Josef Lochbrunner - Lehrer von 1880 bis 1906

von Karl Scherber am 01.05.1984

Jedesmal, wenn ich im Urlaub über den Oberstdorfer Marktplatz gehe, schaue ich mit besonderen Gefühlen hinüber zu dem Haus, in dem jetzt die Gemeindeverwaltung untergebracht ist; denn es spielt, wie ich aus den Erzählungen meiner Mutter weiß, eine bedeutende Rolle in unserer Familie. Dieses Haus war, wie ja auch in der "Geschichte des Marktes Oberstdorf" erwähnt, bis zum Jahre 1907 das Oberstdorfer Schulhaus. Im Erdgeschoß waren die Klassenräume, oben die Lehrerwohnung.

In diesem Haus hat meine Mutter, zusammen mit fünf Geschwistern, mehr als 25 Kinder- und Jugendjahre verbracht. Und immer wieder, bis ins hohe Alter hinein, hat sie, ebenso wie auch ihre Geschwister, uns oft von dieser wunderschönen Oberstdorfer Zeit erzählt. Als ihr Vater, der Lehrer Josef Lochbrunner, im Jahre 1880 an die Schule in Oberstdorf berufen wurde, war sie gerade zwei Jahre alt und konnte sich deshalb später an den Umzug nicht mehr erinnern. Da aber der Schienenstrang der Eisenbahn damals noch in Sonthofen zu Ende war, kann man sich ja gut vorstellen, wie die Lehrersfamilie und auch das Umzugsgut seinerzeit mit Pferdewagen in Oberstdorf ankamen.

Josef Lochbrunner, mein Großvater mütterlicherseits, stammte aus dem „Unterland”, aus Schöneberg, einem kleinen Ort nördlich von Pfaffenhausen bei Mindelheim. Dort wurde er 1849 in eine kinderreiche Bauernfamilie hineingeboren. Als er im Herbst 1862 aus der Werktagsschule mit einem besonders guten Zeugnis entlassen wurde, da gab ihm der Pfarrer von Pfaffenhausen, der im übrigen nicht nur Lokal-Schulinspektor, sondern gleichzeitig auch Distrikts-Schulinspektor war, ein besonderes pfarramtliches Zeugnis mit, damit er in die „Königl. Bayerische Präparandenschule” in Mindelheim aufgenommen wurde: „Lochbrunner Josef von Schöneberg ... genoß durch seine Eltern eine wahrhaft christliche Erziehung, pflog dieser gemäß stets ein vorzüglich lobenswerthes Betragen. Sein unausgesetztes Bemühen, die Zustimmung der Eltern zu seiner Wahl des Lehramtes als Beruf zu erhalten, zeugt von seiner Liebe und Neigung zum Lehrfach.

Drei Jahre lang besuchte er die Präparandenschule, erhielt zum Abschluß als drittbester die Note „gut annähernd sehr gut” und begann anschließend im Herbst 1867 das Studium am Königlichen Schullehrerseminar in Lauingen. Am 16. Oktober 1867 schrieb er seinem Vater in einem Brief zu dessen Namenstag u. a.: „Was mein Befinden betrifft, so wüßte ich bis jetzt noch wenig Klagen vorzubringen. Nur die Abgeschiedenheit von der betriebsamen Welt will mir noch wenig behagen und das massenhafte Schreiben, denn bereits alle Zeit sind wir mit Schreiben beschäftigt. Die Kost muß ich loben, denn ich müßte gerade gegen meinen Willen handeln, wenn ich anders sagen würde. Jeden Tag geht man eine halbe Stunde spazieren, und nach dem Spaziergang geht es von 5 bis 9 Uhr ans Stehpult, wo schon manchesmal die Füße den Dienst versagen wollen.”

Lochbrunner - Heft 5

Ehepaar Lochbrunner

Zwei Jahre dauerte dieses harte Studium, anschließend praktizierte der „Schul-Exspektant” dann als Schulgehilfe in Kimratshofen und Wiggensbach sowie als Schulverweser in Birkach, Rieder und Bolsterlang. Man sieht, ganz schön herumgeschoben wurden damals die Junglehrer! 1873 schließlich wurde die Anstellungsprüfung mit gutem Erfolg abgelegt, und am 1. Oktober 1874 bekam Josef Lochbrunner endlich seine erste definitive Anstellung als Schullehrer in Friesenried bei Kaufbeuren. Dort verheiratete er sich bald mit Franziska Wetzler, deren Vater den größten Bauernhof (Hausname „Häfele”) des Dorfes besaß. Zwei Töchter wurden noch in Friesenried geboren, dann mußte die junge Familie zum 1.Mai 1880 nach Oberstdorf umziehen.

