Familienbild aus dem Jahr 1860:
(v. li.) Prinz Leopold, Prinz Luitpold, Prinz Arnulf, Prinz Ludwig, Prinzessin und Erzherzogin Augusta, Prinzessin Therese.
Kein Landesherr, der in der vielhundertjährigen Geschichte unsere Heimat regiert hat, steht bei der Bevölkerung des oberen Allgäus in der Beliebtheitsskala so hoch oben wie Seine Königliche Hoheit Prinzregent Luitpold von Bayern. Wann und wie der dritte Sohn König Ludwigs I. auf das Oberallgäu aufmerksam wurde, weiß ich nicht zu sagen. Aber es müssen schon bevor Prinz Luitpold in den Gemeinden Hindelang und Oberstdorf zum Jagen ging Beziehungen bestanden haben. Wie wäre sonst Oberstdorfs Pfarrer Johann Nepomuk Stützle dazu gekommen, schon 1848 seiner topographisch-historischen Beschreibung des obersten Dorfes folgende Widmung voranzusetzen:
Nach meiner Kenntnis taucht der Bayernprinz in Oberstdorfs gemeindlichem Schriftgut erstmals auf, als er im Jahre 1850 um die jährliche Summe von 120 Gulden die Gemeindejagd auf 15 Jahre anpachtet. Bereits 1856 lässt der neue Jagdherr in den freien Wiesen südlich der Kirche ein Jagdhaus erbauen. Den Grund dazu hat er vom damaligen Gemeindevorsteher Alois Rietzler erworben. Wie bei allen späteren Ankäufen und Grundstücksverhandlungen dürfte auch hier das damals auf der rechten Illerseite federführende Forstamt Burgberg die Geschäfte für den Prinzen getätigt haben.
Prinz Luitpold und alle anderen damals neuen Jagdherren fanden großteils leer geschossene Reviere vor. Die Freigabe der Jagd ab 1848, die sog. Bauernjagd, hat mit dem Wild, besonders dem Hochwild, gewaltig „aufgeräumt”. Dann jedoch sorgte die »Allgäuer Jagdgesellschaft«, der eine Reihe adliger Herren angehörten – links der Iller und Prinz Luitpold in den Revieren rechts des Flusses –, für eine Zeit der Hege. In den Schussmanualen des Försters Josef Schwarzkopf, von den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts bis zu dessen Tod im Jahre 1895, finden sich Abschüsse von Burgberg bis zum Haldenwanger Eck. Der Prinz selbst hat den Hegegedanken in Taten umgesetzt. Nach den Aufzeichnungen des Försters hat Seine Königliche Hoheit erst Jahrzehnte nach der Jagdanpachtung den ersten Hirsch erlegt.
In das weltabgeschiedene Bergdorf brachte die Ankunft und der Aufenthalt des Wittelsbachers, der nun Oberstdorfs Jagdherr war, eine wundervolle Abwechslung. Als im Jahr 1886 der Prinz die Regentschaft in Bayern übernahm, bereitete ihm die Bevölkerung eine triumphalen Empfang. Oberstdorf wurde Hofjagdstation, dies bedeutete eine gewaltige Aufwertung des Ortes. Nicht zuletzt diesem Umstand ist es zu danken, dass ein Jahr später mit dem Bau der Eisenbahnlinie Sonthofen – Oberstdorf begonnen werden konnte.
Durch seine legere Art, sich hier als schlichter Waidmann zu geben, flogen dem Prinzen die Herzen der Menschen zu und die Hilfe nach dem großen Brand von 1865 brachten ihm auch noch Dankbarkeit ein. Dankbar waren auch die Schulkinder, die am Geburtstag des Regenten alljährlich nicht nur schulfrei hatten, nein, sie bekamen auch noch eine Semmel und eine Wurst. Ja – wohl eine bayerische Eigenheit –, die Kinder ab der dritten Schulklasse erhielten dazu sogar einen Schoppen Bier. Wer armen Kindern eine solche Wohltat zukommen lässt, kann sich derer Zuneigung sicher sein. Damit nicht genug der guten Taten: Jedes Jahr hatte die Gemeinde 10 arme Kinder zu benennen, die vom Regenten ein Sparbuch mit 50 Mark Einlage erhielten. Die Gelder waren bis zur Volljährigkeit der Beschenkten gesperrt. Neben den Schulkindern erhielten auch die Jäger und Treiber des Regenten Geschenke: kurze Lederhosen bezahlte das Forstamt! Dass der begabte Sohn eines Jagdgehilfen in den Genuss einer „Studienbeihilfe” kam, sei auch noch erwähnt.
Bedingt durch die Hofjagd, kamen hier auch eine Reihe von Menschen, wie es so schön hieß, in Arbeit und Brot. Neben den fünf fest angestellten Jagdgehilfen verdienten sich bei den Treibjagden bis zu 30 Männer ein „schönes Geld”. Beim Bau wie beim Unterhalt von Jagdhaus und Jagdhütten, der Anlegung und dem Unterhalt der Jagdwege gab es immer wieder Arbeit. Fuhrwerke waren notwendig zum Transport der Jagdgäste, Wildheu musste zu den Futterstellen gefahren und erlegtes Wild zu Tal gebracht werden.
