Finsternis in den Tälern

von Eugen Thomma am 01.12.2015

Über Wochen und Monate geisterte vor einigen Jahren das Thema einer bevorstehenden Sonnenfinsternis durch den Blätterwald unserer Tageszeitungen und sonstigen Medien. Die sog. „Regenbogenpresse” konnte gar nicht genug Stimmen einfangen, die ein kommendes Unheil bis hin zum Weltuntergang prophezeiten. Jeder Sektenschef, jeder Guru, der seine Horrorgeschichte los werden wollte, fand offene Ohren. Der „Schmarren” konnte gar nicht groß genug sein, dass er nicht einen willigen Schreiber gefunden hätte. Das Schlimme an der Sache aber war, es gab Menschen die diese Märchen glaubten. Nicht Wenige bangten dem bewussten Datum entgegen. Die Optiker hätten den Termin vermutlich gerne um einige Tage weiter hinausgeschoben, dann hätten sie – nachdem die Spezialbrillen restlos vergriffen waren – nochmals Nachschub besorgen können.

Am Tag des großen Ereignisses goss es in Oberstdorf zur fraglichen Zeit wie aus Kübeln. Mit ein bisschen Dämmerung zur mittäglichen Stunde haben wir damals die „gefährliche Phase” wohlbehalten überstanden. Die eigens erworbenen Sonnenfinsternis-Brillen erwiesen sich somit als totale Fehlinvestitionen. Aber man konnte diesen Augenschutz ja aufbewahren; vielleicht kann ein Ur- oder Ururenkel in den Achtzigerjahren des aktuellen Jahrhunderts die Brille bei der nächsten Sonnenfinsternis nutzen – wenn es nicht gerade wieder regnet!

Ende der Vierzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts sollte, laut Vorhersage, an einem 30. Mai auch schon die Welt untergehen. Aus einer besonderen Konstellation der Gestirne haben das damals einschlägige „Weise” prophezeit. Ich entsinne mich genau des bewussten Tages. Mein Freund Stefan und ich, wir beide waren Lehrlinge, arbeiteten zur bewussten Zeit in der Werkstätte. Pünktlich um 11.00 Uhr sollte sich die Erde aus dem All verabschieden. Fünf Minuten vor der Zeit betrat unser Lehrgeselle Balthes, der aus Oberbayern stammte, den Raum und rief: „Buam, macht’s eich fertig, in fimf Minuten kommt a, da Krisbamberl, und holt eich!” Wer dieser „Krisbamberl” war, das wurde durch die Gestik des Gesellen sofort klar. Er hatte beide Hände zu den Schläfen erhoben und machte mit den Zeigefingern „winke-winke”. Es tat sich aber in den nächsten fünf Minuten nichts und wir mussten bis zum Mittag weiterarbeiten und dann noch den Nachmittag bis zum Abend. Deshalb kann ich stolz behaupten, schon zwei „Weltuntergänge” überlebt zu haben.

Natürlich gab es solche angesagten Weltuntergänge auch schon früher. So war auch im Jahr 1928 oder 1929 ein solches Ereignis vorhergesagt worden. Um einer größeren Anzahl von Personen die Möglichkeit zu geben, sich angenehm von dieser Welt zu verabschieden, veranstaltete der Besitzer des Hotel Löwen in Oberstdorf am besagten Abend – um Mitternacht sollte der Fall eintreten – ein „Weltuntergangsessen”. Wieviel der Gäste im vollen Speisesaal das Ganze als Scherz sahen und wieviele mit etwas Bangen in die Zukunft blickten, das weiß ich nicht. Aber dass der Hotelier Eduard Rief nicht an den Untergang glaubte, das weiß ich gewiss. Er hatte nämlich auf der eigens angefertige Abendkarte für Menü und Getränke stolze Preise eingesetzt. Die dabei eingenommenen Reichsmark hatte er zweifellos nicht fürs Jenseits vorgesehen.

Wenn die Medien lange genug trommeln, lässt sich jede Stimmung anheizen. Wir sprechen heute von der „Macht der Presse” und verwechseln diese sehr oft mit der gedanklichen Trägheit der Menschen. In den Medien Gehörtes, Gelesenes oder Gesehenes wird einfach als Tatsache übernommen, ohne in der Sache selbst Überlegungen anzustellen. Oft handelt es sich um Dinge, die bei nur geringem Nachdenken als unmöglich erkennbar sind, aber als Wahrheit zur Kenntnis genommen und gar noch weiterverbreitet werden. Gedankenfaulheit ist eines der schärfsten Gewürze in der Gerüchteküche.

