Über den Mai und den „Maien"

von Eugen Thomma am 01.06.2003

Als Wonnemonat oder Heiratsmonat besungen, nahm der Mai im Kalenderablauf schon immer eine besondere Stellung ein. Der erste Monat im Jahr, in dessen Namen sich kein „R” befindet, war, sobald die „Iishailege” vorbei waren, das Signal für allerlei Gartenarbeiten. Auch der Boden sollte sich so erwärmt haben, daß den kleinen Barfußläufern keine Erkältungen mehr drohten. Ja, und welcher Monat im Jahr außer dem Mai beginnt schon mit einem Tanzfest?

Lange Zeit bevor der 1. Mai als „Tag der Arbeit” mit Kundgebungen und Aufmärschen begangen wurde, spielte er im Allgäuer Brauchtum eine besondere Rolle.

In vielen Orten und Gemeinden des Allgäus ist die Nacht zum 1. Mai, die „Walpurgisnacht”, wo einst die Hexen tanzten, heute noch eine „Freinacht”. Es wird da allerlei Schabernack und Unfug getrieben. Jedermann ist gut beraten, Gerätschaften, Fahrzeuge und dergleichen im Hause gut zu verwahren, wenn er sie nicht anderntags weiß Gott wo zusammensuchen will. Wer „Glück” hat, kann da seine Mülltonne, sein Gartentürchen, seine Fensterläden am anderen Ende des Dorfes finden. In verschiedenen Orten führte da und dort eine Sägemehl-, Aschen- oder Farbspur von einer Haustüre zur andern. Dies deutete an, daß da zwischen einem weiblichen und einem männlichen Wesen nähere Beziehungen bestanden. Bei jungen, ledigen Leuten war das ein Scherz, über den gelacht wurde; peinlich wurde es aber, wenn es sich um eine Angelegenheit handelte, „die das helle Sonnenlicht nicht vertragen konnte”. Da konnte der Brauch schon zu heftigen „Üngeana” und Auseinandersetzungen führen.

Insbesondere im Ostallgäu brannten am Abend des 1. Mai die „Maienfunken” oder „Maienfeuer”. Wegen der oft hohen Schneelage am Ende der Fasnacht wurde dort die Zeremonie des Funkensonntags in eine wärmere Jahreszeit, in den Mai verlegt. Hauptsächlich im westlichen Allgäu stellten junge Burschen in der Nacht zum 1. Mai ihrer „Angebeteten” den „Maien” vors Haus. Diese Maien waren ähnlich einem Hebaufbäumchen geschmückt und bedeuteten für die jeweilige Schöne eine besondere Ehre. Neben diesen „schönen Maien” gab es aber auch die „Trutzmaien" - meist häßliche Strohpuppen mit zerfetzten Kleidern -, die den betreffenden Mädchen argen Spott einbrachten. Daß dieser derbe Brauch öfters zu „Händl” führte, braucht nicht besonders erwähnt zu werden.

In vielen Gemeinden des Allgäus wurde jeweils auf einem zentralen Platz des Ortes ein Maibaum aufgerichtet und anschließend Maitanz gehalten. Das Fällen, Entasten, Schälen und Transportieren der Fichte war natürlich Sache der Burschen. Die Mädchen sorgten für Kränze, Girlanden und bunte Bänder. Der gefällte Maibaum mußte in verschiedenen Gegenden bis zum Aufstellen rund um die Uhr bewacht werden, weil er eine begehrte Beute für Burschen aus anderen Orten darstellte. Im Falle eines „Raubes” war der Baum in „Bier-Währung” auszulösen. Neben dem finanziellen Verlust des „Lösegeldes” war die Sache ja auch noch mit gehörigem Spott verbunden.

Örtlich verschiedene Gebräuche nach dem Aufstellen des Baumes dienten letztendlich alle der Volksbelustigung. Vielfach erfolgte ein Wettklettern am Stamm des Maibaumes hinauf bis zur Krone, wo nicht selten ein Preis abzupflücken war. Gelegentlich wurden die Kletterkünste auch zeitlich gestoppt und so ein Sieger ermittelt. In jedem Fall war es ein Kräftemessen der Burschen, eine kleine Dorfolympiade vor den Augen der weiblichen Jugend.

