Zu Beginn des 1. Aktes der „Drääne”
(Helmut Thaumiller)
und „s Maale” (Marie Luise Althaus)
in der Stube bei „Botte Thoma”.
Mit der Aufführung des Mundartstückes „Ma müeß mit dr Zitt gong” konnte die Oberstdorfer Theatergruppe nach dem Erfolgsstück „ Voar 500 Johr” 1995 und „Gearschtrubar Huimat” 2001 ein weiteres Glanzlicht setzen.
Dabei sah es anfangs gar nicht so rosig aus. Vom „alten” Stamm der Theatergruppe war nur noch ein kleines Häuflein übrig geblieben, das sich mehr oder weniger regelmäßig zu einem Theaterstammtisch traf. Es waren dies hauptsächlich die Damen des sogenannten H-Clubs, welche das gesellschaftliche Leben aufrecht hielten. In einer Sache war man sich jedoch einig: Wenn es noch länger eine Theatergruppe geben soll, dann muß bald ein neues Stück her und zwar eines, das seinem Vorgänger „Gearschtrubar Huimat” das Wasser reichen kann, denn den Anspruch und die Erwartungshaltung vom Publikum schätzten wir hoch ein. Auch sollte es möglichst eines aus der Oberstdorfer Geschichte und noch nicht aufgeführt worden sein.
Da meldete sich plötzlich ein gewichtiger Mann am Tisch: „Ii glöüb, ii het do schu nammas: 1888 ischt doch d Iisebaa uff Obrschtdoarf kumme ...” Es war Museumspfleger Eugen Thomma der da verschmitzt lachte. Auf unser Bitten hin wollte er sich mit der Idee befassen und schon bald lag ein Entwurf vor, der uns akzeptabel erschien.
Das noch größere Problem lag bei der Finanzierung, denn es stand immerhin ein Kostenvoranschlag von 19.000 EURO für Kulissen, Licht/Ton, Saalmiete, Werbung etc. im Raum. Schauplatz des Spieles sollte eine stilechte Oberstdorfer Stube, die Stube des Botte Thoma werden, die auch als Wirtsstube »Zur Sonne« umgebaut werden konnte. Weiter benötigten wir ein Bühnenbild vom Bahnhof für den Schlußakt. Durch das Entgegenkommen des Trachtenvereins konnte eine Vereinbarung getroffen werden, die beiden Teilen gerecht wird und zwar auf der Basis des Ehrenamtes. Die Theatergruppe ist inzwischen eine vereinseigene Gruppe. Die Anschaffungen gehören dem Verein. Damit war eine Ausgangsstellung geschaffen, die bis zuletzt für eine gute Zusammenarbeit sorgte.
Die Geschichte |
Christian Thannheimer, 1. Vorstand des Trachtenvereins, erläutert zu Beginn die Situation im oberen Allgäu im 19. Jh. anhand eines Prologs.
Das „Roß auf Schienen” bedroht 1888 die Oberstdorfer Frächter und Fuhrhalter mit ihren Pferdefuhrwerken. Sie bangen mit Recht um ihre Existenz, denn die Localbahn-Aktiengesellschaft München hatte vom Ministerium die Erlaubnis zum Bau der Eisenbahnlinie von Sonthofen nach Oberstdorf erhalten. Die Allgemeinheit begrüßt zwar den Bahnbau, doch den Frächtern, die bisher ihren Lebensunterhalt mit der Beförderung von Waren nach Sonthofen, Immenstadt und Kempten verdient hatten, droht nun das endgültige Aus.
Im Theaterstück „Ma müeß mit dr Zitt gong” wird dies eindrucksvoll von der Frächtersfamilie des Thomas Schratt dargestellt. Die Angst um den Broterwerb, Grundstücksstreitereien, Überredungskünste, Fortschrittsdenken, familiäre Spannungen und die heimliche Liebe der hübschen Schratt-Tochter Mariann zum charmanten jungen Eisenbahningenieur sind der Inhalt des vielfach authentischen Bühnenspiels.
