Joachim Hindelang, 1796 - 1867, bekannt unter dem Namen „Drüdeslars Jock”, kurz „Drüdes” genannt, war weit über die Grenzen seines Heimattales und Oberstdorf hinaus ein bekannter Mann. Viele wußten kaum, daß er auch einen bürgerlichen Namen hatte, nämlich Hindelang; denn alles sagte zu ihm oder über ihn nur „Drüdes". Sein Heimatle stand in der Birgsau, ca. 200 Meter nördlich der Wirtschaft, auf halbem Weg zwischen Fahrstraße und Stillach.
Von den meisten Mitbürgern wurde er geachtet, teils aber gefürchtet und von manchen sogar gemieden. Es gab sogar Leute, die um den Drüdes lieber einen Bogen machten, als ihm zu begegnen. Man sagte ihm halt nach, daß er zu mehr fähig sei als andere und hinter vorgehaltener Hand wurde erzählt, daß er hexen könne und mit dem „Höller” zusammenspiele. Doch niemand wußte eigentlich etwas Klares zu sagen, daß er jemals jemanden hätte Schaden zugefügt. Selbst hatte er auch keinen Versuch gemacht, seinen zweifelhaften Ruf zu beseitigen.
Und sein Ruf kam daher, daß er allerhand sog. Sympathiemittel beherrschte, und viele erzählten mit Überzeugung, daß ihnen der Drüdes geholfen habe, sei es bei Roß oder Kälberkuh oder auch im Haushalt gewesen. Die meisten waren der Meinung, daß man sich den Drüdes mit seinem Können warm halten müsse; denn der nächste Doktor war weit weg und das Geld hatte man auch nicht immer flüssig, um gleich zu einem Gschtudierten zu schicken.
Der Drüdes hatte auch ein großes Talent für viele Dinge, sei es zum Mächeln oder Schnitzen, sei es mit grobem oder feinem Handwerk. Drüdes, wenn er wollte, er konnte es einfach. Doch immer hat er nicht gemocht.
Als Tälerer-Bauer betrieb er eine kleine Landwirtschaft, besser gesagt seine Frau. Die Kreszenz machte dies meist allein; denn das büre gab nicht soviel Arbeit. Lediglich zum Heumachen hat er seiner Senz geholfen. Im Stall standen meist eine gotzige Kuh, zwei spindeldürre Kalbeln, ein gutes Dutzend Geißen und Schafe. Das war sein „Trieble” Vieh, nebst den zu einem Gietle gehörenden Federvieh.
Es war auch nicht so einfach, neben der dauernd nörgelnden Senz zu arbeiten, und so ging er lieber allen anderen Tätigkeiten nach, wenn sie auch nicht gerade viel einbrachten.
Eine Besonderheit war es, daß man den Drüdes nie ohne Rucksack sah. Was da drin sein mochte, konnte keiner ergründen und hineingucken ließ er auch keinen. Dieser speckige, zwilchene Rucksack mit Lederboden blieb auch dann auf dem Buckel, wenn er mal drei Tage beim Wirtlar in der Birgsau hockte.
Mit seiner Landwirtschaft war er natürlich auch nicht mit Reichtümern gesegnet, mußte er doch zum Überwintern seines Viehbestandes Bergheu machen und noch eine Wiese dazupachten. Wenn es dann wieder einmal ganz knapp herging, konnte es schon sein, daß ein saftiger Gemsbraten oder ein Rehschlegel in der großen Pfanne war, die auf dem Dreifuß in der „Fuirgrüeb” der verrußten Küche stand.
Meist verschwand er dann für kurze Zeit in der oberen Fehlekammer, säuberte und ölte seinen Abschrauber, um ihn dann hinter einem Scheinbalken verschwinden zu lassen, bis die Not ihn wieder forderte.
Im Sommer war dies oftmals einfacher. Wenn nichts im Hause zu finden war, dann ging er mit seiner großen Kanne oder der kleinen Butte zum „Senne” am Eschbach hinter und holte sich eine große Schapfe voll von dem sämigen Schotte, der in warmer Milch ein delikates Mittagsmahl abgab. Dieser kostete nichts, da er dem Senne schon oft geholfen hatte, wenn eine Kalbel das „Verbrechen” oder eine Kuh wieder mal den „Milchrauber” hatte.
