8 zackiges Fußeisen
Zukunftsmusik angesichts der breiten Zufahrt vom Oytal in den Käseralpkessel hinauf ?. Der hochtrabende Titel könnte so etwas befürchten lassen. Aber keine Sorge! Er stand schon im Jahre 1897 in der Zeitschrift „Bayerland“, zu einer Zeit, als sich nur ein schmaler Karrenweg dort hinaufzog, der auf einem romantischen Holzbrücklein den Abfluß des Stuibenwasserfalles überquerte. Kein Auto, kein Traktor störte damals die Ruhe des Tales. Otto Jäger, ein Vermessungsbeamter, schildert in dieser Veröffentlichung sein Erlebnis bei der Nächtigung in dieser Galtalpe.
Mit Vergnügen lesen wir darin:
„Der alte graubärtige Hirte, der mit seiner siebenzigjährigen Ehehälfte und unterstützt von einem Hirtenbuben schon siebenzehn Jahre auf der Käsergaltalpe hauste, nahm uns freundlich auf. Die Hälfte des Hüttchens dient als Stall für die beiden Melkkühe, die andere Hälfte als Wohnraum, in dem jedes Fleckchen, jedes Eckchen mit Haus- und Almgerät ausgefüllt ist. Die Bugrat faßt gerade drei Personen. Außerdem ist ein kleiner niederer Dachraum vorhanden, in dem zur Not auch noch ein paar Mann liegen können. Als wir (Erzähler und seine beiden Gehilfen) abends dieselbe betraten, sehen wir zu unserem Erstaunen außer der Hirtenfamilie noch einen siebenzigjährigen Mann, der seit zwanzig Jahren allwöchentlich im Sommer da heraufkommt, um an den schwierigsten Stellen Edelweiß zu holen.
Der Alte war früher Wilderer gewesen und hatte sich mit seinen Blumen, die er hauptsächlich im Bockkar unter dem Himmeleck holte, in welches der schwierigen Zugänglichkeit wegen nur wenige hineingehen, jeden Sommer 200 bis 300 Gulden verdient. Da aber am Samstag und Sonntag jetzt alles, was nur kann, »ins Edelweiß« geht und es massenhaft zu Verkauf bringt, so sind diese gewinnreichen Zeiten für ihn auch dahin. Als noch ein weiterer Fremder übernachten wollte, berichtet der Jäger weiter, meinte der gutmütige Hirte: »Bleibens halt da, ich und mei Wie’ hocken uns halt auf die Bank, drei können in der Bugrat liegen, die anderen müssen halt oben ’nauf kriachn. Aber passet uf, daß Ihr nit mit’ n Kopf anstoßt, am Dach stehet überall Nägel rüß!« So ging’ s auch zur Not...; das alte Paar saß die ganze Nacht auf der Bank neben dem Feuer, welches sie fortwährend unterhielten; denn draußen regnete es in Strömen und der kalte Wind pfiff zwischen den Schindeln herein. Der beißende Rauch des Feuers war freilich auch nicht angenehm. Als ich schließlich doch am Einschlafen war, hörte ich ober mir ein Geräusch, und gleich darauf fielen zwei junge Katzen in unsere Bugrat, wo sie nun ihr munteres Spiel trieben...“
Das war wirklich romantisch.
Die Kunde von diesem Erlebnisbericht verdanken wir dem Buch „Bunte Bilder aus dem obern Allgäu“ von H. Modlmayr, illustriert von W. Irlinger, Verlag G. Otto, Memmingen 1903.
