Ein Flurname, der so ganz unserem heutigen „grünen” Landschaftsempfinden entspricht und zudem durch den Blick auf diese Landschaft bestätigt wird, soll hier von seinem Ursprung her in Frage gestellt werden.
„Im Grine Bachtl” heißt die Landschaft zwischen den nordwestlichen Abhängen des Freibergsees und dem untersten Teil der Höllwiesen im Ziegelbach, durchflossen oder etwas enger gefaßt, begrenzt vom Grundbächle oder Grundbach im Norden (oben) und Nordwesten (unten). Die Alpenvereinskarte „Allgäuer und Lechtaler Alpen - West” zeigt die Situation recht deutlich. Noch genauer läßt sich der Geltungsraum des Namens natürlich auf der Flurkarte erkennen, wenn man die nach dem Kataster mit dem Titelnamen „im Grünen Bachtel” bezeichneten Flurstücke heraussucht, nämlich die Nrn. 3759 - 3771, dazu 3785 und - wohl ein Irrläufer im Wänkle - 3788.
Wenn man heute dieses Gebiet von unten her durchgehen will, so schwenkt man von der Stillach Richtung Höllwieslift ab, biegt aber vor Erreichen des Brückleins über den Grundbach nach links ein, bei der nächsten Wegkreuzung jedoch nach rechts, so daß man den steilen und steinigen Holzabfuhrweg benutzt, der zum Freibergsee hinaufführt. Man verläßt ihn aber bald nach Beginn des steilen Anstieges in der ersten Kurve beim Gedächtniskreuz für den 1929 verunglückten Adolf Zobel. Hier betritt man nun allerdings eine grüne Wildnis. Auf einer Geländeleiste kann man über dem Grundbächle einige Zeit gehen, bis das Gehänge so steil wird, daß man sich mehr oder weniger gezwungen sieht, ins Bachbett selbst hinabzusteigen, das bei geringem Wasserstand ganz gut begehbar ist. Nach ca. 500 m Weglänge treten die Steilufer zurück. Von rechts her kommt ein Weg zur einzigen Stelle, an welcher das Bachtal zum Abtransport von Holz überquert werden kann. Dieser Weg, welcher hinterhalb der Gaststätte bei der Talstation des Höllwiesliftes mit einer Schranke beginnt, wäre der bequemste Zugang zum Grünen Bachtel. Der Grundstücksbesitzer hat auch über der ersten Höhenstufe eine schöne Tafel angebracht mit der sprachlich irritierenden Aufschrift „Grue-Bachtelweag 1997”. Sachlich ist die Inschrift insofern zutreffend, als der linke Ast nach der Wegverzweigung tatsächlich zur oben erwähnten Stelle des Zugangs ins Grüne Bachtel führt (der rechte Zweig führt dagegen ins Wänkle hinauf).
Oberhalb der Flachstelle des Bachtales sind alle drei Quelläste des Grundbächles wieder tief eingeschnitten und sehr wild, was man vor allem an den vielen umgestürzten Bäumen und etwa auch an einem im Bachbett liegenden fortgespülten Grenzstein erkennt. Man kann es eigentlich kaum mehr glauben, daß es hier einstmals außer Wald auch von diesem gesäumte Mähwiesen gegeben hat. Sie sind alle verschwunden, mit einer Ausnahme: 2004 hatte die Familie Vogler oberhalb des Weges vom Freibergsee zum »Bergkristall« ihre Wiese (Flur-Nr. 3771 mit Heuschinde unterhalb des Weges) noch geheut.
Ehemalige Schindenstandorte sind in der Tiefe eher noch zu erahnen als sicher zu erkennen.
All das Geschilderte rechtfertigt den heutigen Namen „Im Grünen Bachtel” vollauf. Und das war wohl auch Jahrhunderte lang schon ähnlich. Nun mag man sich allerdings fragen, weshalb gerade dieses Bachtel grün genannt wurde, wo doch weit und breit alles grün ist, sei es von Wald oder Wiesen.
Eine überraschende Lösung bieten die Steuerbücher für das Gericht Oberstdorf in der Pflege Rettenberg die seit 1637 sehr detailliert vorliegen! Damals tauchten nämlich neben der Schreibung im Grüenenbachtel auch die Formen im Krü(e)nenbachtel und im Krinnenbachtel auf! Solche Schreibungen setzen sich dann z. B. 1662,1682,1692 und 1716 fort, wobei neben Krinnenbachtl auch noch im Grinenbachtl tritt, was genau der heutigen Mundartform entspricht *. Seit 1724 beginnen die Schreibungen im Grinnenbachtl und im Griinnenbachtl, also mit anlautendem G- jene mit K- zu verdrängen.
Vergleicht man diese Schreibungen mit jenen für die Grüne Gasse, so bemerkt man sofort zwei Hauptunterschiede:
1. „Die Grüne Gasse" wird niemals mit K- am Anfang geschrieben.
2. Schreibungen wie Krinne- oder Krünne- kommen dort nicht vor.
Bedenkt man weiter, daß die Grüne Gasse beidseitig von einer grünen Gebüschzeile gesäumt wurde, während die Äcker beiderseits in der Brache, aber auch während eines Teiles des Wachstums und in der Erntezeit braun wirkten, so versteht man diesen Namen. Das „Krinnenbachtl” aber muß seinen Namen davon erhalten haben, daß der dortige Bach in einer „Krinne”, in der Oberstdorfer Mundart Khriine (mit langem i), floß, d. h. in einem engen, scharfen Einschnitt, einer Einkerbung*. Von dieser landschaftlichen Gegebenheit kann man sich heute noch überzeugen, wenn man dem Lauf des Grundbaches in jenem Teil folgt, der nach dem Austritt in ebenes Gelände oberhalb sich auftut.
Zum Schluß sei noch eine Vermutung erlaubt: Der Name Grundbach oder Grundbächle wird ursprünglich wohl nur für jenen Abschnitt gegolten haben, in dem der Bach den Talgrund erreicht hat, denn Grund bezeichnet immer den tiefsten Teil einer Landschaft. Im Hanggelände aber hieß das Gewässer *Krinne(n)bach, d. h. Bach, der in einer Krinne, in einem tiefen, scharfen Einschnitt fließt. Seine Umgebung war das *Krinnenbachtal, eben das Krinnenbachtl der Steuerbücher. Vielleicht zuerst von den Steuerbuchschreibern, denen der Ausdruck Krinne, gesprochen Krine, möglicherweise unbekannt war, dann auch von den Grundstücksbesitzern, wurde der Name zum Grünen Bachtel umgedeutet, was heute einen durchaus treffenden Namen darstellt, wenn er ursprünglich auch nicht so gemeint war.