Eines Tages, der Kohlenbrenner von „Miresse-Bearg” war gerade verstorben, bat ihn Kohlars Ann, eine geborene Jochum, ihr doch zu helfen, den halbfertigen Meiler vollends aufzurichten und dann auch zu überwachen, ja sogar die Kohlenbrennerei ganz zu übernehmen, was er auch dann tat. Doch besonders rentabel war dieses Geschäft auch nicht mehr; denn allein die Bringung des Holzes war Schwerstarbeit und auch nicht gerade billig.
Einen Teil des Holzes für den Haufen konnte er vom nahen Kohlgere bis in den Brunftwald hinein machen und holen, das meiste aber im hinteren Rappental, am Bieberalper Wald, wo er Ausforstungen und auch „Plenterholz” machen konnte. Das ganze Holz, das er für seinen Meiler brauchte, holte er mit seinen zwei mageren Kalbein aus dem Tal. Wochenlang sah man ihn dann fuhrwerken und es grauste manchen, der ihn bei Sturm und Wetter draußen wußte, in den „Landstrichen” bei dem vielen Schnee. Und jeder Meiler fraß unheimlich viele Klafter Holz, und es durfte nicht das schlechteste sein.
Überall rauchten die Kohlhaufen und die Konkurrenz war groß. Köhler gab es zu dieser Zeit gleich etliche rund um Oberstdorf. So befanden sich Kohlenbrenner im Oytal, in der Spielmannsau, am Höllenberg, am Kohlarruine, am Eschbach, am Faltenbach und einer hatte sogar seinen Kohlhaufen am hinteren, oberen Ortsrand, kurz vor den Hammerschmieden, am Kohlplätzle, aufgebaut. Kohlenmeiler gab es noch am Riegelanger im Oytal, Schlappold-Höfle, Kornau und Anatsstein.
Der Bedarf an Holzkohle richtete sich nach den Tätigkeiten der Eisenschmelzen und Hammerschmieden. Dazu kamen noch die vielen Erlasse und Vorschriften, in denen die Behörden die Köhlerei einzuschränken suchten. In einer Urkunde heißt es wörtlich: „Eine Beschränkung der Kohlenbrennertätigkeit ist mit sofortiger Wirkung zu beachten, um vor der drohenden Vernichtung des Waldes durch die Köhler Vorsorge zu treffen.”
Drüdes belieferte mit seiner Kohle einige Zeit den Bedarf Für Lonzars (Köcheler) Balthasars Schmiede an der Trettach. Als dann um die 1840er Jahre einige Schmieden aufgaben, denn eine schon bemerkbare Industrialisierung brachte verbilligte Artikel auf den Markt, da ging die Nachfrage nach Holzkohle stark zurück. Auch die Teuerung allgemein machte für den Drüdes das Kohlenbrennen uninteressant und so gab er diese „schwarze” Arbeit wieder auf. Reich ist er mit dieser Schinderei nicht geworden.
Kohlars Ann hatte den Niedergang der Köhlerei nicht mehr erlebt, aber sein Gang führte ihn noch oft an die Kohlstatt hinauf, um nach dem Rechten zu sehen, war ihm doch alles so vertraut und er wollte das verwaiste Gütle auch nicht ganz verkommen lassen. Zudem hatte er dort eine kleine Kammer als Werkstättle, die er noch des öfteren benutzte. Mächle und „schnipfle” waren ihm sowieso angenehme Tätigkeiten. Sein liebstes Produkt der Schnitzerei war der „Launer” geworden. Schon als Hirtenbub hatte er immer wieder sein Können durch das Launerschnitzen verbessert, brachte es ihm doch öfters einige Kreuzer Biergeld ein. Diese kurzen Pfeifen, die das besondere Merkmal der alten Oberstdorfer waren, brachte er zu Gärbars Ann, die sie dann an der Kirbe oder am Johannemarkt für ihn verkaufte.
