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"Das deutsche Jägerbuch”
Aus heutiger Sicht klingt es ziemlich einfach, so einen Adler abzuschießen. Aber vor über 150 Jahren war das sicher nicht so. Einerseits waren die damaligen Gewehre nicht mit den heutigen Präzisionswaffen vergleichbar und andererseits waren die meisten Adler nicht an einen Horst gebunden, sondern durchstreiften große Gebiete. Anscheinend waren Adler auch am leichtesten im Winter zu erlegen. Darüber berichtete Jäckel:
„Seinen 20. Adler schoß er am 12. Dezember 1880 im Retterschwangthale. Es war ein Steinadler von 2,20 m Flugweite. Den 21. und 22. erlegte er am 3. Januar und am 9. Februar 1883 hoch oben auf steiler rauher Bergeshänge am südlichen Abhänge der Rothspitze, ca. 4200' [Fuß] über der Meeresfläche. Den ersteren im Eisen zu fangen, brach der kühne Jäger morgens 2 Uhr auf, vermochte aber, an Ort und Stelle angekommen, wegen eines inzwischen ausgebrochenen sehr heftigen Schneesturmes solches nicht zu legen, pürschte sich auf mehr als 100 Gänge aufwärts auf Händen und Knieen in tiefem Schnee an den auf einer hohen, halbdürren Fichte sitzenden Adler, begünstigt von dem rasenden Sturme, heran und schoß ihn während einer kurzen windstilleren und helleren Pause, welche den Baum und den königlichen Vogel wieder zu sehen gestattete, auf 120 Gänge mit der Kugel mitten durch die Brust. Den zweiten Adler zu fangen, mühte sich Dorn seit Wochen, aber alle List war umsonst, der schlaue, vorsichtige Vogel nahm die geringste Veränderung wahr. Täglich um die genannte Stunde aufbrechend, um nach 3- bis 4-stündigem Steigen vor Tagesanbruch am Platze, zu sein, brachte D. in vier Tagen 31 Stunden bei einem gerissenen Reh, welches der Adler im Auge hatte, auf dem Ansitze zu, bis es ihm endlich am 9. Februar vormittags 9 Uhr gelang, den König der Vögel durch einen wohlgezielten Büchsenschuß ebenfalls mitten durch die Brust zu erlegen. Es war ein altes Männchen mit weißen Achselflecken. Am 28. März 1883 schoß Dorn seinen 23. Adler im Retterschwanger-Thale.”
Seine Besessenheit wurde so fanatisch, dass er sogar ganze Rehe und Gämsen als Luder auslegte, um einen Adler anzulocken. Das Wildbret hätte laut Anordnung des Prinzregenten eigentlich den armen Familien im Hindelanger Tal zugestanden. Das war ihm jedoch egal, er hatte nur ein Ziel: Er wollte die meisten Adler schießen, denn in Oberstdorf war ihm der dortige Oberjäger Max Speiser auf den Fersen.
Ende 1890 erlegte er schließlich seinen 50. Adler und Prinzregent Luitpold ernannte ihn per Urkunde zum „Adlerkönig”. Das Ganze wurde später auch mit einem Schützenfest in Hindelang gebührend gefeiert. Damit
wurde er zur Legende und der berühmte Schriftsteller Ludwig Ganghofer, der ihn sogar persönlich besuchte, adelte „den gerühmtesten Adlerjäger des bayrischen Hochlandes”, indem er ihn in seinem Werk „Das deutsche Jägerbuch” auf dem Titelblatt verewigte.
Zu dieser Legendenbildung trug sicher auch seine Aussehen bei, das Ganghofer wie folgt beschrieb:
„Dorn ist ein Mustertypus des prächtigen Menschenschlages unserer Berge: eine hohe, breitschultrige Gestalt, Glieder wie aus Stein geschnitten, sonnverbrannte Fäuste, die beim Handschlag die Finger des Grüßenden wie mit stählernen Schrauben umspannen, ein in gesunder Röte lachendes Gesicht mit schneeweißem Vollbart, mit scharf gekrümmter Hakennase und blitzenden Augen, deren jugendhellem Blick man die 62 Jahre nicht anmerkt, die Leo Dorn auf seinem breiten, ungebeugten Rücken trägt. Keck und lustig sitzt ihm auf dem weißen Zaushaar der kleine, verwitterte Filzhut, dessen aufgebogene Krempe von einer langen Adlerfeder durchstochen ist. Jahraus und jahrein, bei Schnee oder Hitze geht Leo Dorn in der gleichen leichten Lodenjoppe in der kurzen Lederhose mit entblößten Knien. Und die Füße stecken nackt in den schweren Nagelschuhen.”