„Wo Licht ist, ist Schatten”, so lautet ein altes Sprichwort. Und wo sich der Landesherr aufhält, da muss es schön sein, folgerte eine Reihe von Menschen. Allein die Anwesenheit des Regenten und seines Hofstaates lockte viele „Sommerfrischler” in das oberste Dorf, was wiederum der Gastronomie und der Vermieterschaft zugute kam.
Der Regent liebte das Land und die Leute auf seine Art. Im Rückblick gesehen, machte es dem Landesherrn Spaß, auch unerkannt zu reisen, was zu manchem Schmunzelhistörchen Anlass gab. So z. B. wenn der kgl. Bezirksamtmann von Sonthofen den Gemeinden in einem Anschreiben mitteilte:
„Seine Königliche Hoheit der Prinzregent werden am Sonntag, den 26. August ds. Js., von Bissenhofen über Immenstadt mittels Extrazug nach Sonthofen und von da nach Oberstdorf Sich begeben. Ich gebe hivon Kenntniß mit dem Beifügen, daß Seine Königliche Hoheit in strengstem Inkognito reisen, was jedoch nicht ausschließt, daß die Orte, welche der Reise berühren, durch die bisher schon Allerhöchst dieselbe aufübliche Beflaggung ihrer patriotischen Gesinnung Ausdruck verleihen werden.”
Eine Reihe von Anekdoten kreisen um die Prinzregentenzeit. Wenn wieder einmal einer der Treiber oder ein sonstiger einheimischer Helfer den hohen Herrn in der Du-Form angesprochen hat, ging der Regent lachend darüber hinweg, während manch buckelnder Höfling bei solcher Gelegenheit sich am liebsten in das nächste Mausloch verkrochen hätte. Dem Landesherrn gefielen die Menschen, die noch nicht von der modernen Kultur beleckt waren. Und öfter zückte er zur „Belohnung” sein Etui und beschenkte den Untertan mit einer „Prinzregentenzigarre”. So soll es auch auf der Sölleralpe dem dortigen Senn geschehen sein. Als nach einiger Zeit der Regent den Senn befragte, ob die Zigarre geschmeckt habe, wollte dieser dem hohen Herrn kundtun, dass er Allesraucher ist. Er tat dies mit den Worten: „Woll, woll, waischt Luitpold, ih reich jedan Dreck!”
Es ist sicher nicht im Sinne des Landesvaters gewesen, wenn Buch- und Artikelschreiber aus ihm eine Lichtgestalt, ja einen Übermenschen machten. So, wenn sie schrieben, dass „der begleitende Jäger oft die Eiszapfen von den Zweigen schlagen mußte, unter deren Schutze dann der Prinz stundenlang in triefend nassen Schuhen, der bitteren Kälte ausgesetzt, unbeweglich ausharren mußte ...” oder wenn es hieß, „frühmorgens ließ er regelmäßig zuerst sein Gefolge aufbrechen, er selbst saß noch eine Stunde an seinem Schreibtische. Dann erst machte er sich auf und stieg nun so rasch zu Berge, daß er die andern mühelos einholte.
Solche Geschichten konnte man vielleicht Flachländern vorsetzen, die berggewohnte Bevölkerung hatte für diese Übertreibungen nur ein müdes Lächeln übrig.
Das bescheidene Auftreten des hohen Jagdherrn brachte die zögernde Bevölkerung des Oberallgäus dem bayerischen Königshaus näher, ja, sie war dem Regenten echt zugetan. Namensgebungen in Oberstdorf – wie Wittelsbacher-, Luitpold-, Ludwig- und Prinzenstraße – zeugen davon. Anlässlich der 60-jährigen Jagdherrnschaft des Landesvaters in Oberstdorf beschloss die Gemeindeverwaltung (Gemeinderat), dem hohen Waidmann zu dessen Lebenszeit ein würdiges Denkmal zu schaffen. Nach dem Vorbild eines Gemäldes von Franz von Defregger schuf der Mindelheimer Bildhauer Franz Xaver Abt die überlebensgroße Kupfertreibarbeit. Sie stellt den Regenten als schlichten Waidmann dar. Die mit einem großen Fest verbundene Enthüllung des Denkmals war gerade vier Wochen vorbei, als aus der Landeshauptstadt die Trauerkunde kam: Am 12. 12. 1912 war Prinzregent Luitpold verstorben.
Noch heute gilt die rund ein Vierteljahrhundert andauernde Prinzregentenzeit als eine der fruchtbarsten Epochen der bayerischen Geschichte. In Oberstdorf, wo das Jagdrevier im Rappenalptal heute noch „Prinzregentenbogen” heißt, spricht man immer noch in Verehrung und Dankbarkeit von Prinzregent Luitpold von Bayern.