Der Berg- und Skiführer Leonhard Braxmair, der auch Oberstdorfs erster staatlich geprüfter Skilehrer war.
Für das Jahr 1911 haben die AV-Sektionen Immenstadt und Kempten ein „Verzeichnis der Führer, Führeradspiranten u. Träger im Oberallgäu” drucken lassen (siehe folgende Seite).
Wir finden da unter „Oberstdorf” altbekannte Gesichter wie Franz Braxmair, Fritz Dünßer, Moritz Math, Johann Rietzler II, Kaspar Rietzler, Franz Schraudolph, Franz Xaver Steiger, Donatus Vogler und Wendelin Weitenauer (sen.).
Es tauchen aber auch neue Namen auf. Über manche Führer ist so viel Material vorhanden, daß es den Rahmen dieser Betrachtungen sprengen würde, schriebe man das Bekannte nieder, und bei anderen muß man jedem kleinen Hinweis nachgehen, um ein paar Sätze aufzutreiben. In der Folge werde ich versuchen, über die „Neuen” zu berichten. Es sind dies bei den autorisierten Führern: Leonhard Braxmair, Michael Huber, Leo Köcheler, Johann Rietzler I, Kaspar Schwarz (sen.), Alois Tauscher und bei den Trägern: Anton Huber, Otto Rees und Leo Huber. Sicher werden nach der Veröffentlichung dieses Aufsatzes Leute kommen und fragen: „Warum bist du nicht zu mir gekommen? Ich hätte diese oder jene Hinweise gehabt!” Aber - leider kommen die erst hinterher!
Es war immer schon von Vorteil, einen angesehenen und berühmten Vater zu haben. Dieses Glück hatte Leonhard Braxmair, der Sohn des damals schon fast legendären Franz Braxmair.
Der junge Mann war gerade 20 Jahre alt, also noch nicht einmal volljährig, als die Alpenvereinssektion Kempten der „verehrlichen Gemeindeverwaltung Oberstdorf” am 27. September 1909 „ergebenst mitteilt”, daß der bisherige Führeraspirant Leonhard Braxmair „als autorisierter Führer aufgestellt worden ist”. Ohne die mit Sicherheit vorhandene Befähigung des Leonhard anzweifeln zu wollen, hatte hier der Name des Vaters sicherlich die Karriere des Sohnes gefördert. Andere qualifizierte Leute mußten viele Jahre als Träger und Aspirant Dienst tun, bis ihnen die Autorisierung zuteil wurde.
Aus dem Buch am Höfats-Ostgipfel ist zu entnehmen, daß Frau Martha Johannsen aus Hamburg am 11. Juli 1911 dort weilte, nachdem sie von Führer Leonhard Braxmair vom Westgipfel her über die Traverse geführt worden war. Aus der gleichen Quelle ist ersichtlich, daß Leonhard Braxmair am 30. Juli 1913 den Augenarzt Dr. Bruno Berger aus Halle i./Sa. sicher zum Gipfel gebracht hat. Zwischen dem ersten und dem zweiten Eintrag war auch einige Male der Vater wieder auf der Höfats gewesen.
Für mehrere Jahre war die „zivile Bergsteigerei” vorbei. Das Vaterland hatte 1914 den Leonhard „gerufen”, und erst 1920 kehrte der junge Mann aus französischer Kriegsgefangenschaft zurück. Am 22. August 1924 finden wir seinen Namen wieder im Gipfelbuch der Höfats neben der Unterschrift seines Touristen Otto Weber aus Hamburg, und im Führerverzeichnis des »Zettler« von 1925 steht der Name auch. Wie lange Leonhard Braxmair noch führte, weiß ich nicht. Gesundheitliche Probleme als Folge einer Verschüttung im Ersten Weltkrieg zwangen ihn jedenfalls zur Aufgabe der Führertätigkeit.
Zusammen mit seinem Vater war Leonhard Braxmair 1906 Mitbegründer des „Skilauf-Vereins Oberstdorf/Allgäu”, aus dem der SC Oberstdorf 1906 entstand. Als einer der ersten Oberstdorfer lehrte er andere den „Schneelauf”. Wann er die Prüfung als Skiführer des DÖAV abgelegt hat, weiß ich nicht, aber jedenfalls war dies 1922 oder früher. Der Prüfung als Berufsskilehrer unterzog er sich als erster Oberstdorfer im Jahre 1921.
