Ein unternehmerischer Oberstdorfer in der Zeit der Französischen Revolutionskriege

von Dr. Thaddäus Steiner am 01.02.1982

Im Stadtarchiv Memmingen liegen unter der Bezeichnung 63/13 Kempten - Oberstdorf zwei Schreiben aus dem Jahre 1798, die an den Oberstdorfer Bäcker Anton Blattner gerichtet sind und über den Plan zu einem eigenartigen Unternehmen dieses Mannes Auskunft geben. Genauer gesagt, handelt es sich erstens um die Kopie eines Antwortschreibens aus dem damaligen Hauptquartier der kaiserlichen Armee in Friedberg an Anton Blattner. In ihm wird Blattner ein zusagender Bescheid auf sein Gesuch gegeben. Diesen Bescheid hat Blattner dann der Stadt Memmingen vorgelegt, um von ihr als Eigentümerin des zu bergenden Eisenschatzes die Erlaubnis zu seinem Unternehmen zu erhalten. Zweitens liegt dabei die Antwort der Stadt Memmingen auf die Bitte Blattners. Sie hat die Form eines Konzeptes, das der Stadt dann gleich als Doppel ihres Vertrags mit Anton Blattner diente; denn das Blatt ist als Attestat, d.h. als Bescheinigung bezeichnet und von ihm eigenhändig unterschrieben. Lassen wir die Schreiben selbst sprechen:

I.
Copia
An den Anton Blattner
Hauptquartier Friedberg, am 23. Juni 1798

Auf den dahier gemachten Antrag desselben, eine Parthie Kugeln, welche bey dem Rückzug der Kaiserl. Königl. Truppen in die Iller geworfen worden und der Reichs Stadt Memmingen gehören sollen, durch das lange Liegen im Wasser aber gänzlich unbrauchbar seyen, aus der Iller hervorzusuchen und zu erheben, wird erwiedert: daß man von Seiten des Kaiserlichen und Reichs-Armee-General-Commando gegen die Erhebung dieser versenkten Kugeln durch den Anton Blattner nicht das mindeste einzuwenden habe, vielmehr disseits überzeugt ist, daß es besser ist, dieses versenkte Materiale auf Eisenhütten zu verwenden als dasselbe ohne den mindesten Nuzen zum weitern Verderben in dem Wasser erliegen zu lassen.

Was dagegen das Ansuchen wegen käuflicher Übernahme einer Parthie unbrauchbarer Kugeln zu Günzburg betrift, so hab sich derselbe in Ansehung dieses Gegenstandes lediglich an den Kaiserl. Comandanten daselbst zu wenden.

Staader
(unleserlich) Imp.

Inscriptio
An
den Anton Blattner
zu Oberstorf im Gebürg

Officio
II.
Attestat für Anton Blattner, Bek von Obersdorff dt. 19. Dez. 1798

Die erhebung der von den Kais, in die Iller bey Kempten versenkte Kugeln aus hiesigem Zeughaus betr.

Demnach der Anton Blattner, Beck von Obersdorf das Ansuchen an hiesigen Magistrat erlassen, ihme jene Parthie eiserne Kugeln, welche bey dem Rückzug der K.K. Truppen im August 1796 aus dem hiesigen Zeughaus weggenomen und bey Kempten in die Iller geworfen worden, wen er sie auf seine Kosten aus der Iller gebracht haben werd, zu überlassen mit Broducirung eines Schreibens dd Fridberg d. 23 Juni a.o. von des K.K. u. des Reichs Feldmarschall-Lieutenant Freyherm von Staaders Excel, als worinn Hochderselbe die Erhebung dieser versenkten Kugeln gnehmigte.

Als wird obigem Anton Blattner von Seiten der Reichs Stadt Memmingen erlaubt (mit anhoffender Genehmigung eines Wohll. Magistrats der Rs. St. Kempten, die Kugeln als in ihrem territorio versenkt seyn sollen) auf seine alleinige Kosten diese Kugeln zu erheben und sonach mit solchen, als seinem Eigentum zu schalten, jedoch daß er vor jeden Centner, den er also herausgebracht haben wird, 36 Kr. zu hiesiger Canzley erlege (nach seinem eigenen Vorschlag und Erbieten) über die Quantität und Gewicht des also erhobenen Eisens durch ein Attestat des hochfürstlich Kemptischen Geheimen Raths, Herrn Conrad Jacob von Jenison auf Lauberzeil und Eisenburg, wohlgebohrn, sich gebührend ausweise.

