Zeichnungen von Oberstdorfer Künstlern - wie z. B.„Khrüse” und „Sabing” oder „Khrotteblearche”und „Schpaasemekhrütt” — ergänzen die Wörterliste.
Vortrag zur Buchpräsentation am 28. November 2003 im Kleinen Kursaal in Oberstdorf
Liebe Mundart- und Heimatfreunde,
liebe Oberstdorferinnen und Oberstdorfer,
liebe Nachbarn,
liebe Sponsoren!
Für uns alle gibt dieser Tag Anlaß zu großer Freude!
Ein Gemeinschaftswerk, an welchem eine Reihe von Gewährspersonen beinahe sechs Jahre ehrenamtlich gearbeitet hat, ist nun vollendet und kann heute der Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Wir sind stolz darauf, aabr it ingbildt!
Das Oberstdorfer Mundartwörterbuch ist die Dokumentation eines der markantesten Dialekte des oberen Allgäus, der seinen Ursprung im Mittelhochdeutschen hat und bisher in dieser Ausführlichkeit nicht vorliegt.
In unserem Leitspruch von Inge Weissensteiner heißt es:
Ma ka vu freier it alls pfebe
abr d’ Schproach sobba vrhebe
wil d’ Muetterschproach öü i dear Zit
no Gmiet und Hearz und Haimat git.
Das heißt, Mundart bedeutet uns Heimat und Geborgenheit. Durch sie wissen wir uns mit unseren Vorfahren seelisch verbunden. Wie selbstbewußt unsere Altvorderen mit ihrer Sprache umgingen und wie scharf sie nach Norden hin abgegrenzt war, bringt ein Oberstdorfer Bub so zum Ausdruck:
„letz wäre br lüttr aige Lit, wenn d’ Müetr it vu Ruube [Rubi] wär!” -
Jaj, ja, für die alten Oberstdorfer lag das Unterland eben jenseits der Breitachbrücke.
Regionale Sprachformen hat es aber immer schon gegeben. Doch sie hatten bis zur Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache einen anderen Stellenwert. Sie waren selbständige, gleichberechtigte Sprachen im Verbund des Deutschen.
Mit der Etablierung einer relativ einheitlichen Schriftsprache, ein Prozeß, der von ca. 1500 bis 1800 andauerte, bekamen solche Sprachformen einen neuen Stellenwert. Sie wurden herabgestuft zu Dialekten.
Damit war also ein Kontrast, ein Raster zur Schriftsprache da. Mit den Bemühungen der Gelehrten um eine für alle verbindliche Schriftsprache, rücken die Landsprachen, sprich Dialekte, als negative, zu vermeidende, schlechte, unsystematische Sprachen, ohne Regel oder Ordnung, ins Bewußtsein der damaligen Menschen. Sie stellten ein Hindernis dar für die Ausbreitung der vorbildlichen Schriftsprache. So sind die Stimmen, die sich zu den Dialekten äußern, im 16. und 17. Jh. und überwiegend auch noch im 18. Jh., ja sogar bis in unsere Zeit, ablehnend. Überhaupt ist das Verhältnis zum Bauernstand auch heute noch ein zwiespältiges. Gerne wird der Landmann als ungebildet abgestempelt. Man sieht in ihm ein liebenswertes Kuriosum aus einer Welt, die im Gegensatz zur eigenen noch in Ordnung ist, mit der man aber keinesfalls tauschen möchte.
Wohl der erste, der sich gegen diese abwertende Sicht der Dialekte wandte, war 1697 Gottfried Wilhelm Leibniz. Aus der Vergleichung älterer Urkunden kann man lernen, daß die Rede unseres gemeinen Mannes nicht immer regellose Verdrehungen oder Verhunzungen der Schriftsprache sind, sondern meist so alt sind, wie unsere ältesten Kirchen und Schlösser. Der Ruf von Leibniz, nach dem Ursprung der Dialekte zu forschen, verhallte ziemlich lange ungehört, bis dann zwischen 1780 und 1800 in dichter Folge Sammlungen von Volkswörtern als Wortschatz des einfachen Mannes entstanden. Die Forschung faßt sie als Idiotika oder Idiotismensammlung zusammen. Eine der umfassendsten dieser Art ist das Bayerische Wörterbuch von Johann Andreas Schmeller, das zwischen 1827 und 1837 entstand. Dieses Werk nimmt neben anderen einen hervorragenden Stellenwert ein und hat heute noch seine Gültigkeit.