Anfänglich noch während, aber hauptsächlich nach seiner aktiven Zeit als Bergführer und Skilehrer betätigte sich Braxmair in der Gastronomie. Zuerst bewirtschaftete er das Waltenbergerhaus an der Mädelegabel, um später in Oberstdorf „Schützenwirt” zu werden.
Leonhard Braxmair war am 27. März 1889 in Oberstdorf geboren. Seine Eltern waren der Zimmermann und Bergführer Franz Sales Braxmair und dessen Ehefrau Maria, geh. Huber. Leonhard verehelichte sich am 10. Dezember 1921 mit Albertina Pfaudler aus Hinterstein und starb am 19. Juni 1937.
Von dem Zimmermann Michael Huber, oder - wie er unter den Einheimischen genannt wurde - „Zimmermändles Michl”, konnte ich keinerlei Unterlagen über Träger-, Aspiranten- oder Führerzeit finden. Auch über seinen Bergführerkurs und die abschließende Prüfung habe ich keine Hinweise.Als Nachweis der Ausübung seiner Führertätigkeit findet sich lediglich im Gipfelbuch des Höfats-Ostgipfels folgender Eintrag:
„23. Aug. 13 Dr. Schael [?] u. Frau aus Berlin - (Sect. Bayerland)
Traverse vom West- zum Ostgipfel - Führer: Johann Rietzler II,
Mich. Huber.”
Es scheint aber auch nur ein kurzes Intermezzo gewesen zu sein, das „Zimmermändles Michl” bei den Bergführern gegeben hat, denn von 1916 bis 1919 war er Soldat, und schon 1920 fehlt er in der Führertafel des Alpenvereins.
Michael Huber gehörte zu den Skipionieren in Oberstdorf und war 1906 Mitbegründer des heutigen Skiclubs Oberstdorf. Auf einer fotografischen Aufnahme, die vor 1914 im Edmund-Probst-Haus anläßlich einer „Skibesteigung” des Nebelhorns „geschossen” wurde, sehen wir auch Michl Huber neben anderen Oberstdorfer „Skiveteranen”. „Zimmermändles Michl” ist uns auch als Jagdaufseher bekannt und bildete zusammen mit seinen Freunden Anton Huber („Bottar”) und Franz Kappeler („Aliselar”) ein Gesangs- und Jodlertrio.
Michael Huber wurde als Sohn des Zimmermanns Joseph Huber und dessen Ehefrau Johanna, geb. Kappeler, am 1. August 1870 geboren. Er verehelichte sich am 9. November 1908 mit Anna Schraudolf, lebte mit seiner Familie im Anwesen Haus Nr. 102 und verstarb am 28. Mai 1943.
Durch ein Schreiben von Josef Wieland, der als Referent für das Bergführerwesen bei den AV-Sektionen Kempten und Immenstadt fungierte, erfahren wir etwas über einen neuen Mann in der Bergführergilde:
„Der verehrlichen Marktgemeinde-Verwaltung Oberstdorf wird ergebenst mitgeteilt,
daß dem bisherigen Träger Leo Köcheler das Aspirantenabzeichen verliehen wurde ...”,
so ist in dem Brief vom 23. August 1906 zu lesen. Wie lange Leo Köcheler, mit Hausnamen „Schtanze Leo” genannt, schon als Träger Dienste tat, konnte ich nicht erfahren. Seine Aspirantenzeit dauerte aber fast vier Jahre, denn 1910 wurde er zusammen mit Johann Schöll zum Bergführer autorisiert. Dies geschah beim alljährlichen Allgäuer „Führertag”, wo sich die Führer mit den „Oberen” der AV-Sektionen (am 22. Mai 1910 in Oberstdorf im Gasthof »Hirsch«) trafen.
Leider konnte ich über das alpine Wirken des Leo Köcheler keine schriftlichen Hinweise finden. Sein Sohn Hans erzählte mir einmal, daß „der Vater öfters auf die Mädelegabel und das Hohe Licht geführt hat”. Als 1911 die Oberstdorfer Bergführer das Kreuz auf dem Höfats-Ostgipfel aufstellten, war auch „Schtanze Leo” mit von der Partie.