Es ist ein Buch, an dem bestimmt kein Werbemanager für den Fremdenverkehr mitgewirkt hat, ein Buch, in dem vom Autor und Illustrator das Volkstums- und Landschaftserlebnis ungeschminkt wiedergegeben wird, ein Buch, in dem auch der Mensch ein Wort mitspricht. Man möchte sagen, es ist ein Buch mit Herz. Schon die Schilderung der Eindrücke bei der Ankunft am Bahnhof in Oberstdorf läßt die Verbundenheit des Verfassers mit dem Dorf und seinen Menschen spüren: „Steigen wir also aus! Wie ruhig ist es hier in Oberstdorf am Osterdienstag! Wo sind die vielen Fremden, welche den Bahnhof während der Saison umlagerten? Wo der frische Bub, der die Reise-Effekten abnahm und in die bestellte Wohnung zog? Wo sind beim Gang in den Markt die netten Mädchen, die vom Fenster zu blicken pflegten? Wo der Bergführer Braxmair und der Jäger Knaus und der Herr Förster, welchen man sonst oft begegnete?“
Außer einem österlichen Interview mit dem alten Schraudolph in Einödsbach erleben wir mit dem Autor die Einweihung des Heilbronner Weges (1899), eine Besteigung der „südlichsten Hochwarte des Deutschen Reiches“, des Biberkopfes, die Totentänze im alpinen Gebiet des Lechs und der Iller. Abhandlungen über die Alpwirtschaft und das Sennenleben geben uns einen anschaulichen Einblick in einen lebenswichtigen Zweig des Volkstums und der Volkswirtschaft, in einen Wirtschaftszweig, der sich vor allem durch die Auswirkung des Fremdenverkehrs besonders stark verändert hat. Wir werden mit Zuständen und Begebenheiten bekannt, die wissenswert sind, aber auch mit solchen, über die wir uns wundern oder erheitern.
Vom Bergheuen, das allerdings während des letzten Krieges wieder verstärkt betrieben wurde, erfahren wir, daß es schon um die Jahrhundertwende nachgelassen hatte. „Lukrativere und dabei weniger anstrengende Beschäftigungen haben die mühsamere und nur bescheidenen Gewinn bringende Arbeit an den Bergabhängen bedeutend zurückgedrängt, so daß manche blumenduftende Fläche von der Schärfe der Sensen heute verschont bleibt, weil sich die Plage nicht mehr rentiert“. So erzählt Otto Jäger, daß die Gemeinde Oberstdorf nicht mehr für die Verpachtung des Bergheues die früheren Summen einnimmt. Es wird auch bestätigt, daß selbst an steilsten Hängen, wie z.B. „in der Höfatswanne bei 6000 Pariser Fuß“, Bergheu gewonnen wurde.
Wir lesen von den Fußeisen, mit denen man die Leute an den Graslehnen mähen und schobern sieht.
Es wird von den achtzackigen Allgäuer Gliedeisen berichtet, denen der berühmte Botaniker Otto Sendtner 1853 höchstes Lob spendete: „Der Oberstdorfer Schlosser Josef Zobel liefert Euch ein wahres Meisterstück. Aus einem Stück Sensenstahl geschmiedet, nicht geschweißt, mit acht Zinken gegliedert, vereinigen sie mit einer besonderen Leichtigkeit Härte und Zähigkeit in dem Maße, daß jahrelanger Gebrauch auf dem rauhen Gestein sie weder abstumpft noch je bei dem heftigen Anprallen springen läßt.
Wenn ihr damit auf einem abschüssigen Rasenboden zu 70 Grad Neigung so sicher wie auf der Ebene schreitet, so werdet ihr den Meister preisen, der euren Fuß bewaffnet hat“.
Durch den Rückgang des Bergheuens ergaben sich für die Bauern neue Situationen: „Die Zeiten sind nämlich vorbei, wo die benachbarten Orte bei Futtermangel solches einfach von Oberstdorf holten, heute betrachtet auch hier mancher Herdenbesitzer mit banger Sorge den unheimlichen schwindenden Winterheuvorrat, wenn er nicht ohnehin gezwungen wurde, bis aus der Gegend von Memmingen Zufuhr zu bestellen“. Das also schon um 1900 herum.
