Sophie Gschwender - das ungewöhnliche Leben einer ungewöhnlichen Oberstdorferin (Teil 1)

von Angelika Patel am 01.06.2003

Nur Nullen haben keine Ecken.
 (Konrad Adenauer)

„Die Erinnerung an meine traurige Jugendzeit, welche mir immer hell vor Augen steht, wie ich bei heiß durstender Wißbegierde und großer Sehnsucht nach einer würdigeren, verdienstvolleren Lebensweise Gott dienen könnte, aber dagegen immer mehr gedrückt wurde, damit ich jede Hoffnung aufgebe, um mich dem Familien-Bedürfnisse unbeschränkt zu widmen, wobei ich jedoch immer heiliger gelobte, wenn es mir möglich werde, einst zu sorgen, daß in Oberstdorf auch für die Mädchenbildung ein Asyl zu standen komme.

Der mitleidige Gedanke quälte mich durchs ganze Leben, wie hart manches weibliche Individuum meiner Gegend durch's Leben kämpfen müsse, nur darum, weil es von nichts andern hörte, und seine geistigen Kräfte weder genährt noch geweckt wurden.

Das sind die Worte der ungewöhnlichen Oberstdorferin, die 1888 im heutigen Cafe Knaus in der Weststraße die erste Gemäldegalerie in ihrem Heimatort gegründet hatte. Man sieht es dem mehrstöckigen, oberitalienisch anmutenden Anbau noch heute an, daß seine Erbauerin damit etwas besonderes im Sinn gehabt hatte.

150 alte Meister, zum Teil von ihr selbst angefertigte Kopien, zum Teil echte Gemälde, hatte sie dort ausgestellt und ihr Anspruch, unter anderem zwei Originale von Raffael d'Urbino zu besitzen, hatte damals Sachverständige von weither nach Oberstdorf geführt.

Das obige Zitat ist ihrem Testament entnommen, in dem die Unverheiratete und Kinderlose ihr Vermögen in eine Stiftung zur Gründung einer Mädchenschule in Oberstdorf einbringen wollte. Die Realisierung dieses Zieles war Sophie Gschwender nicht vergönnt.

Im folgenden soll versucht werden, ihre ungewöhnliche Lebensgeschichte und ihre komplexe Persönlichkeit nachzuzeichnen, um dieser außergewöhnlichen Frau - wenn auch mit großer Verspätung - zu ihrem Platz in der Geschichte Oberstdorfs zu verhelfen.

Gschwender - Heft 42

Oberstdorf, Vorderansicht von Haus Nr. 228 1/2 (heute Weststraße 15),

Neubau 1896 von Sophie Gschwender
(1. Stock Galerie, oben Atelier-Aufbau).

Gschwender - Heft 42

Rückansicht von Haus Nr. 228 1/2 (heute Weststraße 15),

Oberstdorfer Kindheit und Jugend

Sophie Gschwender wurde 1816 als zweitjüngstes von sechs überlebenden Kindern des Kramers Josef Anton Gschwender und seiner Frau Elisabeth Sigler im Haus Nr. 147, an der Ecke Marktplatz/Pfarrstraße geboren. Sie war elf Jahre alt, als ihre Mutter starb. Über ihre Kindheit und Jugend wissen wir wenig, außer, daß sie - laut eigener Aussage - sehr unglücklich war. Außerdem wird berichtet, die ...Tochter des Marktes Oberstdorf hatte schon in frühester Jugend Freude an allem Schönen und Edlen.

Wahrscheinlich waren es die etwas älteren Schraudolph-Brüder, die als Künstler beim bayerischen König hoch angesehen waren, die Sophie zum ersten Mal mit Kunst und Malerei in Kontakt brachten. Den Zeichenunterricht des Vaters Schraudolph, des Schusters und Kunstschreiners, der die „Zeichenschule” in der Oberstdorfer Pfarrschule betrieb, konnte sie wahrscheinlich nicht besuchen, denn in Musik und Zeichnen wurden nur die Knaben unterrichtet, die Mädchen mußten sich mit Handarbeiten begnügen.