Leo Köcheler kam am 8. Februar 1871 in der Truppersoy im Trettachtal als Sohn des Ökonomen Konstantin („Schtanz”) Köcheler und dessen Ehefrau Josepha, geb. Kappeler, zur Welt. Er verehelichte sich mit Afra Mayer von Dietersberg, lebte mit seiner Familie auf dem Haus mit der Nr. 21 (heute Oststraße 28) und bewirtschaftete dieses bäuerliche Anwesen. Im Jahre 1937, am 21. Dezember, trat Leo Köcheler seinen letzten Gang an.
Es bedeutet keineswegs eine Klassifizierung oder gar eine Abwertung, wenn die Veröffentlichung über den Bergführer Johann Rietzler I nach jener über Johann Rietzler II erfolgt. Schlicht und einfach: ich hatte über den „Roseblühar”, den Rietzler II, früher entsprechendes Material gefunden als über den „Jachemar”, den Rietzler I. Daher bin ich dankbar, daß mir die Enkelin des „Johann I”, Renate Wohlfahrt, nicht nur drei vollgeschriebene Führerbücher von diesem übergab, sondern die meist in Sütterlinschrift erfolgten Eintragungen auch noch in Maschinenschrift übertragen hat.
Vielleicht darf ich an dieser Stelle die Bitte äußern, daß mir von weiteren Oberstdorfer Bergführer-Nachkommen für spätere Veröffentlichungen Unterlagen überlassen werden; ich danke schon im voraus.
Aber jetzt zu „Jachemars Hans”: Die erste schriftliche Nachricht über dessen alpine Tätigkeiten finden wir in einem 28 Seiten umfassenden Büchlein im Oktavformat, das auf Seite 1 mit folgendem Text beginnt:
"Ausweisbuch"
ausgestellt von der Section Algäu Kempten des Deutschen und Österreichischen Alpenvereines. Der behördlich legitimierte Träger Rietzler Johann wohnhaft in Oberstdorf Nr. 4 geboren im Jahre 1871 legitimiert im Jahre 1902 beabsichtigt, sich unter Aufsicht des Deutschen und Österreichischen Alpenvereines zum Bergführer auszubilden. Es wird daher ersucht,
Wahrnehmungen über dessen Befähigung in dieses Buch einzutragen.”
Neben diesen Zeilen des Alpenvereins hat die Heimatgemeinde dem neuen Träger folgendes Zeugnis ausgestellt:
...bestätigt die Marktverwaltung Oberstdorf, daß sich der für den Aspirantendienst ausersehene Inhaber dieses Buches bezüglich Leumund und Moralität zum Führerberufe eignet.
Oberstdorf, im Mai 1902 Marktgemeindeverwaltung i.V. Huber, Beigeordtn.”
(Anm.: Beigeordneter = 2. Bürgermeister)
In das Trägerbuch war noch, wie bei allen jungen Anwärtern, eine Beschränkung eingetragen:
„Der Inhaber ist geeignet, bei nachstehend verzeichneten Touren als Begleiter zu dienen: 1902: vorläufig für leichtere Gipfel und für Paßübergänge im Oberstdorfer Gebiet.”
Rietzler führte in diesem Jahr zwischen dem 9. Juli und dem 24. September 1902 zum Teil mehrtägige Partien. So heißt es z. B.:
„Joh. Rietzler führte mich am 4ten Sept. 1902 durch das Oytal über Rauheck und Kreuzeck auf die Kemptner Hütte, am 5ten Sept. auf die Mädelegabel und über den Heilbronner Weg zur Rappenseehütte, von dort aus an dem selben Tage auf den Biberkopf. In jeder Beziehung kann ich Rietzler sehr empfehlen; er ist ein ausgezeichneter Führer und angenehmer Begleiter.
Oberstdorf, 6. Sept. 1902 Dr. F. Klingemann ...”
Die Beschränkung auf die „leichteren Gipfel” muß schon zum Ende der Saison 1902 gefallen sein, denn am 21. September führte Johann I zwei Memminger Touristen auf den Gipfel der Höfats, und am 24. September vertrauten sich ihm Oberstdorfs Benefiziat Alois Eß und der Buchdruckereibesitzer Andreas Hofmann (der auch Oberstdorfs Bergführer-Obmann war) für eine Klettertour auf die Trettach an. Mit der Eintragung Nr. 33 endet das erste Büchlein am 25. September 1903. Der Bergführer-Referent der Sektion Kempten signierte mit roter Tinte: „Durchgesehen 20.11. 03 Wittmann”.