Sein Hauptaugenmerk richtete er auf das Sammeln von Kräutern und Wurzeln: Es fanden sich doch so viele in Herrgotts eigenem Wurzgarten. Es gab auch kein Pflänzlein, das er nicht kannte, und so war er dann oft tagelang unterwegs und sammelte Bündel und Rucksack voll. Diese Kenntnisse hatte er von seinem Vater abgeguckt und schon früher die vielen Heilmittel und Salben daraus gemacht. Des öfteren ging er mit einem prall gefüllten Zwerchsack auf dem Buckel bis zum Apotheker Oskar von Kolb nach Kempten und verkaufte diesem seine „gesammelten Werke”. Bei diesem war er ein gern gesehener Lieferant, da er die Kräuter alle fein säuberlich getrennt und sortiert, auch fachmännisch getrocknet lieferte.
Bei seinen vielen Waldgängen und Bergtouren zum „Krütre” hatte er stets auch eine handgetriebene Blechschachtel im Rucksack und in diese sammelte er sauberes, hellgelbes Pech, meist aus frisch geklobenem Scheitholz, das er gleichfalls als Heilmittel für sich und den Kempter Apotheker benötigte. Gelegentlich sammelte er auch das offene Pech, das er in einer Holzwanne lagerte und, sobald mehr beisammen war, in die Pechsiederei nach Oberstdorf brachte, zu „Bodde Josefe”, gleich oberhalb der Vierzehnnothelferkapelle.
Seit er die Kohlenbrennerei aufgegeben, hatte er auch viel mehr Zeit zu Hausbesuchen, zum Viehkurieren, seine Kenntnisse mit Heilmitteln, Salben und Sympathiemitteln den Hilfesuchenden zu vermitteln. Doch auch dabei gab es keine Reichtümer zu gewinnen; denn nach seinen eigenen Worten könnte so ein Sympathiemittel nicht helfen, wenn er dafür Geld nehmen würde, und der Doktor in Oberstdorf wäre auch nicht gerade begeistert gewesen über eine solche Konkurrenz. Der Doktor war schlecht auf den Drüdes zu sprechen, weil die Leute lieber zu diesem gingen als zu ihm. So war es auch nicht verwunderlich, daß der Drüdes sofort zugriff, wenn ihm jemand eine „Laibat” hinstellte und er diese mit Genuß auch ganz aufaß.
ln seinem bescheidenen Häusle in der Birgsau und auch im Gietle oben an der Kohlstatt roch man schon von außen den süßlichen Geruch der vielen Heilkräuter, die zum Trocknen aufgehängt waren. Der obere „Sohlar”, ja sogar die „Huinzebohne”n waren voll von Kräutern und Samen, von Wurzeln und Beeren, an der Decke und an den Wänden hingen diese in Büscheln. Auf dem Boden, wo alles zum Trocknen ausgebreitet war, konnte man kaum laufen. Am Schopftörle hingen ganze Bündel vom frisch geholten „Drüdenkrüt”, das er für die Nachbarn - und für weiß Gott wohin - gesammelt hatte.
Man sah den Drüdes oftmals auch in Begleitung des Hirtenbuben Xaver Köcheler, der diese Kenntnisse lernen, ja vielleicht einmal übernehmen wollte. Xaver sammelte für ihn auch den Sommer über - beim Viehhüten am Taufersberg - den stark riechenden Thymian, den Silbermantel, den Madaun und vieles andere mehr. Je höher die Lage, um so höher war die Kraft und die Wirkung der Kräuter.
Wie bereits erwähnt, verstand sich der Drüdes auf alle möglichen Sympathiemittel und Heilsprüche, und so war es nicht verwunderlich, daß in der Stube eine ganze Anrichte mit allen Schubladen voll war mit Holzkreuzle, verformten Wurzeln und vor allem mit einer Menge „Drüdeschtui”.
Diese Drüdeschtui waren vom Bergbach geschliffene Steine mit einem Loch in der Mitte, durch das man einen bestimmten Wollbändel zog, zur Schlinge knüpfte und an die Bettlade oder an den Roßstand hängte. Laufend kamen Leute bis von weiß Gott woher, um sich vom Drüdes einen solchen Stein auszuleihen, den er auch jedem, mit seinem Rat verbunden, mitgab. Vor allem durfte man beim Aufhängen desselben ja nicht umsehen; denn sonst sehe der Drüd das Gesicht und der Stein nütze nichts. Der Glaube an solche Dinge war zu dieser Zeit sehr groß, und der Pfarrherr war nicht gerade begeistert; denn es war ja kein „Opus dei”, kein Gotteswerk, sondern ein unverantwortlicher Teufelskult.
