„De Gaulle in den bayrischen Bergen”

von Dr. Thaddäus Steiner am 01.12.2007

...ein Bericht in einer Schweizer Illustrierten über die französische Siegesparade in Oberstdorf im Juni 1945

Die Oberstdorferin Anna Steiner (1901 – 1976) war seit 1926 in der Schweiz als Pfarrhaushälterin und Hilfslehrerin für den Religionsunterricht tätig. Sie hatte mit ihrer Heimat stets rege Verbindung gehalten durch Besuche, vor allem aber durch Briefe mit ihren Eltern, Schwestern und Brüdern.

Schon beim Tod ihrer Mutter 1941 war ihr allerdings die Heimreise versagt worden, es war schon lange Krieg. Dramatisch wurde es dann in den letzten Monaten und Wochen vor der deutschen Kapitulation 1945. Der Briefverkehr zwischen Oberstdorf und Hausen am Albis, Kanton Zürich, war vollständig eingestellt worden, ja nicht einmal eine Telefonverbindung war mehr möglich. Nur im Radio konnte Anna noch etwas über das Geschehen in Deutschland erfahren, und das verstärkte ihre Sorgen um die Lieben daheim nur noch mehr. In den Berichten war hauptsächlich von Kampfhandlungen die Rede, von Zerstörungen in den Städten, der Vernichtung ganzer Dörfer, von fanatischem Widerstand vor allem von SS-Leuten und schließlich deren Rückzug in die sog. „Alpenfestung”. Gerade dies steigerte ihre Angst um Oberstdorf aufs höchste, denn damit mußte ja ihre Heimat in größte Gefahr geraten.

Selbst nach dem Kriegsschluß konnte sie nichts Konkretes über das Schicksal Oberstdorfs erfahren. Die Sorge um ihren Vater, ihre beiden Schwestern Luise und Mina, ihre Brüder Wilhelm und Fritz mit deren Familien und über das selbst schon wieder in Krieg und Gefangenschaft geratene Patenkind Willi wuchs immer mehr. Daß sie keine Nachricht bekam und bekommen konnte, drückte sie nieder.

Eines Tages sah sie am Zeitungskiosk die Illustrierte »Sie und Er« mit der Titelzeile „De Gaulle in den bayrischen Alpen”. Da konnte, ja da mußte doch auch etwas über Oberstdorf zu finden sein! Kaum hatte sie die Zeitung erworben und aufgeschlagen, da überkam sie eine große Erleichterung. Da traten ihr mitten auf der Nebelhornstraße (damals „Ritter-v.-Epp-Straße”) ihr Bruder Wilhelm und der Nachbar Schiebeles Mäxl (Max Brutscher) vor Augen, die Häuser an der Straße wirkten ganz unzerstört – und weiter: Ja, da erkannte sie den Baumgartner Hias und den Noichl Wastl, dann zahlreiche, ihr unbekannte Menschen, alle in Festtagskleidern, keine verdüsterten, sondern freudig aufgehellte Gesichter, das Gasthaus »Traube« (d’ Trübewiart) in der Bahnhofsstraße und viele andere Häuser, unversehrt. Gott sei Dank!

Der Heimatort und ihre Lieben mußten das Kriegsende heil überstanden haben. Wie hätte auch Charles de Gaulle sonst gerade dort seine große Siegesparade abhalten können? Er muß sich dort besonders sicher und wohl gefühlt haben. Wie wir Anna kannten, ist sie bestimmt sofort zur Kirche gegangen, um für die Errettung ihrer Heimat zu danken.

Die Zeitung, die ihr die frohe Nachricht überbracht hatte, ja die bewahrte sie sorgfältig auf und nahm sie auch noch 1962 bei ihrer Rückkehr aus der Schweiz mit nach Oberstdorf. Auch dort gehörte sie zu ihren persönlichen Kostbarkeiten. Ihrem historisch ein wenig interessierten Neffen Thade hat sie die Blätter schließlich überlassen und erzählt, wie sehr sie diese Bilder 1945 aus Sorge und Angst befreit hatten.

