtschar erscheint in dieser Zeit. Im Gegensatz zu vielen anderen Hüttengeistern ist unser Lochbachgeist jedoch verhältnismäßig höflich, denn die Störenfriede werden nur hinausgeworfen. In vielen Vorarlberger Sagen passiert ihnen da schon mehr. Doch fast immer bleibt der Mensch Herr der Situation, und nur selten endet eine Geisterbegegnung tödlich.

Zum Schluß wollen wir noch drei Geistererscheinungen kennenlernen, die wahrscheinlich aufgrund einer Wettersituation enstanden sind, die sich unsere Vorfahren nicht erklären konnten.

Lichtergeister auf dem Seealpsee

Bei dem hochgelegenen einsamen Seealpsee bei Oberstdorf war es ehemals nicht ganz geheuer. Die Berghoiber konnten da oftermalen über die Wasserfläche ein Licht schweben sehen, das sie wegen seiner häufigen Erscheinung zuletzt gar nicht mehr fürchteten. In der am Ufer stehenden Fischerhütte bemerkten sie ebenfalls oft Lichter zu Zeiten, wenn man bestimmt wußte, daß kein Fischer oder sonst jemand von Oberstdorf heroben war. Die Hütte gehörte damals drei Brüdern vom Kienberg, die oft im See fischten und daneben Bergheu machten. Wenn sie in der Hütte übernachten wollten, warf es jedesmal einen von ihnen, sobald sie das Feuer auslöschen ließen, zur „Britsch” hinaus und litt ihn nicht eher darin, als bis sie wieder das Feuer anbrannten.

Der Höfatsgeist

An die Höfats aber wage sich ja keiner mit eisernen Geräten an den Händen! Der Höfatsgeist nämlich läßt alles Eisen glühend werden. An Händen und Füßen verbrannt, hat man schon die Opfer des Berggeistes in der Tiefe wiedergefunden.

„Kalte Feuer” auf Alpen

Da und dort in den Allgäuer Bergen wissen die Sennen zu erzählen, wie an Tagen, wo es in der Luft bramselet, die Geisterscharen um die Hütten schleichen.

Wo blanke Milchkübel über die Hagstecken gestülpt sind, entfachen die Geister ein schreckliches Leuchten und Brennen. Aber es ist nur ein „kaltes Feuer”, und die Kannen kommen dabei nicht zu Schaden.

Auf der Sölleralpe bei Oberstdorf fing einmal eine ganze Hütte Feuer ohne Blitz und Donnerschlag, nur weil die Berggeister mit den Sennen unzufrieden waren. Deswegen wird ein kluger Senn an kritischen Tagen nicht versäumen, den Geistern einen Gefallen zu tun. Wenn es in den Daufen (Latschen) geheimnisvoll „knischtet und knackt” und in der Hütte tickt, als wär der Holzwurm bis in der letzten Dachlander, dann soll der Senn beim Melken ein paar Tropfen im Euter lassen, damit die unruhigen Geister noch ein Schlücklein finden. Den Kühen schadet das nichts; die Berggeister aber tun dann der Alpe nichts Übles, auch wenn die Haken in den Zäunen und Hüttenbalken noch so unheimlich von gelbrotem Lichte sprühen.

Wir sind jetzt am Ende unserer Geistergeschichten angekommen. Wir haben die verschiedensten Typen kennengelernt und viel über den Glauben und das Rechtsempfinden unserer Vorfahren erfahren. Uns sind solche Geistererscheinungen fremd. Nur gefühlsmäßig kommen wir in Situationen, in denen wir unsicher sind und ängstlich reagieren. Uns fehlen die Vorgaben aus dem Kopf und die moralischen Normen der Vergangenheit. Wir wissen zu viel über die Zusammenhänge in der Natur. Die Geister unserer Ahnen werden uns fremd bleiben, aber neue Geister, neue Sagen sind schon im Kommen: Wie viele Menschen wurden gerade in den letzten Jahren von Außerirdischen entführt?

Fortsetzung folgt

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