Franz Alois Schratt - dem Gastwirt, Künstler und Chronisten zum 20. Todestag

von Eugen Thomma am 01.11.1983

Drei Jahre nach dem „großen Brand”, der Oberstdorfs Gesicht so entscheidend verändert hat, erblickte hier der Mann das Licht der Welt, der als der Begründer der Oberstdorfer Geschichtsschreibung angesehen werden darf:
Franz Alois Schratt. „Fronzalise” hieß er schlichtweg bei den Einheimischen.

Franz Alois Schratt - Heft 4

Am 13. Mai 1868 hier geboren, war er eines der acht Kinder des Schuhmachermeisters Thaddäus Schratt und dessen Ehefrau Rosa, geb. Rietzler. Das Elternhaus stand im Oberen Markt, an der „oberen vorderen Gasse” (Oststraße) und trug die Hausnummer 12. 1874 eingeschult, besuchte der Knabe hier sieben Jahre die „Werktagsschule” und von 1881 bis 1884 die „Sonn- und Feiertagsschule”.

Schon zu dieser Zeit wurde sein künstlerisches Talent, das in einer echten Religiosität wurzelte, offenbar. Für einen 13jährigen Burschen doch etwas merkwürdig, übernahm der ehemalige Ministrant den Mesnerdienst in Loretto. Bei dem einheimischen Kunstmaler Claudius Schraudolph, dem jüngsten der drei Künstler-Brüder, erhielt er Unterricht im Zeichnen und Malen.

Welche Fähigkeiten in dem angehenden Künstler steckten und mit welcher Präzision er seine Arbeiten ausführte, zeigte seine 1887 entstandene Reliefzeichnung vom Gemeindegebiet Oberstdorf. Im gleichen Jahr noch ging der Wunsch des jungen Fronzalise in Erfüllung. Er wurde an der Kunstakademie in München aufgenommen, wo er eine fünfjährige Ausbildung genoß.

Noch während seiner Studienzeit, im Jahre 1890, übertrug die Localbahn AG, deren Züge seit 1888 nach Oberstdorf dampften, dem Studenten die Gestaltung eines Werbeplakates mit eingedrucktem Fahrplan. Wie sehr der Auftrag gelungen ist, zeigt die Tatsache, daß die Deutsche Bundesbahn heute noch Nachdrucke dieser Graphik als Poster verkauft. Es war eine große Überraschung, als vor wenigen Jahren anläßlich eines Feuerwehrausflugs eine Gruppe von Oberstdorfern das Verkehrsmuseum in Nürnberg besuchte und die Reproduktion des Fahrplanes sah, die in der rechten unteren Ecke die Initialen „F.A.Sch.” trägt. Einige Dutzend dieser Exemplare gingen an diesem Tag nach Oberstdorf.

Nicht nur die Kunst, auch die Geschichte und hier insbesondere die Heimatgeschichte fesselte den intelligenten Burschen. Die Chronik des Ignatius Math als „Lokalteil” und die 1883 erschienene „Geschichte des Allgäu” von Dr. Franz Ludwig Baumann als erstes gedrucktes Allgäuer Geschichtswerk geben die Anregung für die späteren Arbeiten des Heimatforschers.

Auch das Privatleben des F. A Schratt änderte sich. Am 13. Juni 1892 heiratete er Anna Mayer aus Oberpfahlheim. Fünfviertel Jahre später kommt das einzige Kind dieser Ehe, die Tochter Louise, zur Welt (Sie lebt heute fast 90jährig bei ihrer Tochter in Garmisch-Partenkirchen).

Ob es nun der Erwerbstrieb des doch künstlerisch veranlagten Mannes oder die Initiative der Frau war, wissen wir nicht; jedenfalls kauften die jungen Eheleute am 24. Oktober 1896 die fünf Jahre vorher von Wilhelm Hagspiel erbaute „Wilhelmshöhe”, eine Gaststätte auf der Freiberghöhe, nördlich des gleichnamigen Sees. Ein Freund, vermutlich ein Künstler, schrieb dem neugebackenen Gastwirt:

„Was fällt Dir ein, Du vertauschest die Poesie mit der Prosa des Lebens. Du wirst schon sehen, was es heißt, im Kreise der Bergmännlein und Elfen Herbergsvater zu sein.”