Auch von der Schaf- und Ziegenzucht lesen wir etwas: „Eigentliche Schaf- und Geißalpen gibt es im bayerischen Anteil des Illerquellgebietes nicht mehr, wenn auch noch die Lechtaler ihre Schafe über die Grenze bringen oder gelegentlich solche von Sonthofen aufgetrieben werden. Auch die Ziegenzucht wirft heute dem Allgäuer zu wenig Gewinn ab. So schickte z.B. der Wirt von Spielmannsau seinen Geißbuben lediglich auf die Hochalpe (der Verfasser: auf Giebel!), um ein darauf ruhendes Servitut nicht verfallen zu lassen. Der Vater des Adlerjägers Max Speiser von Gerstruben besaß früher 50 Geißen und begann Käse zu bereiten, doch steckte er das Unternehmen bald wieder auf, weil er kaum auf seine Kosten kam“. Die Herde dieser meckernden Vierbeiner, die täglich durch das Dorf zog, ist ebenfalls seit Jahrzehnten aus dem Straßenbild Oberstdorfs verschwunden.
Aus den vorstehenden Zeilen ersehen wir, daß es sich bei Hans Modlmayr um einen hervorragenden Kenner des Allgäuer Volkstums, der Alpwirtschaft und der touristischen Vorgänge handelt. Er ist auch der Verfasser des Wörlschen Reiseführers von Oberstdorf und Umgebung, den er seit 1891 zu bearbeiten hatte. Von dem, was er uns außerdem alles zu erzählen weiß, sei abschließend noch einiges aus seinem österlichen Interview beim alten Schraudolph in Einödsbach entnommen.
Es ist vergnüglich, sich „Babischte“ mit dem rötlichen Schnurr- und Knebelbart vorzustellen, vor ihm auf dem weißgescheuerten Tisch der blecherne ortsübliche Wirtshaus-Aschenbecher mit dem Stutzen in der Mitte zum Ausklopfen der Launerpfeife und dem Behältnis für die Schwefelhölzer. Nicht vergessen werden dürfen dabei die Weinkaraffe und das Trinkglas für den von seinem Gast spendierten, möglicherweise aus dem Lechtal „gschwärzgeten roten Tyroler“. Schon die ersten Antworten auf die Frage, ob er auch beim Militär war, verblüffen, als er mit vielen Details aus der St.-Kilians-Stadt Würzburg aufwartet und sagen kann, daß er die 180 Namen seiner Kompagnie, ohne in die Liste sehen zu müssen, heruntersagen konnte - ein Beweis für sein erstaunliches Gedächtnis. Wir erfahren auch, daß er schon mehr als 450 Führungen auf die Mädelegabel ausgeführt hat, 416 sind ihm davon in den Führerbüchern bestätigt.
Obwohl er schon mit 10 Jahren erstmals auf der Mädelegabel war, glaubt er nicht, daß er der Erstersteiger gewesen ist. Er meinte, Dr. Zör aus Immenstadt war es im Jahre 1811. (Der Verfasser: Außerdem ist der Gipfel bei der Landesvermessung 1818 - 1820 bestiegen worden.)
Baptist erzählte auch vom einarmigen Häfner Hipp, der ebenfalls schon gegen 70 Partien auf die Gabel geführt habe, bei dem aber auch der vorhandene Arm lahm gewesen sei, weil er einmal im Rausch von Tiefenbach her einen Steg herunter gefallen ist.
Die Frage, ob er gerne mit Touristen auf den Biberkopf gegangen sei, verneinte er, denn den „Sühund“ (Sauhund) mochte er nicht leiden, weil er dabei zu viel Zeit verloren habe. Eher paßte ihm schon der Linkerskopf, außer wenn er einen Botaniker hinaufweisen mußte; denn lieber hätte er eine hungrige Geiß dahinauf geführt als einen botanisierenden Apotheker.
Hans Modlmayr hat uns von einer „Nacht im Grand Hotel Käseralpe“ erzählt, wir haben von ihm etwas über das Bergheuen gehört und durften mit ihm den Nestor der Allgäuer Bergführer in seiner „Clubhütte in Einödsbach“ aufsuchen. Nun schlagen wir das Buch „Bunte Bilder aus dem obern Allgäu“ zu, nicht ohne auch noch einige Proben der köstlichen Illustrationen von W. Irlinger unserer Abhandlung beizufügen, die den Geist des Buches so treffend unterstreichen.