Älteste noch vorhandene handschriftliche Aufzeichnung des Oberstdorfer Wetters (durch Pfarrer Heinle) vom schönen 1. August 1909.
Der Verfasser beschreibt in diesem Beitrag zunächst die Bedeutung und Geschichte der Wetterstation Oberstdorf Im zweiten Teil werden die Ergebnisse von 100 Jahren Temperatur-, Niederschlag- und Sonnenscheinmessungen dargestellt.
1. Einführung
Im Februar 1986 wurde in der Marktgemeinde Oberstdorf ein Jubiläum gefeiert, das allerdings kein großes Aufsehen erregte: Vor genau 100 Jahren begann man im „obersten Dorf’ mit meteorologischen Beobachtungen. Diese wurden seither mit vergleichbaren Instrumenten und nur einer sehr kurzen Unterbrechung im Jahre 1945 bis zum heutigen Tag fortgeführt. Da der Beobachtungsstandort nur dreimal innerhalb des Ortsgebietes verlegt wurde (und das in einem Bereich von nur 500 Meter Horizontaldistanz), ist dies eine sehr homogene Meßreihe; denn größere Verlegungen des Beobachtungsstandortes stellen in einer Zeitreihe eine nur schwer korrigierbare Veränderung dar. Diese Beobachtungsreihe erlangt damit für das Oberallgäu und auch für die nähere Umgebung eine einmalige Bedeutung.
Vergleichbare lange, „saubere” Reihen existieren von Basel (seit 1755), München (seit 1781) und vor allem von den Bergstationen Hohenpeißenberg (seit 1781), Säntis (seit 1882) und Zugspitze (erst seit 1901).
Worin liegt nun aber der Wert dieser über 100.000 seither durchgeführten Klimabeobachtungen, die viele dicke Bücher und neuerdings auch Magnetbänder an Forschungsinstituten füllen?
In den letzen Jahren gewann die Klimaforschung weltweit wieder an Bedeutung. Das kommt auch durch das große Welt-Klima-Forschungsprogramm zum Ausdruck, das die Weltmeteorologische Organisation (UNO-Organisation mit Sitz in Genf) koordiniert.
Aus den verschiedensten Datenquellen, wie langjährigen Beobachtungsreihen, Angaben über Mißernten im Mittelalter, Vorstöße der Alpengletscher, Bohrkerne aus dem Eispanzer der Antarktis oder aus den Sedimenten der Tiefsee, konnte man die Lufttemperaturschwankungen unseres Planeten der letzten Millionen Jahre genau rekonstruieren. Dabei stellte sich heraus, daß dieser Temperaturverlauf sehr variabel ist. So weiß man nun, daß die Erde seit Jahrmillionen in einer kalten Phase (Eiszeit) lebt, immer wieder unterbrochen von wärmeren Perioden, sogenannten „Zwischeneiszeiten” (Interglaziale) mit einer typischen Länge von 8.000 bis 10.000 Jahren.
Die letzte große Vereisung ging im Illertal vor etwa 10.000 Jahren zu Ende, so daß eigentlich eine neue Vereisung langsam wieder „fällig” wäre.
Man entdeckte aber auch - und das ist für uns viel wichtiger - im Zeitbereich um 100 Jahre markante Klimaschwankungen. So war es etwa zwischen 1688 und 1701 in Mitteleuropa im Mittel um 1 Grad zu kalt. Die Folge dieser Abkühlung (der stärksten seit über 500 Jahren) waren Hungersnot und ein starker Vorstoß der Alpengletscher. In der Fachwelt erhielt diese kalte Zeitspanne, die bis Ende des vorigen Jahrhunderts anhielt, den treffenden Namen „Little Ice Age” (Kleine Eiszeit).
Aber auch in neuerer Zeit erleben wir Klimaveränderungen: zum Beispiel die Dürrekatastrophe in der Sahel-Zone oder etwa die Reihe „schöner Sommer” in den letzten Jahren bei uns.
Das Klima ist also nicht so beständig, wie man früher annahm. Aber unsere komplizierte Welt baut auf ein konstantes Klima und reagiert entsprechend äußerst sensibel auf Klimaschwankungen. Aufgrund der großen soziologischen und politischen Folgen einer nachteiligen Veränderung des Klimas unternimmt man jetzt erhebliche Anstrengungen im Bereich der Klimaforschung. Zum Beispiel könnte der durch die zunehmende Luftverschmutzung verursachte Anstieg der Lufttemperatur (Schlagwort „Treibhaus-Effekt”) bei uns nicht nur die angenehme Folge haben, daß es endlich wärmer wäre, sondern auch eine Verlagerung der Niederschlagszonen mit sich bringen. Mitteleuropa wäre dann vielleicht im Sommer so trocken wie das Mittelmeergebiet, mit katastrophalen Auswirkungen auf die Landwirtschaft und daraus folgend auf das politische Zusammenleben in der EG, und, und, und . . .
