"Land unter" im südwestlichen Gemeindehereich Oberstdorfs.
Sechs Jahre nach der großen „Pfingstflut“ ist Oberstdorf und das südliche Oberallgäu erneut von einem verheerenden Hochwasser heimgesucht worden.
„Ein Mittelmeertief leitet am Montag über den Balkan und das östliche Mitteleuropa sehr feuchte Luftmassen in die Region Iller/Lech. Die Folge sind anhaltende und ergiebige Regenfälle von Montag Mittag bis Dienstag Mittag mit einer prognostizierten Gesamtniederschlagsmenge von 100 - 150 mm.“ Soweit die Wettervorhersage vom Montag, dem 22. August 2005.
Langsam steigende Wasserpegel an Stillach und Trettach sind am Spätnachmittag zu verzeichnen. Erste besorgte Anrufe von Bewohnern der Stillachsiedlung gehen bei der Feuerwehr ein. War trotz der erhöhten Dämme entlang der ausgeweiteten und vertieften Stillach sowie der großen Investitionen in den Hochwasserschutz wieder eine Katastrophe zu befürchten? - Was keiner erwartete, entwickelte sich in rasanter Geschwindigkeit, ohne dass eine Chance bestand, wirksame Vorkehrungen zu treffen.
Die Situation entlang der Trettach
Die ersten Uferabbrüche und Überspülungen sind - entgegen der früheren Hochwässer - diesmal an der Trettach zu verzeichnen. Ab 20.00 Uhr beginnt für die Feuerwehr und den gemeindlichen Bauhof der Dauereinsatz. Ab Höhe Gemeindewerke übers Bannholz bis zur Rubinger Straße (Gemeindegärtnerei) tritt der Fluß an mehreren Stellen über die Ufer, in Richtung Rubinger Oy sucht er sich ein weiteres Flußbett. Der Faltenbach bringt Unmengen von Geschiebe und läuft statt unter den Brücken teilweise über oder neben diesen vorbei. Die errichteten Sandbarrieren und Wälle sowie die an den Brücken eingesetzten Bagger zeigen Wirkung und größere Schäden können verhindert werden. Einzelne Keller müssen leergepumpt werden, aus Sicherheitsgründen - vor einem drohenden Dammbruch - erfolgt die Evakuierung des Wohnmobil-Abstellplatzes Rubi-Camp.
Die Situation an der Stillach am südlichen und westlichen Ortsrand
Vor der Zimmeroybrücke trat die Stillach bereits über die Ufer und suchte sich den Weg durch das Ried, über den Viehscheidplatz, bis nach Loretto. Durch einen Wall konnte sie noch vor den Kapellen in den Ösch abgeleitet werden. Im Bereich Scheibenhaus sind mehrere Keller voll gelaufen.
Die Zimmeroybrücke musste weggesprengt werden, nachdem sich die Situation durch Verklausungen dort dramatisch zugespitzt hat. Die Brücke am unteren Renksteg hatten die Wassermassen bereits mitgerissen.
Die durchgeführten Hochwasserbaumaßnahmen im Bereich Westumgehung verhindern, daß die Häuser Weststraße 53 - 57, die Anwesen an der Walserbrücke und Teile der Stillachstraße wie bei den früheren Katastrophen „geflutet“ werden. Die Straßenerhöhung im Bereich Schlechtenbrücke schützte die Gebäude (Lingg, Klotz und weitere) von der Flußseite, jedoch wurde diesen das Hangwasser, das dadurch nicht mehr abfließen konnte, zum Verhängnis. Wasser und Schlamm richteten verheerende Schäden an.
Das Geiger-Verwaltungsgebäude am Ortseingang ragte aus einer Seenlandschaft, das Wasser stand bis zur Kellerdecke und richtete auch hier enorme Schäden an.
Die Situation im Stillachtal
Am schlimmsten hat es das Stillachtal getroffen. Ab dem Haldenwanger Hof bis zur Lawinengalerie sind Alpwege, Straßen, Parkplätze, Brücken usw. teilweise verschwunden bzw. total zerstört. Gewaltige Kiesmengen türmten sich bis über einen Meter hoch. Ab dem Schulsteg verließ die Stillach ihr Bett und verlegte es über die Wiesen bis zum Schützenhaus bzw. bis zum gemeindlichen Parkplatz.
Die Bewohner und Urlauber des Stillachtales sind von der Außenwelt abgeschnitten, nachdem alle Straßen unpassierbar sind, zum Teil ohne Strom, mitunter ohne Trinkwasser und ohne Telefonverbindung. Die Erstversorgung erfolgt durch Hubschrauber.
Die Situation in Tiefenbach
Im Ortsteil Tiefenbach, wo die Breitach und Starzlach aufeinander treffen, mussten die Bewohner der „Oyb“ ihre Häuser verlassen und wurden in der ehemaligen Schule untergebracht. Nur wenig später stand der Bereich total unter Wasser. Die entfesselten Naturgewalten richteten riesige Schäden an Gebäuden, Straßen und Wegen sowie landwirtschaftlichen Flächen an. Die Trinkwasserversorgung war über Tage unterbrochen. Die Aufräumungsarbeiten zogen sich über eine Woche hin.
Die Hochwassersituation führte dazu, daß für den Landkreis Oberallgäu am Dienstag, 23. August 2005, der Katastrophenalarm ausgelöst wurde. Die Straßenverbindung nach Oberstdorf konnte gesichert werden, die Eisenbahnlinie war in kürzester Zeit für jeglichen Verkehr gesperrt. Zwischen Fischen und Thalhofen war der gesamte Bahndamm gebrochen, der Zugverkehr nach Oberstdorf wurde erst Mitte Dezember wieder aufgenommen. Im Gemeindegebiet Oberstdorf mit seinen Ortsteilen sind Gesamtschäden von 20,8 Mio. Euro entstanden.
Die Feuerwehren von Oberstdorf und allen Ortsteilen waren über Tage nahezu rund um die Uhr im Einsatz. Unterstützung erfuhren sie von zusätzlichen Feuerwehrkräften aus dem Oberallgäu, dem Technischen Hilfswerk und der Bundeswehr sowie von vielen örtlichen Privatfirmen und Bürgern.
Wenn wir den verschiedenen Vorhersagen Glauben schenken, müssen wir leider künftig in noch kürzeren Abständen mit solchen Naturkatastrophen rechnen.