Dass Ganghofer ein inniges Verhältnis zu Dorn besaß, beweist, wie liebevoll er dessen Sprache beschrieb:
„Wenn Leo Dorn von seinen Adlerjagden und ihren Strapazen erzählt ... die auch in so schlichter und schmuckloser Schilderung dem Hörer ein kaltes Gruseln über den Rücken jagen. Man schaudert, ja – aber man lacht auch, oft und herzlich. Denn das ernsteste Abenteuer in den Bergen hat immer auch seine lustige Seite – und der Allgäuer Dialekt, der die Diminutivformen liebt, verleiht den Schilderungen Dorns zuweilen einen originellen Gegensatz zwischen Form und Inhalt, einen Anhauch von unwillkürlicher Komik. Es hört sich drollig an, wenn er zum Beispiel die Erzählung einer seiner gefährlichsten Adlerjagden mit den Worten beginnt: ‚Woltern a fests Schneele hat’s g’schniebe g’hatt im sellen Winter und bis ans Brüstle rauf bin i allweil drin umeinanderg’stapfet. Aber wie i den Adler amal hon g’sehe g’hatt, hon i nimmer auslassen. Fleißi hon i umeinandergucket mit’m Spektivle, und wie i seine Weg‘ amol hon ausspekulieret g’hatt, hon i a Lämmle aufs Wändle naufg’schleppet, und da hon i m’r denkt: Wart, du Luedersvögele, jetzt hock i mi aber nein in Schnee und bleib sitzen, wenn m’r aa glei alle Knöchele wegfrieren von die Händ‘!‘ Ein Adler mit fingerlangen, dolchscharfen Waffen und mit dritthalb Meter Spannweite in den Flügeln, deren Schlag einen Menschenarm zerbricht wie Glas – das heißt bei Leo Dorn ‚Vögele‘! Da soll man nicht lachen, während einem das Gruseln durch alle ‚Knöchele‘ rieselt!”
Auch Künstler wie Franz von Defregger, nach dessen Bildvorlage unser Prinzregentendenkmal gestaltet wurde, Friedrich August von Kaulbach, dessen Adlerjäger-Bild es in die Zeitschrift „Jugend” schaffte oder Otto Keck portraitierten ihn. Mehrere Postkarten mit seinem Konterfei wurden herausgegeben und insbesondere die Heimhuber-Postkarte mit dem Adlerjäger ist legendär.
Im Jahre 1912 schoss Dorn schließlich seinen letzten und 77. Adler und hatte damit seinen Konkurrenten Max Speiser, er erlegte „nur” 59, um Längen abgehängt. Seinen letzten Greif holte er jedoch nicht aus den Lüften, sondern wenig heldenhaft von einem Misthaufen und außerdem zu einem Zeitpunkt, als das Umdenken schon eingesetzt hatte. Im gleichen Jahr ließ Prinzregent Luitpold die Jagd auf den Adler einstellen, um ihn vor der vollständigen Ausrottung zu bewahren. 1925 wurde der Steinadler in Bayern schließlich gesetzlich unter Schutz gestellt. Doch dies erlebte Leo Dorn nicht mehr, denn im Alter von fast 80 Jahren starb der Adlerkönig am 5. November 1915 in seiner Wahlheimat Hindelang. In seinem Geburtsort Oberstdorf wird er durch die Büste im Heimatmuseum und eine Skulptur am Haus Oststraße 5 geehrt.
Anmerkungen zur Familie Dorn
Die zu Beginn des Artikels unbeantwortet gebliebene Information über die Vorfahren Leo Dorns kann, nach wiederholter Lektüre der Kirchenbücher, präzisiert bzw. korrigiert werden. Auch sein Vater Ignazu Dorn ist sicher ein Oberstdorfer, denn in den Taufbüchern ist ein Josephus Ignatius, geb. am 3. 3. 1790, verzeichnet. Mutter Genofeva Schmölz wurde 1804 in Rubi geboren. Ihre Eltern kamen vermutlich aus Sonthofen. Großvater Johannes Georg Dorn wurde 1761 in der Pfarrei Grünenbach geboren. Er heiratete 1786 in Oberstdorf Theresia Schöll, die mütterlicherseits dem alten Oberstdorfer Geschlecht der Seelos entstammte.
Literatur
„Adlerkönig” Leo Dorn, Brigitte Horn im Allgäuer Anzeigeblatt vom 10. 1. 2008
Alt-Oberstdorf in Bildern, Anton Berktold, Leo Huber, Hans Kappeler, Oberstdorf 1980
Das deutsche Jägerbuch, C. W. Allers und Ludwig Ganghofer, Stuttgart ca. 1897
Der Adlerkönig Leo Dorn, Erich Günther, in Durch alle Welt, Dezember 1938. Heft 49 (Anmerkung: Von diesem Artikel liegt mir nur eine eingescannte Kopie ohne Seitenzahlen vor.) Die Algäuer Alpen bei Oberstdorf und Sonthofen, Dr. Joseph Groß, München 1856
Die Allgäuer Alpen, Max Förderreuther, München 1927 ( S. 190 ff)
Die Höfats im Allgäu, Joseph Enzensperger, in Zeitschrift des deutschen und österreichischen Alpenvereins, Graz, 1896
Geschichte des Marktes Oberstdorf, 4. Teil, Bernhard Zirkel, Oberstdorf 1979 (S. 254 - 255) Herrschaftspraxis in Bayern und Preussen im 19. Jahrhundert, Marita Krauss, Frankfurt 1997 Oberstdorfer Kirchenbücher 1615 - 1899, Band I – IV, Diedrich Sahlmann, Oberstdorf 1999 Schöllanger Familienblätter 1620 – 1875, Agnes Schöll, Reichenbach 2007
Systematische Übersicht der Vögel Bayerns, Andreas Johannes Jäckel, München und Leipzig, 1891 Internet (Stand: Juli 2014)
marktgemeinde.badhindelang.de, Suchbegriff: Leo Dorn
festivaltour.de, Suchbegriff: Höfats - Beiträge zu ihrer Erschließung
wikipedia.org, Suchbegriff: Leo Dorn
oberstdorf-online.info, Suchbegriff: Steinadler