Die vielen Meßdaten von Oberstdorf sind aber nicht nur ein Baustein in dieser neuen Art der Klimabetrachtung, sondern haben auch sonst zahlreiche Anwendungen: So wird etwa die Hochwasserverbauung der oberen Iller aufgrund der langjährigen maximal beobachteten Niederschlagsmengen dimensioniert. Für Dachkonstruktionen gibt es statistische Mindestanforderungen bezüglich Schneelast - Grundlage sind Messungen der Schneedichte über viele Winter. Zudem bilden die international verbreiteten stündlichen Wettermeldungen der Station Oberstdorf einen wichtigen Grundstein für Wettervorhersagen im Alpengebiet, deren volkswirtschaftlicher Nutzen unbestritten ist.
Bereits diese wenigen Beispiele zeigen die große Bedeutung der meteorologischen Beobachtungsreihe und es gebührt den vielen Beobachtern, die dieses wertvolle Datenmaterial zusammengetragen haben, auch heute noch ein großer Dank.
II. Zur Geschichte der Wetterstation Oberstdorf
Für den Beginn der meteorologischen Beobachtungen in Oberstdorf sorgte vor nunmehr 100 Jahren der „Verschönerungs-verein”. So wurde im Beisein von Dr. Erk aus München „vom 28. bis 30. Januar 1886 dort eine Ergänzungsstation II. Ordnung eingerichtet” und am 1. Februar mit den Beobachtungen begonnen. Die Beobachtungsergebnisse wurden nun fortlaufend in den Meteorologischen Jahrbüchern veröffentlicht, wobei jenes aus dem Jahre 1886 auch eine „Beschreibung der Neuaufstellung der Instrumente in Oberstdorf’ enthält:
„Die meteorologische Station in Oberstdorf wurde vom Verschönerungsverein Oberstdorf eingerichtet und umfaßt die vollen Beobachtungen einer Station II. Ordnung. Das Haus, in welchem die Instrumente sich befinden, ist der nach rückwärts freigelegene Pfarrhof, dessen Vorderseite gegen die, Oberstdorf von Ost nach West durchziehende, Hauptstraße gerichtet ist. Das Thermometergehäuse befindet sich an dieser Vorderfront, die jedoch nicht ganz rein gegen Norden gerichtet ist, so daß es in den Sommermonaten circa von 6.30 - 8 h a. m. von der Sonne beschienen werden kann. In diesem Falle werden Ablesungen an einem Reservethermometer auf der Südseite gemacht.
Die Thermometer hängen 4.7 m über dem Boden, der Kies zur Unterlage hat. Das nächste Gebäude auf der Nordseite ist ungefähr 20 m entfernt; doch ist bei der freien Bauart die Luftcirculation durchaus nicht gestört. Neben den Thermometern befindet sich auch das Haarhygrometer. Der Regenmesser befindet sich in dem am Hause gegen Osten gelegenen Theile des Pfarrgartens, frei vom Einflüsse des Hauses, und sind die nächsten Bäume und der Gartenzaun 10 m entfernt. Dortselbst ist auch ein Schneepegel aufgestellt. Die Auffangfläche des Regenmessers liegt 1.4 m über dem Boden und 3.3 m unter dem Niveau der Thermometer. Die Windrichtung wird an einer orientierten Windfahne abgelesen, welche sich im Garten auf einem 12 m hohen Maste befindet. Das Barometer befindet sich im nördlichen Theile des Corridors im ersten Stocke, in gleicher Höhe mit den Thermometern und wird bei sehr guter Beleuchtung nie von den Sonnenstrahlen getroffen. Die Ablesungen macht der k. Pfarrer Herr Heinle und findet im Verhinderungsfall im Hause geeignete Vertretung.”
Eine weitere Erwähnung der Station Oberstdorf erfolgte im Jahrbuch 1890, als der „Verschönerungsverein Oberstdorf seine vortrefflich geführte und ausgestattete Station noch durch einen Maurer’schen Heliographen bereicherte . .. und am 7. Juli 1890 wurde am Südrande des zum Pfarrhofe gehörigen Gartens auf dem Dache eines Sommerhäuschens, beiläufig 2 m über dem Erdboden, ein geeigneter Aufstellungsplatz gefunden”. Leider sind diese ersten Aufzeichnungen über die Sonnenscheindauer nicht mehr auffindbar. Nach weiteren Stationsbesichtigungen „sah sich der hochverdiente Beobachter in Oberstdorf, Hochw. Geistl. Rat Heinle, genötigt, die Station aufzugeben. Dieselbe wurde nach dem neuen Schulhaus verlegt und die Beobachtungen der Hochw. Frau Oberin A. Aubele übertragen”. Zu diesem Zweck reiste damals sogar der Leiter der bayerischen Meteorologischen Zentralstation in München, Dr. A. Schmauss, nach Oberstdorf. Bezüglich der Geräteaufstellung wird erwähnt:
„Das neue Schulhaus, im Süden des Marktes, in welchem die Instrumente untergebracht sind, besitzt nach allen Seiten freie Lage. Die Thermometer hängen in einem Gehäuse vor dem Nordfenster des im nordwestlichen Ecke des Gebäudes befindlichen Zimmers. Bei Vorsicht ist ein nachteiliger Einfluß durch Strahlung wie auch durch die Heizung des Hauses nicht zu befürchten. Gegen die am Abend auftretende Sonnenstrahlung bietet der Fensterladen genügend Schutz. Die Thermometer befinden sich etwa 2 m über dem Erdboden. Das Barometer befindet sich in dem nämlichen Raume, dessen Nordfenster die Thermometeraufstellung trägt.
