Reisen, fremde Länder, Kulturen und Menschen zu sehen, gehört heute schon fast zum Standard. Das Fernweh treibt natürlich auch seine Blüten. Unsere Eltern und Großeltern - ich gehe von meiner Altersklasse aus - konnten sich das nur in den wenigsten Fällen leisten. Es waren meist begüterte Geschäftsleute, die im Herbst vierzehn Tage in ein süddeutsches Bad oder gar nach Meran fuhren. Jungen Menschen fehlte für Reisen das Geld. Es sollte eine Zeit kommen, wo junge Männer fremde Länder sahen - und das gegen ihren Willen.
Seit dem Monat Mai 2005 - der sechzigsten Wiederkehr des Endes des Zweiten Weltkrieges - lesen wir in der Tageszeitung immer wieder Berichte von Zeitzeugen, Berichte von Menschen, wie sie die letzten Tage der schrecklichen Kriegszeit in der Heimat überlebt haben.
Wohl wenige der heute 17-, 18- oder 20jährigen Burschen machen sich darüber Gedanken, mit welchen Gefühlen vor rund 65 Jahren die damals etwa Gleichaltrigen den Gestellungsbefehl in den Händen hielten. Mit welchen Gefühlen diese jungen Männer nach Osten, Westen, Norden oder Süden auf den Transport gingen wenn sie an die Front geschickt wurden. War es eine Fahrt ohne Wiederkehr? Und dann folgten die schlimmen Erlebnisse.
Welche Erinnerungen, welche Sehnsüchte, welche Ängste und welches Heimweh plagten die jungen Burschen draußen in der Fremde? Das Wort Heimat bekam für sie einen anderen Sinn.
Ein junger, künstlerisch begabter Oberstdorfer hat im Westen in seinem Skizzenbuch, neben Federzeichnungen und Aquarellen, seine Gefühle in Gedichtform verewigt.
Nach diesen melancholischen Zeilen folgt die Federzeichnung von einem Rebenzweig, die von der kriegerischen Situation ablenkt und deren Unterschrift „Herrlich schmeckende Trauben aus Bordeaux” fast Freude ausdrückt.
Wem die folgenden Zeilen - wenn nicht seiner Mutter - gewidmet waren, wird wohl immer das Geheimnis des Schreibers bleiben.
Daß Otto Sieber - von ihm stammen die Gedichte und die Skizzen - dazu ein Bild der Pfarrkirche St. Barbara in Tiefenbach gesetzt hat, beweist, daß seine Gedanken in der Heiligen Nacht um die Heimat kreisten, um die Heimat, der viele drei, fünf, acht und gar zehn Jahre fern waren als sie an der Front standen oder in Gefangenenlagern darbten. Die schönsten Jahre der Jugend sind dieser Generation gestohlen worden.