Eröffnung der Postbuslinie ins Kleine Walsertal, gleichzeitig die letzte Fahrt der Pferdepostlinie Oberstdorf- Mittelberg.
Über Jahrhunderte hinweg bestanden zwischen den Oberstdorfern und den Walsern enge Bande. Den markanten Trennpunkt zweier Hoheitsgebiete, hier Bayern, dort Österreich, stellt die Walserschanze dar, errichtet während des Dreißigjährigen Krieges, als die Schweden 1632, 1634 und 1647 ins Kleine Walsertal eindringen wollten, nachdem sie im Allgäu schon übel gehaust hatten. Von der Alpe Söller bis zur Enge (Breitachklamm) hatten die Walser tiefe Gräben ausgehoben. Diese Schutzwehr nannten sie die Wacht, später die Schanz.
Konnten die Schweden erfolgreich abgewehrt werden, konnten die Franzosen über die anfangs des 18. Jahrhunderts erneuerten Schutzwälle schließlich im Jahre 1800 in das Tal eindringen. Sie nahmen den Leuten alles weg, was nicht niet- und nagelfest war. Von 1806 - 1814 verlor die Schanz ihre Bedeutung; denn Tirol und Vorarlberg, somit auch das Kleine Walsertal, gehörten zu Bayern. 1814 in den Schoß der Österreichischen Monarchie zurückgekehrt, begannen wieder schwere Zeiten für die Walser. Sperrung der Schanze, Einfuhrzölle, Sperrung der Viehtriebe u. a. erschwerten das wirtschaftliche Leben, trübten die Heimkehrfreude zu Österreich.
Engelbert Kessler, Kaiserlicher Rat in Wien, aus Riezlern gebürtig, hat im Zusammenwirken mit Männern aus dem Tal nach vielen mühevollen Verhandlungen den Zollanschlußvertrag zwischen Österreich und Deutschland zuwege gebracht, und so konnte am 1. Mai 1891 der Schlagbaum an der Walserschanz für immer geöffnet werden.
Das Wirtschaftsleben im Kleinen Walsertal nahm somit einen normalen Verlauf. Die Güter zur Versorgung der Bevölkerung einerseits und die Produkte zum Verkauf wurden durch Frächter mit Fuhrwerken, der Personentransport mittels Kutschen bzw. Rennschlitten auf der Kiesstraße oft unter widrigen Verhältnissen zwischen dem Tal und dem oberen Allgäu bewältigt. Schon in den zwanziger Jahren kamen die ersten Gäste ins Tal. Wenige Jahre danach folgten in Deutschland durch das NS-Regime Sanktionen gegen Österreich in Form der sog. 1000-Mark-Sperre.
Somit wäre den rührigen Walsern wieder der Lebensnerv abgeschnitten worden, hätte der seinerzeitige Bürgermeister Gedeon Fritz mit ein paar tüchtigen Bürgern durch zähe Verhandlungen nicht auf das Lebensrecht und den Inhalt des Zollanschlußvertrages gepocht. So wurden diese Sperrungen für das Tal bald wieder aufgehoben. Nach dem Anschluß am 10. März 1938 wurde das Kleinwalsertal dem Kreis Sonthofen und Gau Schwaben zugeteilt. 1945, zum Kriegsende, Rückkehr zu Österreich, eingeschlossen die Wirksamkeit des Zollanschlußvertrages. Als Besatzung standen die Franzosen im Kleinwalsertal. Bis zu deren Abzug 1948 gab es an der Walserschanz wieder Schranken. Auf der anderen Seite waren die Amerikaner.
Blättert man noch einmal zurück zum 15. Dezember 1930, den Tag, als der Postillion Poldi Hilbrand von Mittelberg zum letztenmal von Oberstdorf nach Mittelberg mit seinen Pferden fuhr und am gleichen Tag der erste Autobus der Deutschen Reichspost die Linie befuhr, so war das ein geschichtlicher Wendepunkt für das Wirtschaftsleben im Kleinwalsertal. Zwangsläufig wurden die Straßen für den Kraftverkehr verbessert, der Fremdenverkehr nahm sehr stark zu. Der Krieg brachte eine Unterbrechung, doch seit der Währungsreform in Deutschland 1948 ging es wieder rapid aufwärts.