Treffend hat Eugen Thomma die Personen charakterisiert und die Dialoge in gute, alte Oberstdorfer Mundart gekleidet!
Angefangen beim Drääne (Helmut Thaumiller), der seinem Enkel von seiner Zeit als Frächter erzählt, und dem Maale (Marie Luise Althaus), welches die Stellung der Frau im 19. Jh. verkörpert, zur hageren, pfeiferauchenden Neuigkeitskrämerin und Logiewirtin Senzbäs (Regina Schleich). In der anspruchsvollen Rolle des Botte Thoma steckt Herbert Hiemer: „Und ii verkhöüff it!” Ausgerechnet über seinen Acker am Dellebearg soll die Eisenbahntrasse verlaufen. Auch von seiner Frau Romana (Trudi Kraus) wird Ausdruckskraft verlangt in der Rolle der Gattin, Mutter und Vermittlerin. Köstlich das Techtelmechtel der beiden Erzfreundinnen Mariann (Elisabeth Lipp) und Madlie (Elisabeth Titscher)!
Das jüngste Schratt-Kind Michele (Monika Sehrwind) lockert die Dramatik des Stückes durch seine spitzbübischen Einfälle immer wieder auf und hat so die Lacher stets auf seiner Seite. Der ältere Schratt-Sohn Ludwig (Elmar Jäger), schon ganz selbstbewußter junger Mann und der neuen Zeit aufgeschlossen, versucht den sturen, verhärteten Vater zu überzeugen, daß die Zukunft auch für die Frächter neue Verdienstquellen bereithält. Er meint: „Ma müeß mit dr Zitt gong.” Unterstützt wird er dabei vom Gründer des Verschönerungsvereins Joseph Anton Vogler (Markus Titscher). Aber auch seine Freunde, der Bergführer und Hausl von der »Sonne« Xandr (Herbert Gambeck), und der Fuhrhalter Felix Blattner (David Berktold) „sind drfiir” und möchten Thoma umstimmen. Es gelingt ihnen ebenso wenig wie dem kgl. Forstverwalter Schwarzkopf (Max Schmid), dem Bürgermeister (Eugen Wutz) oder dem Direktor Kraus von der Localbahn (Gerhard Schmid) und erst recht nicht dem Eisenbahningenieur Bernhard Oberlechner (Hubert Zimmermann) aus Leubas. Erst als ihm ein wertvolleres Tauschgrundstück im Oberen Eschle angeboten wird, das an seine Felder grenzt, willigt er auf Drängen seiner Familie ein.
Den Höhepunkt erreicht das Spiel im vierten Akt mit der Ankunft der fauchenden Dampflok vor dem Oberstdorfer Bahnhofsgebäude. Zwei Kinder (Agnes Schleich und Lorenz Lipp) warten gespannt auf den Heizer (Felix Zeeb). Einige Bürger (Schauspieler und Mundartchor) singen das Iisebaa-Lied von 1888: „Mir händ ietz a Iisebaa, wo ba allat faare khaa!” Die Feuerwehr marschiert auf, die Blechmusik spielt den Bairischen Defiliermarsch und der Bürgermeister hält eine Festrede, die von einem Sommergewitter beendet wird. Die Thiedemanns (Mathias Häckelsmiller und Petra Schall) mit Tante Lottchen (Marie Luise Häckelsmiller) sind unter den ersten Fahrgästen und die Familie Schratt betrachtet alles vom Huinzeschepfle aus, wo sie vor dem Gewitter Schutz gefunden hat. So gerät dieser Schlußakt zum Volksfest. Mariann darf endlich ihren Bernhard heiraten, denn Botte Thoma hat eingesehen, daß auch er „mit dr Zitt gong müeß”. - Ein neues Zeitalter war für Oberstdorf angebrochen.
