Johann Nep. Stützle:
Die katholische Pfarrei Oberstdorf im
königl. Landgerichte Sonthofen oder die Schweiz im Kleinen.
Kempten 1848.
Wiederdruck Oberstdorf 1927. S. 6f.
Die Entstehung der Volkstrachten, ganz allgemein gesehen, wird auf das Jahr 1550 datiert. Ihre Blütezeit reicht bis ins ausgehende 18. Jahrhundert.
In früherer Zeit, als große Entfernungen nur mit dem Pferd oder auf Schusters Rappen zurückgelegt werden konnten, dauerte es oft lange, bis sich eine neue Stilrichtung und deren Kleidermode durchsetzen konnten. So blieb der Grundschnitt einer Zeitepoche Jahrzehnte, ja nicht selten bis zu 100 Jahre derselbe. Ein gutes Beispiel für die Beständigkeit der damaligen Mode ist der „Dreispitz”. Er kam 1690 in Frankreich auf und wurde bis zum Ende des 18. Jahrhunderts auch im Allgäu zur Männertracht getragen und dann vom „Zweispitz” abgelöst.
Die Mode wurde vom Hof geprägt und vom Volk in vereinfachter Form nachgeahmt. Auch Beruf, Stand und Religion spielten eine wichtige Rolle. Zudem bestimmten die Landesfarben die Farben der Tracht. So waren weiß und rot die Landesfarben der Alemannen, was also Teile Schwabens, der Schweiz, des Elsaß und des Bregenzerwaldes betrifft, silber und rot die Farben des Augsburger Bistums.
Die von Felix Dahn (s. „Unser Oberstdorf”, Heft 10, S. 92 ff.) beschriebene und durch zahlreiche Votivbilder in den Oberallgäuer Kirchen und Kapellen belegte „Oberpfarrtracht” erhielt ihre Grundform in der Barockzeit. In der Kunstgeschichte wird diese Stilrichtung für den Zeitabschnitt von 1580 - 1760 datiert. Man muß jedoch annehmen, daß unsere Tracht erst später eingebürgert worden ist. Die ersten bildlichen Nachweise im Oberstdorfer Raum stammen jedenfalls aus der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts.
Eine spätere Epoche, nämlich die Empirezeit, brachte den Florentiner oder „Schattenhut” hervor, der von Oberstdorferinnen noch über der alten Kopfbedeckung, der niederen Otterfellkappe, getragen wurde. Aus dieser Zeit stammt auch das dekolletierte Schälkle (vgl. Bild S. 161).
Der bei Felix Dahn aufgeführte geblümte Seidengoller, ein viereckiges Stück Stoff mit Halsausschnitt, an welchem die silberne Gollerkette (Panzerkette) befestigt wurde, war zur selben Zeit ein Trachtenstück der Walserinnen (vgl. „Der Mittelberg” von Fink u. Klenze, 1891, S. 41). Er war meist in roten Farbtönen gehalten (vgl. Bild S. 162) und kam ab, als auch die Mädchen nur noch mit „Ärmeln” oder Schälkle bekleidet in die Kirche durften.
Nur der Abgeschiedenheit unserer Gegend ist es zu verdanken, daß sich die alte Frauentracht noch bis in die sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts halten konnten. Die alte Männertracht war schon vorher zum Aussterben verurteilt. Der Oberstdorfer Pfarrer Joh. Nep. Stützle schreibt dazu im Jahre 1848:
Das graue Zwilchröcklein (Wolle - Leinengewebe), von dem Stützle hier schreibt, ist auf einem Votivbild von 1774 aus der Malerfamilie Herz sehr gut dargestellt. Es dürfte sich hier um ein naturfarbenes Kleidungsstück handeln. Zu dieser Entwicklung ist um 1830 auch im obersten Allgäu eine neue Moderichtung zu beobachten. Dies bestätigen uns wiederum viele Votivbilder aus der Fischinger Frauenkapelle. Anfänglich kam bei der Damenwelt nur das burgunderrote Schälkle auf. Bald folgten auch Röcke in den Farben blau, grün, burgunderrot und im herkömmlichen Schwarz. Sehr beliebt waren auch Rock und Schälkle in derselben Farbe, anfangs vor allem im schon erwähnten Burgunderrot. Dazu wurden Schürzen in passenden Farben gewählt. „Darunter” befand sich vielfach noch das hochrote Mieder mit Goller der Barockzeit. Die modebewußte Frau fand sich nun in der schwarzen Chenille-Radhaube schön. Auf einigen Bildern sind Frauen mit hochroten Kopftüchern abgebildet. Dieses Kopftuch, welches auch im übrigen Allgäu, im Walsertal und im Bregenzerwald verbreitet war, wurde hauptsächlich bei der Arbeit umgebunden.