Galt es aber im 18. Jh. den Ursprung der Dialekte zu finden, heißt der Auftrag an uns Menschen des 21. Jh., dieselben zu bewahren. Daß die alten Dialekte Gefahr laufen verloren zu gehen, ist das Problem unserer Zeit. Auch bei uns in Oberstdorf hat die wachsende Überfremdung durch den Tourismus, das Aussterben der alten Arbeitsformen und die zunehmende Amerikanisierung in den letzten 50 Jahren krasse Veränderungen ausgelöst. Mit jedem Dialekt aber, der verloren geht, stirbt auch eine Lebenswelt aus..
So war es uns ein Bedürfnis, aufzuschreiben, was uns unsere Eltern und Großeltern an Sprache überliefert haben, also den ältesten, noch erreichbaren Sprachenstand. Und da waren wir mit unseren 60 bis 80 Jahren an Alter schon beinahe zu jung dazu.
Die Geburtsstunde des Oberstdorfer Wörterbuches ist der 5. Februar 1998, anläßlich der Jahresversammlung des Museumsvereins. Schon länger hatten einige Mitglieder Mundartwörter gesammelt, - das Kleinwalsertaler Wörterbuch war bereits erschienen - und Fritz Gelhard hatte einen Antrag zur Schaffung eines Mundartwörterbuches an das Heimatmuseum gerichtet. Aus der Mitgliederversammlung wurden Gewährsleute gesucht und 14 Personen gefunden. Unter ihnen waren Bauern, Handwerker, Hausfrauen, Heimat- und Sprachforscher, Lehrer, Holzer, Hirten und ein Computerfachmann. Alle sind gute Mundartsprecher. Es sind dies:
Nazelars Ludwig (Brutscher), Kiebeargars Josef (Geiger sen.), Gelhards Fritz, Geagls Jachem (Jäger), Hansmichle Hans (Kappeler), Waibels Annelies, Klings Meinhard, Lonzars Done (Köcheler sen.), Moritze Frieda (Math), Noichls Sepp, Naglschtuinars Thade (Steiner), Eugen Thomma, Schrättlars Annelies (Berktold) und Hanslars Marluis (Althaus).
Daß in dieser langen Zeit niemand abgesprungen ist, zeigt, wie ernst die Aufgabe genommen wurde und wie spannend sie war. Sicher war es nicht immer leicht, die Meinung von 14 Personen auf einen Nenner zu bringen, aber diese Bandbreite war notwendig, um ein einigermaßen objektives Ergebnis zu erzielen. Nicht selten sind wir in einem abschweifenden, angeregten Huigaarte gelandet, was wir uns mit der Zeit schon noch abgewöhnen mußten.
So hat die große Gruppe zu einem Durchgang des Alphabets eineinhalb Jahre gebraucht, bei einer Zusammenkunft pro Woche zu drei Stunden. Da es ständig Wortneuzugänge gab, wurde das Alphabet dreimal durchgearbeitet. Die anschließende Feinverbesserung wurde von vier Personen in weiteren vier Durchgängen unter Vorsitz von Dr. Thaddäus Steiner geschafft. Das gibt, alles zusammen, etwa 160 offizielle Zusammenkünfte, ohne die vielen Erkundungsgänge zu weiteren Gewährsleuten.