Zeitungstext (verfaßt von einem Schweizer Journalisten)

1. Seite: Nie im Leben habe ich frappierendere Gegensätze nebeneinander gesehen als an jenem Sonntag, an dem der französische Staatschef, General de Gaulle, bestaunt von der bayrischen Bergbevölkerung, in Oberstdorf im Allgäu die Parade der 2. marokkanischen Division abnahm. Schon am Vormittag war das stille bayrische Bergdorf angefüllt mit Truppen, die sich zur festlichen Parade rüsteten. Die Gassen mit den Chalets, Bauernhäusern und Gasthöfen widerhallten vom Marschschritt marokkanischer Kompagnien. Wendige Jeeps und schwere Tanks sausten in beängstigendem Tempo um die Kurven und zogen dicke Staubwolken nach sich. Kuriere eilten herum, Wachen patrouillierten. Alles war höchste Betriebsamkeit. In einem Gasthof, der, wie fast alle deutschen Gasthöfe, nichts mehr auszuschenken hatte, tanzten französische Soldaten mit bayrischen Mädchen (trotz Verbrüderungsverbot) zur Musik eines scheußlich klingenden Grammophons. Zwischen den patrouillierenden, eilenden und aufmarschierenden Marokkanern, zwischen Geschützen, Tanks und Jeeps strömte unaufhaltsam die Bergbevölkerung zum Schauplatz des militärischen Spektakles auf die große Wiese vor dem Dorf.

Mädchen in schmucker Sonntagstracht, Männer mit kurzen Lederhosen, rauhe bayrische Gesellen mit dem Gamsbart auf dem Jägerhut – sie alle schritten staunend zwischen den fremden schwarzen Männern mit den weißen Turbanen, den sportlich uniformierten Offizieren und den strammen französischen Soldaten hindurch. Halb fremd kam ihnen das Schauspiel vor, halb vertraut das militärische Gehabe und das laute Rufen der Kommandos. Sie waren sichtlich beeindruckt von der militärischen Stärke dieser fremden Division mit ihren schweren Panzerwagen und Geschützen, von der Unzahl ihrer kräftigen Fahrzeuge, vom Schneid und der Präzision, mit denen sich alles abspielte. Lachende Mädchengruppen zogen durch die Gassen, die Herzen voll Hoffnung.

Wir sprachen mit den Leuten. Es war nichts von Feindschaft gegen die fremden Soldaten zu verspüren. Sie waren alle froh, daß der Krieg vorbei ist und wußten von den Franzosen nur Gutes zu berichten. Das gegenseitige Einvernehmen schien tadellos. Ueberhaupt war diese bayrische Gegend ein Idyll, wenn man sie mit dem übrigen zerstörten, hungernden und elenden Deutschland verglich. Sie gab ein falsches Bild. Deutschland sieht heute nicht so aus. Der Krieg war hier nicht vorbeigezogen. Kein Luftangriff hatte das schmucke Dorf in Trümmer gelegt, keine Straßenkämpfe und Panzergefechte hatten das Leben der Bewohner gefährdet. Auch zu essen gab es hier noch – zwar nicht mehr viel, aber doch ausreichend.

Allerdings war das Dorf angefüllt von Ausgebombten und Flüchtlingen aus dem Ruhrgebiet, aus Schlesien und anderen Kampfzonen des Reiches. Allein, für den Moment reichte es noch, und die Ausgebombten halfen bei der Bestellung der Felder.
Am Nachmittag, bei glühender Sonne, war die ganze Division mit ihrem schweren Material in einem riesengroßen Viereck vor...

Bildtexte - links: General de Gaulle hat eine kleine Bodenerhöhung betreten und ist im Begriff, die Offiziere zu sich zu rufen. Rings um ihn, in einem mächtigen Viereck, ist die 2. marokkanische Division in Paradeformation aufgestellt.

2. Seite: ... dem Dorf aufgestellt. Ringsum drängten sich die neugierigen Bayern und Bayerinnen, deren Landestracht den seltsamsten Kontrast zu den Uniformen der fremden Soldaten bildete. Geduldig warteten sie – so mögen sie einst auf Adolf Hitler gewartet haben! Ich weiß nicht, ob eine Sicherheitspolizei insgeheim ihres Amtes waltete. Auf jeden Fall tat sie es diskret. Es gab keine Kontrollen nach Ausweisen unter den Zuschauern, kein Patrouillieren von Polizeiorganen mit Maschinenpistolen. Man hatte Vertrauen zu den bayrischen Bauern. Jeder der wollte, konnte kommen und sich de Gaulle ansehen, jenen de Gaulle, den der deutsche Rundfunk so oft als feigen Verräter, als Hampelmann Churchills und gleichzeitig als Judenfreund und Bolschewisten, als Deserteur und Terroristen beschimpft hatte. Nun war der Augenblick gekommen, ihn zu sehen, ihn, der nun der Sieger war, der an der Spitze eines neu erstarkten Frankreichs stand, jenes selben Frankreichs, das man einst für degeneriert, faul und korrupt gehalten hatte. Konnte man diesen bayrischen Bauern offensichtlicher das Lügenwerk eines Goebbels enthüllen, als indem man ihnen dieses Schauspiel französischer Macht bot.

