Oberstdorf Garnisonstadt ?

von Eugen Thomma am 01.06.1987

Wird Oberstdorf Garnisonstadt für ein Bataillon der 1. Gebirgsdivision? Mit dieser Frage hatten sich Oberstdorfs Bürgermeister öfters zu befassen, als ihnen lieb war.

Obwohl die ganze Sache unter die Verschwiegenheitspflicht fällt und die Papiere den roten Aufdruck „Geheim” tragen, hat die Bevölkerung ein Recht, das Wichtigste davon zu erfahren. Soweit Daten oder Personen direkt betroffen sind und die Bekanntgabe bedenklich erscheint, werden im folgenden Text Namen, Daten oder andere Passagen durch XX gekennzeichnet.

Die staatlichen Behörden in Sonthofen haben eine Sitzung im Oberstdorfer Rathaus einberufen, zu der die Kreisvertreter der Landwirtschaft und die Landwirtschaftsstelle in Immenstadt zugeladen waren. In diesem Kreise informierte man den Bürgermeister des Marktes Oberstdorf, daß der Kurort als Garnison für ein aufzustellendes Gebirgsjägerbataillon vorgesehen sei.

Wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf diese Mitteilung den Bürgermeister und seinen Vertreter; zumal sie feststellen mußten, daß schon umfangreiche Vorarbeiten getroffen waren. Eine echte „Schubladenplanung” lag da auf dem Tisch des Rathauses. In Karten und Lagepläne sind mögliche Kasernenstandorte und Übungsplätze eingezeichnet.

Parallel zu dieser Information liefen auch schon Anhörungsverfahren bei verschiedenen Fachbehörden, so z. B. beim Deutschen Gemeindetag, Landesdienststelle Bayern. Der Planungsreferent hatte dorthin folgende Anfrage gerichtet: „Oberstdorf soll XX, unter Umständen schon im nächsten Herbst, mit einem Jägerbataillon belegt werden. Die Truppe hat die in beiliegender Pause eingezeichneten Wahlvorschläge für den Kasernenbau mit rund 12 - 15 ha und für den Standortübungsplatz mit rund 80 ha unterbreitet. Ich bitte um baldgefl. Mitteilung, ob von Seiten des Deutschen Gemeindetages gegen die Belegung von Oberstdorf mit einer Garnison von rd. 1.000 Mann Bedenken bestehen.”

Der geschäftsführende Direktor des Gemeindetages schrieb an Oberstdorfs Bürgermeister: „Bevor ich hierzu Stellung nehme, bitte ich um Äußerung zur Planung und den vorgeschlagenen Plätzen.” Nachdem die ganze Angelegenheit unter der Stufe „Geheim” läuft, geraten die Bürgermeister in eine prekäre Situation. Sie sollen sich informieren, sollen Stellungnahmen einholen und dürfen niemanden über den Grund der Erkundigungen unterrichten. So werden einige zuverlässige Personen der Verwaltung zu Geheimnisträgern gemacht und mit den Ermittlungen betraut.

Für drei mögliche Kasernenstandorte waren dann - ohne Rücksicht auf den Datenschutz - Auflistungen der Grundeigner anzufertigen. Gleiches galt auch für den im Kornauer Raum geplanten Exerzier- und Standortübungsplatz. Rund 80 (!) ha Grund sollen dafür verbraucht werden.

Aus dem Bericht der Bürgermeister an die Staatsbehörden ist sinngemäß zu entnehmen: In dem Vorentwurf sind im Ortsbereich von Oberstdorf drei Plätze eingezeichnet, die wahlweise für Kasemenbauten in Betracht kommen sollen. Die Überprüfung der Grundstücksverhältnisse und Ermittlung der Grundeigentümer hat ergeben, daß bei Vorschlag K 1 (Kaserne 1) etwa 80 Bauern beteiligt sind. Von diesen verlieren mit der Wegnahme des Grundes sechzehn sofort ihre Existenz. Die übrigen Beteiligten müssen ihren Viehstand reduzieren.