Obwohl die Oberstdorfer Schule 1872 ...bei allen Sachverständigen als eine vorzüglich gute Schule, die allen benachbarten Schulen zum ermunternden Beispiel dienen konnte galt, kann man davon ausgehen, daß die Qualität des Unterrichts und die Regelmäßigkeit des Schulbesuchs im frühen 19. Jahrhundert arg zu wünschen übrig ließ. Oberstdorf war ein armes Bergbauerndorf, und jeder im Familienverband mußte mithelfen, für den kärglichen Lebensunterhalt zu sorgen. Auf die Arbeit in Haus und Stall oder auf dem Feld wurde bei Kindern mehr Wert gelegt als auf einen regelmäßigen Schulbesuch.

Gschwender - Heft 42

„Oberstdorf - Ursprung der Iller”
Lithograpie von Nikolaus Drexel, Immenstadt, 1795 - 1851, im Oberstdorfer Heimatmuseum

Die junge Sophie verbrachte ihre Jugendjahre mit dem Vater und den fünf Brüdern, und es ist nicht schwer, sich vorzustellen, warum sie unglücklich war. Die Mutter war viel zu früh gestorben und die täglichen Pflichten, die Familien-Bedürfnisse, in dem Männerhaushalt forderten viel von dem Kind und jungen Mädchen. Ihrer Sehnsucht nach Kunst und Schönheit, die offenbar schon jung geweckt worden war, konnte sie wahrscheinlich nur selten, vielleicht auch nur heimlich frönen. Zu hart war das Leben in dem abgelegenen Dorf in den Bergen, als daß man einem einfachen jungen Mädchen den Luxus der Schönen Künste hätte erlauben können.

Die erste Reise

Der erste große Einschnitt in Sophies Leben kam 1841, als sie nach dem Tod des Vaters eine Reise nach Italien unternahm. Eine Reise in das Land, wo die Citronen blühn, im dunklen Laub die Gold-Orangen glühn, war selbst für einen Geheimrat Goethe ein enormes Unterfangen. Ein junges Mädchen aus bescheidenen Verhältnissen, das in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine solche Reise antrat, mußte aus ganz besonderem Holz geschnitzt sein.

Da gab es zunächst sicherlich die Frage der Finanzierung, und man kann wohl davon ausgehen, daß Sophie einen Teil ihres elterlichen Erbes darauf verwandt hat. Was den Transport betraf, so ist es ganz und gar nicht unwahrscheinlich, daß sie den ersten Teil der Reise auf dem Ochsenkarren hinter sich brachte, denn eine geregelte Postverbindung nach Oberstdorf gab es erst ab 1851. Leider gibt es keine Details über den Verlauf der Reise, auch nicht darüber, in wessen Gesellschaft Sophie das erste Mal den Weg über die Alpen machte. Vermutlich haben auch hier die Schraudolph-Brüder entscheidende Hilfe geleistet und so dem bildungshungrigen Mädchen aus den Bergen den ersten Ausbruch aus ihrer Umwelt ermöglicht.

Nach ihrer Rückkehr blieb sie noch drei Jahre in Oberstdorf. Als aber durch die Heirat des Bruders Ignaz endlich wieder eine Frau ins Haus gekommen war, begann Sophie endgültig ein neues Leben und ließ ihre Heimat für viele Jahre hinter sich.

Bei den Englischen Fräulein in Augsburg und Neuburg

1844 siedelte sie nach Augsburg um und trat als Zögling bei den Englischen Fräulein ein. Ihr Bildungsdrang muß enorm gewesen sein, denn sie drückte die Schulbank mit Mädchen, die zehn und mehr Jahre jünger waren als sie. In den Zeugnissen wurden ihr Geistesgaben: sehr viele, Fleiß: vorzüglich, Fortgang: vorzüglich, Betragen: ausgezeichnet bestätigt. Was ihre Vorbildung betrifft, so kam sie immerhin auf ein „mittelmäßig”.

In den folgenden zwei Jahren erwarb sie nun nicht nur eine gute Allgemeinbildung, sondern genoß auch eine formale Ausbildung im Zeichnen und in Fremdsprachen.