Ein schädlicher Einfluß durch Heizung oder Sonneneinstrahlung ist nicht zu befürchten. Der Regenmesser befindet sich auf dem der Südfront des Gebäudes vorgelagerten freien Platze in einer Lage, die jeden nachteiligen Einfluß ausschließt. Die Höhe der Auffangfläche über dem Erdboden beträgt 1.4 m. Auf dem gleichen freien Platze, in nächster Nähe des Regenmessers, fand auch der Sonnenscheinautograph sowie auf einem hohen Maste die Windfahne Aufstellung. Die Beobachtungen werden von der Oberin, Frau Adolfie Aubele, oder in deren Vertretung von einer der Schulschwestern ausgeführt.”
Bis zum Jahre 1936 wurden nun die drei täglichen Klimabeobachtungen an der „Schulstation” von zahlreichen Beobachtern durchgeführt. Nach Auflösung der Bayerischen Landeswetterwarte ging die meteorologische Station 1934 in den Reichswetterdienst über. Auf Initiative von Herrn Dr. G. Riedel wurden in unmittelbarer Nähe, im „Söllerhaus” (heute „Wienerwald-Restaurant”), ab Mai 1936 ebenfalls meteorologische Beobachtungen durchgeführt. Der Grundgedanke war die Errichtung einer „Kurort-Kreisklimastelle”, die sich der bioklimatischen Forschung widmen sollte. Zusammen mit Dipl.-Ing. E. Obenland wurde die neue Station mit noch heute üblichen Geräten instrumentell stark erweitert, und ab Januar 1937 erscheinen diese Meßwerte dann in den Jahrbüchern. Glücklicherweise wurden aber bis Ende 1939 die Temperaturmessungen an der nunmehr „alten” Schulstation parallel weitergeführt.
Dadurch kann man den Einfluß der Stationsverlegung sowie die Veränderung in der Instrumentierung untersuchen. Nach Fertigstellung des von der Gemeinde errichteten neuen Hauses erfolgte am 6. April 1938 die Stationsverlegung zu dem bis heute unveränderten Standort in der Wannackerstraße 8 (s. Abb. 1). Als Beobachter fungierten bis Kriegsbeginn E. Obenland, dann Dr. E. Steppan und von 1941 bis nach dem zweiten Weltkrieg Erich Sydow. Nach dem Einmarsch französischer Besatzungstruppen in Oberstdorf endeten die Wetterbeobachtungen. So entstand zwischen dem 28. April und dem 31. Juli 1945 die einzige Lücke in der 100jährigen Reihe.
In den folgenden Jahren erlebte die Station einen großen Aufschwung als Medizinisch-Meteorologische Station: Während dieser Zeit widmete sich E. Obenland vor allem den bioklimatischen Auswirkungen des Föhns, die in einer umfangreichen Föhnstatistik von Oberstdorf mündete. Zudem wurden zeitweise Regentropfen-Spektren aufgenommen, die Registrierung der Globalstrahlung begonnen und auf dem Nebelhorn eine Außenstation unterhalten. Nach dem Ausscheiden von E. Obenland wurde Oberstdorf wieder eine der etwa 100 regulären Wetterstationen im Bundesgebiet.
Nachfolgend die an der Wetterstation Oberstdorf seit 1947 tätigen hauptamtlichen Beobachter des Deutschen Wetterdienstes:
Georg Hövermann Juli 1957 - Dezember 1957
Martin Kuhnert März 1947 - März 1977
Dietrich Merckell Februar 1958 - Januar 1959
Eugen Obenland September 1950 - März 1968
Hans Scheffler Oktober 1958 - März 1977
Friedrich Pütten Februar 1959 - August 1966
Wilhelm Waldau Dezember 1947 - Juli 1957
Derzeit sind an der Wetterstation beschäftigt:
Wolfgang Ferstl seit April 1977
Albert Steiner seit Oktober 1966
Gerhard Sörgel seit April 1977
Fortsetzung folgt