„ÄIplarleabe uf dr Alp Obermädele”

von Robert Wohlfahrt am 01.06.2018

EINLEITUNG
Aus dem Flurnamenbuch der Gemeinde Oberstdorf, nach Kübler/Sander:

„Die ehemalige Alpe Mädele umfasste das Ursprungsgebiet der Trettach mit dem Sperrbach, also die heutigen Alpen Untermädele, Obermädele, die abgegangene Mussenalp im Sperrbachtal mit dem Knie; dazu gemeinsam mit der Spielmannsau den sog. Sinkerschwand. Sie war eine große Genossenschaftsalpe, die noch 1554 von den Heimenhofen zu Lehen ging, im 17. Jahrhundert bis etwa 1800 erscheinen als Lehensherren die Grafen von Königsegg-Rothenfels. Schon 1582 ist von der „Schafweide auf Medele” die Rede, die einen bedeutenden Umfang hatte und heute noch eine Rolle spielt. Die Alpe scheint erst nach 1800 geteilt worden zu sein in Untermädele und Obermädele, die dann als Sennalpen eingerichtet wurden. Letztere wurde wohl erst nach 1870 an eine Lechtaler Alpgenossenschaft verkauft. [...]

Oberer Teil der alten, geteilten Alpe Mädele, das Ursprungsgebiet des Sperrbachs umfassend mit prächtigen Weideböden an der Nord- und Ostseite des Kratzers. Wann die Teilung vollzogen wurde, ist nicht mehr festzustellen, vielleicht erst um 1800. Obermädele wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts zunächst als Sennalpe bewirtschaftet, dann aber nicht mehr von den Oberallgäuern beschlagen, sondern von Holzgau im Lechtal aus, in den letzten Jahren im Wechsel mit der Alpe Sulzletal. Wahrscheinlich war der schwierige und gefährliche Aufzug durch das Sperrbachtobel ein Hauptgrund dafür, dass die Alpe verpachtet wurde. Nach 1852 müssen sich dort die Verhältnisse stark verändert haben, denn [Sendtner, 43] berichtet: „Was seit Menschengedenken nicht geschah, hat der warme, regenreiche Sommer 1852 bewirkt, indem er gewaltige Schneemassen, welche in einer mehr als halbstündigen Strecke den bequemen und sicheren Übergang für Menschen und Heerde durch die Sperrbachschlucht nach der Alpe Obermädele bildete, zum Verschwinden brachte”. Heute ist es eine Ausnahme, wenn die Schneedecke bis zum Sommer erhalten bleibt. Der Beschlag wird vom Lagerbuch mit 33, von [Stützle, 72] mit 60, um 1870 mit 50 - 60 Kühen angegeben. Die Angaben über die Zahl der früher dort gesömmerten Schafe, die hauptsächlich das Gebiet des Fürschießers und der Krottenspitzen beweideten, schwankt zwischen 300 und 1000 [?] Stück.”

Soweit der geschichtliche Rückblick auf diese Sennhochalpe.

Älplar - Heft 72

Obermädelealpe mit Nachtweidegebiet in Richtung Mädelejoch. Am Bildrand unten rechts die Tagweide für 80 Kühe

1960, im Sommer war es, als ich und Sepp Müller, der Schwiegersohn von Hans Schraudolf aus Reichenbach, dem Hüttenwirt der Kemptner Hütte am Mädelejoch, täglich - außer sonntags - mit zwei Mulis und einem Haflinger die Hütte versorgten. Transportiert wurden, von der Spielmannsau durch den Sperrbachtobel, Lebensmittel, Bier, Wein und sonstige Notwendigkeiten wie z. B. Holz und Kohlen auf dem Rücken der Tiere. Ja, sogar das ganze Blech für das Dach der Alphütte Obermädele wurde in diesem Jahr hinaufgebracht.

Nun aber mein Bericht, als einer der noch wenigen lebenden Augenzeugen, über das Leben und Treiben auf der Alpe Obermädele, dort oben auf ca. 1.850 m Höhe, in einem wildromantischen Gebiet.