Eine ähnliche Entwicklung ist bei der Männertracht festzustellen. Auch hier setzte sich nach und nach der Einfluß des Biedermeier durch. An Stelle des breitrandigen Hutes mit Band und Schnalle bzw. des „Zweispitzes” tritt ein niedriger Zylinder mit eingeengtem Gupf. Die Kniehose kam ab und wurde durch lange „Lid”-Hosen ersetzt, zur Arbeit von blauer Leinwand. Das Aufkommen der Langhosen signalisiert hier das Aussterben der Tracht.
In die Zeit zwischen 1800 und 1860 fallen auch die hochroten Mädchentrachten. Bei wohlhabenden Bürgerinnen war zum Biedermeier-Seidenkleid mit den typischen „Schinken”-Ärmeln und dem vielfach bunten Mailänder Seidentuch auch das sogenannte Gaißeuter oder Riegelhaube in Gebrauch. Die Riegelhaube wurde in den Paterlhütten des Fichtelgebirges von den „Paternostermachern” angefertigt. Ein Bild von Franz Speiser, Bolsterlang, von 1843, zeigt uns gleich eine ganze Familie im Biedermeier-Sonntagsstaat. Die Frau trägt das beschriebene „Gaißeuter” .
Um die Mitte des letzten Jahrhunderts kamen die ersten Fremden ins „Oberste Dorf’. Mit ihnen hielten auch der neue Zeitgeist und die städtische Mode Einzug. Der große Brand in der Nacht vom 5. auf den 6. Mai 1865, der 146 Häuser in Schutt und Asche legte, vernichtete zusätzlich wertvolle Stücke unserer alten Volkstracht. Durch eine Kleidersammlung für die Brandgeschädigten kam viel fremde Kleidung in unser Dorf. So erklärt sich, daß ab 1865 nur noch einzelne Photographien und einige klägliche Überreste an Kleidung Zeugnis von der Existenz der ehemals so reichhaltigen Oberpfarrtracht ablegen.
Nach der Brandkatastrophe hat sich bei den Frauen und Mädchen noch längere Zeit eine einfache Werktagstracht erhalten, deren Grundform bestimmt aus älterer Zeit stammt (vgl. Darstellung der Maria Blattner von Claudius Schraudolph: „Unser Oberstdorf’, Heft 8, Titelseite).
Dieses Häß bestand aus einem schwarzen Mieder ohne Latz, welches mit dem Bris- bändel oder einer einfachen Silberkette in der damals üblichen Form geschnürt wurde. Das „Ingbrise” erfolgte mit dem „Stichel” im Zick-Zack durch Ösen von unten nach oben, weshalb dieser dann oben in die Verschnürung gesteckt wurde. Der Rock aus hellblauem Handdruck war aus Leinen, später aus Kattun (Baumwolle;). Als Bluse diente anfangs immer noch das altdeutsche Hemd, das ursprünglich zugleich auch Unterrock war. Nach Aussage von Frau Therese Simbeck- Schwarz, geb. 1897, befand sich darüber ein weißer Goller, der später zu einem Spitzenkragen degenerierte. Über die Farbe der Schürzen geben uns die Photographien keinen Aufschluß, wahrscheinlich waren sie weiß oder von heller Farbe.
Ölbild aus dem Hause Schratt,
Oberstdorf, Kirchstraße
Das Bild zeigt eine „Bäs” aus der Reichenbacher Verwandtschaft Renn in der Oberpfarrtracht mit dem Schälkle der Empirezeit, weißem Goller und dem typischen geschlungenen und rückwärts gebundenen Halstuch.
Die Frau trägt die niedere Sesselkappe aus Otterfell. Im aufspringenden Schälkle kommt das rote Mieder zum Vorschein.
Über die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts und die Entstehung der Trachtenvereine berichten wir in der nächsten Ausgabe.
Fortsetzung folgt