Der Eintritt ins Noviziat erfolgte im Oktober 1846. Ein Jahr später, im Oktober 1847, wurde im Namen Seiner Majestät des Königs von Bayern, auf Ansuchen der Oberin des englischen Instituts um Vornehmen einer Prüfung der Novizin und Lehrerin Sophie Gschwender als Lehrerin im Zeichnungsfache gebeten. Sophie bestand die Prüfung und war damit diplomierte Zeichenlehrerin, eine Qualifikation, auf die sie sehr stolz gewesen sein muß, denn Jahre später porträtierte sie sich selbst nicht nur mit einer Palette, sondern auch dem Zeichnungsdiplom in der Hand (siehe Umschlagbild).

Im Oktober 1847 wurde sie als Elementarlehrerin in das neu gegründete Institut in Neuburg geschickt, wo sie und eine andere Lehrerin laut Chronik ...aufs freundlichste von den dortigen Honoratioren und Stadtbewohnern empfangen und in das für sie bestimmte und nicht minder schön als einfach eingerichtete Institutsgebäude geführt wurden.

Als sie im Juni 1849 ihr Gelübde ablegte, nahm sie nicht, wie es üblich war, neben dem zusätzlichen Vornamen „Maria” auch einen neuen Ordensnamen an, sondern behielt ihren Taufnamen, wurde also Jungfrau Maria Sophia. Das mag ein früher Hinweis darauf gewesen sein, daß es ihr von Anfang an schwerfiel, ihre Unabhängigkeit aufzugeben und sich den Ordensregeln bedingungslos zu unterwerfen. Sie hatte sich aber nun im Englischen Institut einem gottgeweihten Leben verschrieben. Sie gelobte die Bereitschaft, sich hierhin oder dorthin zur größeren Ehre Gottes und zum Heil der Seelen schicken zu lassen und sich um die Unterweisung der Jugend anzunehmen.

Die handschriftliche Gelübde-Erklärung Sophies gibt zum ersten Mal auch einige Aufschluß über ihre materiellen Verhältnisse zu jener Zeit: Da ich, Sophie Gschwender, aus freiem Willen und mit reiflicher Überlegung das freie Leben verlassen habe und nun durch die Gnade Gottes in den Verband der englichen Instituts-Glieder aufgenommen werde, so erkläre ich:

1. daß mein Vermögen, welches noch in fünf hundert Gulden, nebst der gehörigen Wäsche und Kleidung besteht ...

- der zweite Absatz der Gelübde-Erklärung sollte schon einige Jahre später von größter Wichtigkeit sein -

2. Sollte sich aber in Folge der Zeit zwischen den Gliedern und mir eine Trennung ereignen, auf welche Weise es dann sein möge, so soll mir das Recht zustehen, alles Obengenannte - geistliche Kleidung ausgenommen - wieder mitnehmen zu können...

Konflikt hinter Klostermauern

Nach fünf Jahren als Elementar- und Kunstlehrerin bei den Englischen Fräulein kam es 1852 zur offenen Auseinandersetzung mit der Oberin. In einer Familienchronik ist folgendes darüber zu lesen.

...Mit ihrem Gerechtigkeitssinn vertrug es sich nicht, ihre Stellung dort zu behaupten, da ihr nach einjähriger mühevoller Aufopferung an ihre Klasse dieselbe am Prüfungstag entzogen und eine weniger gut ausgebildete und geschulte Klasse unterstellt wurde, damit eine ältere Lehrerin den verdienten Ruhm einstecken konnte, welcher Sophie gebührt hätte. Sie konnte diese Ungerechtigkeit nicht verwinden und faßte den Entschluß zu entfliehen, den sie dann in kurzer Zeit in die Tat umsetzte und mit Hilfe eines Vetters, Michael Gschwender aus dem Petertal [bei Kempten] über die Klostermauern entfloh.

In den Unterlagen der Englischen Fräulein ist von überkletterten Klostermauern nicht die Rede. Ein Dokument vom 20. Oktober 1852 gibt vielmehr genaueren Aufschluß über den Konflikt zwischen der Oberin und Sophie, der in Anwesenheit des Bischofs verhandelt wurde.

