Das alte Moorbad, erbaut 1883
Der Verschönerungsverein Oberstdorf müßte im Jahr 2005, wollte er alle Jubiläumstermine wahrnehmen, auf vielen Hochzeiten tanzen. Hundert Jahre sind vergangen, seit die Breitachklamm dem Publikum geöffnet wurde; der Verein war dort schon 1905 beteiligt. In den Jahren 1929/30, also vor 75 Jahren, war unter der Regie des Verschönerungsvereins der Tennisplatz - im Winter als Eisplatz genutzt - an der Fuggerstraße angelegt worden. Die Nebelhornbahn feiert heuer ihren 75. Geburtstag und das Moorbad besteht ebenfalls ein Dreivierteljahrhundert. Überall wirkte der Oberstdorfer „Motor des Fremdenverkehrs”, der Verschönerungsverein mit.
Ganz nebenbei sind es auch schon 75 Jahre her, daß der Fuggerpark angekauft wurde. Die Söllereckbahn ist heuer 55 Jahre alt geworden. Das sind heute alles Säulen, die Oberstdorfs Tourismus tragen. Aber wenden wir uns dem Moorbad zu.
Das „alte Moorbad” war ja schon im Jahre 1883 im Stockach am „Rauhen” angelegt worden. Die Gebäulichkeiten wie auch die Einfassung der Schwimmbecken bestanden aus Holz. Der Schwimmbecken? - ja, der Schwimmbecken! Es bestanden derer zwei, eines für die Damen und eines für die Herren. Die beiden Bassins waren durch einen Damm getrennt, dessen Krone eine Bretterwand trug. In der Bauausschreibung für den Zimmermeister hieß es, daß diese Wand „aus einzölligen astfreien Fichtenbrettern” herzustellen ist. (Warum wohl astfrei?) Dieses Moorbad war im oberen Allgäu wohl die erste Badeanstalt, die nicht an einem See lag und dem Tourismus dienen sollte.
Der Zahn der Zeit nagte an der gesamten Anlage. In den 20er Jahren standen die Verantwortlichen des Vereins vor der Alternative einer teuren Generalsanierung oder einem noch kostspieligeren Neubau des gesamten Bades. Alles sprach für einen Neubau, nur - die Finanzen nicht. Trotzdem entschloß man sich für ein neues, ein modernes Bad nach den Plänen von Baumeister Wilhelm Huber. Der Planer erlebte die Eröffnung der Anlage nicht mehr. Sein Sohn, der Architekt Willy Huber, führte die Arbeit des Vaters zu Ende.
Es ist hier nicht der Raum, um über all die Schwierigkeiten und Probleme zu berichten, aber es soll festgehalten werden, daß Mitglieder des Verschönerungsvereins mit ihrem Privatvermögen bürgten, damit die notwendigen Darlehen erlangt werden konnten.
Am Donnerstag, dem 5. Juni 1930, war im »Oberstdorfer Gemeinde- und Fremdenblatt« auf der ersten Seite zu lesen:
„Zur Eröffnung des neuen Moorbades"
Heute morgen 1/2 10 Uhr wurde vom Vorsitzenden des Verkehrs- und Kurvereins, Herrn Rief, in Gegenwart der beiden Herrn Bürgermeister Neidhart und Gehring, ferner des Ortspflegers Brutscher, der Vertreter des Gemeinderates, des Ortsauschusses, sowie Vertreter des Verkehrs- und Kurvereins, die neue Moorbade-Anstalt ihrer Bestimmung übergeben.”
Dieser Artikel war etwas voreilig geschrieben worden, denn der Hotelier Eduard Rief war „in letzter Minute verhindert”, und so sprang Kurdirektor Hermann Schallhammer in die Bresche und eröffnete das Bad. Vielleicht in Erinnerung an die „keusche“ Bretterwand schloß der Redner seine Lobeshymne auf die Anstalt mit dem Satz: „... mit dem Wunsche, daß Unsitte und Unmoral ihr fern und sie vor Schaden bewahrt bleiben möge.” - Ich glaube, der Herr Kurdirektor hat sich umsonst Sorgen gemacht, das Moorbad ist bestimmt kein „Sündenpfuhl” geworden.