Meist ging Drüdeslars Jock selbst mit zu den geplagten Leuten; denn den Umgang mit dem Drüdeschtui konnte nicht jeder. Nach seiner Meinung mußte der Drüdeschtui so aufgehängt werden, sei es an Türe oder Bettladen oder gar am Roßstand, daß der „Drud” durch das Loch weder hinein- noch hinauskommen konnte. Es kamen Leute zu ihm, die erklärten, daß der Drud ihrem Kind so zugesetzt habe, daß am Morgen dessen Brüstchen ganz geschwollen war und Beulen davon bekommen hätte. Auch die Rösser zeigten oftmals an Schweif oder Kranz (Mähne) Knöpfe oder unentwirrbare Zöpfe, waren ganz erschöpft und verschwitzt, so daß man mit diesen den Tag über kaum noch „fuhrwerken” konnte. Bei rechtzeitigem Anbringen des Drüdeschtui konnte dies alles verhindert werden; denn nach Meinung der Leute sei in dem Loch im Stein schon mancher Drüd hängen geblieben und man konnte dann feststellen, wer dahinter steckte. Deshalb die Furcht der Drüden vor diesem Stein.
Nach Erzählungen haben dem Drüdes manche Leute nachgesagt, daß er in der Trudennacht oder der sogenannten Walpurgisnacht, die Nacht vor dem 1. Mai, nie zu Hause gewesen sein soll, doch niemand erfuhr, wo er zu dieser Zeit war. Man munkelte, daß er wieder einmal am Kreuzweg gewesen sei, bei den Hexenzusammenkünften, um sich dort neue Anregungen zu holen und vor allem zu sehen, wer neu hinzugekommen sei in diesem erlauchten Kreis.
Auch verstand es Drüdes, mit den kultischen Zeichen, den Drudenfüßen und Trudenkreuzen zu hantieren. Diese Kreuze oder Sterne malte er den hilfesuchenden Bauern auf den Fußboden vor der Bettstatt oder vor die Stalltüre, bei manchen auch gleich auf den Steffel vor der Haustüre. Diese seine unheimlichen Kenntnisse um Drudenstein und Drudenkreuz, sein Können um die Sympathiemittel, seine Kräuter und Salben brachten ihm schon in jungen Jahren den Namen Drüdeslar oder Drüdes ein. Dieser Name war dann so geläufig, daß sich niemand mehr etwas dabei dachte.
Es hätte auch kaum einer gewagt, über diesen Namen verächtlich zu reden; denn der Respekt vor dem Drüdes war doch zu groß. Zum andern hätte es um diese Zeit keiner riskiert, laut über einen Hexer oder eine Hexe zu reden. Der Glaube war einfach da. Dann kam hinzu, daß Drüdes schon so vielen geholfen hatte, und Hexennamen durfte man auch nicht benennen. Dies wäre in jener Zeit nicht gut gewesen, war doch die Erinnerung an die Schauergeschichten der Hexenverfolgung und die vielen Martern, welche die Unschuldigen erdulden mußten, noch zu lebendig. Es waren die Gedanken an die Verbrennungen auf den Scheiterhaufen noch zu stark in den Köpfen der Leute, war es doch erst ein halbes Jahrhundert her, daß die letzte Hexe im Jahre 1775 in Kempten verbrannt wurde; an anderen Orten noch später, so im Glarusgebiet um 1782. ln den westpreußischen Gebieten loderten die Hexenfeuer noch bis fast zur Jahrhundertwende auf. Die allgemeine Furcht war doch noch übergroß, daß man eventuell selbst in die Mühlen des Hexenhammers, des berüchtigten „Malleus maleficarum”, geraten könnte.