Urkundlich des fürgedruckten Canzley Insigels Mefningen, d. 19. Decbr. 1798 allda.

Daß ich diesen Contract also abgeschlossen u. ehrlich erfüllen werde, bezeuge mit
meiner Namens Unterschrift
Memmingen, den 19. Dcbr. 1798

Anton Blattner (eigenhändige Unterschrift und unentzifferbarer Schnörkel, sowie ein C).

Um welchen Krieg, welchen Rückzug handelt es sich da, bei dem die Kanonenkugeln in der Iller versenkt wurden?

Wir befinden uns im genannten Jahre 1796 in der Schlußphase des ersten Koalitionskriegs, den die alten monarchischen Mächte seit 1792 gegen das revolutionäre Frankreich hatten führen müssen, ohne untereinander einig zu sein. Seit dem 5. April 1795 war Preußen im Frieden von Basel aus der Koalition ausgeschieden. Unter seiner Führung standen die ganzen norddeutschen Staaten in bewaffneter Neutralität nicht nur Frankreich, sondern auch Süddeutschland unter Führung Österreichs gegenüber.

Österreich hatte nun praktisch allein die Last des Reichskrieges gegen Frankreich zu tragen. Durch den Tod der Zarin Katharina II. am 17. November 1796 schied dann noch Rußland als handlungsunfähig aus. In Süddeutschland war die Kriegsmüdigkeit allgemein. Der Gesandte des Erzbischofs von Mainz und Reichskanzlers erklärte auf dem Reichstag in Regensburg: Um das Ärgste zu verhüten, wäre „auch der schlechteste Friede noch immer das Beste!“

Dazu kam noch, daß dem französischen General Moreau am Rhein ein Sieg über den Führer der kaiserlichen Armee, Erzherzog Karl, gelungen war und damit der Durchbruch nach Süddeutschland. Österreichs Sondergesandter in Süddeutschland mußte nach Wien berichten: „Im Reiche herrsche nicht bloß Friedenswille, sondern geradezu schon Friedensgier und Friedenssehnsucht, die allen klaren Sinn verdunkelten und nicht mehr fragen ließen, ob der angebotene Friedensschluß überhaupt erfüllbar und möglich wäre, sondern sich wahllos und blind allen Bedingungen schon deswegen unterwürfe, weil sie Friedensbedingungen hießen.“

Nacheinander schieden nun die süddeutschen Staaten aus der Kampffront aus und schlossen Waffenstillstand: Württemberg am 17. Juli, dann nach Einmarsch der Franzosen in Stuttgart, am 7. August einen schwer belastenden Frieden. Es folgte der Waffenstillstand Badens am 25. Juli und der des Schwäbischen Kreises am 27. Juli. Später zogen Franken und sogar Bayern nach (am 7. September 1796, aber nie ratifiziert). Der Schwäbische Kreis allein mußte 12 Millionen Livres zahlen, 84000 Pferde stellen, 200000 Viertel Korn, 100000 Sack Hafer, 200000 Bund Heu, 100000 Paar Soldatenschuhe ! Selbstverständlich wurden auch seine Truppen neutralisiert und vom österreichischen General Fröhlich am 29. Juli 1796 bei Biberach nach Hause geschickt. Darunter werden wohl auch die zehn eingezogenen Oberstdorfer gewesen sein, zu denen Anton Blattner aber nicht gehört hat.

Für die kaiserliche Armee in Süddeutschland gab es nun zunächst kein Halten mehr in dem neutralisierten Land. Ein geplanter, den Gegner stets belästigender Rückzug begann, der dem Feind möglichst wenig Kriegsmittel überlassen durfte. Am 6. August ließ General Fröhlich das Memminger Zeughaus räumen, „um es nicht in die Hände der Franzosen fallen zu lassen“. Alles Material wurde nun Richtung Süden abtransportiert. Dabei mag es größere Transportschwierigkeiten gegeben haben, denn gleichzeitig mußten auch die Kemptener Magazine geräumt werden. „Tag und Nacht waren die Wagen mit dem kostbaren Heeresgut und ihren Fuhrleuten, den aufgebotenen Bauern, unterwegs und ratterten die Hochstraß nach Hindelang vollbeladen hinauf. An einem Tage (9. August) waren an die 2000 Wagen mit Pferden und Bauern des Fürststifts und der Reichsstadt Kempten, der oberen Gerichte der Pflege ... in Kempten versammelt, um das wertvolle Magazin wegzuführen.“