Wenn auch zwei hoheitliche Gebiete vorhanden sind, so ist das Wirtschaftsleben zwischen dem Allgäu und dem Kleinwalsertal in der Gegenwart so tief verbunden, daß von dem doch sehr wichtigen Zollanschlußvertrag nur noch bei bürokratischen Sonderfällen gesprochen wird. Bleibt zu hoffen, daß keine politischen Konflikte diese Harmonie stören.
Unbeachtet der staatlichen Hoheiten, die über das Kleine Walsertal, zu Beginn der Besiedlung um 1300 „zu den Wüstnern”, später Breitachtal genannt, jetzt im Amtsdeutsch Kleinwalsertal geschrieben, regierten, hatte die Kirche ihre Hand nach ganz anderen Richtlinien auf dieses Gebiet gelegt. Ehe das Walsertal überhaupt besiedelt war, schied die Iller die Diözesen Konstanz und Augsburg. Die oberste Pfarrei der Diözese Konstanz war Fischen, die oberste Pfarrei von Augsburg Oberstdorf. Die Breitach als Zufluß der Iller trennte somit auch die Pfarreien im Tal hinsichtlich der Zugehörigkeit zur Diözese. Riezlern, rechts der Breitach, gehörte also zu Oberstdorf bzw. Augsburg, Mittelberg und Hirschegg zu Fischen bzw. Konstanz.
Bis zur eigenen Pfarreierhebung in Mittelberg am 19. Oktober 1391, Riezlern am St. Ursulatag, 21. Oktober 1508 und Hirschegg am 6. Oktober 1792, hatten die sehr christlich geltenden Walser viele Strapazen und Unannehmlichkeiten, ja Entbehrungen hinzunehmen, die an die äußerste Grenze der Ergebenheit reichten. Wohl wurden in allen drei Pfarreien schon sehr früh Kapellen für Andachten errichtet, aber es waren vorerst keine Friedhöfe vorhanden. Man stelle sich heute vor, daß die Leichen von Mittelberg, Baad und Hirschegg zur Alpe Kühgehren - Zwerenalper Gunt über den Grat ins Rappenalptal und weiter nach Fischen gebracht werden mußten. Später wurde dann ein Kirchweg über Schwende - Straußberg - Tiefenbach - Fischen erwähnt. Im Winter wurden die Leichen in den Schnee eingegraben und erst nach der Schneeschmelze ordentlich beerdigt. Die Riezler hatten ihren Meß- und Barweg anfangs über den Riezler Gunt durchs Stillachtal nach Oberstdorf. Ab 1423 bestand ein näherer Weg über Westegg - Söller nach Oberstdorf, und ab 1493 durften sie ihre Toten auf dem eigenen Friedhof beerdigen.
Nachdem die Pfarrei Mittelberg als erste schon viel früher erstand, zu der auch die Bürger von Hirschegg und Baad gehörten, nahmen auch viele Bürger von Riezlern die Gelegenheit wahr, den Gottesdienst in Mittelberg zu besuchen oder den Sterbenden von dort Hilfe zukommen zu lassen. Wie schon früher erwähnt, wurde Hirschegg erst später zur Pfarrei erhoben und von Mittelberg geschieden.
Die Zugehörigkeit der Pfarreien Mittelberg und Hirschegg zu Fischen sowie Riezlern zu Oberstdorf endete erst mit der Errichtung des Generalvikariats Feldkirch, zur Diözese Brixen gehörend, am 19. März 1819. Dem Dekanat Bregenzerwald zugewiesen, gehörten die drei Pfarreien erst nach 500 Jahren der Besiedlung endlich gemeinsam einer Diözese an.
So bestand durch Jahrhunderte eine tiefe Bindung der Walser zu den Oberstdorfern und Fischenern. Seit dem Zollanschlußvertrag 1891 ist diese Bindung auch wirtschaftlich gestärkt worden, sieht man von den durch den Fremdenverkehr aufgekommenen kleineren und größeren Konkurrenzkämpfen ab, ist sie als eine gute, alte Nachbarschaft zu betrachten.