Es erschienen heute im englischen Institut dahier seine Bischöflichen Gnaden und vernahmen die Beschwerden gegen das Institutsmitglied Sophie Gschwender und machten derselben in Gegenwart der Oberin Vorbehalte, dem Lokalinspektor auf höchst ungeziemende und beleidigende Weise in Gegenwart der Schülerinnen begegnet zu sein, wegen Überweisung einiger Schülerinnen in die obere Abteilung der Sonntagsschule.

Den Dokumenten ist auch zu entnehmen, daß der oben beschriebene Vorfall nicht der erste gewesen war, bei dem Sophie mehr Eigenwilligkeit gezeigt hatte, als hinter Klostermauern angebracht ist. In der Chronik ist weiter zu lesen:

Hierbei wurde von der Oberin auch in Erinnerung gebracht, wie die Jungfrau Sophie, als sie um die Zeit der letzten Schulprüfung erkrankt war, und obwohl in der Prüfung erschienen, nicht persönlich prüfen konnte, wegen der ebenso natürlichen als auch von der Oberin ihr im voraus bezeichneten Aushilfe im Prüfen durch eine andere Lehrerin keinen Gebrauch machte, dagegen aber zu großem Anstoß für die Schulbehörde und das Publikum durch eine Kandidatin sich vertreten ließ.

Das bedeutet, daß Sophie öffentlich die Anweisungen der Oberin ignoriert hatte, um sich von der Kollegin ihrer eigenen Wahl vertreten zu lassen. Ein Verhalten, das sich mit dem Gehorsamsgelübde nicht gut vertrug.

Wie in der Chronik weiter berichtet wird, war der Versuch des Bischofs, Sophie zum Einlenken zu bewegen, erfolglos. Sophie hatte sich zu verantworten und sie konnte, wenn sie schon Entschuldigungen suchte, nicht leugnen, daß sie sich schuldig gemacht hatte. Der Mahnung zum Gehorsam, die ihr gegeben wurde, setzte sie nun Starrsinn entgegen und erklärte sich sogar, aus dem Institut austreten zu wollen. Dagegen gaben ihr seine Bischöflichen Gnaden zu verstehen, zuerst die Exerzitien zu machen, um die rechte Sammlung des Geistes und ruhige Überlegung zu gewinnen, ehe sie einen so wichtigen Entschluß zu fassen fähig sei.

Gschwender - Heft 42

"Christus mit Weltkugel"

Ölgemälde von Andrea Vaccaro,
Neapel (früher Galerie Sophie Gschwender)
(im Privatbesitz in Oberstdorf)

Gschwender - Heft 42

Kopie von Sophie Gschwender
nach dem Raffael-Bild, genannt
„La Perla”
im Prado/Madrid
(im Privatbesitz in Oberstdorf)

Sophie ignorierte den Vorschlag des Bischofs und trat zehn Tage nach der oben beschriebenen Unterredung aus dem Institut der Englischen Fräulein in Augsburg aus.

Im „Diarium von den Jahren 1847 - 1864” im Archiv der Maria Ward- Schwestern ist zu lesen:

1852
Im Oktober den 30. trat J[ungfrau] Sophie Gschwender aus dem hiesigen Institut nachdem sie 7Jahre in demselben bereits zufrieden gelebt. ... Sie vertauschte leider mit dem geistlichen Kleide zu spärlich ihr liebes Ich. ... daher ihr die Verzichtleistung auf eigene Ansicht und eigenem Willen ein [nicht] übersteigbarer Berg zu sein schien.

Sophie bestätigte am selben Tag, vom Institut die ursprünglich einbezahlten 500 Gulden wieder erhalten zu haben. Außerdem verkaufte sie verschiedenste Gegenstände, vom Nachtgeschirr bis zum Bügeleisen, Schürzen und sogar einen Rosenkranz (!), für 244 Gulden und 21 Kreuzer an das Institut. Am 18. November bestätigte ihr Bruder Josef Anton den Erhalt von Sophies persönlicher Wäsche.

Sophie war 36 Jahre alt, als die zweite Etappe ihres Lebens ein abruptes und dramatisches Ende gefunden hatte. Sophie Gschwender war zum Zeitpunkt ihres Austritts reif an Jahren, Bildung und Erfahrung; faßte die Archivbetreuerin der Maria Ward-Schwestern zusammen. Sie war eigenwillig - man könnte auch sagen starrsinnig - fleißig, pflichtbewußt, gebildet, zielstrebig und hatte 744 Gulden und 21 Kreuzer in der Tasche.