Mehr als 26 Jahre wirkte Josef Lochbrunner als Lehrer und Leiter der Oberstdorfer Volksschule. Zum 25jährigen Jubiläum im Jahre 1905 sprach ihm die Marktgemeinde Dank und Anerkennung für seine Verdienste aus und verlieh ihm das Ehrenbürgerrecht sowie als Ehrengabe einen silbernen Dirigentenstab. Wie damals allgemein üblich, war er ja gleichzeitig auch „Chorregent”, also Leiter des Kirchenchores und Organist sowie Chorleiter des Gesangvereins. In alten Aufzeichnungen ist auch noch vermerkt, daß er im Jahre 1882 das Amt des Gemeindeschreibers übernahm und im gleichen Jahr für Gesangs- und Violinunterricht von der Gemeinde 50 Mark erhalten hat. Auf solche und ähnliche kleine Nebenverdienste waren die Lehrer damals angewiesen bei ihrem knappen Gehalt. Über seine sonstigen Aktivitäten ist nur aus der Familienüberlieferung bekannt, daß er im Vorstand des Verschönerungsvereins tätig war, auf jeden Fall als Schriftführer, zeitweise wohl auch als Technischer Leiter.

Drei Töchter und drei Söhne der Lochbrunnerfamilie verbrachten ihre Kindheit und Jugend im Oberstdorfer Schulhaus. Wenn sie in späteren Jahren bei mancher Gelegenheit zusammentrafen, sprachen sie oft über die damalige Zeit und erzählten so manche Begebenheit aus dem alten Oberstdorf. Wir Jüngeren freilich hörten wohl meist nur mit halbem Ohr hin. So ist es halt: Die Jugend interessiert sich mehr für Gegenwart und Zukunft, und erst wenn man älter wird, möchte man zurückblicken in die Vergangenheit, möchte man mehr davon wissen, wie es damals war. Aber nun sind sie nicht mehr da, die Zeugen der damaligen Zeit, welche uns manches Wissenswerte berichten könnten. Doch aus alten Briefen und Ansichtskarten, aus überlieferten Dokumenten und aus der Erinnerung an manches vor Jahrzehnten Gehörte kann man sich doch auch heute noch ein Bild machen vom Leben der Familie Lochbrunner im alten Oberstdorfer Schulhaus.

Eintönig und langweilig war das Leben in Oberstdorf sicher auch damals nicht. Vor allem der allmählich immer stärker einsetzende Fremdenverkehr und auch gelegentliche Besuche des beliebten Prinzregenten sorgten für manche Abwechslung. Auch die Lehrerfamilie vermietete damals regelmäßig Zimmer an Sommergäste. Die Kinder mußten sich dann oft während dieser Zeit räumlich sehr einschränken.

Da waren Familien aus Hamburg, Kiel, Lübeck, Berlin und Nürnberg, die als Sommergäste bei den Lochbrunners Unterkunft fanden. Vor allem eine Familie Diederich aus Altona kam viele Jahre immer wieder nach Oberstdorf und wohnte im Schulhaus. Eine herzliche und dauerhafte Freundschaft entstand schließlich zwischen der Tochter Ella des Hamburger Ehepaares und der etwa gleichalterigen Lehrerstochter Anna, meiner Mutter.

Im „Poesiealbum” der Anna Lochbrunner erscheinen in den Jahren 1894/98 nicht nur Namen von Oberstdorfer Freundinnen und von Hilfslehrern, die auch im Schulhaus wohnten, sondern auch von vielen Sommergästen.

Die älteste Lehrerstochter Frieda war damals schon verheiratet mit Raimund Fischer, einem ehemaligen Oberstdorfer Hilfslehrer, dem sie dann nach München folgte. Dieser Raimund Fischer war der Sohn des Seminarlehrers Fischer in Lauingen, der unter dem Namen Hyazinth Wäckerle als schwäbischer Mundartdichter bekannt ist (Gedichtbände „Gau! Stau! Bleibe lau!”, „Bis aufs Würzele” und „Nägelastrauß”). Raimund Fischer war vor allem schon damals ein eifriger Hobbyfotograf, der immer in den Schulferien mit seiner großen, schweren Kamera, mit schwarzem Tuch und Stativ unterwegs war.