Plötzlich erklang von der Bergstraße ein Clairon. Die Division erstarrte in Achtungsstellung. Flugzeuge kreisten im Tiefflug über den Köpfen. Die Menge verstummte. Kein Laut war neben dem Lärm der Flugzeuge auf dem weiten Platz zu vernehmen. Langsam kam de Gaulles Autokolonne die gewundene Bergstraße hinunter und fuhr beim Viereck vor. De Gaulle, begleitet von seinen Offizieren, von General de Lattre de Tassigny und von Kriegsminister Diethelm, schritt stumm grüßend die Front ab und blickte seinen Soldaten in die Augen. Stürmisch klang die Melodie der Marseillaise, gespielt von der marokkanischen Kapelle, über den Platz. Man spürte die verhaltene Begeisterung bei der stumm stehenden Truppe. Ehrfürchtig, still, staunend, neugierig, verwirrt vielleicht auch, stand am Rand das bayrische Bauernvolk, untermischt von einzelnen zuschauenden ...

2. Seite: Bildtexte - oben: Mit ihrem stolzen Gamsbart kommen sie zum Schauplatz der Parade, um de Gaulle zu sehen, von dem ihnen bisher ihre Zeitungen nicht müde wurden, ein lächerliches Zerrbild zu entwerfen.

Mitte: Auch Leute in diesem erstaunlichen städtisch-bayrischen Tenue sieht man, die herbeiwandern, um sich den Sieger anzusehen.

unten links: Kein Deutscher kann unbeeindruckt einer Parade zuschauen. Daß bei den Franzosen alles „so fein klappte”, ist einer der Gründe, warum die Deutschen ihnen den Respekt nicht versagen.

unten rechts: Das bayrische Bergdorf widerhallte vom Marschschritt der zur Parade aufmarschierenden Formationen. Defiliertenue:
Khakihemd mit zurückgekrempelten Aermeln. Der Turban ersetzt bei den Marokkanern den Helm.

3. Seite: ... französischen Soldaten und von ausgebombten Flüchtlingen.

An einem der Häuser in der Nähe des großen Feldes waren die Fenster mit Brettern vergittert. Dazwischen schauten finstere Köpfe hervor und betrach- teten sich das für sie bittere Schauspiel – es waren die gefangenen Naziführer der Talschaft, die sich über die Vergänglichkeit aller Dinge ihre Gedanken machen konnten.

Jetzt begab sich de Gaulle in die Mitte des Platzes, um die Helden der Division für ihre Tapferkeit während des Feldzuges in Süddeutschland zu dekorieren und um am Schluß die Offiziere zu sich zu rufen und ihnen in packenden, eindringlichen Worten von ihrer ernsten Mission im besetzten Feindesland zu sprechen. Dann bestieg der Staatschef einen bereitstehenden Jeep, um an der Spitze der Division, die sich mit staunenswerter Präzision in Bewegung setzte, die Landstraße talabwärts zu fahren bis zu einer bereitgestellten Tribüne, auf welcher er den Vorbeimarsch der prächtigen Truppe abnahm.

Stramm marschierten die Regimenter in ihren sportlichen Uniformen mit zurückgekrempelten Hemdsärmeln, an der Spitze das klingende Spiel, an ihrem Staatschef vorbei. Dann kamen die leichten Kampfwagen, die Artillerie, die Tanks, Fahrzeuge in ungezählter Menge. Alle fuhren grüßend an de Gaulle vorbei – ein eindrucksvolles Bild der militärischen Stärke einer modernen Kampfdivision. Den Straßenrand säumten die neugierigen Bayern. Staunend, jetzt schon etwas vertrauter, begutachteten sie diese wunderbar präzise Organisation moderner Kriegskunst, diese technische Stärke, diese patriotische Hingabe aber auch, die aus den Augen der fremden Soldaten leuchtete. Das hatten sie sich einst wohl kaum geträumt! F.v.S.

Bildtexte - oben: Aus dem Défilé der Division: Ein marokkanisches Spiel marschiert vor de Gaulles Tribüne vorbei – die bayrischen Alpen als Szenerie.

unten links: General de Gaulle schreitet die Front der aufgestellten Division ab. Hinter ihm in Zivil Kriegsminister Diethelm. Neben ihm General de Lattre de Tassigny.

unten rechts: De Gaulle hat den Platz betreten, die Marseillaise erklingt, die französischen Soldaten salutieren, staunend schauen die bayrischen Zuschauer dem Schauspiel zu.

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