Sicher war es auch früher schon der Stolz der Burschen, einen möglichst hohen Maibaum im Dorf zu haben, doch sind die heute oft mehrfach angeschifteten Superbäume dem Rekorddenken der Neuzeit zuzurechnen. Auch der Zierat der Bäume hat sich verändert. Ein geschälter Fichtenbaum, dem lediglich die grüne Krone belassen worden war, dürfte der ursprüngliche Maien gewesen sein. Im Brauchtum vermischen sich hier die Freude über die wiedererwachte Natur und die geheimnisumwitterte Walpurgisnacht.

Der „Maien” als Zeichen der Verehrung und Hochachtung für Personen wurde aber auch zu anderen Anlässen und Jahreszeiten erstellt. In verschiedenen Gegenden des Allgäus wurde Jungvermählten von Freunden am Hochzeitsmorgen ein Maien vors Haus gestellt. Für dieses Zeichen der Wertschätzung war natürlich eine Brotzeit oder ein Dank in flüssiger Form fällig.

Einen Maien vor dem Elternhaus fanden auch Primizianten am Tage ihres ersten Meßopfers vor, wie auch neu installierte Pfarrherrn von ihrer Pfarrei einen Baum aufgestellt bekamen.

Eine besondere Art des Baumes erstellte man im Jahr 1860 zu Oberstdorf. Er war von unten bis zur grünen Krone in Form einer blauweißen Girlande bemalt. Der Schreiner Augustin Rietzler stellte seine Arbeit der Gemeinde in Rechnung: „Dem Luitbold den Mayenbaum angestrichen”. Nachdem damals alle von der Gemeinde bezahlten Rechnungen dem kgl. Landgericht in Sonthofen zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit vorgelegt werden mußten und Gemeindevorsteher Joseph Anton Dünßer diese Respektlosigkeit dem königlichen Landrichter nicht unterbreiten wollte, strich er die Worte „Dem Luitbold” durch und schrieb darüber „Sr. kgl. Hoheit Prinz Luitpold”. Die Oberstdorfer haben also ihren Jagdherrn dadurch geehrt, daß sie ihm einen „Mayenbaum” in die Buind des Jagdhauses stellten.

In Oberstdorf war es auch üblich, dem jeweils neugewählten Gemeindevorsteher und später dem Bürgermeister einen Maien vors Haus zu stellen. Dies geschah jeweils am Anfang der fünfjährigen Amtszeit des neuen Gemeindeoberhauptes, die immer am 1. Januar begann.

Die Maien der Oberstdorfer Bürgermeister unterschieden sich von den anderen Bäumen durch einen besonderen Zusatz am Stamm: Auf drei bis vier Meter Höhe war ein Querbalken angebracht und darauf ruhten, aus Holz gefertigt, zwei Sinnbilder, nämlich ein Tintenfaß mit Schreibfeder und ein aufgeschlagenes Gesetzbuch. Sie sollten den ersten Mann der Gemeinde jeden Tag daran erinnern, daß er treu den Gesetzen und ohne Ansehen der Person gerecht sein Amt wahrnehmen solle. Am Stamm des Maien, unterhalb der genannten Symbole, befand sich jeweils auch noch eine Tafel mit einem Sinnspruch, den man dem Neugewählten als Losung und Mahnung mit auf den Weg gab.

Letztmals im Jahr 1934 wurde dieser schöne alte Brauch in Oberstdorf gepflogen. Durch das Ausscheiden von Bürgermeister Ernst Zettler wurde der neue Bürgermeister Ludwig Fink in sein Amt eingeführt. Das »Oberstdorfer Gemeinde- und Fremdenblatt« beschrieb den Vorgang unter der Überschrift „Die Oberstdorfer ehren ihren Bürgermeister ... nach altem Brauch hat die bäuerliche Bevölkerung unseres Ortes gestern ihrem Bürgermeister den ,Maibaum’ vor sein Haus gesetzt.

Weithin sichtbar ragt der Baum in der Nähe der Nikolauskapelle 43 Meter hoch in den stahlblauen Herbsthimmel. Lustig schaukeln die Tannenkränze, mit Bändern in den Farben Oberstdorfs geziert, im Winde. An der Spitze des Baumes flattern weißrote Bändchen und um seinen unteren Teil winden sich Tannengirlanden. Wie immer trägt er auch diesmal die Symbole der Bürgermeisterwürde: das Gemeindebuch, Tintenfaß und Feder.

Mai - Heft 42

Partie in der Weststraße, 1902.
Im Bild rechts der bekränzte Stamm des Maien für Bürgermeister Ludwig Fischer vor dessen Haus (heute Sonnenapotheke), links das ehemalige Hotel »zur Sonne«.