Einmal, so wird berichtet, wurde ihm sein Können schlecht ausgelegt, was ihm aber überhaupt nichts ausgemacht haben soll. Die „Stille-Ach” (Stillach) sei bei der Möslesbrugg, gleich hinterm Eschbach ausgekommen und habe die ganze Birgsauer Flur mit Kies und Dreck überflutet. Der „Leate” sei in den Feldern gleich schuhhoch gelegen und habe die guten Böden versaut. Da aber Drüdes nur ein kleines Feld am Hause hatte, traf es ihn am wenigsten und da hat ein Nachbar, mit dem er beim Wirtlar droben einmal „Lascht” gehabt hat, dann gesagt: „Ob amend dr Drüdes Pfinger do mit dinn khett hot?”
Nach einer anderen Überlieferung wird berichtet, daß Drüdes auch längere Fußreisen gemacht haben soll. So sei er einmal zu Fuß nach München, mit 80 Kreuzer im Sack, gelaufen, ohne zu betteln oder zu fechten. Wenn der Hunger zu groß wurde, habe er bei einem Bauern einen guten Tag geholfen und der habe ihm dann einen halben „Wuchemorent” mitgegeben. Erst am Rückweg habe er in Sonthofen, wo gerade Markt war, von einem Oberstdorfer, dem Dundl, den er dort getroffen habe, 12 Kreuzer erhalten, um noch vollends nach Birgsau zu kommen. Auch wurde von einer Fußreise bis nach Paris erzählt, aber darüber wurde nichts Näh- heres bekannt.
Seine wohl interessanteste Tätigkeit begann 1841/42. Drüdes wurde zum Schullehrer bestellt, so wie es früher oft üblich war, ohne jede „Matrikulation”, nur aufgrund seiner Begabung. Dazu lesen wir im F. A. Schrattschen Jahrhundertbuch: „. . . derselbe übernahm den Schulunterricht in Birgsau und bewährte sich mit seinen vorzüglichen Rechenkünsten." In diese Schule kamen die Schüler von Einödsbach, Birgsau, Ebene, Laiter, Schwand, Ringang, Faistenoy, Anatswald, Gundbach und Gundsoy.
Gleichzeitig war im anderen Tal der Lehrer Johannes Köcheler tätig, der die Schüler von Gerstruben, Spielmannsau, Traufberg, Gottenried, Christlessee, Dietersberg, Gruben und Burgstall zu versorgen hatte. Köcheler war aufgrund seiner Belesenheit und seiner bestechend schönen Schrift zu diesem Amt gekommen. Seine Schule war in Mummen, kurz vor dem Gottenried am Hölltobelbach gelegen.
Um nun den Schülern an den Schulen von Birgsau und Mummen die gleichen Kenntnisse zu vermitteln, mußten diese Lehrer ein bis zwei Tage in der Woche den Schuldienst tauschen: des einen Schreibweise war so wichtig wie des andern Rechenkunst. So soll verfügt worden sein, daß beide aushilfsweise auch in Kornau Unterricht halten mußten.
Ein Lehrer hatte damals ein Anfangsgehalt von jährlich 20 Gulden, 1843 berichtet der Chronist, daß dieser schon 40 Gulden erhalten habe. Wegen des kargen Gehalts waren Zwergschulen öfters unbesetzt. Da schrieb ein Spötter einmal, daß man bei diesen „Gehältern” die Schulen von der Regierung aus doch wieder besetzen sollte. War es auch kein berauschendes Salär, so war doch das Ansehen eines Lehrers ganz enorm, ja er kam, wenn es eine Rangfolge gegeben hätte, gleich hinter dem Pfarrer und noch vor dem Ortsvorsteher.
Eines Tages in der Vakanz ist Drüdes wieder auf Wanderschaft gegangen, wohin, hat er niemandem erzählt; man hat es auch nicht erfahren. Von dieser Reise brachte er die ersten Phosphorzündhülzer mit nach Oberstdorf. Dieses, für die damalige Zeit neue Wunderwerk hatte vorher noch niemand gesehen, nicht einmal der Kramer in Oberstdorf kannte diese Feuerhölzle. Hier machte der Drüdes dann wieder einmal seinem Namen alle Ehre, als er beim Wirtlar am Stammtisch plötzlich so ein Hölzle aus dem Hosensack zog, es über des Nebenmannes Oberschenkel rieb und auch schon Feuer in der Hand hatte. Wie erschreckt sind alle aufgestanden, als dies einen zischenden „Fuirar” (Feuerschein) abgab. Daß man mit so einem kleinen „Briegele” gleich überall Feuer machen konnte, war fast unglaublich.