Ihm verdanken wir zahlreiche großformatige Bilder der damaligen Familienmitglieder sowie viele Landschaftsaufnahmen aus der Oberstdorfer Umgebung und aus dem Lechtal.

Ein Herzleiden - wahrscheinlich ein Herzinfarkt - zwang den noch nicht 58jährigen Lehrer Lochbrunner schließlich, vorzeitig von seinem geliebten Beruf Abschied zu nehmen. Am 1. Januar 1907 trat er in den Ruhestand. Und da die Lehrerwohnung im Schulhaus freigemacht werden mußte für den Nachfolger, nahm man wohl schweren Herzens auch Abschied von Oberstdorf. In Oberbeuren bei Kaufbeuren hatte man eine kleine Wohnung gemietet, in die das Ehepaar Lochbrunner mit den beiden damals noch nicht verheirateten Töchtern umzog. Zwei Söhne waren wie der Vater Lehrer geworden, der älteste Sohn Fritz Apotheker.

Aber die Umstellung auf den Ruhestand war doch recht schwer zu ertragen für Josef Lochbrunner. Die in München verheiratete Tochter Frieda schrieb im März 1907 an ihre Mutter: „Ich hoffe, daß Du auch in den neuen, veränderten Verhältnissen frohen Mutes bist und dadurch auch Papa bald wieder zu einer heiteren Lebensanschauung bekehrst. Ich verkenne ja nicht, daß es für Papa schwer sein muß, sich in der veränderten Sachlage zurechtzufinden, aber mit etwas gutem Willen geht es schon noch. Und dann war ja schon die trostlose Winterzeit nicht recht geeignet, das Angewöhnen einem leichter zu machen. Bei Eintritt der schönen Jahreszeit wird es eher gehen, und die Freude an der erwachenden Natur kann man überall genießen. Schöneres als eine Schwebebahn, wie sie in Oberstdorf heuer gebaut werden soll, gibt es auf dem kleinsten Fleckchen Erde.”

Lochbrunner - Heft 5

Schulhaus 1900,
heute Rathaus

Auch materielle Sorgen kamen dazu: „Wir sind überrascht über die Höhe oder vielmehr Niedrigkeit der Pensionssumme, die Du uns angegeben. Das ist allerdings bei den heutigen Lebensmittelpreisen für vier Personen zu wenig. Wenn ich das so genau früher gewußt hätte, würde ich schon sehr geraten haben, hierher nach München zu ziehen; da hätte Papa ganz leicht ca. 1000 Mark durch eine nicht anstrengende Beschäftigung Nebenverdienst erzielen können. Pensionierte Herren sind für Vertrauensposten sehr gesucht.”

Aber der Ruhestand dauerte nicht lange. Am 30. Oktober 1908 verstarb Josef Lochbrunner, vermutlich an einem zweiten Herzinfarkt, im 60. Lebensjahr. Seine Witwe, unsere Großmutter, überlebte ihn fast 32 Jahre. Von ihrem väterlichen Erbteil erwarb sie später ein Einfamilienhaus in Kaufbeuren, welches dann einige Jahrzehnte hindurch für Kinder und Kindeskinder Zufluchtsburg und Ferienheim wurde.

Die Verbindungen zu Oberstdorfer Freunden waren wohl anfangs noch recht lebhaft. Man verbrachte regelmäßig die Sommerferien in Oberstdorf und wohnte dann entweder bei Blandina Brutscher in der Fischerstraße 225 oder auch bei Frau Mayer (Waschanstalt). Aber dann kam der Erste Weltkrieg und manches änderte sich, die Besuche wurden seltener. Doch auch später noch fuhr man gelegentlich nach Oberstdorf und wohnte bei Bekannten.

Für die Enkel und Urenkel, von denen heute keiner mehr den Namen Lochbrunner trägt, hat Oberstdorf nicht mehr die Bedeutung einer persönlichen Erinnerung. Aber daß das Haus am Marktplatz, welches einst Schulhaus war und jetzt die Gemeindeverwaltung beherbergt, zu unserer Familiengeschichte gehört, das sollte doch nicht ganz in Vergessenheit geraten.

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1. Vorsitzender
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Brunnackerweg 5
87561 Oberstdorf
DEUTSCHLAND
Tel. +49 8322 6759

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