  • Für den Vorschlag K 2 gilt im großen ganzen das gleiche. Dazu kommt allerdings, daß in dem Gebiet bereits 29 Wohnhäuser stehen und neun Wohngebäude im Bau sind.
  • Für den Vorschlag K 3 gilt das gleiche wie bei Vorschlag K 1, wobei aber in dem Bereich noch 17 Wohnhäuser stehen. Die Gesamtfläche an Grund und Boden beträgt in den drei Fällen je rund 40 ha. Die anfänglich genannten 12 bis 15 ha waren also rund ein Drittel des tatsächlichen Bedarfs.
  • Das Gelände für den Exerzierplatz (Vorschlag E 3) befindet sich in der Hauptsache in der Kornauer Gegend. Die 25 landwirtschaftlichen Anwesen Kornaus wären mit Anlegung des Platzes in dem von der Planung ausgewiesenen Gebiet wirtschaftlich erledigt. Neben den Kornauer Bauern wäre auch Oberstdorfs Landwirtschaft empfindlich getroffen.
  • Die beiden anderen Vorschläge für den Übungsplatz bergen ebenfalls Schwierigkeiten in sich.
  • Da ist einmal der Vorschlag, der die Bereiche Hoffmannsruh, Moorbad, Moorweiher, Krappberg, Teile von Dienersberg einschließt und im Westen bis an die Scheibenstraße heranreicht.
  • In der Planung ist da noch die zweite Variante, die den Übungsplatz westlich der Stillach von der Ziegelbachbrücke unter Einschluß des Hirtenbichls vorsieht und fast bis an den Karatsbichl heranreicht.
  • Neben dem Wegfall von Moorbad und Moorweiher brächte die „Hoffmannsruh- Lösung” auch sonst erhebliche Beeinträchtigungen des Kurbetriebes durch Wege- und Straßenumlegungen und durch ständigen Verkehr zwischen Kasernenbereich und Übungsplatz.
  • Verkehrsgünstiger angesehen wird die Lösung zwischen Karatsbichl und Höllwiesen. Allerdings sind für den Winter die Skiabfahrten von Schönblick und Bergkristall ins Tal (Höllwiesen und Heuwang) für alle Zeiten gestorben, und das sommerliche Wandergebiet entfällt ebenfalls.
  • Bei aller Beeinträchtigung durch die geplanten Übungsplätze und Exerzierflächen ist der Verlust nicht so groß wie beim Kasernenbau.
  • K 1 betrifft das Gebiet Winkel/Helchenkreuth und wird im Norden von der Straße nach Rubi und im Süden vom Güterbahnhof abgegrenzt. Im Osten reicht das geplante Kasernengelände bis zur Bannholzsiedlung und im Westen bis an die Bebauung des Steinachs: insgesamt ein gewaltiger Verlust an wertvollem landwirtschaftlichem Grund.
  • K 2 bedeutet wohl den größten Eingriff in die Substanz Oberstdorfs. Westlich der Sonthofenerstraße vom Klingenkessel bis zur Klausenkapelle bis hinunter an die Stillach soll das ganze Areal in den militärischen Bereich einbezogen werden. Kaum zu verantworten wäre bei Verwirklichung dieser Planung der Abbruch der bestehenden Wohngebäude (darunter auch das neuerbaute Haus des 1. Bürgermeisters).
Garnisonstadt - Heft 11
  • K 3 ist eine Planung im Südviertel südlich der Weststraße bis zum Karatsbichlweg. Im Osten würde das militärische Gelände vom Reithallenweg und im Westen von der Stillach begrenzt. Bei Verwirklichung dieser Variante müßten - wie eingangs erwähnt - auch schmerzliche Eingriffe in den dortigen Baubestand erfolgen. Wo könnte für die betroffenen Anwohner gleichwertiger Ersatz gefunden werden?

Soweit der Planungsstand auf Oberstdorfs Weg zur Garnison. Erwähnt sei noch, daß unsere Herren Bürgermeister Garmisch, Mittenwald, Reichenhall und andere Gebirgsstandorte aufgesucht haben, um sich bei ihren dortigen Kollegen Ratschläge und Erfahrungsberichte zu holen. Man informierte sich insbesondere über die Verträglichkeit von Kurbetrieb und Militärstandort.

Daß bei einer solchen, in der Tragweite kaum überschaubaren Entscheidung die Meinungen aufeinanderprallen, ist ganz verständlich. Auch bei den Bürgermeistern - auf denen die Hauptlast der Entscheidung liegt - ist die Meinung geteilt. Während der 1. Bürgermeister zumindest den Versuch macht, sich gegen den Kasernenbau zu stemmen, ist sein Stellvertreter (auf Druck seiner Partei?) ein Befürworter. In einem Brief des Adjudanten der 1. GD, Major XX, an den 2. Bürgermeister ist jedenfalls zu lesen: „Ich freue mich für Dich und Deine Gemeinde und nicht zuletzt auch für die 1. GD, daß nun doch eine Möglichkeit besteht, daß Oberstdorf Deinem Wunsche gemäß Garnison werden kann.”

Bei nochmaliger Durchsicht des ganzen Berichtes habe ich festgestellt, daß nirgends ein Datum zu lesen ist und der Eindruck entstehen könnte, daß alles in der Gegenwart geschehen sei. Diese Annahme wäre falsch; denn es handelt sich um den Planungsstand von 1937/38, der sich mit dem Zweiten Weltkrieg erledigt hat.

Aber ist es nicht der Mühe wert, darüber einmal nachzudenken, was heute wäre, wenn damals vor 50 Jahren auf einem der vorgeschlagenen Plätze eine Garnison gebaut worden wäre?

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