Keine Bergmännlein, keine Märchenwesen, sondern Tausende von Kurgästen hatte das Ehepaar in den folgenden Jahren zu bewirten. Ihr stolzester Tag dürfte gewesen sein, als Prinzregent Luitpold am 11. September 1898 das Haus besuchte. Die obligate „Prinzregenten-Zigarre” wurde wie eine Reliquie aufbewahrt, aber später gestohlen - und vielleicht als ganz gewöhnliche Zigarre geraucht.

In den Jahren 1903/04 ließen die Eheleute am Ausläufer des Höllrückens, oberhalb der Stillach, eine Wirtschaft erbauen und nannten sie „Restauration Waldesruh”. Die Wilhelmshöhe hatten sie verkauft. Sie bewirtschafteten die „Waldesruh” bis 1909. Dann hängten sie den Gastwirtsberuf endgültig an den Nagel und zogen in das völlig umgebaute Elternhaus des Mannes, das nun Villa Freiberg hieß. Die „Waldesruh” kaufte die Familie Karl Brutscher, die sie noch heute in dritter Generation als „Hotel Waldesruh” betreibt.

F. A Schratt konnte sich nun wieder seinem künstlerischen Beruf zuwenden. Wohl hatte er 1899 die erste „Orientierungskarte von Oberstdorf’ gezeichnet, 1904 eine solche für die weitere Umgebung, denen eine Übersichtskarte des Algäus folgte, doch konnte er sich diesen Dingen erst nach seinen Gastwirtsjahren richtig widmen. 1911 unternahm er eine Reise, die damals für einen bildenden Künstler etwa der Mekka-Reise eines Moslems entsprach. Man mußte dort gewesen sein - in Rom!

Die Umgebungskarte von Oberstdorf erfreute sich großer Beliebtheit. Der besseren Orientierung wegen, weil Oberstdorfs Berge und Hochtäler südlich des Ortes liegen, hat der Künstler bei dieser Karte - entgegen allen anderen - Süden nach oben gesetzt. Die vierte Auflage war schon 1912 erforderlich.

Franz Aois Schratt recherchierte und forschte in der Heimatgeschichte. Schon 1908 hat er ein „Verwandtschaftsregister” angelegt. In den Jahren 1911 bis 1918 schuf er mit seiner bestechend schönen Handschrift eine Heimatchronik von 1800 bis 1911, die er als „Jahrhundertbuch” bezeichnete. Mit dem Erscheinen der Oberstdorfer „Kriegschronik 1914/18” im Jahre 1928, die er zusammen mit Otto Rees verfaßte, wurden jahrelange Materialsammlungen und Forschungen abgeschlossen. Den Gefallenen zum Gedenken, den Heimgekehrten zur Erinnerung und allen zur Mahnung ist dieses Werk geschrieben.

Franz Alois Schratt - Heft 4

Mehr als 70jährig ging Fronzalise nochmals unter die „Bauherrn” und ließ sich 1939 am Öschlesweg ein neues Heim errichten. Nicht lange war es den Eheleuten vergönnt, dort zu wohnen. Die amerikanische Besatzungsmacht beschlagnahmte 1945 das schmucke Haus. Frau Schratt erlebte den Wiedereinzug ins eigene Heim nicht mehr. Kurz vor dessen Freigabe starb sie 1954. Neun Jahre lebte F. A Schratt noch und widmete sich hier hauptsächlich heimatgeschichtlichen Studien.

Er war mit allen persönlich bekannt, die in der Heimatgeschichtsforschung Rang und Namen hatten: Dr. Franz Ludwig Baumann, Max Förderreuther, den er auch porträtierte, Dr. Karl Reiser, für dessen Bücher er Zeichnungen fertigte, Graf Voikffy, Heinrich Zirkel, Wilhelm Math, Karl Hofmann, Seppl Joas und vielen anderen, mit denen er zum Gründerkreis des Heimatmuseums gehörte. Der Mann mit dem großen Wissen und seiner ruhigen, warmen Art war überall beliebt und geachtet.

Neben all den Forschungen schuf Franz Aois Schratt Landkarten und Zeichnungen, porträtierte, malte heimische Landschaften und Bilder religiöser Themen und Fresken. Wenn er, sein Gesicht von einem schneeweißen Vollbart umrahmt, bedächtig durch den Ort schritt, drehte sich manch Fremder nach dem würdevollen alten Herrn um. Ich habe mir immer einen Apostel so vorgestellt.

Im 95. Lebensjahr schloß Franz Aois Schratt am Josefitag, dem 19. März 1963, für immer die Augen, Künstleraugen, die das Schöne der Heimat zu erfassen verstanden.

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