Auf der Gutenalpe

von Regina Zirkel-George am 01.02.1982

Die Sonne steht hoch zwischen der Mädelegabel und den blauschwarzen Gipfeln der Höfats. Der Himmel wölbt sich in wolkenlosem Blau über den Zacken und Spitzen. Mittag liegt auf der Bergwiese am Himmeleck. Ein leiser Wind streicht vom Hochvogel herüber und die tausend Köpflein der narzissenblütigen Anemonen, der Bergvergißmeinnicht und Trollblumen, der Enziane und Storchschnäbel, der Bergmännle und Brändele wiegen sich selig hin und her: Es ist Bergfrühling, während draußen in den fernen Ebenen der Sommer auf reifenden Getreidefeldern lastet.

Hinterm Schneck ziehen sich lange Schneefelder zu Tal und erzählen vom Winter, drüben aber, von den Weidgründen um die Alphütten, tönt Glockengeläute herauf: Die Alpen sind längst bezogen.

Ein Zickzackpfad führt hinab über steile, lattichbestandene Hänge. Graue Blöcke und Blöckchen liegen zu Tausenden im Grün, wie weidende Junge der beiden Felsberge zur Linken, des Großen und des Kleinen Wilden. Bald kommen die Latschen heraufgezogen und mit ihnen, übersät mit roten Glöckchen, die Alpenrosen.

Mitten im Wildenfeld liegt eine Alphütte. Im Brunnen ist ein silberklarer Bergquell gefangen und sein Strahl springt in einen breiten, hölzernen Trog. Hier erlabe sich, wer nur immer dürstet! - Die Hütte ist roh aus Felsstücken gebaut und hat ein Landerndach, das mit bewachsenen Steinen beschwert ist. Ein Türstock ist neben einem schmalen, unverglasten Fenster in die kunstlose Mauer gefügt und eine leichte Brettertüre hängt in quitschenden Angeln. Drinnen, im dämmerigen Raum, hängen die wenigen Kleidungsstücke und Geräte der Hirten, liegt eine uralte, rußige Herdstatt, ist ein Bettgestell mit Laubsack und ein paar rotgewürfelten Kissen aufgebaut, die Bugrat. An die nördliche Hüttenmauer lehnt sich ein leichter Stall. - Wie lang mag das alles wohl schon so sein? Die Berge, die Weide im Gefels, die Hütte, der glucksende Brunnen? - „Die Alpe war schon vor mehr als dreihundert Jahren beschlagen“, sagt der Hirte stolz.

Neben der Türe steht ein Bänklein. Die Bienen summen und der Nachmittag steigt.

Ein heimliches Leben zuckt um die Hütte. Männer gehen aus und ein, Männer mit jungen, frischen und solche mit alten bärtigen Gesichtern. Und auf all diesen Gesichtern steht eine unheimliche Spannung geschrieben. Angst und Sorge stehen dabei, aber auch jene Wut, die den Mut der Verzweiflung geben kann. Und gespannt lauschen sie ins Tal hinunter, lauschen sie hinüber gegen das Rauheck, von wo ab und zu, fern und leis ein Glöckchen tönt, wo Frauen mit dem Weidevieh verschwanden.

Dann sammeln sie sich am Brunnen. Es mögen an achtzehn Bauern sein, altertümlich, in schwarzen ledernen Hosen und Leinenkitteln, mit Leinenstrümpfen und seitlich, vernestelten Schuhen. Sie sprechen leis und heftig, mit dunklen Kehllauten. Und sie sind schnell einig, als ein Bub das Pfädlein herauf eilt: „Sie kommen!“ - Die Bauern rennen in und hinter die Alphütte und kommen mit allerlei Waffen hervor: Armbrüste und Musketen, Spieße und Hellebarden, Säbel und Pistolen von beträchtlichen Ausmaßen. Und mit Gedankenschnelle sind die Bewaffneten den Hang hinan- und hinabgesprungen, sind sie, rechts und links vom Steig, zwischen Latschen und Lattich und Fels verschwunden.

Der Nachmittag träumt über blutroten Alpenrosen. Mit der Sonne um die Wette prahlen die goldenen Sterne von Johanniskraut und Arnika.