Was nun?

Es gibt keine Überlieferung darüber, was Sophie direkt nach ihrem Ordensaustritt gemacht hat. Da ihr Bruder Josef Anton die Empfangsbestätigung bei den Englischen Fräulein unterzeichnet hatte, ist anzunehmen, daß sie mit ihm zumindest für kurze Zeit nach Oberstdorf zurückkehrte.

Interessanterweise gibt es überhaupt nur in der Familienchronik und in mündlichen Familienüberlieferungen einen Hinweis auf ihre Ordenszeit. In den publizierten biografischen Notizen wird diese entscheidende Phase ihres Lebens übergangen. Es liegt die Vermutung nahe, daß sie selbst diese Zensur ihrer Lebensgeschichte vorgenommen hat und sich ausschließlich als Sprach- oder Zeichenlehrerin oder als Künstlerin und Kunstsammlerin dargestellt hat. Bei Grundmann wird sie als Sprachlehrerin bezeichnet. Und Hellmut Gschwender schreibt:

Bei Kunstmalern nahm sie Unterrichtsstunden und bildete sich so nebenbei als Kunstmalerin aus, was ihr Freude und Verlangen war und sie zu großer Kunst brachte.

Im »Oberländer Erzähler« findet sich der erste Hinweis auf ihre neue, dritte Lebensphase:

Ausgebildet als deutsche Zeichnungslehrerin, konnte sie sich diesem Berufe nicht lange widmen, denn eine Krankheit überfiel und zwang sie; ein Bad [Pau in den Pyrenäen] aufzusuchen, wo ihr auch die Gesundheit zurückgegeben wurde. Mit dem Grade der Heilung wuchs in ihr auch wieder der Wunsch, sich ganz der Malerei hingeben zu können.

Es ist nicht verwunderlich, daß Sophie nach den traumatischen Erlebnissen in Augsburg und der sicherlich demütigenden Rückkehr nach Oberstdorf schwer erkrankte. Sie suchte und fand Heilung in Pau, der Stadt, die für die nächsten 20 Jahre ihre Heimat werden sollte.

Als ??? in Pau

Pau, im Südwesten Frankreichs, zwischen Biarritz und Lourdes gelegen, war im 19. Jahrhundert einer der beliebtesten und mondänsten Kurorte Europas. Besonders seit der schottische Arzt Alexander Taylor um 1840 mit statistischen Daten die positive Wirkung des Klimas von Pau auf die Überlebensrate von Lungenkranken belegt hatte, waren wohlhabende Kranke und ihre Familien nicht nur aus ganz Europa, sondern auch aus den USA nach Pau geströmt und hatten die Geburtsstadt Heinrich IV., des Königs von Navarra, mit neuem Leben erfüllt.

Pau muß in verschiedener Hinsicht eine Stadt gewesen sein, die Sophies Persönlichkeit und Lebensgefühl sehr entgegenkam. Am nördlichen Rand der Pyrenäen ist es in eine Landschaft gebettet, die der des Oberallgäus erstaunlich ähnlich ist. Die Berge sind zwar etwas weiter entfernt, fährt man aber durch das Aspetal in Richtung Spanien, so könnte man glauben, durch eines der Oberstdorfer Täler zu fahren.

Gschwender - Heft 42

Bergpanorama bei Pau/Südfrankreich

Auch die Bewohner von Bearn, der Pau umgebenden Provinz, konnten es mit Sophie an Eigenwilligkeit und Unabhängigkeitsdrang durchaus aufnehmen. Noch heute gibt es in Pau eine Straße mit dem langen Namen „Avenue du Bearn, etat independant”. Seit dem frühen Mittelalter gab es dort unabhängige Gemeindeverwaltungen, deren überlieferte Statuten die Ideale der Französischen Revolution vorwegnahmen und die eine Rahmen bildeten, der Freiheit und Möglichkeiten bot zur persönlichen Entwicklung seiner Bewohner.

