Große Spannung lastete auf der damals 15 000 Köpfe zählenden Einwohnerschaft Oberstdorfs, als bekannt wurde, daß die französischen Truppen sich schnell dem Oberallgäu näherten. Man wußte, daß sich aus dem Unterland heranflutende Truppenteile in den Wäldern zu beiden Seiten des Illerdammes zwischen Sonthofen und Langenwang angesammelt hatten und sich im Birgsauertal noch Teile eines SS- Lagers befanden. In Hotels und Fremdenheimen waren fünf Lazarette untergebracht, aus bayerischen und außerbayerischen Großstädten waren viele Hunderte von kinderreichen Familien und alten Menschen Monate zuvor evakuiert worden.
Die Verhandlungen mit einer Genfer Kommission Ende April mit dem Ziel, Oberstdorf zu einer internationalen Lazarettstadt zu erklären, waren fehlgeschlagen, da nicht alle Vorbedingungen erfüllt werden konnten. Am 26. April war die Kommission abgereist und am 27. April wurde Oberstdorf zum ersten Male von Tieffliegern angegriffen, wobei sechs Bomben am Kühberg und am Plattenbichel fielen, aber nur Sachschaden anrichteten. Am folgenden Tag kamen wieder Tiefflieger. Am Nachmittag setzte Schneetreiben ein, das auch am 30. April und am 1. Mai anhielt, zum Glück für Oberstdorf, denn damit hörte die Fliegertätigkeit auf. Am 30. April zogen die ersten Posten des kurz zuvor im Stillen von Alteingesessenen gebildeten Heimatschutzes auf zur Bewachung wichtiger Sammellager bestimmter Straßen und Einrichtungen. Vom 1. Mai ab war der allgemeine Telefonverkehr gesperrt. Zug- und Postverkehr wurden eingestellt. Oberstdorf war von aller Welt ab geschnitten.
Jetzt begannen auch für die Verantwortlichen des Heimatschutzes sowie für die vor 1933 gemeindlich tätig gewesenen und nun wieder berufenen Männer schwere Wochen. Am 1. Mai rückten zwischen 16 und 17 Uhr acht französische Panzer in Oberstdorf ein und bezogen am Marktplatz Stellung. Am Abend rollten sie wieder ab. Verantwortungsbewußte Männer des Heimatschutzes verhüteten viel unüberlegtes Vorgehen, vor allem eine Beschießung Oberstdorfs vor dem 1. Mai. Am 2. Mai rasselten die Panzer wieder an, sie kamen aus dem Kleinen Walsertal, das an diesem Tag ebenfalls von französischen Truppen besetzt worden war.
In der Gemeindeverwaltung häuften sich fast unlösbare Aufgaben. Vor allem bereitete die Lebensmittel-
versorgung die größten Schwierigkeiten, dazu kamen die
Beschlagnahmungen durch die Truppe (Groß- und Kleinvieh, Häuser und Wohnungen), dann der Einzug von Kolonial-Kampftruppen der Franzosen, Sperrung
des weiteren Viehauftriebs auf die Alpen, die zum Teil schon beschlagen waren,
usw. Am 6. Mai erlebte die Bevölkerung den Abtransport von 800 deutschen Soldaten in die Gefangenschaft, unter ihnen waren auch welche aus den hiesigen Lazaretten, ferner Oberstdorfer Söhne und Väter sowie Pfarrer Friedrich von der Oberstdorfer evangelischen Pfarrgemeinde.
Am 9. Mai hielten die Franzosen eine Siegesparade auf dem Marktplatz ab. Es war der erste „Friedenstag“, und die Verdunkelung wurde aufgehoben. Nach Jahren brannte wieder das Straßenlicht. Am 15. Mai folgte im Otterrohr die große Siegesparade vor General de Gaulle, an der viele Waffengattungen, einschließlich der Flieger und Panzer (die in die Bergwände des Rubihorns zahlreiche Schüsse abgaben) teilnahmen. Am 7. Juli verließen die französischen Truppen Oberstdorf und übergaben den Ort an 250 Mann Amerikaner und 8 Offiziere. An der Walserschanz stand fortan ein Doppelposten, ein Franzose und ein Amerikaner, zur Bewachung der Grenze.