Die Inszenierung |
Eugen Thomma ist es gelungen, ein markantes Mundartstück zu schreiben, das sich entschieden vom herkömmlichen Bauernschwank abhebt.
Die Inszenierung aber lag in den bewährten Händen von Eugen Wutz aus Sonthofen. Die Art und Weise, wie er dem Stück Leben und Farbe gab, beruht auf seiner langjährigen Erfahrung als Volksschauspieler. Er konnte durch seinen Humor und seine Spielfreudigkeit die uneingeschränkte Begeisterung der Gruppe für sich verbuchen und führte mit unendlicher Geduld die Laiendarsteller dazu, über sich selbst hinauszuwachsen und ihre schauspielerischen Möglichkeiten auszuschöpfen.
Im 2. Akt die Stube im Gasthof »Zur Sonne«. Direktor Kraus von der Localbahngesellschaft (Gerhard Schmid) und Eisenbahn-Ingenieur Bernhard Oberlechner (Hubert Zimmermann) im Diskurs mit dem königl. Förster Joseph Schwarzkopf (Max Schmid) und dem Kaufmann Joseph Anton Vogler (Markus Titscher); links die Kellnerin Hanni (Marianne Thannheimer).
Summa summarum |
Nun, das Konzept ist aufgegangen, nicht nur in kultureller Hinsicht. Zu den 5 Aufführungen, die in der Zeit von Ende Oktober bis Mitte November 2004 stattfanden, kamen über 3.000 Zuschauer aus dem gesamten Allgäu. Sie alle waren begeistert vom geschichtlichen Thema, der ungekünstelten Spielfreude der Darsteller, der herrlichen Stubenkulisse und dem originellen, von Kinderhand gefertigten Bühnenbild des Bahnhofs, den dazu passenden Kostümen, was die Atmosphäre des 19. Jh. überzeugend herüberbrachte.
Natürlich steht ein Theaterstück dieses Umfanges nicht allein mit den Schauspielern. Zu den 22 Darstellern gesellten sich ca. 50 Statisten und Helfer.
Souffleusen waren wieder in bewährter Weise Judith Speiser und Marianne Thannheimer. Letztere spielte zusätzlich die freundliche Bedienung in der »Sonne“.
Die beiden exzellenten Schminkerinnen Rosi Berwanger und Marlies Vogler arbeiteten jeweils ab 18 Uhr.
Da waren auch Joachim Krumbacher und Hermann Althaus, die zusammen mit 8 Helfern den Bühnenumbau zum Bahnhof in 10 Minuten schafften.
Zwei Inspizientinnen, Annemie Titscher und Thea Fiala, sorgten für Ruhe und Ordnung während des Spiels sowie für Gläser, Schüsseln und viel anderes Inventar, damit es zur rechten Zeit am richtigen Ort war.
Für die Kostümierung waren Elisabeth Lipp, Marie Luise Althaus und Ina Zimmermann zuständig. Dank sei an dieser Stelle all jenen, die wiederum bereitwillig Kästen und Truhen geöffnet haben!
Das Bühnenbild der „Stube” fertigte die Arbeitsgemeinschaft Rainer Kraus/Adolf Lingenhöl.
Das Bühnenbild „Bahnhof” entstand im Rahmen des Werkunterrichts an der Volksschule Riezlern unter Anleitung von Lehrerin Annette Fritz.
Das Inventar und die Ausstattung stammte aus den Reihen der Theatergruppe.
Für die perfekte Technik und den guten Ton sorgte Harmonie Sound, Christian Heckmair.
Die Gesamtorganisation erledigten Trudi Kraus, Marie Luise Althaus, Elmar Jäger und Mathias Häckelsmiller.
Insgesamt fanden 35 Proben und 5 Aufführungen im Großen Kursaal und ca. 30 zusätzliche Organisationstermine statt ... und es wurden 40 „Googlhopf” gebacken, nicht nur, weil es das Rollenbuch so verlangte, vielmehr wegen der Theater-Männer, die solche „Sießlochar” waren.