Was da passiert ist, wollte keinem so richtig in den „Grind" hinein. Jeder ist sogleich ein Stück weggerückt, denn weiß Gott, was der noch alles kann, vielleicht hat der gar bei Unwetter mit Blitz und Donner seine Hand im Spiel. Einige sahen in Drüdes bereits den Leibhaftigen vor sich und die vorher gar so starken Biertischhelden hatten in der dämmerigen Wirtsstube noch blässere Gesichter als der weißgraue Stubenofen. Daß dies einen so großen Erfolg Für ihn abgab, hatte er selbst nicht erwartet. Geschickt rieb er ein Hölzle an der Schuhsohle an, ein anderes am Stubenofen, verbarg aber bewußt den Schwefelkopf. Als er dann auch noch vor dem Haus an einer Wandschindel so ein Briegele anrieb, da zweifelte niemand mehr an seinem besonderen Ruf, daß er mehr könne als andere.
In der Schule, als er den Vorgang den Schulkindern vorführte, indem er ein Hölzle an der schäbigen schwarzen Tafel anrieb, war sein Erfolg noch größer. Ängstlich, mit ungläubigen Kulleraugen verfolgten die Kinder das Geschehen, und als er endlich sein übliches Schlußwort sagte: „So, ietz gändr ordele huim”, da rannten alle, so schnell sie konnten, heim, um dem „Vaddr” von diesem unheimlichen Vorfall zu berichten. Dieses Geschehen blieb auch ohne Folgen; denn bis es die Schulinspektion erfuhr, waren in Kempten diese Zündhölzer längst im Gebrauch.
Es war auch allen bekannt, daß Drüdes ein völlig furchtloser Mensch gewesen war, der bei jeder Nachtzeit oder bei Gewitter draußen sein mochte. Besonders in den Rauhnächten sei er oftmals unterwegs gewesen, wird erzählt. Wenn dann der Sturm überden Gundsberg oder am Laiterberg hereinfegte, und die Leute munkelten, daß man nicht außer Haus gehen solle, denn die „Wilde Jagd” fege vorbei, und wer dabei erwischt wurde oder sich nicht schnell genug hinlegen konnte, den nehme das wilde Heer mit, da konnte es passieren, daß man alle Türen und Tore verriegelt hatte. Plötzlich pochte es draußen. Nach zögerndem Aufmachen stand oft der Drüdes draußen und wollte in den „Huigarte" kommen. Wenn er dann auch noch erzählte, daß ihm das nichts ausmache, das „bizle Luft”, dann guckten ihn die Nachbarn oft recht scheu an und wenn er erklärte: „Ja, so a Weaddr mit am wink am Luft hottes allad schu geabe”, dann kamen bei den Kindern doch die „Hennebrupfa” den Buckel rauf über so einen schneidigen Mann, der da noch hinausgehen mochte.
Leider hatte er auch eine üble Leidenschaft, das Biertrinken, dem er halt gerne zusprach. Nach seiner Meinung war gerade der Sonntag ein sehr schlechter Tag und der Montag sei auch nicht viel besser und so kam es halt öfter vor, daß daraus auch noch ein blauer Montag wurde, wo er seinen letzten Kreuzer dem Wirtlar überließ. Dies konnte seine ohnehin als grantig bekannte Kreszenz nie begreifen, daß man gleich zwei Tage auf einem Fleck hocken konnte. Wenn er dann anderntags zu Hause werken wollte, mußte er sich immer wieder als versoffenen „Kog” beschimpfen lassen. Den ganzen langen Tag hat sie an ihn hin-„bägred”. War kein Ende abzusehen, packte er seinen Rucksack, ging zur Kohlstatt hinauf oder gleich zum „Krütre” in Birkersgündle oder hinüber an den „Habom” zum Bergwurzengraben.