Da, horch! - Kommt nicht Pferdegetrappel herauf? Sind da nicht Stimmen? - Eine blaugoldene Reiterfahne flattert, Pferdeköpfe werden sichtbar. Und an der nächsten Wendung des schmalen, steinigen Weges sind auch die Reiter zu sehen, die diese Pferde am Zaume führen. Abenteuerliche Gestalten mit martialischen Schnauzbärten, mit wallenden Federhüten und schweren Landsknechtshelmen, in phantastischen Wämsern mit buntseidenen, geschlitzten Ärmeln, in Harnischen mit Arm- und Beinschienen sind es, schwedische Soldaten. Der Anführer hat eine dicke Kette mit großen goldenen Schaumünzen zwei-, dreimal um den Hals gelegt. Den Blick in Richtung Hütte gerichtet, kommen sie näher, des gelingenden Überfalles sicher.

- Da - kurz vor der letzten Kehre des Pfades -, war das nun der Pfiff eines Murmeltieres, das seine Kinder in den sicheren Bau ruft? - Sauste eine schwarzglänzende Bergdohle durch die Luft? - Ein kurzes Klirren, ein feines Schwirren ist noch zu hören. Der Reiterführer wankt, fällt, ohne den Zügel loszulassen, sein Pferd scheut, geht hoch. - Und nun ists, als sei die Hölle los geworden. Felsblöcke lösen sich polternd und stürzen zerschmetternd, Schüsse blitzen, Speere und Pfeile fliegen. Staub und Rauch und ein fürchterliches Geschrei erfüllen die Luft. - Die Soldaten sehen ihren Angriff verraten. Sie wollen sich zur Wehr setzen, feuern ins Ungewisse. Aber die geballte Menge von Menschen und Tieren auf dem engen Pfad hat keine Möglichkeit sich zu verteidigen. Da und dort springt ein Bauer hinter einem Felsen auf und schlägt einem der eingeengten Schweden das hochgeschwungene Messer in die Brust, ehe er sichs versieht. - Als die blaue Fahne sinkt, ist der Reitertrupp schon aufgelöst. Pferde und Menschen flüchten in einem wilden Knäuel zurück. Einer wird noch von einem stürzenden Felsblock erschlagen, die anderen erreichen die Talsohle, schwingen sich auf die Gäule und sprengen gegen den Stuibenfall, talauswärts. Zwölf Reitern gelingt die Flucht, fünf Sättel der entkommenen Pferde sind leer.

Schwer atmend nach der schweren Arbeit, aber verbissen still legen die Bauern sieben Tote vor der Hütte nieder. Den achten tragen sie nimmer herauf, den decken sie unten am Hang zwischen Blumen und Grün mit einem Steinhaufen. - Dem Reiterführer, einem blonden Leutnant, nehmen sie die blaue Feldbinde, die goldene Kette ab. Reiterstiefel und Pluderhosen, Waffen und der Inhalt der schwedischen Satteltaschen sind schnell in Sicherheit gebracht. Über dem Sattel des Leutnants lag ein Meßgewand mit reicher Goldstickerei. Das räumen sie nicht zur Beute.

Dann geht ein grausenhafter Zug dem kleinen Wilden zu: Drei mit Pickeln und Seilen gehen voraus; sieben mal zwei folgen, je einen Toten zwischen sich tragend. Die Leichname sind fast entkleidet, nur das Hemd und wertlose Kleiderfetzen sind ihnen geblieben. Dem Fähnrich haben die Bauern das vom Schafte gerissene Fahnentuch, dem Anführer das Kirchenornat umgewickelt. - Langsam und fast lautlos wie Geister ziehen sie hinauf und verschwinden schließlich im Gefels. - - Unten am Pfad liegen noch Pferdekadaver.
Ein verirrtes Schwedenpferd wiehert im Wildenfeld. - Bis zum Abend werden auch diese besorgt sein. -

Ein paar Sommerfliegen summen um die rotbraunen Blutflecken auf Weg und Stein. Die Akeleien nicken und die Vergißmeinnicht duften. Die Sonne aber ist schon weit über die Berge gezogen, dem Abend zu . . .

„Das ist kein Traum gewesen!“ sagt der Hirt.

In der Chronika aber steht Folgendes: „Item in dem 1634 jahr drangen von Kempten aus wieder 200 schwedische Reiter ins ober Illertal. Und überfielen am 14. Mai früh 4 uhr Oberstdorf und nahmen bei 500 stück viech und erschlugen 8 bauren. Und am 5. und 6. Juni zogen sie auf die alpen und nehmen auf der alp Birkatsgündle 4000 fl geflüchtets Silber. Aber auf der Gutenalpe wehrten sich die Bauern, töteten einige und schlugen die andern in die Flucht.“

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