Rietzler I scheint bereits in seiner Anfangszeit ein begehrter Begleiter gewesen zu sein. Sein zweites Tourenbuch, unterschrieben am 16. April 1904 von Oberstdorfs Bürgermeister Ludwig Fischer, weist für den Sommer 1904 allein 26 Partien aus. Jetzt wird Johann I schon als Aspirant und nicht mehr als Träger geführt. Die Touristen geizten bei ihren Eintragungen ins Führerbuch nicht mit dem Lob über die Art der Führung. Als Beispiel schreibt eine Dame:
„Führer-Aspirant Johann Rietzler I führte mich über das Luitpoldhaus - Hochvogel zum Himmeleck auf den Schneck über Rauheck, Kreuzeck, Märzle zur Kemptner Hütte, über Mädelegabel, Heilbronnerweg, Hohes Licht, Rappenseehütte vom 8. - 10. Juli. Ich bin in Bezug auf Führer insoweit verwöhnt, als ich seit 14 Jahren die meisten meiner Touren mit einem und demselben alten Führer, einem erstklassigen gemacht habe. Ich kann mein Lob über Rietzler, seine Umsicht, Ruhe, Tüchtigkeit kurz in dem Satz zusammenfassen, daß er meinem alten Pinzgauer Freunde ebenbürtig ist.
Einödsbach, den 10. Juli 1904 Lucie Langer, D.Ö.AV Breslau.”
Wie „ausgebucht” der junge Aspirant war, zeigen die Eintragungen der folgenden Tage:
„Am 11. Juli mit dem Chemiker Dr. Paul Kohlmann aus Fürth i/B. auf die Trettach,
am 12. Juli mit Lucie Langer auf die Höfats, am 14. Juli mit Dr. Kohlmann auf die Mädelegabel,
am 15. Juli mit Justizrat Cohn und Begleitung aus Berlin auf das Hohe Licht, am 18. Juli mit Dr. jur. Fuhrmann
auf die Mädelegabel, Tage später [ohne Datum] mit den Kaufleuten Ernst Horn und Carl Harrer aus Nürnberg
über den Heilbronnerweg auf die Mädelegabel und schon am 25. Juli mit dem Studenten Heinrich Deverenz
auf den Hochvogel.”
Wenn dies auch keine besonders schwere Klettertouren waren, so mußte der Führer doch eine ganz gehörige Portion Kondition aufweisen.
In diesem und den folgenden Sommern führte der „Jachemar” auf viele Gipfel des Allgäus und der Lechtaler Alpen. Nebelhorn, Hochvogel, Schneck, Höfats (mit Traverse), Trettach, Mädelegabel, Hohes Licht, Biberkopf, Hoher Ifen, Krottenkopf, Hermannskarturm, Gelschkopf (Lechtaler) und eine Reihe weiterer Zinnen sind mehrfach in den Führerbüchern vermerkt.
Das dritte Buch beginnt am 1. Juni 1905, und da wird Johann I, der 1904 den Führerkurs mit abschließender Prüfung in Innsbruck absolviert hat, als „Führer” bezeichnet. Waren es anfänglich leichtere Touren gewesen, die er führte, so entwickelte er sich in den Jahren bis 1911 (soweit reicht das dritte Buch) nahezu zu einem „Höfats- und Trettachspezialisten”. Bei seinen Schützlingen war er sehr beliebt, und sie waren über ihn des Lobes voll. Wie lange Johann Rietzler I als Bergführer tätig war, weiß ich nicht. Jedenfalls ist er im »Zettler« von 1925 noch als Führer bezeichnet und „ging” noch zum Ende der zwanziger Jahre.
In Kempten befindet sich ein Ölbild von dem Allgäuer Maler Otto Keck aus dem Jahre 1927. Das Porträt eines Mannes mit markanten Gesichtszügen ist bezeichnet mit „Ein Allgäuer Bergführer” und stellt unseren Johann I dar (siehe Umschlag-Titelseite).
Johann Evangelist Rietzler, wie er mit vollem Namen hieß, war der Sohn der Ökonomenseheleute Joseph Rietzler und Regina, geb. Huber, am Dietersberg, wo er am 24. Januar 1871 geboren wurde. Er verehelichte sich mit Regina Geißler und lebte mit seiner Familie auf dem Anwesen Haus Nr. 43 in der Oststraße. Im Hauptberuf war Rietzler I wie seine Eltern Bauer. Am 3. Februar 1952 brach der geachtete Führer zu seiner letzten Tour auf.
Fortsetzung folgt