Die kultivierten Langzeitgäste gaben der geschichtsträchtigen Stadt mit dem Schloß Heinrichs IV. Flair und Dynamik. Es gab Konzerte, Soireen, luxuriöse Hotels, den ersten Golfplatz auf dem Kontinent, Theater und die „Amis des Arts”, die Kunstfreunde, die 1864 ein Kunstmuseum gründeten.

Das war ein Umfeld, das Sophie sicher sehr zusagte, doch es stellte sich die Frage, wie sie sich als entlaufene Nonne mit beschränkten Mitteln in dem mondänen Kurort nicht nur über Wasser halten konnte, sondern es dort sogar zu beträchtlichem Wohlstand brachte. In Ermangelung konkreter Quellen sind wir auf die verschiedenen überlieferten Versionen ihrer Lebensgeschichte angewiesen. Mit kolossalem Eifer arbeitete sie sich selber empor, um als Sprachlehrerin und Erzieherin in besseren Familien zu dienen, schreibt der Nachfahre in der Familienchronik.

Aus verschiedenen Quellen, ...Ihre uneigennützige Dienstfertigkeit machte sie bald bei dem hohen Adel mehrerer Länder zu einer beliebten und gesuchten Vertrauensperson. Als Lehrerin bekam sie Zutritt in den höchsten Kreisen;... die über 30 Jahre in Italien, Frankreich und Spanien als Lehrerin in höchsten Kreisen war;... gelangt später beruflich in das Schloß Pau und Sophies eigenen Worten ...durch Mühe, peinlich Bestrebung, sowie Entbehrungen aller Art... schält sich das Bild einer international gefragten, kompetenten und hart arbeitenden Lehrerin und Erzieherin heraus. Das paßt mit Sophies bisherigem Werdegang durchaus zusammen.

Man muß jedoch nur die Romane der Bronte-Schwestern lesen, um zu wissen, daß das Los der Gouvernanten oder Erzieherinnen im 18. und 19. Jahrhundert ein ziemlich trostloses war. Sie lebten zwischen zwei Stühlen. Einerseits waren sie keine Dienstboten, denn Gouvernanten stammten in der Regel aus gebildeten, oft adeligen, aber verarmten Familien. An Bildung und Herkunft waren sie ihren Dienstfamilien meist ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen. Andererseits gehörten sie trotzdem nicht so richtig dazu.

Außerdem war die Bezahlung erbärmlich und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft äußerst spärlich. Charlotte Bronte beschreibt in ihrem Roman „Jane Eyre” den - in der Realität höchst seltenen - Ausweg aus der Misere: die Ehe mit dem verwitweten Vater der betreuten Kinder.

Sophie blieb unverheiratet und wer ihr Selbstproträt betrachtet, mit den ernsten Zügen, den klaren Augen und dem hochgeknöpften Kragen, weiß auch, daß sie nicht etwa als Mätresse die Prinzipien ihrer Jugend über den Haufen geworfen hat, um wohlhabend in die Heimat zurückzukehren.

Die Frage bleibt also, wie hat es die Kramerstochter Sophie Gschwender aus Oberstdorf geschafft, ihr verpfuschtes Nonnenleben zu verwandeln in das einer angesehenen und wohlhabenden internationalen Kunsthändlerin und - Sammlerin.

Leider sind wir auch hier nur auf Vermutungen angewiesen. Die wahrscheinlichste ist, daß Sophie einige Jahre lang „zweispurig gefahren” ist, d. h. sie verdiente ihren Lebensunterhalt als Gouvernante und Lehrerin, nützte ihre Kontakte aber von Anfang an, um gleichzeitig ihre künstlerischen und merkantilen Fähigkeiten einzusetzen. Sie hat sicherlich alte Meister kopiert und verkauft. Vielleicht hatte sie auch ein besonders gutes Auge und erkannte den Wert unterschätzter oder übermalter Werke, die sie billig kaufte und teuer verkaufte.

Tatsache ist, daß sie vier Jahre nach ihrem Ordensaustritt in Pau ein Selbstporträt gemalt hat, das sie an einen ihrer Brüder nach Oberstdorf schickte und schon wenige Jahre später etabliert und wohlhabend genug war, um sich als Wohltäterin und Retterin der Familie zu profilieren.

Fortsetzung folgt

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