Der alte Sinnspruch,

Weise im Rat, mutig zur Tat,
Treu den Sitten, fürs Bessere gestritten.

ist auch wieder auf der Tafel zu lesen.

... Ein Jahr nun soll der Baum nach altem Brauch vor dem Bürgermeisterhaus stehen bleiben ...”

Fast sechs Jahrzehnte ruhte dieser schöne Brauch. Im Jahr 2002, nach der Wahl des neuen Gemeindeoberhauptes, haben Feuerwehr und gemeindliche Kräfte die Tradition wieder aufleben lassen. Vor dem Haus Nr. 50 in der Hermann-von-Barth-Straße steht nun seit einem Jahr der Maien des Bürgermeisters Thomas Müller. Vor über 70 Jahren war seinem Großvater Thomas Neidhart dieser Ehrenbaum erstellt worden. Damals lautete der Wahlspruch:

„In Deinem neuen Amte
Sei Dir Glück und Segen stets beschieden
Durch Gerechtigkeit und edlen Bürgersinn
Förderst Du des Ortes Wohl und Frieden.”

Dem Enkel, Bürgermeister Thomas Müller, wurde für seine schwere Aufgabe mit auf den Weg gegeben:

„Froh an die Arbeit, den Gesetzen treu,
Zum Wohle des Ortes, unser Wahlspruch sei.”
Mai - Heft 42

Das einstige »Trettachhotel«
(später »Nebelhornbahn-Hotel«)
des Bürgermeisters Fritz Gschwender;
mit dem zur Neuwahl erstellten Maien im Sommer 1911.

Mai - Heft 42

Fuhrhalter Otto Blattner mit seinen Helfern beim Einholen des Maien für Bürgermeister Ernst Zettler im April 1933. Im Bild der unbefestigte Sachsenweg, im Hintergrund das einstige Hotel »Bergkranz«.

Mai - Heft 42

Aus der Eingangstür der Nikolauskapelle fotografiert: der Maien für Bürgermeister Ludwig Fink in der Baumannstraße, 1934.

Mai - Heft 42

In der Hermann-von- Barth-Straße, nahe der Trettach, steht der Baum, der für Bürgermeister Thomas Müller im Jahre 2002 aufgerichtet wurde.

Wann und welchem Oberstdorfer Gemeindeoberhaupt der erste Maien errichtet wurde, konnte ich nicht ermitteln. Soweit zu erforschen war, wurden folgende Maien aufgestellt:

1854 für Gemeindevorsteher Joseph Anton Dünßer, vor Haus Nr. 64 (heute Nebelhornstraße 30, Dünßer/Stenger);

1869 für Bürgermeister Franz Paul Brack, vor Haus Nr. 169 (heute Hauptstraße 9, Magnus Merk);

1887 für Bürgermeister Ludwig Vogler, vor Haus Nr. 188 (heute Hauptstraße 1, Dr. Hans-Klaus Schaumberger);

1902 für Bürgermeister Ludwig Fischer, vor Haus Nr. 189
(heute Weststraße 4, Sonnenapotheke, Wilhelm Friederich);

1910 für Bürgermeister Fritz Gschwender, vor Haus Nr. 5
(heute Nebelhornstraße 67, Nebelhornbahn);

1919 für Bürgermeister Ludwig Hochfeichter, vor Haus Nr. 212 (heute Zollstraße 4, Anton Milz);

1924 für Bürgermeister Magnus Haas, vor Haus Nr. 169 (heute Hauptstraße 9, Magnus Merk);

1929 für Bürgermeister Thomas Neidhart, vor Haus Nr. 95 (heute Oststraße 7, Thomas Neidhart);

1933 für Bürgermeister Ernst Zettler, vor Haus Nr. 17474 (heute Bahnhofplatz 2, Sparkasse);

1934 für Bürgermeister Ludwig Fink, vor Haus Nr. 2667s (heute Baumannstraße 2);

2002 für Bürgermeister Thomas Müller, vor Haus Nr. 50 in der Hermann- von-Barth-Straße.

In den dreißiger Jahren standen noch Maibäume allgemeiner Art auf dem Marktplatz. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges ruhte der Brauch des Maien und fand erst 2002 eine Wiederaufnahme.

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1. Vorsitzender
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Brunnackerweg 5
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