Wie schon gesagt, es würde zu weit führen, hier über den Bau und die Schwierigkeiten der Finanzierung zu sprechen. Aber zu letzterem sollte doch eine kleine Anekdote eingefügt werden.
Die eigenen Finanzmittel reichten für den Bau nicht aus. Man bemühte sich - wie man es heute auch tut - um Zuschüsse. Eine Delegation sollte nach Berlin fahren, um den dortigen Herren der Ministerialbürokratie den Sachverhalt darzulegen. Die beiden Bürgermeister Magnus Haas und Ludwig Hochfeichter machten sich auf den Weg. Weil schon der Verschönerungsverein die teure Bahnfahrt bezahlte, konnte man nicht auch noch im Speisewagen tafeln. Man nahm „Marschverpflegung” von zu Hause mit. Nachdem Herr Haas Besitzer der Sennerei war, lag es nahe, daß Käse und Butter mit auf die Reise genommen wurden.
Um aber nicht nur an wohlschmeckenden Emmentaler gebunden zu sein, wurde auch Limburger ins Reisegepäck aufgenommen. Diese Käsesorte verbreitet für Kenner eine besondere Duftnote, aber nur für Kenner. In dem Reisezug nach Berlin waren aber Oberstdorfs Bürgermeister die einzigen Kenner dieser würzigen Käsesorte. Die beiden Herren fuhren von Oberstdorf bis Berlin, ohne von geschwätzigen Mitreisenden belästigt zu werden, allein in einem Abteil. Vom Erfolg der Maßnahme überzeugt, wurde auch für die Rückfahrt Limburger aufgespart.
Die Weltwirtschaftskrise hatte auch beim Staat für leere Kassen gesorgt. Geld brachten die beiden Bürgermeister keines mit, aber sie freuten sich Zeit ihres Lebens über den Streich, den sie Dank des herrlichen Allgäuer Milchprodukts geliefert haben. Mathilde Hochfeichter, die Tochter des Bürgermeisters, war schon über 80 Jahre alt, als sie mir das Geschichtchen erzählt hat. Sie bat mich: „Schrib des üf, daß ba des it vrgißt.” Ich habe das gerne getan.
Wer unser Oberstdorfer Moorbad kennt, hat keinen Zweifel daran, daß es die ehrliche Meinung eines Pressemannes war, wenn in der Tageszeitung zu lesen war: „Ein prominenter Vertreter einer großen süddeutschen Zeitung, der die Anstalt vorige Woche gesehen hat, hat sie als die derzeit schönste Bassin- Badeanlage Bayerns bezeichnet.” Was soll ich diesem Urteil eines weitgereisten Journalisten noch hinzufügen?
Doch, eines kann ich noch hinzufügen: die Preisliste!
„Die Preise für die Bäder sind trotz der komfortablen Anlage des Bades in bescheidenen Grenzen gehalten und zwar: 60 Pfennig für Kurgäste, 40 Pfennig für Mitglieder des Verkehrs- und Kurvereins einschließlich deren nächste Familienmitglieder, 30 Pfennig für Kinder. Die Dutzendkarte kostet in der Reihenfolge 6 M, 4 M, 3 M ”
Ja, diese 30 Pfennig für Kinder, die waren für uns arme Schlucker zu viel. Wir hatten es in der Trettach und im Werkskanal der Weberei etwas billiger, kälter und weniger komfortabel.
Unser Moorbad hat in den 75 Jahren seines Bestehens nichts an Attraktivität verloren. Die herrliche Lage in der Landschaft und der Umstand, daß keine Autostraße hinführt, lockt insbesondere Individualisten an. Gäste wie Einheimische lieben das idyllische Bad mit dem Charme der 30er Jahre.