Finsternis - Heft 67

Das Hoteliers-Ehepaar Eduard und Elsa Rief

Solche Gedankenlosigkeiten müssen nicht immer tragischer Natur sein, sie können auch erheitern und zum Schmunzeln anregen. Die nachstehende Geschichte gehört bestimmt in diese Kategorie, mit ihrem Bezug zu einer besonderen Art von Sonnenfinsternis.

Die Oberstdorfer Kurverwaltung erhielt am 9. 11. 1935 von einem Ravensburger Geschäftsmann eine Postkarte mit diesem Text:

„An das Verkehrsbüro Oberstdorf.

In der Illustrierten Zeitung kam dieses Frühjahr das Oytal bei Oberstdorf abgebildet und dabei geschrieben, dass dasselbe im Winter cca. 4 Wochen lang vollkommen dunkel bleibe, dass während dieser Zeit die Sonne kein Licht in das Tal werfen könne. Da mich dieser Naturvorgang sehr interessiert, bitte ich um Mitteilung wann dies der Fall ist.

Ihrer sehr gef. Antwort sehe ich entgegen.

Mit deutschem Gruß [Unterschrift].”

Auf seine mit der Schreibmaschine geschriebenen Karte erhielt der Kaufmann aus dem Musterländle sinnigerweise am 11. 11. (etwa gar noch um 11.11 Uhr?) folgenden Brief als Antwort:

„Sehr geehrter Herr [...]!

Wir bestätigen den Empfang Ihrer Karte und teilen Ihnen auf Ihre Anfrage mit: Es ist klar, dass unsere tiefeingeschnittenen Seitentäler während des niedrigen Sonnenstandes im Winter stärker überschattet sind als im Sommer. Es leuchtet aber andererseits doch dem gesunden Menschenverstande ein, dass von völliger Dunkelheit bei Tage, also von einer ungewöhnlichen Naturerscheinung, niemals die Rede sein kann. Eine derartige Schilderung ist ganz sinnlos verzerrt und gibt zur Belustigung des Lesers unfreiwillig Anlass. Eine mitteldeutsche Zeitung beispielweise hat sich so verirrt, dass sie bekanntgeben zu müssen glaubte, die Bewohner des Oytals oder von Einödsbach brächten den Winter ,in ewiger Nacht’ zu. Zu jeder Tätigkeit im Freien benötigen sie künstliches Licht. Solche haarsträubende Entstellung ist nicht wert irgendwo veröffentlicht zu werden.

Hochachtungsvoll [...].”

Nach heutigen Geschäftsgepflogenheiten ist diese Antwort etwas zu schroff gehalten. Das ganze Thema etwas lockerer betrachtet und mit einem Schuss Ironie versehen würde bestimmt besser klingen. Vielleicht hätte man dem guten Mann anraten können, beim Besuch des Oytales im Winter unbedingt eine Taschenlampe mitzunehmen, um die Dunkelheit auch am Tage sehen zu können.

Aber ist die Anfrage des Mannes aus Ravensburg nicht ein klassischer Beweis der Denkfaulheit? Jeder normale Mensch kann nach kurzer Überlegung erkennen, dass es nicht sein kann, dass im Tal Dunkelheit herrscht, während über den Berggipfeln die Sonne scheint.

Finsternis - Heft 67

Das Oytalhaus in den 1930er Jahren

In verschiedenen Hochtälern, so auch im Oytal und in Einödsbach, gibt es allerdings Stellen, die von Anfang Oktober bis in den folgenden März hinein keinen Sonnenstrahl abbekommen. Ewige Nacht, ähnlich der Polarregion, herrscht dort jedoch trotzdem nicht. Aber – in der Illustrierten war es so zu lesen, also muss es auch stimmen!

Dieses Geschichtchen habe ich aufgeschrieben, als vor einigen Jahren wieder einmal eine Sonnenfinsternis zu beobachten war. Auch diese haben wir wohlbehalten überlebt, wie schon viele vorher.

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