In der Erinnerung sehe ich heute noch, wie Anfang Juli die 80 Kühe vorsichtig die Steilrinne vom Mädelejoch herab balancierten, getrieben von den Hirten, vom Knecht, den Schäfern und Holzgauer Bauern. Tags zuvor waren die Tiere aus dem östlich gelegenen Sulzltal herausgetrieben worden nach einer vierwöchigen Weidezeit. Nach diesem gefährlichen Abtrieb von der Sulzlalm und einem kurzen Aufenthalt in ihren heimatlichen Ställen, konnten die Tiere, frisch und gestärkt, den langen Aufstieg durch das Höhenbachtal zum Mädelejoch in Angriff nehmen. Hier auf Obermädele begann dann die zweite, fünfwöchige Weidezeit. An dieser Stelle sei noch gesagt, dass auf dem Mädelejoch, der Landesgrenze, die Kühe, Schafe und Schweine von der Grenzpolizei zu Protokoll genommen wurden, ehe sie ins deutsche Gebiet kamen.

Das Alppersonal bestand aus drei Hirten - mit Namen Martin, Gebhard und David - sowie dem Senn, einem gebürtigen Lindenberger, dem Knecht und dem Schäfer Roman Knittel.

Älplar - Heft 72

Kühe im Sommer 1960 auf der Obermädelealpe beim Kratzersee; im Hintergrund der Krottenspitzengrat. In Bildmitte Krottenspitze, nach rechts Öfnerspitze und Muttekopf

Täglich wurde von der Milch der 80 Kühe ein Laib Käse produziert mit einem Gewicht von über einem Zentner. Dazu brauchte es aber viel Holz, Latschenholz, das auf der Lechtaler Seite des Mädelejochs geschlagen wurde. Anderes Holz gab es über der Baumgrenze nicht. So musste jeder der Holzgauer Bauern pro Kuh ein Bündel Taufenholz machen, bündeln und aufs Mädelejoch befördern. Von dort wurde es dann täglich vom Knecht, auf dem Kopf und mit der Traghose (Hose mit Heu ausgestopft), zur Alphütte getragen.

Den Milchabfall, die Molke, hat man an die Schweine, 20 an der Zahl, verfüttert. Auch diese Tiere hatten den beschwerlichen Weg, hinab aus dem Sulzltal und hinauf zur Obermädelealp, mitgemacht. Ich frage mich heute noch, wie die Schweine, nach der sommerlichen Gewichtszunahme während der fünf Wochen, den Weg zurück zur Sulzlalm geschafft haben, denn da gab es noch keine Fahrstraße, sondern nur den hochalpinen Tobelviehtrieb.

Älplar - Heft 72

Der Kleinhirt David im Sommer 1960 bei der Kemptner Hütte

Auf der Obermädelealpe, die eine Fläche von 427 ha misst, davon 197 ha alpwirtschaftliche Nutzfläche, einschließlich Schafweidegebiet bis hinüber zum Fürschießer, Märzle, Marchalpe bis zum Kreuzeck, mussten die Hirten - und wenn nötig das gesamte Alppersonal - tagsüber hüten im Norden und Westen bis an die Abstürze zum Sperrbachtobel, Kniekopf und den Wilden Gräben. Zäune waren hier oben ein Fremdwort.

Bei Nacht blieben die Kühe auf den sanfteren, ungefährlichen Weiden in Richtung Mädelejoch. Bei Schneefall zog man bis oberhalb des Sperrbachtobels, so weit es noch aper war.

Es gab täglich viel Arbeit mit dem Melken der Kühe, damals noch von Hand. Den zentnerschweren Käse trug man auf dem Kopf und mit der bereits erwähnten Traghose ins Lechtal. Diesen Transport machten gewöhnlich kräftige Burschen aus dem Lechtal, die damit zu einem netten, aber wohlverdienten Geld kamen. Da mag wohl viel Schweiß geflossen sein, bis der reife Käse auf den Tisch kam. Pfarrer Stützle schreibt dazu:

„1. Die Obermädeles-Alpe ... Weideplätze findet man auf der Trettach, im hangenden Gern, im Mußbüchl, beim See, auf der Alp, auf Klamm, an den Höfen, im Steingern, in den alten Höfen, in der Schneeflucht, am Sperrbach, im Schafloch, auf der Ecke, im Freithof, am Krummenstein.

Wasser für Hirten und Vieh gibt der Sperrbach, die Schaflochquelle, die Schwefelquelle, 4 Quellen bei den Brunnen und der Alpsee.”

Älplar - Heft 72

Fred Strobl, einen Käselaib von der
 Kemptner Hütte ins Tal tragend

Älplar - Heft 72

Der „Ziegenboss” mit seinen hübschen „Damen” auf Obermädele 1960

Älplar - Heft 72

Der König der Obermädelealpe mit einer Hornspannweite von 98 cm (heute ausgestopft bei Familie Knittel in Holzgau).