Höchstwahrscheinlich waren unter diesen Fuhrleuten auch Oberstdorfer Bauern, die zu Hause erzählten, was sie gesehen hatten und eben auch über die Versenkung eiserner Kanonenkugeln in die Iller berichten konnten. Am 19. August erschienen nämlich bereits die Franzosen unter General Tharreau in Kempten. Da war es wohl verständlich, wenn unter dem Druck der anrückenden Feinde manch schweres Fuhrwerk erleichtert wurde, um noch rechtzeitig aus der Gefahrenzone entkommen zu können.

Nun, die Franzosen hausten in dem neutralisierten Lande so ziemlich wie Sieger, plünderten und bemächtigten sich auch des Eisenwerks in Sonthofen und der dort aufgestapelten Eisenvorräte. Sie preßten aus dem Lande heraus, was herauszupressen war.

Inzwischen hatte sich allerdings die strategische Lage geändert: Durch Siege des Erhorzogs Karl in Franken war die Stellung der Franzosen in Süddeutschland unhaltbar geworden, und sie mußten unter dem Druck österreichischer Gegenangriffe vom Obeijoch her am 17. September aus dem oberen und ab 20. September auch aus dem westlichen Allgäu weichen. Zwar wurden die Kaiserlichen Truppen im Lande „beinahe wie Schutzengel“ begrüßt, aber natürlich stellten sie nun die harten Forderungen an die Bevölkerung und holten wieder heraus, was aufzutreiben war. Die von ungarischen Ochsen eingeschleppte Rinderpest tat ein übriges. „Noch bis in das Jahr 1797 hinein dauerten die unersättlichen Anforderungen und Schaflitzl und Lueger (= Landschreiber und Landammann der Pflege Rettenberg) klagten ihren Vorgesetzten Stellen ihr Leid“.

Als es endlich in Campo Formio am 18. Oktober 1797 zum Friedensschlüsse kam, war das Land zumindest wirtschaftlich ausgeblutet. Die folgende Zeit war einigermaßen ruhig; es fehlte aber nicht an ständigen Truppendurchmärschen und Zusatzleistungen der Bevölkerung für Einquartierungen und Festungsbau (Der nächste Krieg, es war der 2. Koalitionskrieg, begann schon 1799!). In dieser Situation waren Rohstoffe und Bargeld äußerst knapp und begehrt.

Anton Blattner trachtete offenbar danach, sich das eine durch das andere zu verschaffen. Mit der Wegnahme der Eisenvorräte im Hüttenwerk Sonthofen durch die Franzosen war mit Sicherheit im Allgäu das Eisen sehr knapp geworden, denn der Bedarf des Militärs wird überall zuerst befriedigt worden sein. Es dürfte daher hoch im Kurs gestanden haben, so daß Blattner seinen Plan fassen konnte, der von organisatorischen Fähigkeiten und Wagemut zeugt.

Wäre die Bergung der Eisenkugeln auch nur einigermaßen leicht gewesen, so hätten die Memminger oder Kemptener sie sicher selbst bewerkstelligt und nicht über zwei Jahre zugewartet, bis sich ein Oberstdorfer darangemacht hat. Auf eine Teilhabe am Erfolg des Unternehmens wollten die in dieser Sache offenbar passiven Memminger allerdings nicht verzichten: 36 Kreuzer je Zentner des gehobenen Eisens sollten in ihre städtische Kasse fließen. Sicher war es für einen gelernten „Becken“ auch kein Kinderspiel, Gesuche an die einschlägigen Stellen zu verfassen, die ernst genommen wurden und dank geschickter Vorschläge - wie sie das Schreiben an die Stadt Memmingen, nach deren Bescheid zu schließen, enthielt, auch Aussicht auf Erfolg hatten.

Leider wissen wir nicht, wie Blattners Unternehmen ausging, ob ihm die Hebung der Kugeln gelang und ob sie ihm gegebenenfalls überhaupt den finanziellen Erfolg brachte, den er sich davon, sorgfältig kalkulierend, versprochen hatte. Dennoch bleibt die kleine archivalische Hinterlassenschaft des Unternehmens ein Denkmal für diesen tüchtigen Oberstdorfer.

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