Die Qualität eines guten Mundartwörterbuches mißt sich nicht an der gesammelten Anzahl kurioser Wörter, wie z.B. gilprglii (gleichgültig) oder meigeal (empfindlich). Vielmehr sollte es auch Wörter aus der Schriftsprache enthalten, die in der Mundart anders ausgesprochen werden. Darüber hinaus wird Wert auf viele Anwendungsbeispiele gelegt. Da es keine Regel für die Schreibweise von Dialektwörtern gibt, richtet sich diese nach Gehör und Aussprache des Sprechers. In unserem Fall haben wir durch ein Computerprogramm zu einem einheitliche System gefunden, das unserer Meinung nach für den Laien gut lesbar ist. Diese Begriffe (4.300 Grundwörter) stehen fettgedruckt am Anfang jeder Worterklärung. In Klammer daneben steht dann feingedruckt in phonetischer Lautschrift, wie das Wort ausgesprochen wird. Im Gegensatz zur Phonetik der alemannischen Sprachforschung, haben wir uns zu einer Darstellung in internationaler Lautschrift entschieden, da wir der Meinung sind, daß die Jugend durch die Fremdsprachen damit besser vertraut ist. Lesen Sie dazu, was Joachim Jäger und Fritz Gelhard eingangs dazu schreiben.
Das Oberstdorfer Mundartwörterbuch enthält:
- Eine fundierte sprachgeschichtliche Einleitung von Dr. Thaddäus Steiner;
- eine grammatikalische Einführung von Joachim Jäger, der gleichzeitig auch für die Phonetik federführend war;
- die alphabetische Wortliste;
- eine Aufzeichnung der alten Oberstdorfer Vornamen;
- eine Wortliste Schriftdeutsch/Mundart;
- Hinweise auf Sammlungen, Literatur und Abbildungen;
- eine CD mit Sprechproben der Arbeitsgemeinschaft.
Die 60 Zeichnungen stammen von Oberstdorfer Künstlern:
Rosemarie Schachinger, Anton Köcheler jun., Ernst Thannheimer und Michael Kästner.
Ohne die engagierte Mitarbeit eines jeden einzelnen schmälern zu wollen, gilt unser besonderer Dank Dr. Thaddäus Steiner, Joachim Jäger und Fritz Gelhard.
Die Arbeitsgemeinschaft des Oberstdorfer Mundartwörterbuches
von links: Michael Kästner, Anton Köcheler jun., Joachim Jäger, Fritz Gelhard, Ernst Thannheimer, Sepp Noichl, Marie Luise Althaus, Meinhard Kling, Rosemarie Schachinger, Dr. Thaddäus Steiner, Anton Köcheler sen., Josef Geiger sen., Hans Kappeler, Ludwig Brutscher, Eugen Thomma, Frieda Matt, Annelies Titscher (verdeckt), Helmut v. Bischoffshausen, Anneliese Kling.
Ohne ihr Fachwissen hätte das Buch dieses Niveau nicht erreicht. Durch Dr. Thaddäus Steiner und Joachim Jäger konnte auch ein wertvoller Gedankenaustausch mit den Herren Professoren Dr. Werner König (Schwäbisch-Bayerischer Sprachatlas) und Dr. Eugen Gabriel (Vorarlberger Sprachatlas) hergestellt werden. Nicht zuletzt danken wir Herrn Helmut von Bischoffshausen für die aufmerksame Beratung zu Gestaltung und Druck des Buches. Den Sponsoren sei Dank gesagt für ihre Unterstützung. Sie haben entscheidend dazu beigetragen, daß das Wörterbuch gedruckt werden konnte.
Liebes Publikum, wir freuen uns, daß Ihr durch Eure zahlreiche Anwesenheit so viel Interesse an unserer Heimatsprache bekundet. Das »Wörterbuch der Oberstdorfer Mundart« sollte auch in keinem Bücherschrank fehlen. Nehmt es möglichst oft heraus, lest eine Seite und diskutiert mit Eurer Familie darüber. Erzählt Euren Kindern Märchen und Begebenheiten bewußt im Dialekt. Dialekt wird am besten in der Familie gepflegt.
Rutscht nicht ab ins sogenannte Knüppeldeutsch, das weder Dialekt noch Hochdeutsch ist und wo es dann heißt: i wollt oder i war, statt: i ho welle (ich habe gewollt) oder i bi gwea (ich bin gewesen).
Die Oberstdorfer Mundart ist zwar Bauernsprache, aber gleichzeitig, wenn man so will, hochkarätiges Deutsch! Und das Nachschlagewerk, der Schlüssel dazu, wird Euch heute überreicht.