Als Wohnung diente den sechs Leuten eine kleine Alpstube mit doppelstöckigem „Buugrat”. Da gab es im Raum nachts sicher viele unterschiedliche Geräusche, wenn sich die Insassen vom harten Tageswerk ausruhten.

Früher stand die Alphütte ca. 100 m tiefer, wovon noch Grundmauern zeugen. Ob die Hütte verbrannte oder von einer Lawine zerstört wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Dass die Alpe einst von deutscher Seite bezogen wurde, ist glaubhaft, wenn man bedenkt, wie sich ein alpines Gelände in vielen Jahren verändern kann. Damals könnte der Viehtrieb entweder auf einer Altschneelawine oder in der Talsohle des Sperrbachtobels erfolgt sein. Die heutige Wegführung gibt es, laut Alpenvereinschronik, erst seit 1889.

Es soll aber auch der Schafweidebetrieb auf Obermädele erwähnt werden. Die Schafe waren ja zeitgleich mit den Kühen hier oben, allerdings schon ab Juni nur auf dem Warmatsrücken am Fürschießer bis hinüber ins Märzle sowie Marchalpe und Kreuzeck. Erst nach den fünf Wochen, wenn die 80 Kühe wieder zur Sulzlalm getrieben wurden, ließ man die 900 Schafe, so viele waren es in diesen Jahren, auf den Kuhweiden die letzten Grashalme holen.

Älplar - Heft 72

Schafherde auf Obermädele in den 1950er Jahren, mit Mädelegabel und Trettachspitze

Zum Ende der Weidezeit wurden sie noch bis zur Schwarzen Milz, zum Ramstallkopf und den Heuwächsen im Höhenbachtal getrieben, ehe es im September zum Schafscheid nach Holzgau ging. Eine Besonderheit sei noch am Rande erwähnt: Als einmal an die 50 Schafe über den Fürschießersattel herüberkamen, „bellte” der Schäfer Roman wie ein Hund - er selbst hatte keinen - durch einen hölzernen Trichter über 3 km in diese Richtung und siehe da, alle Schafe kehrten wieder um und waren nicht mehr zu sehen. Kaum zu glauben, aber wahr!

Die „tierische Bilanz” des Sommers 1960 war also: 900 Schafe, 80 Kühe, 10 Geißen (mit einem Prachtbock mit einer Hornspanne von 98 cm), 20 Schweine sowie 1 Haflinger, 2 Mulis, 2 Katzen und 1 Neufundländer waren die vierbeinigen „Gäste” auf der Obermädelealpe. Wenn dann bei schönem Wetter auch noch viele Bergtouristen kamen, dann war was los auf den sonst stillen Bergeshöhen.

Nun ist das Älplerleben dort oben schon längst Geschichte. Ich aber hatte noch das Glück, dies alles so zu erleben und die Erinnerung an diesen Sommer bleibt in mir heute noch wach.

1963 wurde Obermädele letztmals als Sennalpe beschlagen, die 111 „Besitzern” gehörte; heute zieht man nur noch auf die Sulzlalm. Bis in die 1980er Jahre zog noch eine Schafherde aus dem Unterland in dieses Gebiet, bis es zum sog. „Schafkrieg” kam und die Schafälpung damit ein Ende fand. Begründet wurde das mit Erosionsschäden und Pflanzenschutz. Darauf hatte man früher keine Rücksicht genommen, das Überleben der Alpwirtschaft war wichtiger, vor allem in einer Zeit, als der Tourismus noch keine große Rolle spielte. So ist der Ruf der Schäfer-Finkhof-Gruppe „Rettet die Obermädelealp” im Winde verweht.

Der Hüttenwirt Hans Schraudolf trieb danach noch ein paar Kühe von der Spielmannsau herauf und wir, Sepp und ich, gingen mit den drei Tragtieren täglich diesen Weg. Das erscheint so manchem heute als unmöglich. Auch der spätere Hüttenwirt Wagner trieb noch 20 bis 30 Stück Jungvieh von Holzgau herauf. So ziehen heute nur noch Gemsen, Steinböcke und Murmeltiere über diese geschichtsträchtigen ehemaligen Alpweiden und Adler ziehen in den Lüften darüber ihre Kreise. Treu geblieben sind aber die Touristen, die mehr denn je diese Hochgebirgswelt schätzen und genießen.

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