Hieß die Trettachspitze einst Giis(t)kopf?

von Dr. Thaddäus Steiner am 01.06.1986

Aus dem vorigen Jahrhundert sind Zeugnisse überliefert, die davon sprechen, daß „die Trettach”, wie wir heute nur noch zu sagen pflegen, früher einen anderen Namen hatte.

Das älteste Zeugnis dafür liegt von Hermann von Barth, einem der frühen und kühnen Erschließer der Allgäuer Alpen, vor. Er will 1869 in Einödsbach von Johann Baptist Schraudolph für den Berg den Namen „Giiskopf’ gehört haben, den er als Geißkopf deutete. Nach ihm notierte Hans Modlmayr die Form Gistkopf oder Giestkopf, also offenbar mit einem langen i, die ihm Schraudolph als Geistkopf deutete, wozu er sogar als „Beweis” eine Sage zu erzählen wußte. 1893 gab Anton Spiehler, vermutlich nach Modlmayr, an, daß der Berg auch Geistkopf heiße und August Kübler verzeichnete gar noch 1909 „Gaistkopf’. Den genauesten Bericht dazu erstattete Modlmayr anläßlich seiner führerlosen Besteigung der Trettachspitze am 12. August 1886.

Lassen wir ihn selbst dazu sprechen:

„In den folgenden Jahren bestiegen noch einige Einheimische die Trettachspitze, oder wie der Berg damals genannt wurde, den »Giestkopf« (= Geistkopf), nämlich Joseph und Anton Jochum, ein gewisser Kessler von Riezlern und Johann Dannheimer.”

In einer umfänglichen Anmerkung führt er dazu weiter aus:

Hier ist Barth ein bedeutendes Missverständniss unterlaufen, indem er immer von einem Giiskopf — Geiskopf spricht. Rosina, Jochum’s freundliche Tochter, machte mich übrigens darauf aufmerksam, dass in der Gegend die Ziege »Geis« heisse und nicht Gis, allerdings eine merkwürdige Ausnahme von der Regel, ei in derartigen Fällen wie i zu sprechen, z. B. Pris = Preis, bissen = beissen, wit = weit, wil = weil, Wiber = Weiber, Lieh = Leiche, wis = weiss ect. Ausnahmen bilden u. A noch Wörter wie Theil, z. B. den dritten Theil (nicht Til), ferner »die Kuh ist mir nicht feil« (nicht fil). Auch Urban Jochum bestätigte dies und Schraudolph erzählte mir sogar folgende an den Gistkopf sich knüpfende Sage: Die schlechten Leute gingen nach dem Tode in den verschiedenen Almenhütten um. Besonders arg trieb es ein »Gist« in der Einödsberger Sennhütte, bis ihn ein Kapuziner in die Trettachspitze verbannte, weshalb dieser Gipfel den Namen »Giestkopf« erhielt. »Barth hat mich falsch verstanden«, endigte Schraudolph seine Erzählung.”

Aus dieser sprachlich völlig unhaltbaren Erklärung J. B. Schraudolphs habe ich früher den Schluß gezogen, daß Schraudolph selbst, der es ja liebte mit seinen Gästen zu spaßen und sie auf den Arm zu nehmen, den Namen erfunden habe. Er mußte wissen, daß Giis- oder Giist- niemals das Mundartwort für Geiß oder Geist sein konnte. Wie aber, wenn es diesen Namen doch gegeben haben sollte und Schraudolph ihn selbst dem Wortsinn nach nicht verstanden hat, so daß er sich eine Deutung zurechtlegte, um seine Touristen und Gäste zufriedenstellen zu können?

Trettachspitze - Heft 9

Trettachspitze, ehemals " Giis(t)kopf",
von Westnordwest.

Auf diesen Gedanken brachte mich das Studium der historischen Formen, die für den Alpnamen Geiersberg im hintersten Bregenzer Wald, in der Gemeinde Schrökken, überliefert sind.

Werner Vogt gibt in seiner Flurnamensammlung des Kleinwalsertales und Flochtannberggebietes Für diese Alpe Geiersberg (in der Südwestflanke des Fleiterberges) die Aussprache „Gieschberg” an, dazu die Zusammensetzungen „Gieschbergwold” und „Gieschbergwand”. Die Alpenvereinskarte des Arlberggebietes schreibt Girsberg etc. Die alte Alpenvereinskarte der Lechtaler Alpen, Klostertaler Gruppe, von 1927 hatte befremdlicherweise Gaissberg und Gaissbergwald dafür geschrieben. Das paßt absolut nicht zur amtlichen Schreibung in den Servitutsakten von 1867, wo es mehrfach „Gischberg” heißt. Diese Form begegnet uns auch schon 1793 in Akten des Gemeindearchivs Schröcken, doch darf uns die waiserische Aussprache des s als sch nicht irreführen. Sie wurde nicht immer in die Schrift übertragen. 1817 schrieb man nämlich „Giesberg”, 1790 „Girsberg” und 1751 in Anlehnung ans Hochdeutsche „im Geirßberg”. Eine Originalurkunde vom Jahre 1645 vollzog gar dieselbe Umsetzung, wie sie J. B. Schraudolph vorgenommen hatte und schrieb zehnmal „Geistberg”, dazu ein einziges Mal „Gaistberg”.

