Auch wenn das 135jährige Jubiläum durch den Verschönerungsverein nicht groß gefeiert wird, möchte ich doch einen kleinen Bericht bringen.
Durch den großen Brand von 1865 war Oberstdorfs Wirtschaft über Jahre hinweg stark gezeichnet. Obendrein erlitt die Allgäuer Milchwirtschaft in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts einen herben Rückschlag. Der Oberstdorfer Gemischtwarenhändler Josef Anton Vogler und Hofrat Dr. Ulrich Reh gründeten 1872 den „Verschönerungs- und gemeinnützigen Verein in Oberstdorf”. In der Förderung des aufkeimenden Tourismus sahen die beiden weitsichtigen Vereinsgründer eine Chance für Oberstdorf, dem wirtschaftlichen Niedergang zu entgehen. Mit ihrer Pionierleistung legten sie das Fundament für den organisierten Tourismus, durch den die Oberstdorfer heute mehr denn je ihr Brot erwerben.
Die Erschließung, Verbesserung und die Erhaltung unseres Spazier- und Wanderwegenetzes waren von Beginn an eine wichtige Tätigkeit des Vereins. Durch Pflanzung von schattenspendenden Alleebäumen wurden die „Fremden” vor der stechenden Sonne geschützt. Im Jahr 1872 wurden in Oberstdorf 460 Gäste gezählt. Im Jahr 1900 waren es schon 7.163 und im Jahr 1907, also vor 100 Jahren, stieg die Zahl der Gäste auf 16.299.
Die 261 Mitglieder des Vereins im Jahr 1907 stellten einen beruflichen Querschnitt der Oberstdorfer Bevölkerung dar:
Ökonomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
Handel- und Gewerbetreibende mit Ökonomiebetrieb . . . . . . 37
Handel- und Gewerbetreibende ohne Ökonomiebetrieb . . . . 59
Ärzte, Beamte, Geistliche, Lehrer, Techniker etc. . . . . . . . . . 29
Privatiers, Rentner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
Gasthofbesitzer, Hoteliers, Wirte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
Bis 1933 hat der Verschönerungsverein die Kurtaxe der Oberstdorfer Übernachtungsgäste eingenommen. Der Verein konnte dadurch vielfältige Investitionen in die touristische Infrastruktur Oberstdorfs tätigen. Die Fischereirechte in Stillach, Trettach, Breitach, Christlessee und Freibergsee sowie Anteile vom Breitachklammverein wurden erworben. Die Badeanstalt am Freibergsee wurde erbaut und später verbessert. Auch den Bau des Tennisplatzes, der Moorwasserbadeanstalt und der Lesehalle möchte ich hier erwähnen. Alle Maßnahmen zu nennen würde den Rahmen dieses Berichtes sprengen.
Durch seine Beteiligungen an der Nebelhornbahn AG und der Kur- und Verkehrsbetriebe AG hat der Verschönerungsverein heute noch ein Mitspracherecht in diesen Unternehmen.
Karl Hofmann, ehemaliger 2. Vorsitzender des Verschönerungsvereins, hat vor 35 Jahren, zum 100jährigen Vereinsjubiläum 1972, einen Rückblick auf die Vereinsgeschichte verfaßt. Weil seine abschließenden Sätze auch heute noch zutreffen und dem Verein den Weg weisen sollen, möchte ich sie hier wiedergeben:
„[Der Verschönerungsverein] hat noch ein Huhn, das goldenen Eier legt. Wenn aber dieses Huhn einmal nicht mehr so munter gackern sollte, dann wird es auch ihm schwerer werden, in gewohnter Weise Geldgeber und Wohltäter zu spielen.
Darum gilt es für den Verein, sich auch jetzt wieder neu zu orientieren und sich auch um den Begriff „Erhaltung” zu kümmern, um die Erhaltung dessen, was unser wertvollstes Kapital ausmacht: Ruhe- und Erholungsraum, Ursprünglichkeit der Landschaft mit ihren Bergen und Tälern, Wiesen und Wäldern, Seen und Bächen und die Pflege all der Kulturgüter, die aus dieser Landschaft geworden sind: Musik, Gesang, Tanz, bäuerliches Volkstum, Tracht usw.
Der Dreiklang Natur, Mensch, Kultur muß fortbestehen und der Verschönerungsverein kann sein Treuhänder sein und bleiben und kann dies selbst auch dann, wenn einmal seine finanziellen Mittel bescheidener geworden sein sollten. Er muß vor allem dort energisch Front machen, wo landschaftliche Kostbarkeiten auf dem Spiele stehen. Dort, wo Fortschritt Zerstörung bedeutet, dort, wo Ausweitung gleichzusetzen ist mit Vernichtung menschlichen Lebensraumes.
Eine Organisation, die durch mehrere Generationen hindurch führend an der Entwicklung einer Sache mitwirken durfte, hat, so meine ich, ein moralisches Recht darauf, auch heute noch mit dabei zu sein.
Auf alle Fälle geht es heute darum, die wirklichen Werte unserer Heimat zu erkennen und für deren Erhaltung zu streiten, denn damit ehren wir am schönsten das Andenken der Vereinsgründer, Josef Anton Vogler und Dr. Ulrich Reh, und das sehe ich als Aufgabe, als Programm für den Verschönerungsverein Oberstdorf beim Hineingehen in das zweite Jahrhundert seines Lebens.”