Eines Tages, im Spätherbst mußte es gewesen sein, die Tage waren schon kurz, man ging früh in den Stall, denn das Öl für die Lampe war kostbar und sparen mußte die Senz an allen Ecken und Enden, da kam er halt wieder nicht vom Wirtlar los. Es war schon der zweite Tag, daß er beim Saufen hockte, und ihr hatte er auch noch die Sparkreuzer in der Schachtel hinterm „Sürfäßle” mitgenommen, gerade die paar Kreuzer, mit denen sie dem Fehle-Büe einen Hemdenstoff auf Klausen hin kaufen wollte. Darüber geriet sie in einen heiligen Zorn und sie grübelte, wie sie dem versoffenen Lotter endlich einen Denkzettel verpassen könnte. Da kam ihr der Einfall, daß sie ihm einmal als Gespenst auflauern werde. Sie wußte zwar, daß er recht furchtlos war, aber bei dieser Verkleidung würde er schon weiche Knie bekommen. Sie sprach sich den ganzen „Nohündr” selbst Mut zu und der Gedanke allein, ihn einmal zittern zu sehen, verlieh ihr die Kraft und den Mut zu dieser Tat.
Sie holte in der Kammer ein großes, weißes „Lilach”, schlüpfte darunter und stellte sich hinter das Schopftörle. Sie wußte ja, daß er meist am zweiten Tag, so um die Mitternacht „huimduxelte”. In dieser Vermummung wartete sie dann. Es kam ihr unendlich lange vor, fast wäre sie auf dem Scheitstock hinter dem Törle verschlafen. Doch dann schreckte sie wieder auf; denn der Gedanke an ihr Vorhaben machte sie schnell munter. Das Leintuch hatte sie vorne hochgeschlagen, um hinauszuspähen. Die Stunde rückte schon auf Mitternacht zu, da sah sie einen Schatten im Mondlicht auf das Haus zukommen. Er kam quer über das Feld, um den Weg abzukürzen. Da erkannte sie, daß es ihr Drüdes war. Verwundert murmelte sie vor sich hin: „Dea Kog waggled it amol”, dann zog sie das Leintuch wieder vorne herunter und wartete, bis er vollends da war.
Am Törle angekommen, lupfte er den Riegel, schob mit dem Knie das wacklige Törle auf und ging hinein - da sah er auch schon das Gespenst und es tönte eine verstellte Grabesstimme: „Ih bi dr Teiffl und du, du Sühünd..Weiter kam der Geist nicht; denn Drüdes griff mit beiden Händen scharf in das Leintuch hinein, bekam auch gleich eine Hand zu fassen, klemmte zu wie ein Schraubstock und schob den vermeintlichen Teufel in Richtung Stiegele, das in die Gangküche führte. Den Weg kannte er so gut wie seinen Hosensack. Dann schob er den Teufel das Stiegele hinauf in die Küche und sagte in aller Ruhe: „So, du bischt dr Teifl, ja no gang nu vollds ning, du witt gonz gwiß ding Schwester bsüeche!”
Bekehrt hat sie ihn auf alle Fälle nicht; denn er änderte seinen Lebensstil nicht und niemand hätte die Geschichte von dem Familiendrama erfahren. Drüdes erzählte niemandem davon, und auch die Kreszenz genierte sich ob des verunglückten Geisterspiels. Erst Jahre später, als der Drüdes bereits verstorben war, erzählte sie die Geschichte dem Kräutersammler Xaver Köcheler, der nach wie vor bei ihr ein- und ausging und sie auch über alles, was man vom Drüdes lernen konnte, ausfragte.
Xaver hat die Sache mit den Kräutern weiter gemacht und viele Heilmittel und Salben gerichtet, doch ein Drüdes ist er nicht geworden.
Nachweis:
Franz-Alois Schratt: Jahrhundertbuch
Karl Reiser: Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus. Bd. 2.
Neudruck. Hildesheim 1979.
M. Modimayer: Bunte Bilder aus dem obern Allgäu. Memmingen 1903. Auskunft des Eugen Thomma und Jockars Fronz (Franz Math): Geschlechter Hindelang
Erzählungen von Luzianesse Josef (Josef Schratt), Hs. Nr. 288,
von Hans und Berta Köcheler, Hs. Nr. 289.
Vrlosed und notiert von Anton Köcheler.