Noch einmal ein Jahrhundert früher, nämlich schon 1536 und 1538 wurde der Alpname „Girstberg” und „Girssberg” niedergeschrieben, dazu ein Flurname in der Alpe : „Girstwand”. Dieser Flurname wurde im Jahre 1606 bei der Feststellung der Forstgrenzen in der Herrschaft Bregenz als „Gierßwandt” aufgezeichnet. Wie bei hochdeutsch Obst und Axt, ja sogar Papst (noch vor wenigen hundert Jahren schrieb man aks, obs und babes!) wurde hier, genauso wie bei Giistkopf, teilweise ein " t " angefügt, das vom sprachlichen Usprung her gesehen, gar nicht hingehört. Nach all diesen Formen wird wohl niemand mehr die auffälligen Gemeinsamkeiten des Bestimmungswortes in den beiden Namen ,,Giis(t)kopf’ und „Gieschberg” = Geiersberg übersehen können.

Allerdings stellt sich die Frage, wie es möglich ist, daß eine so sonderbare Übereinstimmung eines walserischen Alpnamens mit einem Allgäuer Bergnamen zustande kommt, wo doch sonst im Allgäu Namen, die das Wort Gir ,Gier’ enthalten, anders gebildet sind, nämlich wie das Girenbad am Himmelschrofen oder der Girenkopf im Bereich von Balderschwang und der ehemals von Kübler notierte „Girekopf’ am Grünten über Burgberg sowie verschiedene andere. Das Verbindende war zweifellos die Walser Sprache. Denn nicht nur Schröcken am Tannberg ist eine alte Walsersiedlung, sondern auch Einödsbach war es einst, wie wir besonders deutlich an dem Bergnamen „Hochlicht” erkennen können, der von dem hervorragenden Kenner der Walser, Paul Zinsli, geradezu als Leitwort für Walsersiedlung benutzt wird. Auch die „Blisen”, hoch über Einödsbach am Leckar, legen dafür eindeutig Zeugnis ab.

Die Walser liebten solche Namenbildungen mit dem zweiten Fall der Einzahl eines Wortes, ganz im Gegenteil zu den Allgäuern, bei denen sie nur mit Personennamen häufig, sonst aber äußerst selten sind. Natürlich bildeten die Walser auch mit der Mehrzahlform von Geier Flurnamen, wie z. B. das „Giranest” und der„Giraschro- fa” hoch über der Alpe „Gierschberg” erkennen lassen, doch entsprach offenbar ein Geiersberg und über Einödsbach ein ,Geierskopf besonders ihrem Sprachgefühl. Damit bleibt wohl kein Zweifel mehr an der Echtheit des alten Einödsbacher Namens Giis(t)kopf als Geierskopf für die heutige Trettachspitze. Er lebte also im 19. Jahrhundert noch, wurde aber offensichtlich von den Einödsbachern selbst nicht mehr verstanden. Hier liegt der gleiche Anlaß für die Namengebung vor wie bei der Fleischbank im Wilden Kaiser. Auf hohe, vegetationslose Gipfel und Felswände pflegten nämlich nach alten Berichten die Geier ihre Beute gerne zu schleppen, um sie dort in aller Ruhe zu verzehren. Welcher Gipfelkörper hätte sich besser dafür geeignet als die Trettachspitze, die vor 1855 von niemand betreten worden war und damit den Menschen zu ihren Füßen umso mehr als ,Berg (Kopf) des Geiers’ erscheinen konnte?

Quellen und Literatur:

Nachweise zu Giistkopf/Geistkopf für Trettachspitze:
Hermann v. Barth: Aus den Nördlichen Kalkalpen. Gera 1874. S. 196 f.
Hans Modlmayr: Die Trettachspitze. Mitteilungen des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Jahrgang 1888 (Nr. 23 vom 1. Dezember). München 1888. S. 273 - 278, Zitat von S. 274.
Anton Spiehler: Die Allgäuer Alpen, in: Die Erschließung der Ostalpen. Hg. unter Redaction von E. Richter vom DuOeAV Bd I (1893). Speziell S. 56.
August Kübler: Die deutschen Berg-, Rur- und Ortsnamen des alpinen Iller-, Lech- und Sannengebietes. Amberg 1909. Teil I, Nr. 348, S. 55.

Nachweise zu Geierskopf:
Vorarlberger Flurnamenbuch I. Teil, Bd. 9: Hochtannberg und Kleinwalsertal. bearb. von Werner Vogl. Bregenz 1980. S. 58 und Beilage: Flurkarte der Gd. Schröcken 1 : 10 000.
Gerhard Feuerstein. Urkunden zur Agrargeschichte des Bregenzerwaldes. Dornbirn 1983. Urk. von 1867: S. 124 IT., von 1645: S. 133 f., von 1536 und 1538: S. 120 f.
Karte der Lechtaler Alpen, Klostertaler Gruppe, hg. vom DuOeAV 1927. 1 : 25 000.
Karte der Lechtaler Alpen, Arlberg-Gebiet, hg. vom ÖAV 1956. 1 : 25 000.

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